Das Problem fal­scher Sys­tem­an­reize im Berufs­po­li­tiker- und Wohlfahrtsstaat

Die Anreiz-Bei­trags-Theorie

(von Andreas Tögel)

Die Anreiz-Bei­trags-Theorie beschäftigt sich mit Fragen der Arbeits­mo­ti­vation und bildet einen wich­tigen Bestandteil der Orga­ni­sa­ti­ons­theorie. Jedes Indi­viduum, gleich wie gebildet und in welcher Position, reagiert auf gebotene Anreize. Bei­spiels­weise liefert die Demo­kratie dem Polit­funk­tionär den ent­schei­denden Hand­lungs­an­trieb in Form der Wie­derwahl. Was zählt, ist der Erfolg im Kampf um ein steu­er­fi­nan­ziertes Mandat. Mancher ist geneigt, jedes noch so hane­bü­chene und / oder unein­lösbare Ver­sprechen abzu­geben, um sein Amt zu behalten. Und da der Poli­ti­ker­beruf nicht mit per­sön­lichen Haf­tungs­ri­siken ver­bunden ist, übt dieser eine besondere Anzie­hungs­kraft auf bestimmte Per­sonen aus, die nicht bestrebt sind, anderen Men­schen im frei­wil­ligen Aus­tausch Nutzen zu stiften, sondern Hand­lungen und Leis­tungen anderer staatlich zu erzwingen, ins­be­sondere und auch für sich selbst, wie es der Ökonom und füh­rende libertäre Denker Hans-Hermann Hoppe bereits aus­führlich ana­ly­sierte.

„Skin in the Game“

Wie ein Blick in Par­la­mente und auf Regie­rungs­bänke beweist, ist die vom liba­ne­si­schen Mathe­ma­tiker und Erfolgs­autor Nassim Taleb („Black Swan“) fest­ge­stellte Abwe­senheit von „Skin in the Game“ der Haupt­grund für die über­wie­gende Zahl der dort Anwe­senden, sich poli­tisch zu betä­tigen – neben der für bür­ger­liche Berufe und wert­schöp­fende Arbeit meist feh­lenden Moti­vation und/oder eines weit­ge­henden Mangels an fach­licher und/oder cha­rak­ter­licher Eignung. Viele Poli­tiker können mittels ihres Mandats deutlich höhere Ein­kommen erzielen, als sie das in der Pri­vat­wirt­schaft könnten. Selbst die unbe­deu­tendsten Hin­ter­bänkler ohne abge­schlossene Aus­bildung dürfen sich über Bezüge freuen, die in der Pri­vat­wirt­schaft lei­tenden Ange­stellten, erfolg­reichen Unter­nehmern und Frei­be­ruflern vor­be­halten sind – ohne aller­dings deren Ver­ant­wortung oder Geschäfts­ri­siken tragen zu müssen. Den oft und gerne zitierten „kleinen Mann von der Straße“ reprä­sen­tieren sie so nicht. Wirt­schaftlich erfolg­reiche Men­schen schon gar nicht. Die Tat­sache, dass Per­sonen ohne jede fach­liche Qua­li­fi­kation und/oder Berufs­aus­bildung in poli­tische Spit­zen­ämter auf­steigen, ja sogar Minister oder gar Regie­rungs­chefs werden können, sagt einiges über die Leis­tungen aus, die von ihnen erwartet werden können.

Viele Poli­tiker können mittels ihres Mandats deutlich höhere Ein­kommen erzielen, als sie das in der Pri­vat­wirt­schaft könnten. Selbst die unbe­deu­tendsten Hin­ter­bänkler ohne abge­schlossene Aus­bildung dürfen sich über Bezüge freuen, die in der Pri­vat­wirt­schaft lei­tenden Ange­stellten, erfolg­reichen Unter­nehmern und Frei­be­ruflern vor­be­halten sind 

Feh­lender Anreiz für Inter­essen der Betroffenen

Zwar werden fall­weise öffent­lich­keits­wirksame Debatten im euro­päi­schen Super­par­lament aus­ge­tragen (Merke: je größer ein Gremium, desto geringer seine Ent­schei­dungs­stärke), in einem Punkt, dem ent­schei­denden Anreiz, aber herrscht Einigkeit: Man will sein Mandat behalten! Deshalb nimmt der Bürger mit Haus­ver­stand den nach außen auf­ge­führten „Streit“ unter den poli­ti­schen Funk­tio­nären nicht allzu ernst.

