My Body­paint, my Choice oder wie man sich woke ins Knie schießt

Ist die Hoffnung berechtigt, dass das letzte Stündlein der woken Olym­piade aus Opfer­gruppen, Mikro­ag­gres­sionen, gefühlten Ras­sismen und kul­tu­rellen Tabu-Tabus bald geschlagen hat? Mancher Leser mag ein­wenden, dass es erst vorbei sein kann, wenn sich die Prot­ago­nisten und Tugend­wächter einer Welt, der aller Schneid abge­kauft und alle Sta­cheln gezogen sind, gegen­seitig an die Kehlen gehen. Doch genau dort leuchtet Hoffnung, wie uns ein köst­liches Bei­spiel aus den USA gerade zeigte.

Im woken Westen, wo Gen­der­que­erness und Equity in Raum und Zeit gegen den impe­rialen Ras­sismus des weißen Mannes kämpfen, kann man den größten Zorn auf sich laden, wenn man sich – bewusst oder unbe­wusst – der kul­tu­rellen Aneignung schuldig macht. Ein schwarz bemaltes Gesicht, eine Rasta-Frisur oder „Redskins“ als Name eines Foot­ball­teams bringen einem heute mehr als nur eine hoch­ge­zogene Augen­braue ein. Da heißt es schnell „meine Iden­tität ist nicht dein Kostüm“ und der anschlie­ßenden gesell­schaft­lichen Ächtung und Ver­nichtung hat man still und ohne Wider­stand bei­zu­wohnen. Die Sache ist natürlich etwas heikel, weil man nie so genau weiß, wo die Grenze zwi­schen Empowerment und Anmaßung ver­läuft. Wenn auto­gy­n­o­phile Männer in Damen­um­kleiden auf­tauchen und im Frau­en­sport Rekorde und Preise abräumen, gilt das bei­spiels­weise nicht. Das hat man nicht nur zu tole­rieren, sondern toll zu finden! Auch weiß man nie genau, ob man in hin­rei­chend vielen hoch­ste­henden Opfer­gruppen ver­ankert ist, um mit jeder Unver­schämtheit davon zu kommen – oder mit jeder Empörung.

Die „Washington Redskins“ sind natürlich längst in „Washington Com­mander“ umbe­nannt, auch wenn sich nie ein native Ame­rican (wehe, wenn Sie jetzt Indianer denken, liebe Leser) über den Namen beklagt hat und dieser als Hommage an Mut und Aus­dauer jener „First Nations“ gedacht war, die längst von einer ver­folgten und an den Rand gedrängten Min­derheit zu einer doch recht pri­vi­le­gierten Gruppe auf­ge­stiegen sind.

Es sind natürlich die Medien, die sich zur Luft­hoheit über die gemeinte oder auch nur her­bei­si­mu­lierte Beleidigung/Diskriminierung auf­ge­schwungen haben und weil dort oft nicht die hellsten Kerzen arbeiten, jagt man auf der Suche nach der nächsten Empörung gern auf aus­ge­tre­tenen Pfaden. Das „Black­facing“, also die mehr oder weniger kom­plette Simu­lation eines Hauttons, der nicht der eigene ist, stellt natürlich den Klas­siker schlechthin dar. Man muss schon der Pre­mier­mi­nister Kanadas sein, um mit so etwas heute sogar mehrfach durch­zu­kommen. Aber da dieser sich ohnehin alle Nase lang bei allen mög­lichen Opfern für alles mög­liche öffentlich ent­schuldigt, steht er auf der Nar­ren­liste. Wenn aber der Sport­jour­nalist Carron J. Phillips, der in seinem Berufs­leben über Ame­rican Football berichtet, im Stadion einen Zuschauer ent­deckt, der sein Gesicht halb schwarz und halb rot bemalt hat und noch dazu einen Kopfputz aus Federn trägt, welcher Win­netou vor Neid erblassen lassen würde, da hört der Spaß aber auf und der Sport­ex­perte holt das ganz große Besteck raus! Die NFL, also die Football-Liga, muss etwas unternehmen!

