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Ukraine: US-Magazin Time berichtet über die ver­zwei­felte Stimmung in Selenskys Umfeld

Heute gab es inter­es­sante Mel­dungen über einen Artikel, der im US-Magazin Time erschienen ist. Zuerst hatte der Chef der ukrai­ni­schen Prä­si­di­al­ver­waltung Andrej Jermak auf Telegram den Artikel ver­linkt und als wichtige Lektüre emp­fohlen, nur um den Post etwas später wieder zu löschen.

Der Artikel berichtet über die Ver­zweiflung in Selenskys Umfeld und darüber, dass sein Umfeld anscheinend der Meinung ist, Selensky habe den Sinn für die Rea­li­täten ver­loren. Auch ist die Rede davon, dass Selensky als Sün­den­böcke für die geschei­terte Gegen­of­fensive einen Minister und einen General feuern will.

Von Thomas Röper

 

Da der Artikel in Kiew anscheinend viel Auf­merk­samkeit erregt hat, habe ich ihn kom­plett übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

„Niemand glaubt so sehr an unseren Sieg wie ich“. Wla­dimir Selenskys Kampf, die Ukraine im Krieg zu halten

Wla­dimir Selensky war spät dran.

Die Ein­ladung zu seiner Rede im Natio­nal­archiv in Washington war an mehrere hundert Gäste gegangen, dar­unter füh­rende Ver­treter des Kon­gresses und Spit­zen­beamte der Regierung Biden. Die Rede, die als das Haupt­er­eignis seines Besuchs Ende Sep­tember ange­kündigt war, sollte ihm die Mög­lichkeit geben, die USA mit der Art von Rede­kunst, die die Welt von dem ukrai­ni­schen Prä­si­denten aus dem Krieg erwartet, für den Kampf gegen Russland zu gewinnen. Es lief nicht wie geplant.

An diesem Nach­mittag ver­zö­gerten Selenskys Treffen im Weißen Haus und im Pen­tagon seine Ankunft um mehr als eine Stunde und als er schließlich um 18.41 Uhr eintraf, um seine Rede zu beginnen, wirkte er abwesend und aufgeregt.

Er verließ sich darauf, dass seine Frau, die First Lady Elena Selen­skaja, seine Bot­schaft der Resi­lienz auf der Bühne neben ihm vortrug, während seine eigene Rede gestelzt wirkte, als wolle er sie schnell hinter sich bringen. Als er nach der Rede Medaillen ver­teilte, drängte er den Orga­ni­sator, sich zu beeilen.

Der Grund dafür war, wie er später sagte, die Erschöpfung, die er an diesem Abend ver­spürte, nicht nur wegen der Anfor­de­rungen, die die Führung des Krieges an ihn stellte, sondern auch wegen der stän­digen Not­wen­digkeit, seine Ver­bün­deten davon zu über­zeugen, dass die Ukraine mit ihrer Hilfe gewinnen kann.

„Niemand glaubt so sehr an unseren Sieg wie ich. Niemand“, sagte Selensky nach seiner Reise in einem Interview mit TIME. Diesen Glauben bei seinen Ver­bün­deten zu wecken, so Selensky, „erfordert Deine ganze Kraft, Deine Energie. Ver­stehen Sie? Es braucht so viel von allem“.

Und es wird immer schwie­riger. Zwanzig Monate nach Beginn des Krieges steht etwa ein Fünftel des ukrai­ni­schen Ter­ri­to­riums unter rus­si­scher Besatzung. Zehn­tau­sende von Sol­daten und Zivi­listen sind getötet worden und Selensky spürt auf seinen Reisen, dass das welt­weite Interesse an dem Krieg nach­ge­lassen hat. Das gilt auch für die inter­na­tionale Unterstützung.

„Das Erschre­ckendste ist, dass sich ein Teil der Welt an den Krieg in der Ukraine gewöhnt hat“, sagt er. „Die Erschöpfung über den Krieg rollt wie eine Welle an. Man sieht es in den USA, in Europa. Und wir sehen, dass, sobald sie ein wenig müde werden, es für sie wie eine Show wird: Ich kann mir diese Wie­der­holung nicht zum 10. Mal ansehen.“ (Dem Westen beginnt es zu dämmern: Ukraine wird Krim und Donbass niemals zurück­er­obern)

Die öffent­liche Unter­stützung für die Hilfe an die Ukraine ist in den USA seit Monaten rück­läufig und Selenskys Besuch hat nichts dazu bei­getragen, sie wie­der­zu­be­leben. Laut einer Reuters-Umfrage, die kurz nach Selenskys Abreise durch­ge­führt wurde, wollen 41 Prozent der Ame­ri­kaner, dass der Kon­gress mehr Waffen an Kiew liefert, während es im Juni noch 65 Prozent waren, als die Ukraine die große Gegen­of­fensive startete.

