Eine Bronzefigur aus dem Königreich Benin, Bild: Public Domain via Muzeum Narodowe, Polen

Gut­men­schen-Nai­vität: Rückgabe kost­barer, alter Bronzen an das nige­ria­nische Volk — jetzt gehören sie privat dem König

Es war ein fei­er­licher Moment, als unser von allen geliebter Außen­mi­nister, Frau Annalena Baerbock und Kul­tur­staats­mi­nister Claudia Roth mit kost­barem Gepäck in die nige­ria­nische Haupt­stadt Abuja geflogen kamen. In einem Staatsakt wurden die ersten zwanzig antiken, nige­ria­ni­schen Bron­ze­plas­tiken von ins­gesamt 1130 fei­erlich über­geben. Die beiden ober­wich­tigen Damen sonnten sich in dem sicheren Gefühl, mora­lisch turmhoch über­legene Vor­reiter einer poli­tisch mehr als kor­rekten Wie­der­gut­ma­chung zu sein. Doch sie wurden schlicht beschummelt. Und nun gucken sie dumm aus der Wäsche.

Dabei hatten die beflis­senen Damen doch alles sooo gut gemeint und so wun­der­volle Worte gefunden. Außen­mi­nister Baerbock warf sich gar reuevoll in den Staub:

«Es war falsch, sie zu nehmen, und es war falsch, sie zu behalten», sagte Annalena Baerbock. «Dies ist eine Geschichte des euro­päi­schen Kolo­nia­lismus. Es ist eine Geschichte, in der unser Land eine dunkle Rolle spielte und in ver­schie­denen Teilen Afrikas großes Leid ver­ur­sachte.» Und die Kul­tur­staats­mi­nis­terin ergänzte, man solle «die Scham darüber nicht ver­schleiern, dass Nigerias Wunsch nach einer Rückgabe jahr­zehn­telang igno­riert oder zurück­ge­wiesen wurde». 

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Nicht nur die Rückgabe der Kunst­werke ist ihnen eine Ver­pflichtung, sie hatten auch noch vier Mil­lionen Euro für ein geplantes „Edo Museum of West African Art“ mit­ge­bracht. Der gefeierte bri­tisch-gha­naische Architekt David Adjaye entwarf den Bau, und so konnte man sich wohlig daran erfreuen, etwas ganz Großes voll­bracht zu haben. Dieses Pracht­stück von Museum würde den geeig­neten, anspruchs­vollen Rahmen für die heim­ge­kehrten Kunst­werke bieten. Dabei waren es ja nicht einmal die Deut­schen, die sie geraubt hatten. All die —  zumeist bron­zenen  —  Kunst­werke stammen aus einem Beu­tezug der Briten gegen das König­reich Benin. So kamen sie aus Benin nach London und ver­teilten sich von da aus weltweit in den Kunst­handel — und fanden auch den Weg in deutsche Museen. Schon lange ver­langt Nigeria seine geraubten Kul­tur­schätze zurück.

Frank­reichs Prä­sident Emmanuel Macron hielt 2017 eine Rede in Burkina Faso, in der er harsche Kritik daran übte, dass sich „große Teile des kul­tu­rellen Erbes afri­ka­ni­scher Länder in Frank­reich befinden“. Das sei inak­zep­tabel. Eine rechts­wis­sen­schaft­liche Arbeit bestä­tigte, dass die Aneignung afri­ka­ni­scher Kul­tur­güter durch Europäer ein „Ver­brechen gegen die Völker“ sei.

Nun wollte Deutschland durch vor­bild­liches Ver­halten vor­an­gehen und glänzen.

Pus­te­kuchen.

