Ab wann ist etwas „Digitale Gewalt“? – oder geht es darum, Regie­rungs­kri­tiker zu iden­ti­fi­zieren und mundtot zu machen?

Ja, in den sozialen Medien wird viel gepöbelt. Aber wenn etwas das Per­sön­lich­keits­recht ver­letzt oder eine hand­feste Belei­digung oder Ver­leumdung ist, gibt es bereits Mög­lich­keiten für den Geschä­digten diese Geset­zes­ver­stöße anzu­zeigen oder Schmer­zensgeld ein­zu­klagen. Das neue „Gesetz gegen digitale Gewalt“ stinkt hundert Meter gegen den Wind nach Staats­spit­zelei. Denn das, was hier schon als „Digitale Gewalt“ für eine Löschung des sozialen Accounts reichen kann, könnte jedem wider­fahren. Um die nötigen Ver­fahren umzu­setzen, erfordert das vom Plattform-Anbieter umfang­reiche Speicher- und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­pflichten, die der Staat dann her­aus­fordern kann. Das steht den Bür­ger­rechten auf ihre Pri­vat­sphäre dia­metral entgegen.

Bisher wurden ja jedes Mal tausend Eide geschworen, man werde natürlich niemals gegen das Verdikt der Ver­fas­sungs­richter ver­stoßen und mit der Vorr­rats­da­ten­spei­cherung ver­fas­sungs­widrig die Pri­vat­sphäre der Bürger aus­for­schen. Wer aber Hassrede oder digitale Gewalt auch von anonymen Accounts scharf ver­folgen will, muss die Daten der dahin­ter­ste­henden Iden­tität des Ver­fassers vom Pro­vider her­aus­fordern. Und das ist eben doch die ver­botene  Vor­rats­da­ten­spei­cherung durch’s Hintertürchen.

Die Eck­punkte der von Herrn Jus­tiz­mi­nister Marco Buschmann anvi­sierten Löschung von „Hetz-Accounts“ liegen nun vor. Der Minister will einen zivil­recht­lichen Anspruch schaffen, mittels dessen er Platt­form­be­treiber, Social Media Pro­vider und Tele­kom­firmen zum Sperren von Accounts ver­pflichten kann. Die Bedin­gungen dafür sind: Das „Opfer“ der Hassrede muss in ihren Per­sön­lich­keits­rechten schwer­wiegend ver­letzt worden sein. Dann aber darf die bloße Löschung eines belei­di­genden Posts nicht genügen. Und auch dann muss es ein Wie­der­ho­lungsfall sein.

Das Anzeigen und Ver­klagen war bisher schon möglich, aller­dings musste vor Gericht erst fest­ge­stellt werden, ob das Per­sön­lich­keits­recht tat­sächlich ver­letzt wurde. Dabei ist nicht maß­geblich, ob die getane Behauptung wahr ist oder nicht, es muss die private, per­sön­liche Sphäre in die Öffent­lichkeit gezerrt worden sein. Es braucht noch nicht einmal eine Belei­digung zu sein. Das Per­sön­lich­keits­recht ist ein scharfes Schwert, da drohen auch hohe Schmer­zens­gelder. Die üble Nachrede und Belei­digung ist dagegen eine Straftat. Der Kläger wird zwar meistens auf den Weg der Pri­vat­klage ver­wiesen, weil die Gerichte über­lastet sind. Aber wenn vor Gericht dem Kläger Recht zuge­sprochen wird, dann ist damit auch gleich die Straf­barkeit ver­bunden und eben­falls ein zivil­pro­zesslich fest­zu­le­gendes Schmer­zensgeld. Das ist eigentlich aus­rei­chend, um Ruf und Pri­vat­sphäre eines Opfers zu schützen und die Ver­letzung der­selben zu ahnden. Da braucht es keine staat­lichen Ein­griffe. Da geht wahr­scheinlich um etwas anderes.