Diese Offensive ist uner­träglich langsam und mit enormen Ver­lusten ver­laufen, so dass es für Selensky immer schwie­riger wird, seine Partner davon zu über­zeugen, dass der Sieg unmit­telbar bevor­steht. Mit dem Aus­bruch des Krieges in Israel ist es sogar zu einer großen Her­aus­for­derung geworden, die Auf­merk­samkeit der Welt auf die Ukraine zu lenken.

Nach seinem Besuch in Washington begleitete TIME den Prä­si­denten und sein Team zurück nach Kiew, in der Hoffnung zu ver­stehen, wie sie auf die Signale reagieren würden, die sie erhalten hatten, ins­be­sondere auf die nach­drück­lichen For­de­rungen an Selensky, die Kor­ruption innerhalb seiner eigenen Regierung zu bekämpfen, und auf die nach­las­sende Begeis­terung für einen Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist. An meinem ersten Tag in Kiew fragte ich ein Mit­glied seines Kreises, wie sich der Prä­sident fühle. Die Antwort kam ohne eine Sekunde des Zögerns: „Wütend.“

Der übliche Opti­mismus, sein Sinn für Humor, seine Neigung, eine Sitzung im Kriegsraum mit einem kleinen Scherz oder einem unzüch­tigen Witz zu beleben, nichts davon hat im zweiten Jahr des totalen Krieges überlebt. „Jetzt geht er rein, holt sich die neu­esten Infor­ma­tionen, gibt Befehle und geht wieder“, sagt ein lang­jäh­riges Mit­glied seines Teams. Ein anderes sagt mir, dass sich Selensky vor allem von seinen west­lichen Ver­bün­deten ver­raten fühlt. Sie haben ihm nicht die Mittel gegeben, den Krieg zu gewinnen, sondern nur die Mittel, ihn zu überleben.

Aber seine Über­zeu­gungen haben sich nicht geändert. Trotz der jüngsten Rück­schläge auf dem Schlachtfeld hat er nicht die Absicht, den Kampf auf­zu­geben oder um irgendeine Art von Frieden zu ersuchen. Im Gegenteil, sein Glaube an den Endsieg der Ukraine über Russland hat sich in einer Form ver­festigt, die einige seiner Berater beun­ruhigt. Er ist uner­schüt­terlich und grenzt ans Messianische.

„Er macht sich etwas vor“, sagt mir einer seiner engsten Berater frus­triert. „Wir haben keine Optionen mehr. Wir werden nicht gewinnen. Aber ver­suchen Sie mal, ihm das zu sagen.“

Selenskys Sturheit, so sagen einige seiner Mit­ar­beiter, hat den Bemü­hungen ihres Teams, eine neue Stra­tegie, eine neue Bot­schaft zu ent­wi­ckeln, geschadet. Während sie über die Zukunft des Krieges debat­tierten, blieb ein Thema tabu: die Mög­lichkeit, mit den Russen ein Frie­dens­ab­kommen aus­zu­handeln. Jüngsten Umfragen zufolge würden die meisten Ukrainer einen solchen Schritt ablehnen, vor allem, wenn er mit dem Verlust von besetzten Gebieten ver­bunden wäre.

Selensky lehnt selbst einen vor­über­ge­henden Waf­fen­still­stand strikt ab. „Für uns würde das bedeuten, diese Wunde für künftige Gene­ra­tionen offen zu lassen“, sagt der Prä­sident. „Viel­leicht wird es einige Leute innerhalb unseres Landes beru­higen, und außerhalb, zumindest die­je­nigen, die die Dinge um jeden Preis abschließen wollen. Aber für mich ist das ein Problem, denn wir bleiben mit dieser explo­siven Kraft zurück. Wir ver­zögern nur ihre Detonation.“