… der Bürger mit Haus­ver­stand [nimmt] den nach außen auf­ge­führten „Streit“ unter den poli­ti­schen Funk­tio­nären nicht allzu ernst.

In diesem Zusam­menhang sind Max Webers in seinem 1919 gehal­tenen Vortrag „Politik als Beruf“ nie­der­ge­legten Ein­sichten inter­essant. Vieles hat sich in den letzten 100 Jahren nämlich kaum geändert. Die für moderne Demo­kratien typische Figur des wirt­schaftlich von seinem Mandat abhän­gigen Berufs­po­li­tikers bestimmt deren Ent­wicklung. Wenn die Polit-Eliten nichts anderes gelernt haben, als „Politik zu machen“, ist der Ziel­bahnhof eine Olig­archie der Berufsfunktionäre.

Keine beson­deren beruf­lichen oder intel­lek­tu­ellen Qua­li­fi­ka­tionen erforderlich

Nach erfolg­reichen Unter­nehmern, Managern, Natur­wis­sen­schaftlern, Frei­be­ruflern oder nicht am Staats­tropf hän­genden Krea­tiven sucht man in den Par­la­menten und an der Spitze von Minis­terien weithin ver­gebens. Dort herrscht asch­graues Mit­telmaß: Haupt­be­ruf­liche Partei- und Kam­mer­funk­tionäre, Gewerk­schafter, frei­ge­stellte Beamte, Stu­di­en­ab­brecher oder auch scheinbar nar­ziss­tisch ver­an­lagte Per­sön­lich­keiten, die sich nach dem Ende ihrer Berufs­kar­riere mit einem poli­ti­schen Amt schmücken wollen. Die Gefähr­lichsten von allen sind augen­scheinlich die fana­ti­schen Welt­ver­besser, die zur Ver­wirk­li­chung ihrer Utopien auch vor dem Einsatz von Zwang und Gewalt nicht zurück­schrecken. Für sie heiligt der Zweck die Mittel, und wenn das Ziel edel und gut ist, fallen die letzten Hemmungen.

„Wer den Men­schen nicht zu dienen in der Lage ist, der will sie beherrschen“,

stellte der Ökonom und Sozi­al­phi­losoph Ludwig Mises fest. Je weiter sich die poli­tische Land­schaft nach links ver­schiebt – und das geschieht seit der 1968-Revo­lution und ihrem „Marsch durch die Insti­tu­tionen“ mit zuneh­mender Dynamik –, umso eher scheint sich dies zu erfüllen.

Ohne Änderung der Anreiz-Bei­trags-Beziehung keine Verbesserung

Um einen Ausweg aus dieser Misere zu finden, ist es unum­gänglich, das bestehende, aus Sicht der Betrof­fenen falsche Anreize bie­tende System zu refor­mieren. Denn wenn es attrak­tiver ist, sein Ein­kommen nicht durch Arbeit, sondern mittels Umver­teilung zu erzielen, wird ein immer grö­ßerer Teil der erwerbs­fä­higen Bürger das Angebot annehmen, auf Kosten Dritter ein müßiges Leben zu führen. Der sprin­gende Punkt ist: Wenn zwi­schen mar­gi­nalen Erwerbs- und Trans­fer­ein­kommen kaum Unter­schiede bestehen, warum sollten sich die Betrof­fenen dann noch zum Arbeits­platz bemühen? Liegt das Ein­kommen aus Sozi­al­transfers bei­spiels­weise bei 1.100,- Euro monatlich und das Ein­kommen mittels gering­qua­li­fi­zierter Berufs­tä­tigkeit bei 1.200,-Euro, heißt das, dass für 100,- Euro monatlich 38,5 Stunde pro Woche gear­beitet werden muss. Nicht wenige werden auf diese wenig ver­lo­ckende Aus­sicht dankend ver­zichten, manche gele­gentlich „schwarz“ (= abga­benfrei) etwas dazu­ver­dienen. Sie stellen sich damit besser als ein arbei­tender Mit­mensch. Das von der Links­re­gierung in Deutschland soeben ein­ge­führte „Bür­gergeld“ wird dieses Problem noch ver­stärken und ist ein Mus­ter­bei­spiel für einen falsch gesetzten Anreiz. Deutschland wird – nicht nur, aber auch dadurch – erneut zum „kranken Mann Europas“, wie das „Han­dels­blatt“ ausführte.

