Titelbild: WIkipedia, Wolfiewolf, CC BY 2,0

Tina Turner ist tot – ein groß­ar­tiger Mensch und ein leuch­tendes Bei­spiel (+Videos)

Sie war eine Löwin, eine Unzer­brech­liche, eine Kämp­ferin. Das Leben hat es ihr nicht leicht gemacht. Für viele – auch für mich – war sie ein Vorbild. Sie hat noch in einem Alter, wo andere sich auf ihren Lor­beeren aus­ruhen, mit ihrer umwer­fenden Präsenz auf den Bühnen der Kon­zert­hallen gestanden und Stadien gefüllt. Sie hat mit ihrer unglaub­lichen Präsenz und Energie mit­ge­rissen und beein­druckt. Ihre Stimme war unver­wech­selbar. Prak­tisch weltweit war sie einer der bekann­testen Rock­sänger. Das Schicksal hat ihr wirklich voll ein­ge­schenkt, aber sie blieb ungebrochen.

Tina Turner kam 1939 als Anna Mae Bullock in Browns­ville, Ten­nessee zu Welt. Ihre Eltern waren Baum­woll­pflücker, und sie hatte eine ältere Schwester. Die Familie war tief­gläubig. Ihr Vater, Floyd Richard Bullock war Diakon bei den Bap­tisten. Tina fiel schon im bap­tis­ti­schen Kir­chenchor in Nutbush mit ihrer Stimme auf.

Ihr Lebens­gefühl in dieser win­zigen Siedlung zwi­schen Baum­woll­feldern (im Jahr 2000 zählte das Nest 259 Ein­wohner) beschrieb sie in einem ihrer großen Hits „Nutbush City Limits“ (die Stadt­grenze von Nutbush, 1973), der ihr 26 Wochen lang den Platz 2 der Sin­gle­charts in Deutschland sicherte. Es gibt einen Gemischt­wa­ren­laden, der aus einem altern Wes­ternfilm stammen könnte, und 1881 wurde ein U.S. Postamt eröffnet, was 1905 wieder geschlossen wurde. Das Haus, in dem Tina Turner als Kind bei ihrer Groß­mutter auf­wuchs, nachdem die Eltern sich trennten, gibt es nicht mehr. Auch die kleine, höl­zerne Ein­klassen-Schule wäre heute nicht mehr da, wenn Fans nicht dafür gesammelt hätten und Tina Turners Schul­häuschen mit einem Tief­lader abtrans­por­tiert und für das Browns­ville Museum für Kultur reno­viert hätten.

Schulhaus von Nutbush, Wiki­media Commons,Thomas R. Mach­nitzki, CC BY 3.0

Heute noch ist Baum­wolle die bedeu­tendste Ein­nah­me­quelle des Ört­chens. Und man ist stolz auf die welt­be­rühmte Tochter.

Mit sechzehn zog sie 1955 mit ihrer Schwester zur Mutter nach nach St. Louis, einer Stadt, die vor schwarzer Musik vibrierte und Tina bzw. Anna Mae war mit­tendrin. So lernte sie dort 1958 auch den Musiker Ike Turner kennen. Dem fiel das Talent der jungen Frau auf und er machte sie erst­einmal zur Back­ground­sän­gerin in seiner Band „Kings of Rhythm“. 1960 hatte sie die Chance, als Solo­sän­gerin bei dem Stück „A Fool in Love“ mit der Band auf der Bühne zu stehen, weil der eigent­liche Sänger Art Las­siter kurz­fristig ausfiel. Mit Tinas unver­wech­sel­barer „Rock­röhre“ schoss der Titel der bis dahin über­re­gional kaum bekannten Band im August 1960 direkt in die US-Charts.