Umfragen ent­hüllen, dass die deut­schen Bürger ein hohes Maß an Miss­trauen gegen ihre Regierung ent­wi­ckelt haben. Das wie­derum lässt die Poli­tiker eben­falls miss­trauisch und ängstlich werden. Das Bau­projekt, einen Graben und Zaun um den Deut­schen Reichstag zu ziehen, um sich — wie in einer Festung – vor dem Feind „Bürger“ zu schützen, reicht längst nicht mehr aus. Das Bedürfnis im Ber­liner Regie­rungs­viertel nach Sicherheit vor dem zor­nigen Bürger wächst mit jeder neuen Zumutung, die man ihm antut. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft sehen, dass der Arm dieses Gesetzes weit reicht, wenn „Quer­denker, Schwurbler, Rechte und Regie­rungs­kri­tiker“ sich erdreisten, ihre Nicht-Zustimmung zur Politik nicht fein zise­liert genug zu äußern.

Aber nein, nicht doch, Minister Buschmann betont auf­fallend oft, dass durch diese „Schutz­maß­nahmen“ die gesell­schaft­liche Debatte in den sozialen Netz­werken nicht ein­ge­schränkt werden soll. „Was heute geäußert werden darf, darf auch künftig geäußert werden“, wiegelt der Jus­tiz­mi­nister ab. Sicher. Eine Weile lang. Auch anonyme Äuße­rungen seien wei­terhin gesetzlich zulässig. Es gehe nur um eine bessere Durch­setzung der Rechte der Hass­be­trof­fenen (wie bereits dar­gelegt, war das bisher auch schon gegeben). Der Schutz vor „digi­taler Gewalt“ sei keine Gefahr für den freien Diskurs, sondern schütze ihn. Genau. Über­wa­chung ist Schutz, Freiheit ist kri­minell. Es ist Frau Innen­mi­nister Nancy Faeser, die immer wieder ver­sucht, die IP-Adressen und ihre Zuordnung für alle Deut­schen auf Vorrat zu speichern.

Netzpolitik.org infor­miert:

Deutschland hat bereits ein Gesetz gegen Hass­kri­mi­na­lität im Internet, das Netz­werk­durch­set­zungs­gesetz (NetzDG). Seit 2017 müssen Anbieter sozialer Netz­werke stärker gegen Inhalte vor­gehen, die strafbar sind. Auf EU-Ebene gilt seit einem Jahr das Gesetz über digitale Dienste (DSA), das ähn­liche Regeln beinhaltet und das NetzDG in Teilen ablösen wird. (…) Das geplante Gesetz gegen digitale Gewalt zielt aber nicht nur auf digitale Gewalt­täter. Es regelt „alle Fälle einer rechts­wid­rigen Ver­letzung abso­luter Rechte“. Unter absolute Rechte fallen „sonstige Rechte“, unter anderem auch Imma­te­ri­al­gü­ter­rechte wie „geis­tiges Eigentum“. Mit digi­taler Gewalt hat das nichts zu tun. Wir haben das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­terium gefragt, ob das Gesetz gegen digitale Gewalt gegen alle oder nur gegen manche Ver­let­zungen „abso­luter Rechte“ vor­gehen will und ob dar­unter auch Imma­te­ri­al­gü­ter­rechte fallen. Eine Spre­cherin bestätigt, dass sich das Aus­kunfts­ver­fahren auf „alle Fälle einer rechts­wid­rigen Ver­letzung abso­luter Rechte im Sinne von § 823 Absatz 1 BGB erstrecken“ soll. „Das betrifft auch Imma­te­ri­al­gü­ter­rechte“ wie Urhe­ber­rechts­ver­let­zungen. (…) Das Minis­terium nennt selbst als Bei­spiel eine Restau­rant­kritik mit „wahr­heits­wid­rigem Nut­zer­kom­mentar“. Denn solche Kom­mentare können das Geschäft der Betrof­fenen schä­digen. Auch das hat mit digi­taler Gewalt nichts zu tun.

Da kommt was auf uns zu.

Zwar müssen die dingfest gemachten „Hetzer“ vorher über den Antrag der Account­sperrung durch den Pro­vider infor­miert werden und eine Gele­genheit zur Stel­lung­nahme bekommt der Delin­quent auch. Offenbar schwant dem Jus­tiz­mi­nister, dass solche Sperr-Anträge nicht miss­braucht werden, um legitime Kritik unmöglich zu machen. Und: Die Sperrung soll nur „für einen ange­mes­senen Zeitraum“ gelten. Das kennen wir doch schon von Youtube? Und genau wie dort, wird der Zaun um die Spiel­wiese immer enger. Details zur maxi­malen Sperrzeit waren bisher nicht zu erfahren.