Im Moment ist er darauf bedacht, den Krieg zu ukrai­ni­schen Bedin­gungen zu gewinnen und er ändert seine Taktik, um das zu erreichen. In dem Bewusstsein, dass der Zustrom west­licher Waffen mit der Zeit ver­siegen könnte, haben die Ukrainer die Pro­duktion von Drohnen und Raketen hoch­ge­fahren, mit denen sie rus­sische Nach­schubwege, Kom­man­do­zen­tralen und Muni­ti­ons­depots weit hinter den feind­lichen Linien angreifen. Die Russen ant­wor­teten mit wei­teren Bom­ben­an­griffen auf die Zivil­be­völ­kerung und wei­teren Rake­ten­an­griffen auf die Infra­struktur, die die Ukraine benötigt, um ihre Häuser zu heizen und das Licht über den Winter aufrechtzuerhalten.

Selensky beschreibt das als einen Krieg des Willens und befürchtet, dass sich die Kämpfe über die Grenzen der Ukraine hinaus aus­breiten werden, wenn die Russen nicht auf­ge­halten werden. „Ich habe lange mit dieser Angst gelebt“, sagt er. „Ein dritter Welt­krieg könnte in der Ukraine beginnen, sich in Israel fort­setzen, von dort nach Asien wei­ter­ziehen und dann irgendwo anders explo­dieren.“ Das war seine Bot­schaft in Washington: Helfen Sie der Ukraine, den Krieg zu stoppen, bevor er sich aus­breitet, und bevor es zu spät ist. Er befürchtet, dass sein Publikum auf­gehört hat, ihm zuzuhören.

Ende letzten Jahres, bei seinem letzten Besuch in Washington, wurde Selensky wie ein Held emp­fangen. Das Weiße Haus schickte ein Flugzeug der US-Luft­waffe, das ihn einige Tage vor Weih­nachten in Ost­polen abholte und mit der Eskorte eines NATO-Spio­na­ge­flug­zeugs und eines F‑15 Eagle-Kampfjets zur Joint Base Andrews außerhalb der US-Haupt­stadt brachte. Am selben Abend erklärte Selensky vor einer gemein­samen Sitzung des Kon­gresses, die Ukraine habe Russland „im Kampf um die Köpfe der Welt“ besiegt.

Als ich seine Rede vom Balkon aus ver­folgte, zählte ich 13 ste­hende Ova­tionen, bevor ich auf­hörte zu zählen. Ein Senator sagte mir, er könne sich nicht daran erinnern, dass in seinen drei Jahr­zehnten auf dem Capitol Hill jemals ein aus­län­di­scher Staatschef so bewun­dernd emp­fangen worden sei. Einige rechts­ge­richtete Repu­bli­kaner wei­gerten sich, für Selensky auf­zu­stehen oder zu applau­dieren, aber die Stimmen zu seiner Unter­stützung waren im letzten Jahr und über­par­teilich überwältigend.

Dieses Mal hatte sich die Atmo­sphäre geändert. Die Hilfe für die Ukraine war zu einem Knack­punkt in der Debatte über den Bun­des­haushalt geworden. Einer von Selenskys außen­po­li­ti­schen Beratern drängte ihn im Sep­tember, die Reise abzu­sagen, da die Atmo­sphäre zu ange­spannt sei. Führer des Kon­gresses lehnten es ab, Selensky eine öffent­liche Rede auf dem Capitol Hill halten zu lassen. Seine Berater ver­suchten, für ihn einen per­sön­lichen Auf­tritt bei Fox News und ein Interview mit Oprah Winfrey zu arran­gieren. Weder das eine noch das andere kam zustande.

Statt­dessen traf sich Selensky am Morgen des 21. Sep­tember unter vier Augen mit dem dama­ligen Sprecher des Reprä­sen­tan­ten­hauses Kevin McCarthy, bevor er sich auf den Weg in die alte Senats­kammer machte, wo ihn die Abge­ord­neten hinter ver­schlos­senen Türen aus­quetschten. Die meisten von Selenskys üblichen Kri­tikern blieben in der Sitzung stumm; Senator Ted Cruz kam mehr als 20 Minuten zu spät.

