Die dieser Vorrede nachfolgende Abhandlung stellt die Weiterführung von Gedanken dar, die von mir ursprünglich auf Einladung des PRAGMATICUS verfasst wurden und die inzwischen an diversen Orten, und auch in englischer Übersetzung, erschienen sind.[1] Sie wurden in der Absicht verfasst, meine ursprünglich am Beispiel der Europäischen Union (EU) entwickelten theoretischen Überlegungen und Einsichten auf den speziellen Fall der Schweiz zu übertragen und anzuwenden. Dass meine Gedanken dem links-grünen Zeitgeist grundlegend zuwiderlaufen und deshalb gegenwärtig keinerlei Aussicht hatten und haben, Eingang in den medialen „Mainstream“ zu finden, war mir klar. Doch hatte ich die Hoffnung, dass die schweizerische WELTWOCHE, die mit etwa 40.000 wöchentlichen Verkaufsexemplaren am unteren Rand der sogenannten Publikumszeitschriften anzusiedeln ist, und die unter diesen die von mir – nach wie vor – meist-geschätzte Publikation im deutschsprachigen Raum darstellt, meinen Gedanken gegenüber dennoch möglicherweise aufgeschlossen sein könnte. Diese Hoffnung verstärkte sich noch aufgrund eines Treffens mit dem Herausgeber und Chefredakteur der WELTWOCHE, Roger Köppel, anlässlich einer Fernsehsendung – PRAGMATICUS bei SERVUS TV – zum Thema meines ursprünglich kommissionierten schriftlichen Beitrags. Köppel fungierte bei der Sendung als Moderator und Interviewer und ich war der Interviewte.[2]
(von Hans-Hermann Hoppe)
Die Angelegenheit verlief sachlich und freundlich und ich hatte den Eindruck, dass Köppel meinen Ausführungen durchaus eine gewisse Sympathie entgegenbrachte. Dieser Eindruck vertiefte sich noch im Anschluss an das Interview, im Verlauf einer längeren persönlichen Unterhaltung und eines zufälligen gemeinsamen Rückflugs von Wien nach Zürich. Angesichts dessen bot ich ihm meine in nachfolgendem Artikel in abgewandelter Form dargelegten Gedanken zur Veröffentlichung an. Mir war dabei durchaus klar und ich machte gegenüber Köppel auch keinen Hehl daraus, dass meine Sicht der Dinge und die seine sich in einigen zentralen Punkten grundsätzlich unterscheiden, aber er betonte seine intellektuelle Neugier und Offenheit und wies, wie zum Beweis, darauf hin, dass er in seinem Blatt doch auch von den eigenen liberal-konservativen Überzeugungen deutlich abweichende linke Beiträge veröffentliche. Das war dann aber auch schon das Ende unserer Begegnung. Kein Wort mehr, nicht einmal eine Absage bzw. Ablehnung, von einer Begründung ganz zu schweigen. Nichts, auch nicht auf Nachfragen von dritter Seite hin.
Es würde nicht der Wahrheit entsprechen zu behaupten, dass ich von diesem Ausgang der Dinge nicht enttäuscht war. Andererseits war ein solcher Ausgang aber auch keine wirkliche Überraschung für mich. Er bestätigte im Grunde nur Erfahrungen, die ich schon während meiner früheren, über zwanzigjährigen universitären Lehrtätigkeit in den USA gemacht hatte.
Am Beispiel meines eigenen Lehrmeisters, Murray N. Rothbard, wie auch dessen Mentor, Ludwig von Mises, eines der großen unbesungenen intellektuellen Genies des 20. Jahrhunderts, konnte ich, zum Teil beinah hautnah, erfahren, wie der Hase im gegenwärtigen „amerikanischen Zeitalter“ bzw. im „demokratischen Westen“ derzeit läuft. Solange Rothbard sich darauf beschränkte, einzelne wirtschaftspolitische Maßnahmen als widersinnig und kontraproduktiv zu kritisieren bzw. einzelne politische Entscheidungsträger als inkompetent oder unsozial zu kritisieren, wie bissig diese Kritik auch sein mochte, gelang es ihm doch, insbesondere am Beginn seiner Karriere, gelegentlich auch bis in den medialen „Mainstream“ vorzudringen. Sobald er mit seiner Kritik aber die Institution des Staates (als eines territorialen Monopolisten ultimativer Rechtsprechung) und den diesem zugrundeliegenden ideologischen „Etatismus“ als zentrale und fundamentale Ursache eines derartigen Widersinns identifizierte beziehungsweise derartiger Inkompetenz oder Böswilligkeit, standen eigentlich nur noch „alternative Medien“ für ihn offen. Und je mehr Rothbards Ruf als eines radikalen, kompromisslosen „Anarchokapitalisten“ (und also: „unnachgiebigen Extremisten“) sich verfestigte, um so mehr blieben ihm „Mainstream“-Medien auch generell verschlossen. Meine eigenen diesbezüglichen Erfahrungen verliefen ganz ähnlich, nur erfolgte die Entwicklung in meinem Fall viel schneller, da ich nahezu von Anbeginn als Rothbardianer eingeordnet und abgestempelt war oder wurde.