Schon die Tat­sache, dass die Mög­lichkeit der Regie­rungs­kritik gar kein Thema zu sein scheint, ist viel­sagend. Auch die Beschwich­ti­gungen, das gelte ja nur bei Wie­der­ho­lungs­tätern, und es sei ja unzu­mutbar für deren Opfer, dass bisher diese „Hass-Posts“ nur gelöscht werden, der Böse­wicht aber weiter hassen darf. Man werde natürlich nur echte Hate-Speech ahnden, aber dann werde der Account im Wie­der­ho­lungsfall auch gelöscht. Und es sei ja besonders perfide, sich anonym der Hassrede zu bedienen, daher werde man von Staats wegen die Iden­tität vom Pro­vider auch her­aus­fordern. Damit haben wir sie, die lückenlose Über­wa­chung, wer was wann wo gesagt oder gepostet hat. Fängt ein Staat aber so etwas an, wird es nicht wieder abge­schafft und immer weiter aus­gebaut, bis es ein rie­siges, digi­tales Schnüf­fel­system werden kann, das mit 5G selbst den Inhalt des ans Internet ange­schlos­senen Kühl­schranks kennt. Dagegen wäre die Stasi ein Ama­teur­laden gewesen.

Der CCC (Chaos Com­puter Club) schreibt:

„Die Gründe gegen eine Vor­rats­da­ten­spei­cherung sind so viel­fältig wie bereits aus­giebig doku­men­tiert: Um die Ziele des Vor­habens umzu­setzen, müssten sen­sible Infor­ma­tionen über Iden­tität und Nut­zungs­ver­halten von Mil­lionen von Men­schen gesammelt werden. Sind diese Daten erst einmal gespei­chert, werden sie, wie die Erfahrung lehrt, auch für alle mög­lichen anderen Zwecke ver­wendet, sofern sie an den zen­tralen Daten­halden nicht von Kri­mi­nellen abge­griffen oder Innen­tätern miss­braucht werden.

Die Mög­lichkeit der Pro­fil­bildung und die zuneh­mende Kon­zen­tration von per­sön­lichen Infor­ma­tionen in den Händen weniger Unter­nehmen bergen ohnehin schon erheb­liche Risiken für die infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stimmung der Bevöl­kerung. Könnten diese Daten dann mit ein­deu­tigen Iden­ti­fi­ka­ti­ons­daten kom­bi­niert werden, läge ein wei­teres Werkzeug für eine Über­wa­chungs­ge­sell­schaft bereit.“

Natürlich kann der eini­ger­maßen Kundige dieser Aus­spio­nierung doch ent­gehen. Man kann leicht per VPN (Virtual Private Network) und einem Ali­as­namen sich in einen aus­län­di­schen Server des VPN-Pro­viders ein­wählen und ist nicht auf­findbar. Das ist ja immer die nächste Stufe bei solchen staat­lichen Aus­for­schungen um die „Sys­tem­feinde“ dingfest zu machen und aus­zu­schalten. Je mehr der Staat auf­rüstet, umso mehr Bürger weichen dem aus und bilden Gegen­stra­tegien. Die Regierung kann so ein Wett­rennen letzt­endlich nicht gewinnen.

Der Mes­senger „Threema“ signa­li­siert schon im Vorfeld, dass man nicht bereit sei, die Pri­vat­sphäre seiner Nutzer preis­zu­geben. Auch der Mes­senger „Signal“ kündigt an, keine Daten seiner User her­aus­zu­geben. Schon deshalb, weil sie keine sammeln, daher keine haben und daher auch keine her­aus­geben können. Mer­edith Whit­taker ist Prä­si­dentin von Signal und sagt:

„Wir sammeln keine Daten darüber, was die Leute sagen, wer mit wem spricht, wer Signal nutzt oder wie sie es nutzen. Wir haben also keine Daten, die wir her­aus­geben können. Dies ist der Kern unserer Aufgabe und die einzige Mög­lichkeit, Daten­schutz wirklich zu gewähr­leisten. Hier wie auch anderswo werden wir unsere Tech­no­logie nicht ändern oder Daten­schutz­ga­rantien aufweichen.“

Bis zum 26 Mai können Orga­ni­sa­tionen der „Zivil­ge­sell­schaft“ dazu Stellung nehmen. In der zweiten Jah­res­hälfte soll dann ein Geset­zes­entwurf vor­gelegt werden, über den der Bun­destag entscheidet.