Kaum ein Vier­teljahr nach diesem his­to­risch bedeu­tenden Staatsakt, der in die Annalena … ääähh … Annalen des Landes einging, stellte man betroffen fest: Die beiden hoch­ran­gigen Gesandt*Innen hatten damit einen kapi­talen Baerbock geschossen. Sie waren — vom Hoch­gefühl ihrer hehren Absichten durch­drungen – nach Nigeria gereist, um dann fest­zu­stellen, dass der Staats­prä­sident des Landes, Muhammadu Buhari, knapp vor Ende seiner Amtszeit, die ganze Ladung dem König als sein per­sön­liches Eigentum über­geben hat. Einfach so, weil der König es so wollte.  Nun, wir wissen nicht, was Herrn Staats­prä­sident Buhari erwartet hätte, wenn er dem könig­lichen Begehren seiner hoch­wohl­ge­bo­renen Majestät nicht flugs Folge geleistet hätte. Womöglich hatte er da keine guten Chancen. Und so erklärte Staats­prä­sident Muhammadu Buhari im März 2023 öffentlich:

„… dass er die Eigen­tums­rechte sämt­licher Benin-Arte­fakte, die 1897 im Königs­palast geplündert und anderswo im Benin-Reich gesammelt wurden, dem Oba von Benin über­tragen habe. Er aner­kenne ihn als Eigen­tümer und habe ihm deshalb mittels einer prä­si­dialen Ver­fügung alle damit ver­bun­denen Rechte ein­schließlich Auf­be­wahrung und Ver­waltung über­eignet – und zwar „unter Aus­schluss jeder anderen Person oder Insti­tution“, wie die nige­ria­nische Zeitung „This Day“ den Erlass zitiert.

Der Oba von Benin ist der König von Nigeria und der Erlass gilt auch für alle Arte­fakte, die in Zukunft  an Nigeria zurück­ge­geben werden, denn der Oba sei der ursprüng­liche Eigen­tümer. Nigerias König kann frei über alles ver­fügen und die his­to­ri­schen Kunst­schätze ver­tauen oder aus­stellen, wie er will. Er kann auch mit inter­na­tio­nalen Insti­tu­tionen, Museen und Händlern zusam­men­ar­beiten. Der Plan, dass die nige­ria­ni­schen Kunst­werke in einem tod­schicken, geschenkten, natio­nalen Museum für das nige­ria­nische Volk zu bewundern sind, ist vom Tisch. Es wird wohl keinen inter­na­tio­nalen, wis­sen­schaft­lichen Aus­tausch über Kunst und Kultur Nigerias geben. Keine Wan­der­aus­stel­lungen und Koope­ration mit den großen Museen der Welt. „Alles meins“, sagt der Oba von Benin. Die Eth­no­login Bri­gitta Hauser-Schäublin sieht diese Rückgabe der Bronzen an das nige­ria­nische Volk als „kläglich gescheitert“.

Aber es rührt sich auch Kritik an der ganzen, poli­tisch kor­rekten Dar­stellung des unter­drückten, kul­turell so hoch­ste­henden und aus­ge­plün­derten Landes als Opfer der weißen Europäer. Bri­gitta Hauser-Schäublin gibt zu bedenken, dass das König­reich Benin und damit das Königshaus schön­ge­redet wird und man eine glo­ri­fi­zie­rende Geschichte daraus stricken will. Dabei habe dieses König­reich Jahr­hun­der­telang als Krie­ger­dy­nastie seine Nach­bar­völker über­fallen, aus­ge­plündert, mas­sa­kriert und mas­senhaft in die Skla­verei ver­kauft – was heute niemand mehr zu sagen wagt. Und es werde bewusst ver­schwiegen, dass diese Benin-Bronzen „Aus­druck des auf diese Weise erwor­benen Reichtums sind“.

Und Schwupp! Fordert auch eine New Yorker Anwältin die deut­schen Museen auf, die Benin-Bron­ze­ar­te­fakte nicht an Nigeria zu resti­tu­tieren. Sie fordert Gerech­tigkeit für die Nach­kommen der Sklaven, die vom König­reich Benin an die euro­päi­schen Men­schen­händler ver­kaufte. Diese For­derung ging in einem Brief an Kul­tur­staats­mi­nister Claudia Roth, Annalena Baerbock, Markus Söder, Win­fried Kret­schmann und sechzehn weitere Minister, Ober­bür­ger­meister, Muse­ums­di­rek­toren und Stif­tungs­prä­si­denten, schreibt die FAZ. Man möge diese Resti­tu­tionen für nichtig erklären und keine wei­teren Ver­träge mehr mit dem nige­ria­ni­schen Staat schließen.

