Bild: https://pixabay.com/de/photos/merkel-angela-angela-merkel-berlin-3464284/

Vera Lengsfeld: Orga­ni­sierte Verantwortungslosigkeit

Dies ist die weitere Lese­probe aus meinem neuen Merkel-Buch, das Sie ab jetzt im Verlag bei Achgut (und überall, wo es Bücher gibt) erwerben können. (von Vera Lengsfeld)

Mit “orga­ni­sierter Ver­ant­wor­tungs­lo­sigkeit” hat Mitte der Sieb­ziger Jahre der Regime­kri­tiker Rudolf Bahro in seinem Buch “Die Alter­native” das System der Endzeit in der DDR beschrieben. Wer geglaubt hat, dass die Ent­kop­pelung von Poli­tikern von der Ver­ant­wortung für die Gesell­schaft nur in ideo­lo­gie­ge­steu­erten Dik­ta­turen möglich ist, liegt falsch. Ging es den SED-Macht­habern noch um eine Idee, den Sozia­lismus, beschreibt Robin Alex­ander in seinem Buch “Die Getrie­benen” eine poli­tische Kaste, die in der Flücht­lings­krise agiert, als wäre die reale Welt ein Video­spiel, in dem es nur darauf ankommt, am Ende von den Medien als Punkt­sieger betrachtet zu werden – koste, was es wolle. Das war nicht Merkel allein, aber sie war das Gesicht dieses Spek­takels, das den Namen Politik nicht verdient.

Robin Alex­anders Buch “Die Getrie­benen” war reiner Spreng­stoff. Wäre es in der Ära Kohl erschienen, hätte es die Regierung Kohl am nächsten Tag nicht mehr gegeben. Merkel dagegen hat es nicht geschadet, obwohl ihre soge­nannte Flücht­lings­po­litik als ein ein­ziges Gewebe aus Fehl­in­for­ma­tionen, Täu­schungen, Kanz­le­rinnen-Allein­gängen, Abwe­sen­heiten in ent­schei­denden Momenten, Trotz­re­ak­tionen, Ahnungs­lo­sigkeit und Inkom­petenz beschrieben wird. Es macht fas­sungslos, zu lesen, wie diese Gemengelage aus koor­di­nierter Ver­ant­wor­tungs­lo­sigkeit das Schicksal nicht nur Deutsch­lands, sondern ganz Europas auf eine schiefe Ebene gebracht hat, von der man bis heute nicht weiß, wohin sie uns noch rut­schen lässt.

Noch beun­ru­hi­gender ist das Schweigen der Main­stream-Medien, die in der “Flücht­lings­krise” eine ungute Rolle gespielt haben. Sie haben sich längst von ihrer Bestimmung als Kon­trol­leure der Macht gelöst und sind Teil des Macht­kar­tells geworden. Robin Alex­ander bemerkt das fast nebenbei: “Unter Angela Merkel hat sich das Bun­des­pres­seamt gewandelt von einer Behörde, die über die Arbeit der Regierung infor­miert, zu einer Behörde, die vor allem für die Regierung ermittelt, was die Bürger denken und fühlen.” Oder angeblich denken und fühlen, denn an den Resul­taten dieser Ermitt­lungen kann man erheb­liche Zweifel haben.

Eine der Thesen von Alex­ander, die er zur Ent­lastung von Merkel ent­wi­ckelt hat, ist, sie sei von der Volks­meinung zur Grenz­öffnung getrieben worden. Eine Woche nach der Grenz­öffnung sei laut Umfragen für 82 Prozent der Deut­schen das Thema “Flücht­linge” das wich­tigste gewesen. Weitere elf Prozent hätten sich für die Themen Aus­länder, Zuwan­derung, Inte­gration ent­schieden. Daraus zu folgern, es hätte 93 Prozent Zustimmung zu der von Angela Merkel aus­ge­lösten Mas­sen­ein­wan­derung gegeben, halte ich für irre­führend. Auch ich, wäre ich befragt worden, hätte ange­geben, dass “Flücht­linge” das wich­tigste Thema seien, aber weil ich wie viele andere, über den unkon­trol­lierten Zustrom von haupt­sächlich waf­fen­fä­higen jungen Männern ent­setzt war. Mehr als Merkels freund­liches Gesicht oder gar die Flücht­lings­selfies der Kanz­lerin sollen die Bahn­hofs­jubler die Flücht­linge nach Deutschland gezogen haben. Leider fehlen uns Unter­su­chungen, wer diese Men­schen waren, die junge männ­liche Erwachsene mit Küsschen, Ted­dy­bären und anderem Spielzeug begrüßt haben. Auf dem Frank­furter Haupt­bahnhof wurde das Ankunfts­gleis der Flücht­lingszüge jeden­falls von Links­ra­di­kalen besetzt, die spontane Hilfs­willige sogar ver­trieben haben. Aus wenigen tausend Men­schen – von denen etliche Akti­visten diverser Flücht­lings­hil­fe­gruppen waren, die von Staats­geldern leben – auf die Stimmung in der Bevöl­kerung zu schließen, ist mehr als kühn. Tat­sächlich war die angeb­liche gesamt­deutsche Euphorie schon nach weniger als drei Wochen voll­ständig verflogen.