Und noch eine weitere wichtige Erfahrung ergab sich in diesem Zusammenhang. Es stellte sich heraus, dass es oft gerade Personen aus klassisch-liberalem intellektuellen Milieu waren und sind, die zu den eifrigsten Ab- und Ausgrenzern gehören und als besonders verbiesterte intellektuelle Türsteher der „Mainstream“-Medien fungieren. Durch Anarchisten bzw. Befürworter einer staatenlosen Privatrechtsgesellschaft à la Rothbard sehen sie ihr derzeitiges Alleinstellungsmerkmal als vermeintlich letztes Bollwerk gegen den Vormarsch des Sozialismus bzw. der Sozialdemokratie und der „Linken“ insgesamt bedroht. Denn in der Tat entlarvt die anarchokapitalistische Kritik ja selbst diesen Personenkreis und seinen „Liberalismus“ und seine „Marktwirtschaftsordnung“ noch als Geisteskinder des Sozialismus. Die charakteristische Antwort von ihrer Seite gegenüber der anarchokapitalistischen Herausforderung war und ist darum entweder das systematische Totschweigen oder die Diffamierung.
Meine nachfolgenden Erfahrungen in Europa bestätigten im Wesentlichen das von mir in den USA gewonnene Bild. Nur unterlagen und unterliegen selbst „alternative“ Medien in Europa, und zumal in den deutschsprachigen Ländern, einer noch schärferen Zensur als in den USA. In den USA konnte und kann man buchstäblich alles sagen und schreiben und auch ein dazu passendes alternatives Medium finden. Bestraft wird man dafür dort im schlimmsten, allerdings immer häufiger auftretenden Fall „nur“ mit der Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz. In Europa drohen bei Überschreitung bestimmter, immer weiter gezogener staatlicher Tabugrenzen dagegen im schlimmsten Fall sogar Gefängnisstrafen, was sich natürlich unmittelbar auf die gesamte hiesige Medienlandschaft auswirkt. Doch wie in den USA, so sind es auch hierzulande oft gerade besonders „fromme“ Liberale, die sich im Abwehrkampf gegen die „gefährlichen“ Anarchokapitalisten hervortun.[3]
Vor diesem Erfahrungshintergrund gewinnt nicht nur das eingangs angesprochene Verhalten Köppels bzw. der WELTWOCHE an Verständlichkeit, sondern gleichzeitig wird so auch die Frage bezüglich der Grenzen des im gegenwärtigen Europa – tatsächlich: im abgesehen vom Fürstentum Liechtenstein freiheitlichsten Land Europas, der Schweiz – öffentlich Sagbaren beleuchtet.