Die Demo­kraten ihrer­seits wollten wissen, wohin der Krieg führt und wie dringend die Ukraine die Unter­stützung der USA braucht. „Sie fragten mich gera­de­heraus: Was pas­siert, wenn wir euch keine Hilfe geben?“ erinnert sich Selensky. „Was pas­siert, ist, dass wir ver­lieren werden.“

Selenskys Auf­tritt hin­terließ bei einigen der anwe­senden Abge­ord­neten einen tiefen Ein­druck. Angus King, ein unab­hän­giger Senator aus Maine, erin­nerte sich daran, wie der ukrai­nische Staatschef seinen Zuhörern sagte: „Ihr gebt Geld. Wir geben unser Leben.“ Aber das war nicht genug. Zehn Tage später ver­ab­schiedete der Kon­gress eine Geset­zes­vorlage, mit der ein vor­über­ge­hender Still­stand der Regierung ver­hindert werden sollte. Darin war keine Hilfe für die Ukraine vorgesehen.

Als Selensky nach Kiew zurück­kehrte, hatte die Kälte des Früh­herbstes bereits Einzug gehalten, und seine Mit­ar­beiter beeilten sich, sich auf den zweiten Winter der Invasion vor­zu­be­reiten. Rus­sische Angriffe auf die ukrai­nische Infra­struktur haben Kraft­werke und Teile des Strom­netzes beschädigt, so dass es mög­li­cher­weise nicht mehr in der Lage ist, Nach­fra­ge­spitzen zu decken, wenn die Tem­pe­ra­turen sinken.

Drei hoch­rangige Beamte, die mit der Bewäl­tigung dieses Pro­blems betraut sind, sagten mir, dass die Strom­aus­fälle in diesem Winter wahr­scheinlich schwer­wie­gender aus­fallen würden und die Öffent­lichkeit in der Ukraine nicht so nach­sichtig reagieren würde. „Letztes Jahr gaben die Leute den Russen die Schuld“, sagt einer von ihnen. „Diesmal werden sie uns die Schuld geben, weil wir nicht genug für die Vor­be­reitung getan haben.

Die Kälte wird auch mili­tä­rische Vor­stöße erschweren und die Front­linien zumindest bis zum Frühjahr blo­ckieren. Doch Selensky weigert sich, das zu akzep­tieren. „Den Krieg ein­zu­frieren, bedeutet für mich, ihn zu ver­lieren“, sagt er. Seine Berater haben mich gewarnt, dass vor dem Win­ter­ein­bruch größere Ände­rungen in der Mili­tär­stra­tegie und eine größere Umstruk­tu­rierung im Team des Prä­si­denten zu erwarten sind. Min­destens ein Minister müsse ent­lassen werden, ebenso wie ein rang­hoher General, der für die Gegen­of­fensive zuständig sei, um die Ver­ant­wortung für die lang­samen Fort­schritte der Ukraine an der Front zu über­nehmen, hieß es. „Wir kommen nicht voran“, sagt einer von Selenskys engen Vertrauten.

Einige Kom­man­deure an der Front, so fährt er fort, ver­weigern inzwi­schen den Befehl zum Vor­rücken, selbst wenn er direkt aus dem Büro des Prä­si­denten kommt. „Sie wollen nur in den Gräben sitzen und die Stellung halten“, sagt er. „Aber so können wir keinen Krieg gewinnen.“

Als ich einen hoch­ran­gigen Offizier auf diese Behaup­tungen ansprach, sagte er, dass einige Kom­man­deure kaum eine andere Wahl hätten, als Befehle von oben zu hin­ter­fragen. Anfang Oktober habe die poli­tische Führung in Kiew eine Ope­ration zur „Rück­eroberung“ der Stadt Gor­lowka gefordert, eines stra­te­gi­schen Außen­postens in der Ost­ukraine, den die Russen seit fast einem Jahr­zehnt halten und heftig verteidigen.

Die Antwort kam in Form einer Frage zurück: Womit? „Sie haben weder die Männer noch die Waffen“, sagt der Offizier. „Wo sind die Waffen? Wo ist die Artil­lerie? Wo sind die neuen Rekruten?“

In einigen Teilen des Militärs ist der Per­so­nal­mangel sogar noch schlimmer als das Defizit an Waffen und Munition. Einer von Selenskys engen Mit­ar­beitern sagte mir, dass selbst wenn die USA und ihre Ver­bün­deten alle zuge­sagten Waffen liefern, „wir nicht die Männer haben, um sie einzusetzen.“

