Wahnsinn in Grünland — Teil 1: Ich bin als Kli­makleber kläglich gescheitert

Es war Anfang Juni, und als ich so durch die Nach­bar­schaft schlen­derte, sah ich plötzlich eine Christrose, auch Schneerose genannt, blühen. Da traf mich doch der Schock und das Blut gerann mir in den Adern. Flugs nach Hause und mein Wissen über Christ­rosen über­prüft. Und ja, ich hatte recht. Christ­rosen blühen laut NDR von „etwa von November bis März oder April“. Schnell die im Artikel abge­bil­deten Christ­rosen aus­ge­druckt, nochmals zum Nachbarn und mich ver­si­chert, dass dies dort auch wirklich eine Christrose ist. Und dann die bittere Wahrheit: Es ist wirklich eine Christrose und die blühte Anfang Juni. Oh Gott, das konnte nur der Kli­ma­wandel sein. Da musste etwas dagegen unter­nommen werden!

(von Werner Pilipp)

Also flugs nach Hause und alle Schub­laden durch­sucht. Irgendwo musste dieser blöde Kleber doch sein, mit dem ich mich auf der Haupt­straße in unserem Städtchen fest­kleben wollte, um gegen den Kli­ma­wandel zu demons­trieren. Endlich gefunden… Ich wollte schon los und musste mir nur noch die Schuhe anziehen, da stellte ich fest, dass der Kleber ein­ge­trocknet war. Oh nein, es ist Kli­ma­wandel und ich konnte nichts tun. Resi­gnation machte sich in mir breit.

So inmitten meiner trüben Gedanken kam mir dann plötzlich der Einfall, dass die Kli­ma­er­wärmung eigentlich nicht für die in den Juni ver­setzte Blü­tezeit ver­ant­wortlich sein kann. Dies wäre doch nur bei einer Abkühlung des Klimas so erklärbar. Also kramte ich doch mal in der Mot­ten­kiste und fand einen Artikel des Spiegels aus dem Jahr 1974, in dem doch tat­sächlich steht: „Kommt eine neue Eiszeit? Nicht gleich, aber der ver­regnete Sommer in Nord­europa, so befürchten die Kli­ma­for­scher, war nur ein Teil eines welt­weiten Wet­ter­um­schwungs – ein Vor­ge­schmack auf kühlere und nassere Zeiten. … Dort sank während der letzten 20 Jahre die Mee­res­tem­pe­ratur von zwölf Grad Celsius im Jah­res­durch­schnitt auf 11,5 Grad. Seither wan­derten die Eis­berge weiter süd­wärts und wurden, etwa im Winter 1972/73, schon auf der Höhe von Lis­sabon gesichtet, mehr als 400 Kilo­meter weiter südlich als in den Wintern zuvor. Zugleich wuchs auf der nörd­lichen Halb­kugel die mit Glet­schern und Packeis bedeckte Fläche um rund zwölf Prozent, am Polar­kreis wurden die käl­testen Win­ter­tem­pe­ra­turen seit 200 Jahren gemessen.“ Nein, welch Geschwurbel, es kann unmöglich eine Abkühlung statt­ge­funden haben. Der Deutsche Wet­ter­dienst spricht ein­deutig von „Erd­er­wärmung“.

Mensch, jetzt wurde die Ursa­chen­for­schung wirklich pro­ble­ma­tisch. Was könnte nur der Grund für die „falsche“ Blü­tezeit sein? In Richtung Lösung wurde ich dann durch einen Artikel in der BILD gerückt. Dort wurde berichtet, dass man in der Stadt Neu­enrade in NRW bei der Anmeldung seines Hundes zur Hun­de­steuer „im Anmel­de­portal bei der Geschlechts­angabe nicht nur zwi­schen ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ aus­wählen – sondern sich auch für ‚divers‘ oder ‚keine Angabe‘ ent­scheiden“ kann. Nun da es auch außerhalb der mensch­lichen Existenz diverse Enti­täten gibt, könnte dies doch auch bei Pflanzen möglich sein. Zuge­geben, die Stadt Neu­enrade räumte in ihrer Anmeldung keine spe­zi­es­über­grei­fende Diver­sität ein, doch dürfte dies finan­zielle Gründe haben. Stellen Sie sich nur vor, ein anzu­mel­dender Hund würde sich als Katze defi­nieren. Da ent­ginge Neu­enrade doch tat­sächlich die Hun­de­steuer und eine ver­gleichbare Kat­zen­steuer gibt es nicht.

So konnten mich diese Schlingel nicht mehr von meinem Lösungsweg abbringen. Die von mir ent­deckte Christrose will eine andere Pflanze sein. Ein paar Klicks und ich stellte fest, dass Pfingst­rosen Anfang Juni blühen können. Da wusste ich, dass ich keine Christrose, sondern eine Trans­pfingstrose sah. Trans­di­ver­sität in der Botanik! Wenn mir dies mal nicht den Nobel­preis in Bio­logie ein­bringt. Oh, den gibt es gar nicht. Dann erweitern wir das Thema auf Trans­di­ver­sität in der Botanik als Anpassung an den Kli­ma­wandel. In der Physik gibt es nämlich einen Nobelpreis.

Doch mitten in meinem Hoch­gefühl lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich habe die frühere Iden­tität der Trans­pfingstrose offenbart. Und laut einem Gesetz­entwurf von Justiz- und Fami­li­en­mi­nis­terium kann dies unter Strafe gestellt werden. Bin ich jetzt kri­minell? Puh, das Gesetz wurde noch nicht ver­ab­schiedet. Glück gehabt.

So ward doch eine neue Wis­sen­schaft geboren!