Köppel und sein Blatt sind in meinen Augen das Beste, was es derzeit im deutschsprachigen Raum an polit-kulturellem Journalismus gibt. Seine Zeitschrift gehört, wenn auch nur am Rand, zu den Mainstream Medien, und Köppel selbst ist neben der Schweiz auch in Deutschland und in Österreich regelmäßig medial präsent und entsprechend bekannt. Er ist ein scharfer Kritiker der EU und ein strikter Gegner eines EU-Beitritts der Schweiz. Er steht fest für politische Kleinheit und Dezentralisierung, für Neutralität und Wehrhaftigkeit, für kontrolliert-beschränkte Einwanderung, Marktwirtschaft und einen christlich geprägten Konservatismus. Und gegenwärtig, fast allein unter allen namhaften deutschsprachigen Journalisten, beteiligt er sich nicht an der einseitigen Lobpreisung der Ukraine und „Heiligsprechung“ von Selenskyj und der umgekehrten einseitigen Verteufelung Russlands und Putins, sondern er bekräftigt stattdessen die Neutralität der Schweiz und wirbt für eine realistische, sorgfältig abwägende und historisch informierte Beurteilung beider Kriegsparteien. Dies, in Summe, macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung im deutschsprachigen Journalismus, und es bezeugt vor allem seine Sonderstellung im stetig kleiner werdenden Kreis etablierter Journalisten, die sich (immer noch) dem liberal-konservativen politischen Lager zurechnen. Und dies war auch der Grund dafür, mir ausgerechnet Köppel und seine Zeitschrift als mögliche Andockstelle für meine nachfolgende Abhandlung auszusuchen.
Köppel und sein Blatt sind in meinen Augen das Beste, was es derzeit im deutschsprachigen Raum an polit-kulturellem Journalismus gibt.
Dabei gab und gibt es neben unseren vielen ersichtlichen Gemeinsamkeiten auch zwei gewichtige Divergenzen. Köppel ist zwar ein Proponent kleiner politischer Einheiten, aber die Vorstellung einer staatslosen Gesellschaft, eines freiwilligen Bündnisses diverser eigenständiger, freiwilliger Genossenschaften ist für ihn Anathema (auch wenn er davon schon einmal gehört haben sollte). Und damit eng verbunden, und ein zweiter für Köppel vermutlich noch gewichtigerer Gegensatz betrifft unsere konträre Beurteilung der Institution der Demokratie.
Zwar ist Köppel ein scharfer Kritiker der repräsentativen Demokratie, namentlich in Deutschland. Und in der Tat, wie kann man ein positives Wort für eine Regierungsform finden, die Regenten wie die derzeitige deutsche „Ampel“ hervorbringt? Aber andererseits ist Köppel stets und immer wieder voll des Lobes für das Schweizer Modell einer direkten Demokratie. Und dies, obwohl er und seine anderen regelmäßigen Kolumnisten doch nicht umhinkönnen, immer wieder die zahlreichen irrlichternden Gestalten gerade auch der Schweizer Politik ans Tageslicht zu fördern. Das „Niveau“ des großen Nachbarn Deutschland wird dort zwar nicht ganz erreicht, aber auch die kleine Schweiz wird nicht gerade von strahlend hellen Kerzen erleuchtet.
Weiters scheinen Köppel bei seinen Lobpreisungen der direkten Demokratie die Berechnungen seines Landsmanns David Dürr entgangen zu sein, die z.B. bezüglich bundesstaatlicher Gesetze bzw. Erlasse nachweisen, dass „die Theorie, dass sich in der Schweiz die Rechtsunterworfenen ihre Gesetze selbst geben, stimmt im Umfang von 0,33%. Die Ausnahme macht 99,67% aus.“[4] Noch scheint ihm die Unvereinbarkeit des zehnten biblischen Gebots des von ihm gepriesenen Christentums mit der Demokratie, hier als Mehrheitsprinzip verstanden, ob direkt oder indirekt, zu stören oder überhaupt bewusst zu sein. Stattdessen lässt er einen Philosophen zu Wort kommen, Andreas Urs Sommer, der die herkulische Aufgabe übernimmt, zu erklären, warum die Welt auf direkt-demokratischem Weg „verschweizern“ muss, um den Ansprüchen der Gegenwart gerecht zu werden. Das erledigt der Philosoph, indem er die entscheidende Frage bezüglich des philosophischen Status eines demokratischen Staates einfach ignoriert oder ausblendet: Welche Rechtfertigungsgründe gibt es für eine nach Mehrheitsprinzip funktionierende Zwangsinstitution, d.h. eine Einrichtung oder Genossenschaft, aus der man nicht austreten kann, und deren Entscheidungen und Verordnungen man deshalb bedingungslos und dauerhaft, ohne jede Ab- oder Ausweichmöglichkeit unterworfen ist? Dazu, wenig überraschend, kommt von dem Philosophen nichts. Und es gibt auch keinerlei Andeutung bezüglich der desaströsen ökonomischen Konsequenzen nach dem Mehrheitsprinzip verfasster Zwangsorganisationen.[5]
Welche Rechtfertigungsgründe gibt es für eine nach Mehrheitsprinzip funktionierende Zwangsinstitution, d.h. eine Einrichtung oder Genossenschaft, aus der man nicht austreten kann und deren Entscheidungen und Verordnungen man deshalb bedingungslos und dauerhaft ohne jede Ab- oder Ausweichmöglichkeit unterworfen ist?