Was für eine Ver­ächt­lich­ma­chung der ame­ri­ka­ni­schen Urein­wohner! Und weil der Zuschauer eine Hälfte seines Gesichts schwarz gefärbt hatte, belei­digte er die Afro­ame­ri­kaner gleich mit! Dass schwarz und rot die Team­farben der Kansas City Chiefs sind, kann ja nicht die Ursache sein, dass sich ein Kind von geschätzt acht bis zehn Jahren das Gesicht bemalt. Und über­haupt kommt Phillips jetzt erst richtig in Fahrt: Warum hat die Sta­di­on­kamera dorthin geschwenkt? (Kame­ramann: schuldig) Wer hat dem Kind das bei­gebracht? (Eltern: schuldig) Und ist der Name „Kansas City Chiefs“ – der Begriff „India­ner­häuptling“ liegt in der Luft – über­haupt noch zeit­gemäß, wo sich die Redskins doch auch nicht gegen ihre Umbe­nennung gewehrt haben? (Liga: schuldig, Zuschauer: schuldig, Alle: schuldig, schuldig, schuldig).

Die NFL, wo man aus dieser Richtung wohl keinen Schuss erwartet hatte, reagierte mit dem heute üblichen, pau­schalen, pro­ak­tiven Kotau. „Die NFL steht an der Seite der schwarzen Gemein­schaft, der Spieler, Vereine und Fans. Es ist absolut not­wendig, dem sys­te­mi­schen Ras­sismus mit kon­kreten und pro­duk­tiven Schritten ent­ge­gen­zu­treten. Wir werden in unserer Arbeit nicht nach­lassen und unsere Anstren­gungen ver­doppeln, um Kata­ly­sa­toren für den drin­genden und nach­hal­tigen Wandel zu sein, den unsere Gesell­schaft und Gemein­schaften so dringend brauchen.“

Doch lange konnte sich Phillips nicht an seinem Sieg über Ras­sismus und kul­tu­relle Aneignung freuen, die er und er allein mit seinem Wut­aus­bruch zur Strecke gebracht hatte. Denn die Mutter des Jungen meldete sich via X zu Wort. Ihr Sohn Holden Armenta eigne sich keine Attribute der Native Ame­ricans an, er ist Native Ame­rican. Er und seine Familie gehören zum Stamm der Chumash. Pech für Carron J. Phillips, aber der kleine Holden steht in der gel­tenden per­versen Opfer­grup­pen­hier­archie weit über seiner Gehaltsklasse.

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Ob Carron J. Phillips den Film „Eine Frage der Ehre“ gesehen hat? Die Stelle, an der Colonel Nathan R. Jessup zu Daniel Kaffee sagt: „Da stehe ich ja nun als blödes Arschloch da“ würde gut in ein Selbst­ge­spräch mit dem eigenen Spie­gelbild passen. Doch hatte er eine Wahl? Hätte er nichts über den Jungen und seinen Feder­schmuck geschrieben, wie könnte Phillips sicher sein, dass nicht jemand anderes im Stadion war, der beob­achtete, wie er, Carron J. Phillips, den Jungen sah und nichts dazu sagte? In dieser woken Ideo­logie ist die Grenze zwi­schen Ankläger und Ange­klagtem ein schmaler Grat.

Der woke Zeit­geist wird – und hier kommen wir zu meiner These vom Anfang zurück – an der eigenen Into­leranz und Freud­lo­sigkeit und daran zugrunde gehen, dass seine Prot­ago­nisten nie wissen können, ob sie zu viel oder zu wenig getan haben bei der Bestä­tigung und Anbetung ihres Nar­rativs. Auf Dauer ist das nicht aus­zu­halten, aber zuweilen sehr unterhaltsam.


Quelle: unbesorgt.de