Seit Beginn der Invasion hat sich die Ukraine geweigert, offi­zielle Zahlen über Tote und Ver­wundete zu ver­öf­fent­lichen. Nach US-ame­ri­ka­ni­schen und euro­päi­schen Schät­zungen hat die Zahl der Toten auf beiden Seiten des Krieges jedoch längst die 100.000er-Marke über­schritten. Der Krieg hat die ukrai­ni­schen Streit­kräfte so stark dezi­miert, dass die Ein­be­ru­fungs­be­hörden gezwungen waren, immer älteres Per­sonal ein­zu­be­rufen, so dass das Durch­schnitts­alter der Sol­daten in der Ukraine auf etwa 43 Jahre gestiegen ist. „Das sind jetzt erwachsene Männer und sie sind nicht gerade gesund“, sagt der enge Ver­traute von Selensky. „Das ist die Ukraine. Nicht Skandinavien.“

Zu Beginn der Invasion sah das Bild noch anders aus. Eine Abteilung des Militärs, die so genannten Ter­ri­to­rialen Ver­tei­di­gungs­kräfte, meldete, dass sie in den ersten zehn Tagen des totalen Krieges 100.000 neue Rekruten auf­ge­nommen haben. Die Mas­sen­mo­bi­li­sierung wurde zum Teil durch die opti­mis­ti­schen Vor­her­sagen einiger hoch­ran­giger Beamter ange­heizt, dass der Krieg innerhalb von Monaten, wenn nicht Wochen, gewonnen werden würde. „Viele Leute dachten, sie könnten sich für einen schnellen Einsatz melden und an einem hel­den­haften Sieg teil­haben“, sagt das zweite Mit­glied des Teams des Präsidenten.

Jetzt ist die Rekru­tierung stark rück­läufig. Da die Ein­be­ru­fungs­be­mü­hungen im ganzen Land inten­si­viert wurden, ver­breiten sich in sozialen Medien Geschichten über Offi­ziere, die Männer aus Zügen und Bussen ziehen und an die Front schicken. Die­je­nigen, die über die nötigen Mittel ver­fügen, ver­suchen manchmal, sich durch Bestechung vom Dienst zu befreien, indem sie für eine medi­zi­nische Aus­nah­me­ge­neh­migung bezahlen. Solche Kor­rup­ti­ons­fälle innerhalb des Rekru­tie­rungs­systems waren am Ende des Sommers so weit ver­breitet, dass Selensky am 11. August die Leiter der Wehr­dienst­stellen in allen Regionen des Landes entließ.

Mit dieser Ent­scheidung wollte er sein Enga­gement im Kampf gegen die Kor­ruption signa­li­sieren. Nach Angaben eines hoch­ran­gigen Offi­ziers ging der Schritt jedoch nach hinten los, da die Rekru­tierung ohne Führung fast zum Still­stand kam. Die ent­las­senen Beamten waren auch schwer zu ersetzen, zum Teil weil der Ruf der Ein­be­ru­fungs­büros beschädigt war. „Wer will diesen Job?“, fragt der Offizier. „Das ist, als würde man sich ein Schild auf den Rücken kleben, auf dem steht: korrupt.“

In den letzten Monaten hat das Thema Kor­ruption Selenskys Beziehung zu vielen seiner Ver­bün­deten belastet. Im Vorfeld seines Besuchs in Washington hatte das Weiße Haus eine Liste mit Reformen zur Kor­rup­ti­ons­be­kämpfung erstellt, die die Ukrainer durch­führen sollten. Einer der Berater, die mit Selensky in die USA reisten, erzählte mir, dass diese Vor­schläge auf die oberste Ebene der Staats­hier­archie abzielten. „Das waren keine Vor­schläge“, sagt ein anderer Berater des Prä­si­denten. „Das waren Bedingungen.“

Um auf die ame­ri­ka­ni­schen Bedenken ein­zu­gehen, unternahm Selensky einige dra­ma­tische Schritte. Anfang Sep­tember entließ er seinen Ver­tei­di­gungs­mi­nister Alexej Res­nikow, ein Mit­glied seines inneren Kreises, der wegen Kor­ruption in seinem Minis­terium ins Visier geraten war. Zwei Berater des Prä­si­denten sagten mir, er sei nicht per­sönlich in Kor­ruption ver­wi­ckelt gewesen. „Aber er hat es ver­säumt, in seinem Minis­terium für Ordnung zu sorgen“, sagt einer von ihnen und ver­weist auf die über­höhten Preise, die das Minis­terium für Ver­sor­gungs­güter wie Win­ter­mäntel für Sol­daten und Eier für deren Ernährung zahlte.