Nun müssen auch gewichtige Meinungs- und Auffassungsunterschiede nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Veröffentlichung eines Manuskripts abgelehnt wird. Ich kann bezüglich der Gründe für Köppels mir gezeigte kalte Schulter aber natürlich nur spekulieren – wenn auch in der Hoffnung, dass meine Spekulationen etwas zur Erhellung der gegenwärtigen Medienlandschaft und Meinungslage beitragen mögen.
Man kann sicher unterstellen, dass Köppel den Artikel inhaltlich begreift und auch die Wichtigkeit des Themas erkennt, dass er zwar hier und da Zweifel anmeldet, dass er aber wohl nicht umhin kann zu befinden, dass da „etwas dran ist an der Sache“. Es ist also sicher nicht Verständnislosigkeit, die Grund der Ablehnung ist. Sind es wirtschaftliche Gründe? Würde die Reputation oder würden die Verkaufszahlen der WELTWOCHE durch einen Beitrag wie den meinen geschädigt? Ich weiß es nicht, aber es fällt mir schwer, das zu glauben. Die WELTWOCHE ist ohnehin schon der Lieblingsfeind der vereinten Links-Grünen. Welchen Unterschied sollte da ein einzelner Artikel von mir machen? Selbst wenn er dem links-grünen Zeitgeist noch so sehr zuwider läuft? Und seitens der „rechten“ Stammleserschaft der Zeitschrift mag der Beitrag durchaus als eine interessante, intellektuell anregende Bereicherung betrachtet werden. Oder war da ein „frommer Influencer“ am Werk, der Köppel geraten hat, sich nicht auf meine Person einzulassen? Oder gab es einen ganz anderen – politischen – Grund für seine Entscheidung und ist Köppel vielleicht selbst ein „Torwächter“ des medialen Mainstreams, der um die Bewahrung seines Alleinstellungsmerkmals im derzeitigen „rechten“, liberal-konservativen intellektuellen Milieu besorgt ist und in dieser Stellung nicht von „rechts-anarchistischer“ Seite überboten werden möchte?
Ich weiß es nicht. Aber durch Erfahrung belehrt schließe ich diese Möglichkeit auch nicht kategorisch aus. Immerhin ist Köppel nicht nur Journalist und Verleger. Er ist auch Politiker. Er ist seit vielen Jahren Mitglied des Schweizer Parlaments, des Nationalrats, und sein großes Vorbild ist Christoph Blocher, erfolgreicher Unternehmer, ehemaliger Schweizer Bundesrat und graue Eminenz der SVP, der stimmenkräftigsten politischen Partei der Schweiz. Und gewiss ist auch schon der leiseste Verdacht anarchokapitalistischer Sympathien im gegenwärtigen Umfeld eines dominanten links-grünen Zeitgeistes einer politischen Karriere nicht gerade förderlich; während umgekehrt Links-Abweichungen vom „rechten Pfad,“ wie sie Köppel in seiner Zeitschrift durchaus – nicht einmal selten – zulässt, einer politischen Karriere vermutlich eher dienlich sind. – Ist das der Grund?! Politisches Kalkül?
Die durchaus realistische Möglichkeit einer solchen Interessenlage erfordert für den Anarchokapitalisten bzw. den Befürworter einer Privatrechtsgesellschaft eine sorgfältige Überprüfung und eine mögliche gründliche Um- und Neuorientierung hinsichtlich bisheriger intellektueller Allianzen und Strategien. Wer in unserem (meinem) intellektuellen Lager wünschte sich nicht mehr Blochers und Köppels, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich und ganz besonders in Deutschland? Aber sind sie und ähnlich gestellte prominente Persönlichkeiten andernorts tatsächlich die Helden, als die sie uns oft erscheinen, wenn sie doch unser Gedankengut systematisch aus allen Mainstream-Medien verbannen? Oder erweisen sie sich damit in Wahrheit als „Steigbügelhalter und Torwächter“ der Linken, die sie angeblich bekämpfen, die sie aber tatsächlich befördern, indem sie sämtliche ihrer etatistischen Grundannahmen teilen? Und müssen wir sie in dem Fall nicht genau so als unsere intellektuellen Gegner identifizieren und behandeln wie den offiziellen, bekennenden links-grünen Politikbetrieb, anstatt uns ihnen anzubiedern?
