4 Mythen über den Kapitalismus

Als Col­lege­pro­fessor bin ich immer wieder voll­kommen ent­setzt über den Ver­ständ­nis­mangel, den die meisten Stu­denten bei dem Thema „Kapi­ta­lismus“ vor­weisen. Trotz der Bedeutung für das täg­liche Leben, haben relativ wenige Men­schen ein Gespür dafür, wodurch Wirt­schafts­wachstum erzeugt wird und warum Märkte für einen stetig stei­genden Lebens­standard von zen­traler Bedeutung sind.
(Von James Davenport — Foun­dation of Eco­nomic Edu­cation)
Während meiner Lehr­tä­tigkeit sind mir sowohl von Stu­denten als auch von Per­sonen außerhalb des Unter­richts jede Menge Mythen oder Fehl­ein­schät­zungen über den Kapi­ta­lismus zu Ohren gekommen. Diese Mythen zu wider­legen, ist zu einem Schwer­punkt meines Unter­richts geworden.
Mythos 1: Kapi­ta­lismus wurde „geschaffen“
Ein sehr weit ver­brei­tetes Miss­ver­ständnis über den Kapi­ta­lismus ist die Idee, dass er von jemandem „geschaffen“ wurde. Einiges davon kann der Sprache zuge­schrieben werden, die ver­wendet wurde, um Adam Smiths (1723–1790) Rolle bei der Erklärung der Markt­pro­zesse zu beschreiben. Der all­ge­meine Verweis auf Smith als „den Vater der modernen Volks­wirt­schaft“ kann dazu führen, dass Men­schen davon aus­gehen, er habe die Markt­ordnung in irgend­einer Weise erschaffen. Da der Sozia­lismus all­gemein von Planung abhängig ist, ver­leitet es allzu viele zu der irrigen Ver­mutung, beim Kapi­ta­lismus verhält es sich genauso.
Wie jedoch Friedrich A. von Hayek (1899–1992) dar­legte, ist die Markt­ordnung nicht wirklich „erschaffen“ worden, sondern vielmehr eine Ordnung, die sich aus mensch­lichem Aus­tausch und Ent­de­ckungen heraus ent­wi­ckelt hat. Ähnlich wie bei der Sprache wurde die Markt­wirt­schaft nicht durch eine ein­zelne Person oder eine Gruppe erschaffen, sondern ent­wi­ckelte sich über einen langen Zeitraum durch das Zusam­men­wirken vieler Men­schen. Die Regeln und Insti­tu­tionen, die die Markt­wirt­schaft stützen, ent­standen aus diesem Zusammenwirken.
Diese Vor­stellung einer spon­tanen Ordnung – ent­stehend aus Ein­zel­hand­lungen von Mil­lionen von Men­schen und die Ent­de­ckung von Regeln und Insti­tu­tionen, die den ste­tigen Fort­schritt dieser Ordnung erleichtern –  ist mög­li­cher­weise der wich­tigste Aspekt am Kapi­ta­lismus. Der Kapi­ta­lismus ist erfolg­reich, weil er aus den Men­schen selbst hervorgeht.
Im Gegensatz zum Sozia­lismus, der ver­sucht, Regeln und Insti­tu­tionen unab­hängig davon durch­zu­setzen, ob sie im Ein­klang mit der mensch­lichen Natur oder Wün­schen stehen, ent­wi­ckeln sich Märkte aus unseren mensch­lichen Eigen­schaften. Und die Regeln und Insti­tu­tionen, die die Leis­tungs­fä­higkeit von Märkten ermög­lichen, werden ent­deckt, so wie wir uns selbst ent­decken und mit­ein­ander interagieren.
Mythos 2: Kapi­ta­lismus erzeugt Armut
Dies ist mög­li­cher­weise das schäd­lichste aller Miss­ver­ständ­nisse, dem ich in Bezug auf Märkte begegne. Die Idee, die Abwe­senheit einer freien Markt­wirt­schaft führt zu mehr gemein­samen Wohl­stand in der Gesell­schaft, ist noch immer im Denken vieler Men­schen ver­ankert. Die Men­schen unter­liegen dieser Fehl­an­nahme, obwohl zunehmend der Beweis erbracht wird, dass die welt­weite Armut stetig abnimmt, wenn die Markt­wirt­schaft sich in immer mehr Ländern durchsetzt.