Als sich diese Skandale her­um­sprachen, gab der Prä­sident seinen Mit­ar­beitern strikte Anwei­sungen, um den geringsten Anschein von Selbst­be­rei­cherung zu ver­meiden. „Kauft nichts. Macht keinen Urlaub. Bleibt einfach an Euren Schreib­tisch sitzen, seid still und arbeitet“, beschreibt ein Mit­ar­beiter diese Anwei­sungen. Einige Beamte der mitt­leren Ebene in der Ver­waltung beklagten sich bei mir über büro­kra­tische Lähmung und niedrige Moral, da ihre Arbeit immer stärker unter die Lupe genommen wurde.

Das typische Gehalt im Büro des Prä­si­denten, so sagten sie, beläuft sich auf etwa 1.000 Dollar pro Monat bzw. etwa 1.500 Dollar für höhere Beamte, weit weniger als sie in der Pri­vat­wirt­schaft ver­dienen könnten. „Wir schlafen in Zimmern, die 2 mal 3 Meter groß sind“, etwa so groß wie eine Gefäng­nis­zelle, sagt Andrej Jermak, der Stabschef des Prä­si­denten, und bezieht sich dabei auf den Bunker, den Selensky und einige seiner Ver­trauten seit Beginn der Invasion ihr Zuhause nennen. „Wir leben hier nicht in Saus und Braus“, erklärt er mir in seinem Büro. „Wir sind den ganzen Tag damit beschäftigt, diesen Krieg zu führen.“

Bei all dem Druck, die Kor­ruption aus­zu­rotten, nahm ich – viel­leicht naiv – an, dass Beamte in der Ukraine zweimal nach­denken würden, bevor sie Bestechungs­gelder annehmen oder sich staat­liche Gelder in die Tasche stecken. Doch als ich Anfang Oktober einen hoch­ran­gigen Prä­si­den­ten­be­rater auf diesen Punkt hinwies, bat er mich, mein Auf­nah­me­gerät abzu­schalten, damit er freier sprechen konnte. „Simon, du irrst dich“, sagte er. „Die Leute stehlen, als gäbe es kein Morgen.“

Selbst die Ent­lassung des Ver­tei­di­gungs­mi­nisters habe den Beamten „keine Angst ein­gejagt“, fügt er hinzu, weil die Säu­berung zu lange gedauert habe. Der Prä­sident wurde im Februar gewarnt, dass die Kor­ruption im Minis­terium gras­sierte, aber er zögerte mehr als sechs Monate lang und gab seinen Ver­bün­deten mehrere Gele­gen­heiten, die Pro­bleme still­schweigend zu lösen oder sie zu ver­tu­schen. Als er vor seinem Besuch in den USA han­delte, „war es zu spät“, so ein anderer hoch­ran­giger Berater des Präsidenten.

Die west­lichen Ver­bün­deten der Ukraine hatten zu diesem Zeit­punkt bereits von dem Skandal erfahren. Die Sol­daten an der Front hatten begonnen, anzüg­liche Witze über „Res­nikows Eier“ zu machen, eine neue Metapher für Kor­ruption. „Der Schaden für den Ruf war ange­richtet“, sagt der Berater.

Als ich Selensky zu diesem Problem befragte, räumte er dessen Schwere und die Bedrohung ein, die es für die Moral der Ukraine und ihre Bezie­hungen zu den aus­län­di­schen Partnern dar­stellt. Die Bekämpfung der Kor­ruption, so ver­si­cherte er mir, gehöre zu seinen obersten Prio­ri­täten. Er deutete auch an, dass einige aus­län­dische Ver­bündete einen Anreiz haben, das Problem zu über­treiben, weil es ihnen einen Vorwand bietet, die finan­zielle Unter­stützung ein­zu­stellen. „Es ist nicht richtig“, sagt er, „dass sie ihr Ver­sagen, der Ukraine zu helfen, mit solchen Anschul­di­gungen vertuschen.“