Ich bin mir der Antwort nicht sicher, erachte die Frage aber jedenfalls als bedenkenswert. Doch damit genug der Vorrede und der Spekulation und auf zum eigentlichen Stein des Anstoßes.
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Staaten, gleich welcher Verfassung, sind keine wirtschaftlichen Unternehmen. Im Unterschied zu letzteren finanzieren sich Staaten nicht durch den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen an freiwillig zahlende Kunden, sondern durch Zwangsabgaben: durch Gewaltandrohung und ‑anwendung eingetriebene Steuern (und durch von ihnen buchstäblich aus dem Nichts geschaffenes Papiergeld). Bezeichnenderweise haben Ökonomen Regierungen, d.h. die Inhaber staatlicher Gewalt, deshalb auch als stationäres Banditentum bezeichnet. Regierungen und alle Personen, die auf ihrer Gehaltsliste stehen, leben von den Mitteln, die man von anderen Personen unter Androhung von Zwang erhalten hat. Sie erhalten ihre Mittel auf Kosten und zu Lasten einer unterworfenen Bevölkerung.
Hieraus ergeben sich eine Reihe weiterer Einsichten.
Naturgemäß bevorzugen die Profiteure erzwungener Abgaben eine größere Ausbeute gegenüber einer kleineren. D.h.: Staaten werden stets versuchen, ihr Steueraufkommen zu erhöhen und ihre Ausgaben durch Papiergeldvermehrung weiter zu steigern. Je grösser die Ausbeute, umso mehr Gefälligkeiten können sie sich selbst, ihren Angestellten und ihren Unterstützern erweisen. Doch sind diesem Treiben natürliche Grenzen gesetzt.
Zum einen müssen sie darauf achten, dass sie den produktiven Steuerzahler, dessen Arbeit und Leistung ihre Existenz ermöglicht, nicht so stark belasten, dass dieser seine Arbeit einstellt. Und zum anderen müssen sie befürchten, dass die Betroffenen – und insbesondere die produktivsten unter ihnen – aus ihrem Herrschaftsbereich abwandern und sich andernorts ansiedeln.
Vor diesem Hintergrund werden eine Reihe historischer Tendenzen und Prozesse begreiflich.
Zunächst wird begreiflich, warum es eine Tendenz zur territorialen Expansion und politischen Zentralisierung gibt: Damit gelingt es Staaten immer mehr Produktive unter ihre Kontrolle zu bringen und deren Abwanderung in fremde Territorien zu erschweren. Man erwartet dadurch eine größere Ausbeute. Und es wird einsichtig, warum der gedankliche Endpunkt dieses Prozesses, die Einrichtung eines Welt-Staates, mitnichten ein Segen für die ganze Menschheit wäre, wie oft behauptet wird. Denn aus einem Welt-Staat kann man nicht auswandern, und insofern gibt es keinerlei Möglichkeit, sich staatlichen Übergriffen durch Abwanderung zu entziehen. Deshalb ist es zu erwarten, dass mit der Einrichtung eines Welt-Staates Umfang und Ausmaß staatlicher finanzieller Repressionen – indiziert u.a. durch die Höhe staatlicher Einnahmen und Ausgaben, durch Geldinflation, Anzahl und Umfang sogenannter „öffentlicher Güter“ und im „öffentlichen Dienst“ beschäftigter Personen – über jedes bis dahin bekannte Maß hinaus weiter ansteigen wird. Und das ist gewiss kein Segen für die Betroffenen, die diesen staatlichen Überbau zu erwirtschaften haben!