Bis dahin war Tina Turner noch unbe­kannt, doch nun gab ihr Ike Turner – die beiden waren bereits ein Paar – den Namen Tina Turner, der einfach besser klang und so tourten sie als „Ike and Tina Turner“ durch die USA und dann auch durch Europa — und bis nach Aus­tralien. Tina brachte ihnen sehr viel Geld ein. Jah­relang wuchs der Ruhm, der aber haupt­sächlich an ihrem Auf­tritt und ihrer Stimme lag. Mit „Proud Mary“ ver­dienten sie sich einen Grammy Award. 1962 hei­ra­teten Ike und Tina Turner in Mexiko.

Unver­gessen ist Tinas Film­rolle als „Acid Queen“ in der Ver­filmung der Rockoper „Tommy“ mit der Gruppe „The Who“:

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Ihre unglaub­liche Präsenz, ihre Energie, ihre Stimme waren es, die „Ike und Tina Turner“ ganz nach ober kata­pul­tiert hatten und das wurde immer mehr zum Kon­flikt in der Ehe. Ike Turner war dro­gen­süchtig geworden und kom­pen­sierte seine Pro­bleme mehr und mehr mit Wut­an­fällen und Prügeln – auch gegen Tina. 1976 verließ Tina Turner ihn und reichte die Scheidung ein. Zwei Jahre später war sie frei.

Die Scheidung war schmutzig und kon­fron­tativ. Einer der Haupt­punkte, die Tina Turner durch­setzte war, dass sie den Künst­ler­namen Tina Turner behalten wollte. Sie konnte eine Einigung erzielen, indem sie alle Steu­er­schulden übernahm und die Geld­strafen für aus­ge­fal­lenen Kon­zert­termine wegen Ike Turners Dro­gen­miss­brauch. Sie behielt auch alle Autoren­rechte und ‑lizenzen ihrer eigenen Songs, zwei Autos und teuren Schmuck. Und sie behielt die die vier Söhne Craig, Ronald (Ronnie), Renelle, Ike Junior und Michael. Zwei davon waren adop­tiert, Craig war ein Sohn des Saxo­phon­spielers Raymond Hill und beging Selbstmord. Michael und Ike Junior stammte aus einer Beziehung von Ike Turner mit Lor­raine Taylor und wurden von Tina adop­tiert. Ronnie war das einzige Kind aus der Ehe mit Ike Turner.

Die Zeit nach der Scheidung war für Tina Turner ein ein­ziger Kampf und ein Weg voller Dornen. Ihr Ex-Mann ließ kein gutes Haar an ihr. Sie ver­diente nicht mehr ansatz­weise so viel Geld, wie vorher, trat in kleinen Räumen auf und tin­gelte durch die Provinz. Es gab keine sta­di­en­fül­lenden Kon­zerte mehr, sie war froh, wenn ein paar­hundert Fans kamen. Auch ihre ersten beiden Alben danach („Rough“ und „Love Explosion“) ver­kauften sich schlecht. Für die großen Schall­plat­ten­labels bekam sie den Ruf eines „schlecht ver­markt­baren Alt­stars“. Aber sie gab nie auf, Sie nahm auch mies bezahlte Jobs an, um die Familie über Wasser zu halten, Es heißt, sie sei sogar putzen gegangen. Chapeau, kann man da nur sagen.

Und sie arbeitete sich unauf­haltsam, zäh und ener­gisch wieder nach oben. Der Musik­pro­duzent Roger Davies stand ihr dabei zur Seite, aus dem Tief wieder heraus zu kommen. Sie absol­vierte endlich wieder große Shows und man sprach wieder über sie. Neue Fans und alte Bewun­derer kamen wieder, die Zuschau­er­zahlen wuchsen, sie bekam Gast­auf­tritte bei Berühmt­heiten, wie Tom Jones, Rod Stewart und David Bowie, trat im Vor­pro­gramm der Rolling Stones auf.

