Quelle: zaronews.com

500 Betten für junge Krieger. Kas­sandra weint …

… und Lieschen Müller wundert sich

Meine Mama hat immer gesagt, dass Besuch wie Fisch ist. Nach drei Tagen fängt er an, zu stinken. Deshalb wundere ich mich ein bisschen, dass für 500 junge Männer aus Macho­ländern wie Irak, Syrien, Afgha­nistan oder der Türkei extra in einer Mes­se­halle Betten und Duschen gebaut werden. Heißt das, sie werden länger bleiben als drei Tage? Dass wir in das Jahr 2015 zurück­ver­setzt werden, als meine Schwestern in den Talk Shows Tag und Nacht beteu­erten, dass diese geflo­henen Männer eine Berei­cherung für uns wären? Dass wir diese Men­schen dringend bräuchten? Für unsere Renten, für unsere Kran­ken­häuser, aus Soli­da­rität, aus Mit­gefühl und so weiter und so fort?

Damals wie heute habe ich fol­gende, bescheidene Frage: Passen diese krie­ge­ri­schen Söhne wirklich zu unseren sanften Jungs, die von klein auf lernen, Frösche über Straßen zu tragen?

Ich komme auf diese Frage, weil mich meine Mama auf eine gute Schule geschickt hat. Dort habe ich in den 1970ern im Bio­lo­gie­un­ter­richt gelernt, dass die Per­sön­lich­keits­ent­wicklung und Prägung des Cha­rakters spä­testens mit 12 Jahren abge­schlossen und danach Hopfen und Malz so ziemlich ver­loren ist.

Und so zweifle ich ein win­ziges Bisschen daran, ob die Wüs­ten­söhnchen sich noch ändern können oder gar lernen möchten, den Haushalt für unsere eman­zi­pierten, deut­schen Frauen zu führen. Indessen weiß ich als gut erzogene, femi­nis­tische Schwester natürlich nur allzu gut, dass meine Über­le­gungen auf ziemlich tönernen Füßen stehen, hat doch mein Vorbild Katrin Göring-Eckardt schon 2015 gesagt, dass sie sich auf die Ver­än­de­rungen in Deutschland freut.

Und weil Katrin Göring Eckardt zwei Brüste hat, halte ich als Frau zu ihr, egal, was sie sagt. Denn so haben schließlich die Männer jahr­hun­der­telang ihre Macht erhalten. Selbst wenn ihr Kumpel so blöd war, dass es gekracht hat, haben sie ihn geschützt, weil er untenrum – Sie wissen schon – ein Dindong hatte. Diese Methode hat sich bewährt und daher wende ich sie eben­falls an, wie all die anderen auf­ge­klärten Frauen in Deutschland. Ich stehe fest an der Seite meiner Schwestern in der Politik, denn zwei­felte ich nur eine ihrer Aus­sagen an, würden wir unsere schwer erkämpfte Macht ris­kieren und augen­blicklich wie die Mütter und Schwestern dieser armen Flücht­linge wieder barfuß mit dickem Bauch als Hausklavin in der Küche enden. Da sei die Göttin vor – und so ver­traue ich blind meinen all­wis­senden Talk­mas­te­rinnen (Anne Will, die Lesbe, mit dem fal­ten­losen Gesicht – ist sie nicht süß?), denn sie streiten für den Macht­erhalt von allen Frauen in Deutschland. Wenn sie sagen, dass sich unter diesen Männern unbe­gleitete Min­der­jährige ohne Mama befinden, dann glaube ich ihnen. Außerdem berühren sie mein aus­ge­hun­gertes Mut­terherz – so viele Jungs ohne Mama und Papa – weil ich eigene Kinder wegen des CO2-Aus­stoßes ein­ge­spart habe.

Meine Mama wie­derum hat jedoch immer gesagt, dass ein Min­der­jäh­riger, der so starken Bart­wuchs wie ein aus­ge­wach­sener Mann hat, der spricht wie ein aus­ge­wach­sener Mann, der sein Dingdong vor sich her­schiebt wie ein aus­ge­wach­sener Mann und Muskeln wie ein aus­ge­wach­sener Mann hat, auch ein aus­ge­wach­sener Mann ist und damit cha­rak­terlich bereits voll geprägt ist. Eine Zeitlang habe ich also mit mir gehadert, was denn nun letztlich stimmt, bis mir ein voll­bär­tiger Flüchtling sein Messer an meine Kehle gesetzt und mich von seiner Min­der­jäh­rigkeit über­zeugt hat. Seitdem glaube ich jedem Flüchtling unbe­sehen, wenn er sagt, dass er min­der­jährig sei. Er schaut dann kurz auf die Narbe an meinem Hals und und schon mache ich meine Geld­börse auf. Danach ver­suche ich aller­dings, mich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Denn meine Mama hat mir vor 40 Jahren auch gesagt, „Ich habe Dich nicht groß­ge­zogen, damit Du Dich mit fremden Männern her­um­treibst“, obwohl damals noch gar nicht so viele Männer dieser Sorte im Lande waren. Und als ich in meiner Jugend nachts nicht zur ver­ein­barten Zeit zu Hause war, musste ich eine Woche lang Zusatz­kü­chen­dienst ohne Spül­ma­schine für meine 5 Geschwister und Eltern schieben. Aber, was soll‘s? Stun­den­langes Spülen ist immer noch attrak­tiver als tot im Stra­ßen­graben zu liegen … oder etwa nicht?