Zweitens wird ein zentraler Grund für den Aufstieg des „Westens“ zur weltweit führenden Wirtschafts‑, Wissenschafts- und Kulturregion begreiflich. Im Unterschied insbesondere zu China war Europa seit dem frühen Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit hinein durch ein hohes Maß an politischer Dezentralisierung gekennzeichnet, mit hunderten oder gar tausenden unabhängigen Herrschaftsgebieten. Manche Historiker haben diesen Zustand als „geordnete politische Anarchie“ beschrieben. Und es ist heute unter Wirtschaftshistorikern gängig, in diesem quasi-anarchischen Zustand einen wesentlichen Grund für das sogenannte „Europäische Wunder“ zu erkennen. Denn in einem Umfeld mit einer großen Vielfalt unabhängiger kleinräumiger Herrschaftsbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander ist es vergleichsweise einfach, mit den Füssen abzustimmen und sich den Zugriffen staatlicher Herrscher durch Abwanderung zu entziehen. Zur Abwehr dieser Gefahr und um ansässige Produzenten bei der Stange zu halten, stehen diese Herrschaften darum ständig unter hohem Druck, sich hinsichtlich ihrer finanziellen Repressionen zu mäßigen. Und diese Mäßigung befördert umgekehrt das wirtschaftliche Unternehmertum, die wissenschaftliche Neugier und die kulturelle Kreativität.
Im Unterschied insbesondere zu China war Europa seit dem frühen Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit hinein durch ein hohes Maß an politischer Dezentralisierung gekennzeichnet …
Dann wird im Licht der vorstehenden Betrachtungen eine fundierte historische Einordnung und Einschätzung der Europäischen Union (EU) möglich: Die EU ist ein Musterbeispiel der angesprochenen Tendenz zur territorialen Expansion und politischen Zentralisierung, mit den sich hieraus ergebenden Folgen: einer Zunahme finanzieller staatlicher Repression und einem entsprechenden Wachstum des staatlichen Überbaus (Stichwort: Brüssel).
Konkreter: Die EU und die Europäische Zentralbank (EZB) sind die ersten Schritte hin zur Einrichtung eines europäischen Superstaats, der schließlich in einer Eine-Welt-Regierung, dominiert von den USA und ihrer Zentralbank, der FED, aufgehen soll.
Im Gegensatz zu wohlklingenden politischen Verlautbarungen ging es bei der EU und der EZB nie um freien internationalen Handel und Wettbewerb. Dafür benötigt man keine abertausend Seiten Papier, voll mit Verordnungen und Regulierungen. Vielmehr ging es immer und vor allem um eine Aufwärts-Harmonisierung der Steuer‑, Gesetzes- und Regelungsvorschriften sämtlicher Mitgliedsstaaten, um auf diese Weise allen wirtschaftlichen Standortwettbewerb zu verringern oder zu eliminieren. Denn wenn die Steuersätze und die staatlichen Regulierungen überall gleich sind oder immer stärker angeglichen werden, dann gibt es für produktive Personen immer weniger wirtschaftliche Gründe, ihre Tätigkeiten an einen anderen Standort zu verlegen, und umso ungestörter können die politischen Akteure deshalb in ihrer Tätigkeit des Besteuerns und Verteilens fortfahren. – Hinzu kommt, dass die derzeitige EU als ein Kartell diverser Regierungen nur deshalb und nur so lange zusammenhält, wie die wohlhabenderen Staaten, die von produktiveren Steuerzahlern zehren können, allen voran die deutschen Regierungen, Willens und in der Lage sind, ihre bedürftigeren Kollegen im Süden und Osten mit ihren weniger produktiven Steuerzahlern dauerhaft und in großem Stil finanziell zu unterstützen. Auf Kosten der heimischen Produzenten.
… wenn die Steuersätze und die staatlichen Regulierungen überall gleich sind oder immer stärker angeglichen werden, dann gibt es für produktive Personen immer weniger wirtschaftliche Gründe, ihre Tätigkeiten an einen anderen Standort zu verlegen …
Man kann aber nicht kontinuierlich Produktivität und wirtschaftlichen Erfolg bestrafen, während man Verschwendung und wirtschaftlichen Misserfolg belohnt, ohne dadurch ein Desaster herbeizuführen. Die EU wird von einer wirtschaftlichen Krise in die nächste taumeln und schlussendlich auseinanderbrechen.
