Deutschland: (unfrei­wil­liger) Gläu­biger der Welt

Wir tun es wieder! Im Rahmen der Auf­führung, „Deutschland, das reiche Land, das für alle bezahlen kann“ wurde das Publikum erneut erfreut. So bei SPIEGEL ONLINE:
SPIEGEL ONLINE: „Deutschland bleibt Über­schuss-Welt­meister“, 16. Januar 2018
Deutschland der Weltmeister
Da lernt man dann:

  • „Deutschland hat im ver­gan­genen Jahr erneut den weltweit größten Über­schuss in der Leis­tungs­bilanz erzielt. Das ergeben Berech­nungen des Münchner Ifo-Instituts, aus denen die Nach­rich­ten­agentur Reuters zitiert. Mit umge­rechnet 287 Mil­li­arden Dollar sei das Plus mehr als doppelt so groß aus­ge­fallen wie bei Export­meister China, das auf 135 Mil­li­arden Dollar kam.“
    Fazit: Da können wir doch stolz sein!

 

  • „Die Leis­tungs­bilanz erfasst sowohl Waren- als auch Zah­lungs­ströme. (…) Hier über­trafen die Exporte die Importe allein in den ersten elf Monaten des ver­gan­genen Jahres um 249 Mil­li­arden Euro. Haupt­treiber war die Nach­frage nach deut­schen Waren aus der EU und den USA.
    – Fazit: Was bedeutet das denn für unsere Ersparnisse?

 

  • „Zum Über­schuss trugen aber auch die Erträge aus den im Ausland ange­legten Ver­mögen bei. Das daraus resul­tie­rende Ein­kommen erreichte bis November netto 49 Mil­li­arden Euro. Das macht mehr als ein Fünftel des Über­schusses aus.“
    – Fazit: Hier könnte man jetzt sagen: Genauso soll es sein! Aller­dings stellt sich die Frage, ob alle unsere Kapi­tal­an­lagen so gut sind und ob die Erträge wirklich aus Ein­kommen bezahlt wurden oder nur auf wei­terer Ver­schuldung unserer Schuldner basieren.

 

  • „Das Ifo-Institut erwartet, dass der deutsche Über­schuss in diesem Jahr eben­falls bei 7,8 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts liegen wird. Sollten die Noten­banken ihre Zinsen stärker als erwartet erhöhen, könnte er auch höher ausfallen.“
    – Fazit: Glauben wir allen Ernstes, dass wir das lange durch­halten können?

Wie groß der Über­schuss ist und vor allem seit wie vielen Jahren wir schon diese Politik betreiben, zeigt diese Abbildung sehr eindrücklich:

Quelle: The Telegraph
Dabei ist der Über­schuss sehr kri­tisch zu sehen, wie ich immer wieder erläutert habe. Unter anderem hier:
„Deutschland wirt­schaftet wie die Eichhörnchen“
Wir wirt­schaften wie die Eichhörnchen
Dort steht:
„Wichtig zu wissen ist zudem, dass ein Net­to­ka­pi­tal­import aus dem Ausland zwangs­läufig ein genauso großes Han­dels­de­fizit bedeutet und umge­kehrt ein Han­dels­über­schuss immer auch einen Net­to­ka­pi­tal­export in gleicher Höhe bedingt. (Für die Volks­wirte unter den Lesern sei hier ange­merkt, dass ich natürlich weiß, dass neben dem Im- und Export von Waren und Dienst­leis­tungen auch Über­tra­gungen von Geld ins Ausland und die Bilanz der Ver­mögens- und Erwerbs­ein­kommen dazu gerechnet werden. Letztere sind aber von geringer Bedeutung ver­glichen zum Außenhandel).
Schauen wir uns die Zahlen für Deutschland für das Jahr 2015 genauer an (Quelle: Sta­tis­ti­sches Bundesamt):

  • Finan­zie­rungs­saldo private Haus­halte: 4,8 Prozent vom Brut­to­in­lands­produkt (BIP). Das bedeutet alle Haus­halte zusammen haben netto im Volumen von 4,8 Prozent des BIP gespart.
  • Finan­zie­rungs­saldo Unter­nehmen: 3,2 Prozent vom BIP. Also eben­falls eine Netto-Ersparnis.
  • Finan­zie­rungs­saldo Staat: 0,6 Prozent vom BIP die berühmte schwarze Null.