Das von der Links­re­gierung in Deutschland soeben ein­ge­führte „Bür­gergeld“ wird dieses Problem noch ver­stärken und ist ein Mus­ter­bei­spiel für einen falsch gesetzten Anreiz. Deutschland wird – nicht nur, aber auch dadurch – erneut zum „kranken Mann Europas“ …

Ist erst einmal der Punkt erreicht, an dem eine Mehrheit der Bürger ihr Leben aus steu­er­fi­nan­zierten Transfers bestreitet, ist die Sache gelaufen. Ver­meintlich „wohl­erworbene Rechte“ wieder abzu­schaffen, ist so gut wie unmöglich – zumindest dann, wenn man als Poli­tiker wie­der­ge­wählt werden will. Der sozi­al­de­mo­kra­tische öster­rei­chische Kanzler Bruno Kreisky kon­sta­tierte einst zurecht: „Keiner lässt sich gerne etwas weg­nehmen.“ „Soziale Besitz­stände“ ver­fügen über einen „Sperr­klin­ken­effekt“, der ein Zurück unmöglich zu machen scheint.

Sobald mehr als die Hälfte der Bevöl­kerung eines Landes ihr Ein­kommen ganz oder teil­weise vom Staat bezieht, ist eine Umkehr auf dem Weg in die Knecht­schaft nicht mehr möglich.

Roland Baader (1940 – 2012)

Not­wendig: Staats­schrumpfung und Politikerhaftung

Den Schlüssel zur Umkehr bildet die radikale Senkung der Staats­quote. Schließlich ist es die kaum beschränkte Ver­fü­gungs­gewalt über das Geld der Unter­tanen, die es der Regierung ermög­licht, die Mehrzahl der Bürger zulasten der Leis­tungs­träger zu korrumpieren.

Euroland befindet sich derzeit bei rund 50% Staats­quote. Dank Corona, „Green Deal“ und Ener­gie­zu­schüssen im Gefolge der Sank­ti­ons­po­litik gegen Russland und mit laufend stei­gender Tendenz. Um ein Staats­wesen aus­rei­chend zu dotieren, also Recht­spre­chung und Sicherheit im Inneren und nach außen zu finan­zieren, reichen indes 15 Prozent des BIP (Brut­to­in­lands­produkt) reichlich aus, wie deutlich wird, wenn man die ent­spre­chenden Bud­get­po­si­tionen ana­ly­siert. Alles was darüber hin­ausgeht, dient am Ende der Finan­zierung fal­scher Anreize.

[Eine Staats­quote, die über 15 Prozent des BIP] hin­ausgeht, dient am Ende der Finan­zierung fal­scher Anreize.

Da arbei­tende Men­schen inzwi­schen daran gewöhnt sind, mehr als die Hälfte ihres Ein­kommens an den Fiskus abzu­liefern und sich gegen diese massive Ent­eignung kei­nerlei Wider­stand for­miert, wird es immer schwie­riger, höhere Net­to­löhne durch­zu­setzen. Für eine Been­digung der totalen Bevor­mundung durch den Gou­ver­nanten-Staat ist das aber unabdingbar.

Genauso wichtig wie die Reduktion der Steu­erlast ist die Ein­führung einer Poli­ti­k­er­haftung, wie auch immer sie juris­tisch ein­wandfrei gestaltet sein mag. Es ist nicht hin­zu­nehmen, dass poli­tische Ent­schei­dungen getroffen werden, die das Eigentum und die Per­sön­lich­keits­rechte der Bürger schmälern, ohne dass die dafür Ver­ant­wort­lichen haftbar gemacht werden.

Die Ein­führung einer Poli­ti­k­er­haftung ist eine delikate Ange­le­genheit, die überlegt sein will. Meist sind es ja viel­köpfige Gremien und nur selten ein­zelne Akteure, die weit­rei­chende poli­tische Ent­schei­dungen treffen. Daher ist Augenmaß gefragt. Die Lösung dieses Pro­blems ist indes ebenso ent­scheidend für die Richtung, in der sich die west­lichen Gesell­schaften ent­wi­ckeln, wie die Begrenzung der Staatsquote.

An der Erkenntnis, dass ver­ant­wort­liche Hand­lungen nur von Per­sonen erwartet werden können, die dafür, um es mit den Worten Nassim Talebs aus­zu­drücken, ihre Haut aufs Spiel setzen, ist nicht her­um­zu­kommen. Ob auch daran zu denken ist, neben den Gewählten auch die Wähler in die Pflicht zu nehmen und für ihre Wahl­ent­schei­dungen haftbar zu machen, ist eine rein theo­re­tische, in der Praxis ver­mutlich unlösbare Frage. Das gilt besonders auf höherer poli­ti­scher Ebene, wo die Bürger die von ihnen gewählten oder die von den poli­ti­schen Par­teien ernannten Funk­ti­ons­träger nicht per­sönlich kennen.

