Vera Lengsfeld: Ver­letzt Gendern von amt­lichen Doku­menten die Neu­tra­li­täts­pflicht des Staates?

Wow! Das hätte ich nicht erwartet! Innerhalb einer Stunde nach meiner Anfrage ist sie vom Frak­ti­ons­vor­sit­zenden der Thü­ringer Linken Steffen Dittes beant­wortet worden. Das ist man von den Poli­tikern heut­zutage gar nicht mehr gewohnt und ver­dient Anerkennung.

Ich hatte bei Dittes ange­fragt, auf welches Urteil des Thü­ringer Ver­fas­sungs­ge­richtshofs von 2011 er sich bezieht, das belegen soll, dass in einer Demo­kratie der Landtag der Regierung keine Wei­sungen zu erteilen habe.

Nun habe ich es auf dem Laptop.

Es handelt sich um ein Urteil im Organ­streit­ver­fahren der Fraktion DIE LINKE im Thü­ringer Landtag, ver­treten durch den Vor­sit­zenden Herrn Bodo Ramelow gegen die Thü­ringer Lan­des­re­gierung wegen der Rüge einer Ver­letzung von Rechten des Landtags aus Art. 48 Abs. 1 und 2 der Thü­ringer Verfassung.

Inter­essant für mich ist, dass die Linke, als sie in der Oppo­sition war, die Meinung ver­treten hat, die auch ich in meinem Artikel geäußert habe, dass die Par­la­mente eine Kon­troll­funktion über das Regie­rungs­handeln haben. Das wäre eine inter­es­sante und wichtige Grund­satz­de­batte gewesen, die aber nicht stattfand, weil der damalige Landtag der Klage der Linken nicht bei­getreten ist.

Ich bin keine Ver­fas­sungs­recht­lerin und juris­tische Texte sind generell schwer ver­ständlich. Aber einen Satz, dass in einer Demo­kratie der Landtag der Regierung keine Weisung zu geben habe, konnte ich im Text nicht finden. Die Klage der Linken ist zurück­ge­wiesen worden, weil sie nicht hin­rei­chend begründet hat, warum im spe­zi­ellen Fall, es ging um die Ver­salzung der Weser und die Auf­for­derung an Kali und Salz, aus­rei­chende Sanie­rungs­maß­nahmen zu ergreifen, der Landtag der Regierung Wei­sungen zu erteilen habe.

Es soll sich jeder seine eigene Meinung bilden, was davon zu halten ist, dass die Linke ihre damalige Haltung über Bord wirft und sich jetzt auf ein Urteil bezieht, das ihre Nie­derlage besiegelt hat.

Im Falle des Gender-Antrags der CDU, den die Thü­ringer Regierung igno­rieren will, zeigt der Vorgang vor allem die Not­wen­digkeit einer breiten Debatte.

Im Antrag ging es nicht um einen Vertrag, den die Regierung mit einem Unter­nehmen schließen muss, sondern im Grunde um die Frage der im Grund­gesetz ver­an­kerten Neu­tra­lität des Staates.

Diese Neu­tra­lität ist immer wieder Gegen­stand von kon­tro­versen Dis­kus­sionen. Sie wurden in den ver­gan­genen Jahren vor allem in Hin­sicht auf die Bekennt­nis­freiheit geführt und hatte das Zeigen reli­giöser Symbole, wie Kreuz oder Kopftuch im öffent­lichen Raum zum Gegenstand.

Es gibt aber neben der reli­giösen die welt­an­schau­liche Dimension.

In einer zunehmend plu­ra­lis­ti­schen Gesell­schaft wächst der staat­lichen Rechts­ordnung die Funktion eines neu­tralen Sach­walters zu, um die Bekennt­nis­freiheit ange­sichts einer plu­ralen Vielfalt von Bekennt­nissen zu gewähr­leisten und dies mit den Erfor­der­nissen eines fried­lichen und guten Zusam­men­lebens zum Aus­gleich zu bringen.

Die Neu­tra­lität und Neu­tra­li­täts­pflicht des Staates hat noch eine darüber hin­aus­ge­hende prin­zi­pielle Dimension und Funktion.

Von distan­zie­render Neu­tra­lität spricht man, wenn der Staat den Ein­fluss religiös-welt­an­schau­licher Bekennt­nisse auf sein Handeln und seine Ent­schei­dungen zurück­weist, sich davon unab­hängig macht.

Offene und über­grei­fende Neu­tra­lität meint, dass der Staat sich zu reli­giösen oder welt­an­schau­lichen Bekennt­nissen nicht in abwei­sender Distanz verhält, sondern ihnen gegenüber offen ist, Raum zur Ent­faltung gibt, ohne sich mit ihnen in irgendwie zu iden­ti­fi­zieren. Die Vielfalt der Bekennt­nisse vom Staat ohne Par­tei­nahme zu gewährleisten.

Neu­tra­lität des Staates bedeutet also nicht
Bin­dungs­lo­sigkeit, sondern eher eine ethische und recht­liche Bindung in Form einer „respekt­vollen Nicht-Identifikation“.

Von einer solchen Nicht-Iden­ti­fi­kation kann aber nicht mehr die Rede sein, wenn in amt­lichen Doku­menten die Agenda einer radi­kalen Min­derheit adap­tiert und bis zur Unle­ser­lichkeit gegendert wird.

In einer Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft, die Deutschland sein will, sollte sich Gendern in amt­lichen Doku­menten schon deshalb ver­bieten, weil es für alle Nicht-Mut­ter­sprachler noch schwerer, bis unmöglich macht, sich zurechtzufinden.

Die CDU Thü­ringen hat also eine dringend not­wendige Debatte ange­stoßen. Sie sollte sie kon­se­quent weiterführen.

Aus dem gegen­wär­tigen Dilemma, das die Regierung igno­rieren will, dass Gendern von der über­wie­genden Mehrheit der Bevöl­kerung abge­lehnt wird und die Inte­gration unserer Neu­bürger erschwert, kann man sich, was Thü­ringen betrifft, schnell befreien.

Der Antrag sollte unver­züglich in ein Gesetz gegossen und erneut zur Abstimmung gestellt werden. Dann wäre die Regierung daran gebunden und für ganz Deutschland ein posi­tives Signal gesetzt.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de