Wäre Deutschland eine geschlossene Volks­wirt­schaft, befänden wir uns in einer schweren Krise. Es würde massiv Nach­frage, immerhin im Volumen von 8,6 Prozent des BIP, fehlen, weil wir alle sparen. Doch von Krise ist keine Spur! Das ver­danken wir dem Ausland, wohin wir unsere über­schüs­sigen Erspar­nisse von 8,6 Prozent vom BIP expor­tiert haben.
Dies bedeutet aber zugleich, dass das Ausland im Volumen von 8,6 Prozent des deut­schen BIP mehr Waren aus Deutschland gekauft als nach Deutschland expor­tiert hat. Der Titel des Export­welt­meisters gilt folglich für Waren und für Erspar­nisse glei­cher­maßen.“
Und da sind wir beim Problem: Es ist keine gute Idee in einer über­schul­deten Welt Gläu­biger zu sein. Wir könnten das ändern – oder nicht?
Kann man nichts machen?
Zunächst ist es nicht sehr populär im Ausland, wenn wir wei­terhin so hohe Über­schüsse machen. Ich erinnere an
„Der wahre Kern des Deutschland-Bashings“
Außerdem ist es in unserem eigenen Interesse, die Erspar­nisse lieber im Inland zu inves­tieren, statt sie in Target2 und ähn­lichen Vehikeln zins- und til­gungsfrei vor sich hingammeln zu lassen.
Was zu tun wäre, ist ange­sichts der oben dar­ge­stellten Rechnung klar: Wir müssen die Net­to­er­sparnis senken und zwar indem Staat und Unter­nehmen weniger sparen. Zusammen sparen beide rund 3,8 Prozent vom BIP. Bekämen wir das auf null, sähe es ganz anders aus.
Doch ginge das über­haupt? Das Institut für Welt­wirt­schaft hat unter Leistung des von mir sehr geschätzten Stefan Kooths berechnet, warum es nicht geht. Ich denke, wir müssen aber einen Weg finden, wie es ginge. Zunächst zur Studie:

  • „Um den deut­schen Leis­tungs­bi­lanz­saldo nach­haltig zu redu­zieren und von heute rund 8 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) unter die von der Euro­päi­schen Kom­mission gefor­derte Marke von 6 Prozent zu bringen, hat die hei­mische Politik kaum Mittel und Wege. Eine vie­lerorts gefor­derte schul­den­fi­nan­zierte Erhöhung der öffent­lichen Aus­gaben hätte ebenso nur einen begrenzten Effekt wie nicht gegen­fi­nan­zierte Steu­er­sen­kungen.“
    Fazit: Es ist klar, dass es nicht mit einer Umver­teilung zwi­schen Staat und Pri­vaten getan ist. Es muss in Summe weniger gespart werden.

 

  • „Wollte man den deut­schen Leis­tungs­bi­lanz­saldo mit einer ein­zelnen Maß­nahme bis 2021 unter den von der EU-Kom­mission gefor­derten Zielwert drücken, wären Schulden und Steu­er­erleich­te­rungen in unrea­lis­ti­scher Grö­ßen­ordnung nötig. (…) Die öffent­lichen Inves­ti­tionen bei­spiels­weise müssten schul­den­fi­nan­ziert um jährlich etwa 90 Mrd. Euro erhöht werden, ein Anstieg um 150 Prozent, der eine Schul­den­auf­nahme in Höhe von 3 Prozent des BIPs nötig machen würde.“
    – Fazit: was der Grö­ßen­ordnung ent­spricht, die auch ich sehen würde.

Acht Sze­narien durchgerechnet

  • „Ein Maß­nah­men­bündel mit etwas rea­li­täts­nä­herer Aus­ge­staltung könnte (…) den Leis­tungs­bi­lanz­saldo bis 2021 um gut einen Pro­zent­punkt redu­zieren. Dazu  müssten die öffent­lichen Inves­ti­tionen schul­den­fi­nan­ziert um 15 Mrd. Euro jährlich erhöht und die Unter­neh­mens­steuern in einem Volumen von eben­falls 15 Mrd. Euro gesenkt werden, was jeweils etwa 0,5 Prozent des BIP ent­spricht. Somit wären jährlich rund 30 Mrd. Euro neue Schulden nötig.“
    – Fazit: Das wäre besser als nichts.