Anreiz-Bei­trags-Bezie­hungen könnten auch im Wahl­recht berück­sichtig werden

Eine Mög­lichkeit, die Anreiz-Bei­trags­be­zie­hungen zu ändern, wäre bei­spiels­weise auch eine Stimm­ge­wichtung nach der für das Gemein­wesen erbrachten Steu­er­leistung: Ein „Zen­sus­wahl­recht“, wie es in Deutschland und Öster­reich gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts bestanden hat. Das auf dem Markt herr­schende Prinzip wer zahlt, schafft an, würde damit auf die Politik übertragen.

Wer in einer frei­sin­nigen Gesell­schaft über Geld verfügt, das er durch frei­wil­ligen Aus­tausch erhalten hat, hat dafür seinen Mit­men­schen Dienste geleistet oder Güter geliefert. Er leistet im Wege der Lohn- und Ein­kom­men­steuer auch „Tribute“ an das Gemein­wesen. Je mehr er erwirt­schaftet, desto mehr. Men­schen ohne Ver­mögen oder Erwerbs­ein­kommen dagegen tun nichts für ihre Mit­bürger – erbringen kei­nerlei messbare Leis­tungen und liefern keinen Beitrag zum Gemeinwohl. Warum also sollte diesen Indi­viduen eine Teilhabe am durch andere Bürger erwirt­schaf­teten Wohl­stand oder eine Mit­be­stimmung in Staats­an­ge­le­gen­heiten auf fremder Leute Kosten zuge­billigt werden?

Auf dem Markt bedeutet jeder Euro eine Stimme. Gerechter und demo­kra­ti­scher geht es nicht. Das Prinzip eines von der erbrachten (direkten) Steu­er­leistung abhän­gigen Stimm­rechts, sta­bi­li­siert sich zudem von selbst. Wer poli­tische Macht dazu nutzt, seine Steu­erlast zu ver­ringern, ver­liert dadurch an Stimm­ge­wicht. Wer mehr fürs Gemeinwohl tut, erwirbt dadurch mehr poli­ti­sches Gewicht.

Auf dem Markt bedeutet jeder Euro eine Stimme. Gerechter und demo­kra­ti­scher geht es nicht.

Die derzeit herr­schende Gering­schätzung der Net­to­steu­er­zahler käme zu einem Ende, die stim­men­mäßige Über­macht der aus Steu­er­mittel Ali­men­tierten, gleich ob Funk­tionäre, Beamte oder Bezieher von Trans­fer­leis­tungen, wäre beseitigt und die Staats­macht würde auf ein Maß redu­ziert, wie es vor dem Ersten Welt­kriegs geherrscht hat. Damit würden wir uns in jene im wahrsten Sinn des Wortes goldene Ära zurück­ka­ta­pul­tieren, in der Europa über das wert­be­stän­digste Geld ver­fügte, die geringste Staats­quote, das stärkste Wirt­schafts­wachstum und die schnellste Wohl­stands­zu­nahme aller Zeiten.

Schluss­be­trachtung

Doch ehe sich nicht die kol­lektive Ein­sicht Bahn bricht, dass die Staats­quote sich umge­kehrt pro­por­tional zum kol­lek­tiven Wohl­stand verhält; ehe nicht die Stei­gerung der Pro­duktion anstatt des Ver­suchs einer erzwun­genen Gleich­ver­teilung des Wohl­stands das Hauptziel der Politik ist; ehe poli­tische Ent­schei­dungs­träger nicht die zivil- und straf­recht­liche Ver­ant­wortung für ihre Hand­lungen über­nehmen müssen; und ehe nicht die unge­hin­derte Inter­aktion freier Indi­viduen Vorrang vor der Umsetzung poli­ti­scher Utopien erhält, solange wird die Eman­zi­pation der Bürger vom „pater­na­lis­ti­schen Leviathan“ nicht gelingen.

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Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschi­nen­bauer, aus­übender kauf­män­ni­scher Unter­nehmer und über­zeugter “Aus­trian”. Ende März 2022 ist sein Buch Inflation: Warum das Leben immer teurer wird erschienen.


Quelle: misesde.org