Apropos Graben und Schüt­zen­graben. Mein Papa war ja in der Armee. Und er kennt sich mit Sol­daten aus. Wenn mein Papa seine Gewehre geputzt hat, dann hat er vor Freude vor sich hin­ge­pfiffen. Wenn er mit der Schrot­flinte auf die Hühner meiner Oma geschossen hat, dann hat er irre gen Himmel gelacht. Und wenn er seine Kampf­messer gewetzt hat, dann haben wir uns alle in die hin­tersten Ecken ver­krochen. Wie mein Papa kenne ich mich daher auch mit Sol­daten aus. Denn der Krieg hat bei uns gewohnt. Ich kenne seine Gewalt. Ich kann den Angst­schweiß sehen, der aus den Poren tritt und ich kann seinen fau­ligen Atem riechen.

Wenn ich daher in der Stadt junge Iraker mit Rucksack im Park lungern sehe, wenn junge Afghanen an mir vorüber mar­schieren, wenn ein Syrer mich im Vor­ber­gehen drohend anblickt und ich die nackte Ver­achtung in seinen Augen lese, dann bin ich wieder bei meinem Papa, durch dessen Körper Kriegs­schrapnelle wan­derten, neben dem John Wayne wie ein Wai­senkabe wirkte und der eines Tages bei einem Sturz sein halbes Knie an einer Stahl­kante abra­sierte und so tat, als wäre nichts geschehen.

Deshalb meine vor­sichtige Frage: Wenn Syrer und Iraker im Krieg geboren wurden, wenn Afghanen und Türken nichts anderes als Kampf kennen, wenn diese jungen Männer also wie Sol­daten laufen, wie Sol­daten sprechen und wie Sol­daten riechen; wenn sie Krieg atmen, ihre Muskeln aus Stahl sind, und sie wie gehetzte Tiere stets auf dem Sprung sind; wenn also all diese Männer aus Kriegs­ländern in einer Hee­res­stärke von 500 Mann in einer Mes­se­halle unter­ge­bracht werden, wovon sprechen wir dann? Von jungen Flücht­lingen, oder von Sol­daten? Von einer Mes­se­halle, oder von einer Kaserne?

Ich stelle diese Frage, weil mich das Heer an Sol­daten ohne Uniform an das riesige Holz­pferd erinnert, das die Griechen den Tro­janern als Geschenk hin­ter­lassen hatten. Kas­sandra, die Seherin, warnte die Tro­janer vor der Hin­terlist der Griechen. Doch keiner hörte auf sie – sie wurde sogar für ver­rückt erklärt und von allen wegen ihrer mie­se­pe­trigen Behaup­tungen gemieden. Und so zogen die Tro­janer das Holz­pferd in ihre Stadt hinein. Und im Bauch des Pferdes war­teten schon die Sol­daten der Griechen und öff­neten ihrem Heer des Nachts die Tore der Stadt. Und so kam es, wie es kommen musste – Trojas Untergang war besiegelt.

Und so komme ich nun zu meinen beiden letzten Fragen: Wer wäre heute im Bauch des höl­zernen Pferdes? Fremde Sol­daten oder meine Schwestern, die es doch so gut mit mir meinen?

Viel­leicht können Sie mir ja wei­ter­helfen, denn bei diesen Fragen bekomme ich regel­mäßig einen Knoten im Kopf und mir wird ganz schwin­delig, denn ich weiß dann gar nicht mehr, was ich noch glauben soll. Meine Schwestern und ich halten doch zusammen. Die letzten Jahr­zehnte sind wir doch durch dick und dünn gegangen und haben so viel erreicht. Jede Frau  – sogar die Fetten – kann jetzt bis ganz nach oben kommen. Aber dann sind da meine Mama und mein Papa, die mir all diese anderen Sachen zu Bärten und Sol­daten erklärt haben.

Wissen Sie, ich will doch nur gut leben und mög­lichst wenig selber denken. Daher hätte ich gern eine ein­fache Antwort auf all diese Fragen, damit meine drei Gehirn­zellen und ich wieder gut schlafen können.

Über Zuschriften – bitte nur Positive – zu diesem Thema freut sich sehr

Ihr Lieschen Müller


Maria Schneider führt neben ihrer Berufs­tä­tigkeit den Blog bei­schneider. In ihren Essays und Rei­se­be­richten beschreibt sie die Ver­än­de­rungen in der Gesell­schaft und wie die Men­schen damit umgehen. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz. Auf ihrem Blog kommen auch andere Autoren zu Wort und jeder kann schreiben, was er denkt — so wie in den guten, alten Zeiten vor den Grünen. Kontakt: Maria_Schneider@mailbox.org