 

  • „Die größte Wirkung im Sinne einer Redu­zierung hätte demnach ein schul­den­fi­nan­ziertes Absenken der Unter­neh­mens­steuern. Nationale Erspar­nisse würden absor­biert, die hei­mische Kon­junktur durch Inves­ti­tionen ange­kurbelt und die Importe würden steigen.“
    – Fazit: was mich stutzig macht. Die Unter­nehmen sparen doch jetzt schon Zuviel. Weshalb sollten sie damit aufhören?

 

  • „Würde der deutsche Staat schul­den­fi­nan­ziert in einem Umfang von 1 Prozent des BIPs seine Inves­ti­tionen erhöhen, würde dies den Leis­tungs­bi­lanz­saldo nur um 0,7 Pro­zent­punkte redu­zieren. Eine Stei­gerung der Kon­sum­aus­gaben brächte eine Min­derung um 0,6 Pro­zent­punkte, eine Steu­er­ent­lastung für private Haus­halte nur noch 0,4 Prozentpunkte.“
    – Fazit:  Da könnte man doch was kombinieren?

 

  • Werden die Maß­nahmen gegen­fi­nan­ziert, ver­ringert sich die Wirkung auf den Leis­tungs­bi­lanz­saldo aller­dings merklich, so die For­scher.“
    Fazit: was jedem klar ist, der die Mechanik ver­steht. Die Ersparnis muss in Summe sinken, nicht eine Umver­teilung bei gleicher Erspar­nishöhe passieren.

Wie wäre es mit höheren Unter­neh­mens­steuern?
O. k., ich weiß, dass ich damit meine wirt­schafts­li­be­ralen Leser schocke – und in gewisser Weise schocke ich mich selbst –, wenn ich die Idee auf­bringe, Unter­nehmen höher zu besteuern. Wer nicht (in Deutschland) inves­tiert, sollte höhere Steuern zahlen, die dann aus­schließlich dazu dienen, staat­liche Inves­ti­tionen zu finanzieren:

  • digitale Infra­struktur
  • klas­sische Infrastruktur
  • Bildung
  • For­schung
  • Bun­deswehr
  • Sicherheit

Außerdem könnte so noch eine deut­liche Ent­lastung bei den Sozi­al­ab­gaben finan­ziert werden, um die Brei­ten­kauf­kraft zu stärken.
Inves­ti­tionen der Unter­nehmen in Robo­ter­technik und Auto­ma­ti­sierung sollten dabei besonders gefördert werden, weil wir damit der demo­gra­fi­schen Her­aus­for­derung begegnen können.
Das sollten die Jamaiker-Träumer lesen!
Viel­leicht mag das IfW das Sze­nario auch noch durchrechnen?
Haben wir über­haupt ein Problem?
Das IfW sieht aller­dings auch kein Problem: „Unab­hängig von den Ergeb­nissen des Gut­achtens halten es die Kon­junk­tur­for­scher des IfW nicht für ange­messen, die Leis­tungs­bilanz als wirt­schafts­po­li­tische Ziel­größe zu betrachten. „Bislang sind die Ursachen für den Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss nicht hin­rei­chend geklärt und es ist fraglich, ob und in welcher Höhe über­haupt Kor­rek­tur­bedarf besteht“, sagte Kooths. „Wirt­schafts­po­li­tische Maß­nahmen sollten nicht alleine deshalb ergriffen werden, weil sie den Leis­tungs­bi­lanz­über­schuss senken könnten.“
– Fazit: Das sehe ich anders. Ich denke, wir bauen wertlose For­de­rungen auf und machen uns zudem weltweit und in Europa immer unbe­liebter. Da wäre es doch Zeit für das „Stelter- Sze­nario„.
→ „Wirtschafts‑, Finanz- und Geld­po­litik: Wir­kungen auf die deutsche Leistungsbilanz“
 
Dr. Daniel Stelter / thing-beyondtheobvious.com