Einige der Anschul­di­gungen waren jedoch schwer zu wider­legen. Im August ver­öf­fent­lichte das ukrai­nische Nach­rich­ten­portal Bihus.info, das für seine Ermitt­lungen in Sachen Bestechung bekannt ist, einen ver­nich­tenden Bericht über Selenskys Top-Berater für Wirt­schafts- und Ener­gie­po­litik, Rost­islav Schurma. Der Bericht ent­hüllte, dass Schurma, eine ehe­malige Füh­rungs­kraft in der Ener­gie­wirt­schaft, einen Bruder hat, der Mit­ei­gen­tümer von zwei Solar­ener­gie­un­ter­nehmen mit Kraft­werken in der Süd­ukraine ist. Selbst nachdem die Russen diesen Teil des Landes besetzt und vom ukrai­ni­schen Stromnetz abge­schnitten hatten, erhielten die Unter­nehmen wei­terhin staat­liche Zah­lungen für die Stromerzeugung.

Die Anti­kor­rup­ti­ons­po­lizei, eine unab­hängige Behörde, die in der Ukraine als NABU bekannt ist, reagierte auf die Ver­öf­fent­li­chung und leitete eine Unter­su­chung wegen Ver­un­treuung gegen Schurma und seinen Bruder ein. Doch Selensky sus­pen­dierte seinen Berater nicht. Statt­dessen schloss sich Schurma Ende Sep­tember der Dele­gation des Prä­si­denten in Washington an, wo er mit hoch­ran­gigen Abge­ord­neten und Beamten der Regierung Biden verhandelte.

Kurz nach seiner Rückkehr nach Kiew besuchte ich Schurma in seinem Büro im zweiten Stock des Prä­si­di­al­ge­bäudes. Die Atmo­sphäre innerhalb des Geländes hatte sich in den 11 Monaten seit meinem letzten Besuch ver­ändert. Sand­säcke waren von vielen Fenstern ent­fernt worden, da neue Luft­ab­wehr­systeme in Kiew ein­ge­troffen waren, dar­unter US-Patriot-Raketen, die das Risiko eines Rake­ten­an­griffs auf Selenskys Büro verringerten.

Die Flure blieben dunkel, aber die Sol­daten patrouil­lierten nicht mehr mit ihren Sturm­ge­wehren, und ihre Schlaf­matten und andere Aus­rüstung war weg­ge­räumt worden. Einige der Berater des Prä­si­denten, dar­unter auch Schurma, trugen wieder Zivil­kleidung anstelle von Militärklamotten.

Als wir uns in seinem Büro zusam­men­setzten, erklärte mir Schurma, dass die Anschul­di­gungen gegen ihn Teil eines poli­ti­schen Angriffs seien, der von einem von Selenskys Feinden im Inland bezahlt worden sei. „Es wurde ein Stück Scheiße geworfen“, sagt er und streicht sich über die Vor­der­seite seines gestärkten weißen Hemdes. „Und jetzt müssen wir erklären, dass wir sauber sind.“ Es scheint ihn nicht zu stören, dass sein Bruder ein wich­tiger Akteur in der Branche ist, die Schurma beauf­sichtigt. Im Gegenteil, er ver­brachte fast eine halbe Stunde damit, mich von dem Gold­rausch zu über­zeugen, den die erneu­er­baren Energien nach dem Krieg erleben würden.

Viel­leicht, so schlug ich vor, wäre es in Anbe­tracht all der Sorgen über die Kor­ruption in der Ukraine klüger gewesen, wenn Schurma während der Ermitt­lungen wegen Ver­un­treuung zurück­treten oder zumindest Selenskys Reise nach Washington aus­sitzen würde. Er ant­wortete mit einem Ach­sel­zucken. „Wenn wir das täten, würde morgen jeder im Team ins Visier genommen werden“, sagt er. „Die Politik ist wieder da, und das ist das Problem.“

Wenige Minuten später leuchtete Shurmas Telefon mit einer drin­genden Nach­richt auf, die ihn zwang, unser Gespräch abzu­brechen. Der Prä­sident hatte seine rang­hohen Mit­ar­beiter zu einer Bespre­chung in sein Büro gerufen.

Es war normal, dass ihr Team am Mon­tag­morgen eine Stra­te­gie­sitzung abhielt, um die Woche zu planen. Aber dieses Mal würde es anders sein. Am Wochenende hatten paläs­ti­nen­sische Ter­ro­risten im Süden Israels ein Mas­saker an Hun­derten von Zivi­listen verübt, was die israe­lische Regierung ver­an­lasste, eine Blo­ckade des Gaza­streifens zu ver­hängen und der Hamas den Krieg zu erklären.