Ich bin der festen Über­zeugung, dass es von der Bevöl­kerung wenig Wider­stand gegeben hätte, wären die Grenzen am 13.09.2015 tat­sächlich wieder geschlossen worden. Nur mit dem Wider­stand der Medien und der Flücht­lings-Pro­fi­teure wäre zu rechnen gewesen. Grund genug für die medi­en­süchtige Kanz­lerin, ihren fatalen Fehler nicht zu kor­ri­gieren. Ihr Image war alles, Ver­ant­wortung für die Gesell­schaft und ihre Politik fühlte sie nicht. Sie sagte das in einer Bun­des­tags­frak­ti­ons­sitzung, bei der sie Kritik ein­stecken musste, selbst: “Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flücht­linge bin, nun sind sie halt da.” Allein dieser Satz, der den Titel dieses Buches inspi­rierte, dis­qua­li­fi­zierte sie als Kanz­lerin. Um die “Flücht­lings­po­litik” fort­setzen zu können, wurde mit einer Pro­pa­gan­da­kam­pagne das Land gespalten. “Nazi oder Flücht­lings­helfer? Jeder muss sich jetzt ent­scheiden” (Alex­ander). Als einer der ersten bekam das der His­to­riker Jörg Bab­e­rowski zu spüren, der sehr früh die Grenz­öffnung kri­ti­sierte. Seitdem wird die Nazi­keule gegen Anders­den­kende exzessiv geschwungen und die Mei­nungs­freiheit immer mehr ein­ge­schränkt. Gleich­zeitig wurden von Politik, Medien und ihren wil­ligen Helfern Legenden um die Flücht­linge gesponnen: “Der Flüchtling als Erlöser von schreck­licher deut­scher Ver­gan­genheit, von pein­lichen ost­deut­schen Lands­leuten und über­haupt allen schlechten Gewohn­heiten […] Die Flücht­linge sollen die Deut­schen nicht nur von ihrer unse­ligen Ver­gan­genheit befreien, sondern auch vor ihrem zukünf­tigen Schicksal als über­al­tertes Volk bewahren” (Alex­ander).

Während die SED-Pro­pa­gan­disten nicht selbst an ihre Legenden glaubten, fiel die Merkel-Regierung auf die von ihr ange­stoßene Pro­pa­ganda selbst herein. Sie schrieb einen Wett­bewerb aus. Gemeinden könnten sich um die Auf­nahme und Inte­gration von Flücht­lingen bewerben. Ob auch nur eine einzige Bewerbung einging, ist unbe­kannt. Kurz nach dieser absurden Initiative wurden die Gemeinden förmlich überrannt.

Auch die Wirt­schaft verlor ihren Ver­stand. Stell­ver­tretend sei hier Daimler-Chef Dieter Zetsche genannt, der die Neu­an­kömm­linge zur Grundlage eines neuen Wirt­schafts­wunders erklärte. Wie zu erwarten war, ist das Wirt­schafts­wunder bis heute aus­ge­blieben. Am Ende haben alle DAX-Unter­nehmen zusammen bislang nur eine zwei­stellige Zahl von diesen “Hoch­qua­li­fi­zierten” ein­ge­stellt. Die Pro­pa­ganda wurde von der Rea­lität widerlegt. Bis heute gibt es mehr Flücht­linge, die Bür­ger­geld­emp­fänger sind, als “neu Hin­zu­ge­kommene” – wie sie heute heißen – in Arbeit.

Auch Robin Alex­ander ver­wech­selte diesen Pro­pa­gan­da­feldzug mit der Bevöl­ke­rungs­meinung und sprach Merkel eine “Mit­schuld” zu, weil sie auf der “Bevöl­ke­rungs­be­geis­terung gesurft” sei. Die Bevöl­kerung hatte keine Zeit für Begeis­terung, sie war viel zu beschäftigt. Irgendeine Vor­be­reitung auf den Mas­sen­an­sturm von zeit­weilig zehn­tausend Men­schen am Tag gab es seitens der Regierung nicht. Dass es nicht zur Katastrophe…

Der Artikel erschien zuerst bei vera-lengsfeld.de.