Schließlich wird vor diesem Hintergrund auch die besondere Stellung der Schweiz begreiflich. Einerseits als Kleinstaat, umringt von EU-Mitgliedsstaaten, muss die Schweiz produktiven bzw. wertschöpfenden Personen attraktivere Standortvorteile als die EU anbieten, um eine Abwanderung und einen entsprechenden wirtschaftlichen Niedergang zu verhindern. D. h., die staatliche Ausbeute muss vergleichsweise geringer ausfallen. Das ist bisher tatsächlich der Fall: Während z.B. EU-Deutschland produktive Personen verliert, verzeichnet die Schweiz einen Zuzug produktiver, netto-steuerzahlender Personen. Und die im Vergleich niedrigere Staatsquote und der daraus erwachsende wirtschaftliche Standortvorteil haben der einst armen Schweiz inzwischen zu einem Wohlstandsniveau verholfen, das jenes aller umliegenden EU-Staaten deutlich übertrifft.
… als Kleinstaat, umringt von EU-Mitgliedsstaaten, muss die Schweiz produktiven bzw. wertschöpfenden Personen attraktivere Standortvorteile als die EU anbieten …
Der EU ist diese Konkurrenz ein Dorn im Auge, und Brüssel versucht darum, Bern mittels Zuckerbrot und Peitsche zu einem EU-Beitritt der Schweiz zu drängen. Für die politische Klasse verspricht ein Beitritt in der Tat erhebliche Vorteile: mehr Behörden und Positionen, mehr Kompetenzen, mehr Reisen, mehr lukrative Verbindungen und mehr Geld – und diese Herrschaften befinden sich von daher in ständiger Versuchung. Für die Schweiz insgesamt dagegen wäre ein Beitritt mit einem merkbaren Wohlstandsverlust verbunden, da man mit einem EU-Beitritt nicht nur den eigenen Standortvorteil aufgibt, sondern darüber hinaus auch noch die Misswirtschaft andernorts finanziell subventionieren muss.
Zum anderen bietet die Schweiz selbst ein aufschlussreiches Beispiel politischer Zentralisierung und ihrer Konsequenzen. Die Schweiz ist nicht nur ein Kleinstaat. Mit einer Vielzahl separater Kantone weist sie darüber hinaus auch ein hohes Maß an interner Dezentralisierung auf. Doch dieses hohe Maß an Dezentralisierung und der damit einhergehende interkantonale Wettbewerb, mit seinen wirtschaftsbefördernden gesamtschweizerischen Auswirkungen, hat im Zeitverlauf immer stärker abgenommen. Immer mehr kantonale Machtbefugnisse wurden von der Zentralregierung an sich gerissen. Und während dies zu einem stetigen Wachstum des staatlichen Überbaus in Bern führte, wurde gleichzeitig der interkantonale Standortwettbewerb durch vielfältige Harmonisierungs‑, Subventionierungs- und sogenannte Finanzausgleichsmaßnahmen schrittweise immer weiter eingeschränkt. Im Grunde betreibt Bern nach Innen dieselbe Politik wie – in viel größerem Maßstab – Brüssel. Und derselbe gute Grund, aus dem Bern jedenfalls bisher einen EU-Beitritt und eine Unterwerfung gegenüber Brüssel verweigert hat, triff auch auf das Verhältnis von Kanton zu Zentralregierung zu: Ein wirtschaftlich erfolgreicher Kanton hat keinen wirklich guten Grund, sich einer Zentralregierung anzuschließen und ihren Befehlen bedingungslos zu unterwerfen. Warum sollte er sich dann nicht auch, als Ausdruck wirtschaftlicher Vernunft, aus einer bestehenden Verbindung mit dem Zentralstaat lösen oder von diesem angemaßte Kompetenzen zurückfordern wollen?
… während dies zu einem stetigen Wachstum des staatlichen Überbaus in Bern führte, wurde gleichzeitig der interkantonale Standortwettbewerb durch vielfältige Harmonisierungs‑, Subventionierungs- und sogenannte Finanzausgleichsmaßnahmen schrittweise immer weiter eingeschränkt.
Während die Kleinheit und interne Dezentralisierung der Schweiz wesentliche Gründe für ihren Wohlstand und ihre wirtschaftliche Stärke sind, hat die direkte oder indirekte Demokratie entgegen vielbeschworener Schweizer Folklore wenig oder gar nichts damit zu tun. Eher ist das Gegenteil der Fall.
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