1984 kam das Album „Private Dancer“ heraus, auf in dem sie ver­schlüsselt auch ihre harten Jahre und das Lebens­gefühl the­ma­ti­sierte „I’m a private dancer, a dancer for money, do what they want me to do …“

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All the men come in these places
And the men are all the same
You don’t look at their faces
And you don’t ask their names
You don’t think of them as human
You don’t think of them at all
You keep your mind on the money
Keeping your eyes on the wall

I’m your private dancer, a dancer for money
I’ll do what you want me to do
I’m your private dancer, a dancer for money
And any old music will do

All diese Männer kommen zu diesen Orten, und die Männer sind alle gleich.
Du schaust nicht in ihre Gesichter und du fragst nicht nach ihrem Namen.
Die siehst sie nicht als Men­schen, du denkst über­haupt nicht über sie nach.

Du hast nur das Geld im Kopf und schaust die Wand an.

Ich bin deine Pri­vat­tän­zerin, eine Tän­zerin für Geld, ich werde tun, was du von mir willst,

Ich bin deine Pri­vat­tän­zerin, eine Tän­zerin für Geld, und jede alte Musik ist gut genug dafür.

Der Song auf dem Album „What’s Love got to do with it“ –  beschreibt ihre emo­tio­nalen Ver­let­zungen und dass das, was man Liebe nennt, lediglich eine kör­per­liche Anziehung ist, „Was hat das Liebe damit zu tun? Was ist Liebe anderes, als ein Second-Hand Gefühl?  Wer braucht ein Herz, wenn ein Herz gebrochen werden kann? Ich denke, dass ich mich schützen muss.“

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Nun, sie hat es geschafft. Ein zweites Mal. Sie hat alles über­standen, dem Schicksal getrotzt und ist ganz nach oben gekommen, weil sie es wirklich kann, weil sie eine unglaublich starke, unge­zähmte Frau ist, weil sie die Her­aus­for­derung des Lebens ange­nommen hat und die Ver­ant­wor­tungen, die sie über­nommen hat, auch immer erfüllte. Eine Kämp­ferin und Ste­herin und ein Arbeitstier. Kein Gejammer, kein Betteln, keine Fluchten, kein Kneifen, keine Trick­se­reien. Was für ein groß­ar­tiger Mensch.

Sie hatte sogar das Glück, noch einmal eine wirklich gute und echte Liebe zu finden, den Musik­pro­du­zenten Erwin Bach. Mit ihm lebte sie in Köln. Während dieser Zeit konnte man sie auch bis­weilen in der Innen­stadt sehen und bei Ein­kaufs­bummeln im Kaufhof und Kar­stadt. Die Kölner sprachen sie sel­tenst an, man lächelte sie an, sie lächelte zurück. Niemand wollte ihr auf die Pelle rücken. Ich habe sie auch ein paarmal in meiner Kölner Zeit gesehen und mich für sie gefreut, dass sie es geschafft hatte und glücklich sein konnte, aber sie nie ange­sprochen. Später ist sie mit  Erwin Bach in die Schweiz nach Küs­nacht gezogen. Dort haben sie in einer bud­dhis­ti­schen Zere­monie gehei­ratet und sind später in den Kanton Ürikon gezogen.

Leider hat all das Kämpfen, die Ent­beh­rungen, die Armut und die bösen Angriffe ihres Ex-Mannes Spuren hin­ter­lassen. Sie erlitt 2013 einen Schlag­anfall und erkrankte 2016 an Darm­krebs, 2017 kam ein schwerer Nie­ren­schaden dazu, den sie über­lebte, weil ihr Mann Erwin Bach ihr eine Niere spendete. Sie starb mit 83 Jahren nach langen Jahren der Krankheit in ihrem Haus in Küsnacht.

Sie wird in den Herzen ihrer Fans und Bewun­derer wei­ter­leben. Für mich per­sönlich war sie ein Vorbild. Da, wo sie jetzt ist, wird es ihr gut gehen, denn sie war und blieb ein guter Mensch, sie kann stolz auf sich sein. Ihrem Mann wün­schen wir alles Gute und Dank, dass er ihr echte Liebe und eine gute Zeit im Leben geben konnte.

Der Gemischt­wa­ren­laden in Nutbush: Wiki­media COmmons, DoxTxob, CC BY-SA 3.0