Um den Kon­fe­renz­tisch ver­sammelt, ver­suchten Selensky und seine Mit­ar­beiter zu ver­stehen, was diese Tra­gödie für sie bedeuten würde. „Mein Ver­stand rast“, sagte mir einer von ihnen, als er am Nach­mittag aus der Sitzung kam. „Die Dinge werden sich jetzt sehr schnell entwickeln.“

Seit den ersten Tagen der rus­si­schen Invasion bestand Selenskys oberste Prio­rität und viel­leicht sein wich­tigster Beitrag zur Ver­tei­digung des Landes darin, die Auf­merk­samkeit auf die Ukraine zu lenken und die demo­kra­tische Welt für ihre Sache zu gewinnen. Beide Auf­gaben würden mit dem Aus­bruch des Krieges in Israel sehr viel schwie­riger werden. Der Fokus der ukrai­ni­schen Ver­bün­deten in den USA und Europa sowie der welt­weiten Medien ver­la­gerte sich schnell auf den Gazastreifen.

„Das ist logisch“, sagt Selensky mir. „Natürlich sind wir von den Ereig­nissen im Nahen Osten betroffen. Men­schen sterben und die Hilfe der Welt wird dort gebraucht, um Leben zu retten, um die Menschheit zu retten.“ Selensky wollte helfen. Nach der Kri­sen­sitzung mit den Helfern bat er die israe­lische Regierung um die Erlaubnis, ihr Land als Zeichen der Soli­da­rität zu besuchen. Die Antwort erschien in der fol­genden Woche in israe­li­schen Medi­en­be­richten: „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.“

Einige Tage später ver­suchte Prä­sident Biden, die Sack­gasse zu durch­brechen, in die Selensky auf dem Capitol Hill geraten war. Anstatt den Kon­gress auf­zu­fordern, über ein wei­teres eigen­stän­diges Hilfs­paket für die Ukraine abzu­stimmen, bün­delte Biden es mit anderen Prio­ri­täten, dar­unter die Unter­stützung Israels und die Sicherheit der Grenze zwi­schen den USA und Mexiko. Das Paket würde 105 Mil­li­arden Dollar kosten, davon 61 Mil­li­arden Dollar für die Ukraine. „Es ist eine kluge Inves­tition“, sagte Biden, „die sich über Gene­ra­tionen hinweg für die ame­ri­ka­nische Sicherheit aus­zahlen wird.“

Aber es war auch ein Ein­ge­ständnis, dass die Ukraine-Hilfe allein in Washington keine große Chance mehr hat. Als ich Selensky darauf ansprach, gab er zu, dass Biden durch den Wider­stand der Par­teien die Hände gebunden seien. Das Weiße Haus sei wei­terhin ent­schlossen, der Ukraine zu helfen, sagte er. Aber Argu­mente über gemeinsame Werte haben nicht mehr viel Ein­fluss auf ame­ri­ka­nische Poli­tiker oder die Men­schen, die sie wählen. „So ist die Politik“, sagt er mit einem müden Lächeln. „Sie wägen ihre eigenen Inter­essen ab.“

Zu Beginn der rus­si­schen Invasion bestand Selenskys Aufgabe darin, die Sym­pathie der Men­schen zu erhalten. Jetzt ist seine Aufgabe kom­pli­zierter. Auf seinen Aus­lands­reisen und in prä­si­dialen Tele­fon­ge­sprächen muss er die Staats- und Regie­rungs­chefs davon über­zeugen, dass die Hilfe für die Ukraine in ihrem eigenen natio­nalen Interesse liegt, dass sie sich, wie Biden es aus­drückte, „aus­zahlen wird“. Das wird umso schwie­riger, je mehr sich die glo­balen Krisen häufen.

Doch ange­sichts der Alter­native, den Krieg ein­zu­frieren oder zu ver­lieren, sieht Selensky keine andere Mög­lichkeit, als den Winter und darüber hinaus durch­zu­halten. „Ich glaube nicht, dass die Ukraine es sich erlauben kann, des Krieges müde zu werden“, sagt er. „Selbst wenn jemand innerlich müde wird, geben es viele von uns nicht zu.“ Der Prä­sident am allerwenigsten.

Ende der Übersetzung

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Quellen: PublicDomain/anti-spiegel.ru am 31.10.2023

Dieser  Beitrag erschien zuerst bei pravda-tv.com