Die New Yorker „Resti­tution Study Group“, die über die Anwältin inter­ve­niert, führt eine sehr emo­tionale und illus­trative Begründung an:

„Denn die Bronzen, argu­men­tiert der Brief, seien zum größten Teil aus dem Material von ein­ge­schmol­zenen Metall­reifen, soge­nannten Manillas, her­ge­stellt, mit denen euro­päische und ame­ri­ka­nische Händler die vom König­reich Benin gelie­ferten Sklaven bezahlten. Zudem seien in den Skulp­turen Kup­fer­an­teile nach­ge­wiesen worden, die aus früh­neu­zeit­lichen Berg­werken im Harz stammten. Daher trage Deutschland eine besondere Ver­ant­wortung dafür, ‚nicht zuzu­lassen, dass die Nach­fahren der Skla­ven­händler durch Rückgabe der meisten Benin-Bronzen auf unge­rechte Weise berei­chert werden‘. Denn die Kunst­werke ‚gehören uns allen‘ – also auch den Nach­kommen der Opfer des trans­at­lan­ti­schen Skla­ven­handels, die heute mehr­heitlich in Nord­amerika und in der Karibik leben. ‚Wir wollen, dass die Benin-Bronzen in west­lichen Museen bleiben, damit unsere Kinder Zugang zu ihnen haben.‘“

Ob die armen, geschun­denen Berg­ar­beiter im Harz wohl dämo­nisch lachend beim Abbau in den Kup­fer­minen ihre Freude daran hatten, dass ihr Kupfer zum Zah­lungs­mittel für ver­sklavte Afri­kaner ver­wendet wird? Wohl kaum. Das Kupfer wurde auf dem Welt­markt ver­kauft und irgendein Fabrikant hat es zu diesen Manillas ver­ar­beitet. Eine Schuld Deutsch­lands lässt sich wohl schwerlich daraus ableiten. Aber Haupt­sache: Deutschland ist schuld.

Hoch­in­ter­essant ist aber bei der ganzen Sache, dass plötzlich ein Thema öffentlich von denen ange­führt wird, die das bisher zum abso­luten Tabu gemacht haben: Es waren nicht nur die ras­sis­ti­schen, bösen Weißen, die die armen, fried­lichen Schwarzen Afrikas gejagt und ver­sklavt haben. Es war sogar die Regel, dass die krie­ge­ri­schen Völker Afrikas die Besiegten aus­plün­derten, ver­sklavten und an die Inter­na­tio­nalen Skla­ven­händler ver­kauften, wie das schon immer und überall in der Geschichte war. Auch weiße Sklaven wurden in weiße Nationen ver­kauft: Die Römer holten sich aus ganz Europa, Nord­afrika und Vor­der­asien Sklaven. Das hatte nie grund­sätzlich mit Ras­sismus zu tun, das war Geschäft und die Ver­sklavten waren eine Ware. Es war ver­brei­teter Usus und ein enormer Wirtschaftsfaktor.

Es gibt eine Anekdote aus dem Imperium Romanum: Ein Senator brachte in einer Senats­sitzung den Antrag ein, Sklaven mit einem Pflicht­armband als solche erkennbar zu machen. Er ärgerte sich darüber, dass man als echter römi­scher Bürger ja gar nicht mehr wissen könne, wer über­haupt ein voll­wer­tiger Bürger sei und wer nicht und dass diese Sklaven in der Öffent­lichkeit ja wie römische Bürger behandelt werden, da man sie nicht unter­scheiden könne. Dar­aufhin wies ihn sofort ein anderer Senator darauf hin, dass das eine ver­dammt blöde Idee sei, denn dann würden diese ja bemerken, wie viele sie eigentlich seien – und ihre tat­säch­liche Macht im Staate erkennen.

Ein schöner Beleg dafür, dass Skla­verei nicht mit Ras­sismus gleich­zu­setzen ist. Auch unsere ger­ma­ni­schen Vor­fahren aus besiegten Stämmen waren übrigens römische Sklaven.