Der Beweis ist ein­deutig, dass der Armuts­rückgang sich vollzog, als Länder sich der Markt­wirt­schaft als Weg des Fort­schrittes öff­neten – allen voran China und Indien. So wie andere Länder den Erfolg dieser beiden ehemals sehr armen Länder sehen und beginnen, ihrem Bei­spiel zu folgen, ist zu erwarten, dass sich die Armut in der sich ent­wi­ckelnden Welt deutlich reduziert.
In Der Wohl­stand der Nationen erklärte Adam Smith, wie Märkte mit dem ste­tigen Ausbau von ange­bo­tenen Waren und Dienst­leis­tungen für eine immer größer wer­denden Zahl von Men­schen einen, wie er es nannte, „all­um­fas­senden Über­fluss“ ent­stehen lassen würden. Seit Karl Marx und Friedrich Engels jedoch ihren Fron­tal­an­griff auf den Kapi­ta­lismus begonnen haben, haben viele Intel­lek­tuelle, Unter­hal­tungs­künstler und selbst Poli­tiker die Idee über­nommen, der Kapi­ta­lismus ver­ur­sache Armut oder zumindest ver­hindere er, dass Men­schen ihm ent­kommen. Noch beun­ru­hi­gender ist die Behauptung, Sozia­lismus führe zu grö­ßerem Wohl­stand für die Massen.
Es ist daher wenig ver­wun­derlich, dass diese Ideen auf die breite Öffent­lichkeit abfärbten. Diese Vor­stellung, der Kapi­ta­lismus führe zur Armut für die Massen während Sozia­lismus zu deren Wohl­stand führe, wider­spricht grund­legend allen bekannten Belegen.
Die­je­nigen Ent­wick­lungs­länder mit dem größten Wachstum haben markt­wirt­schaft­liche Grund­sätze über­nommen. Welch ein Unter­schied zu jenen Ländern, die den Sozia­lismus voll­ständig ein­ge­führt haben, wie bei­spiels­weise Vene­zuela oder Nord­korea. Es ist beun­ru­higend, dass Erst­se­mester dies nicht begreifen.
Mythos 3: Der Kapi­ta­lismus dreht sich um das Kapital
Der Begriff „Kapi­ta­lismus“ wurde durch Marx geprägt, um einen abwer­tenden Begriff für die Markt­wirt­schaft zu erzeugen. Der Begriff blieb haften und führte zu einer gewissen Ver­wirrung darüber, warum Märkte sich tat­sächlich durch­setzen. Wie die Wirt­schafts­his­to­ri­kerin Deirdre McCloskey fest­stellte, haben die Men­schen zu allen Zeiten ver­sucht, Kapital anzu­häufen (Land, Roh­stoffe und Geld). Aber diese gemein­schaft­lichen Ver­suche haben nicht zu jener Art gesamt­ge­sell­schaft­lichen Wirt­schafts­wachstum geführt, das seit 1800 zu beob­achten ist.
Die grund­le­gende Basis des Kapi­ta­lismus ist die mensch­liche Freiheit. Adam Smith erkannte: Wenn es jedem Ein­zelnen möglich ist, seinen Eigen­in­ter­essen an den Märkten nach­zu­gehen, ist er erstaunlich gut darin Wege zu finden, nicht nur sich selbst zu helfen, sondern auch der Gesellschaft.
Ebenso wichtig ist, wie es der Ökonom Joseph Schum­peter (1883–1950) erklärte, dass aus dieser Freiheit ein kon­ti­nu­ier­licher Prozess der Ver­bes­serung ent­steht – er nannte dies: „kreative Zer­störung“. Es ist diese ständige Wei­ter­ent­wicklung – das Ent­decken und das auf den Markt Bringen neuer Waren und Dienst­leis­tungen, Wege zu finden, bestehende Erzeug­nisse und Dienst­leis­tungen zu ver­bessern und kos­ten­güns­tigere Mög­lich­keiten zu ent­wi­ckeln, diese Waren und Dienst­leis­tungen auf den Markt zu bringen –, die letztlich das Wirt­schafts­wachstum treibt und den Lebens­standard steigert.
Tat­sache ist: Während die Anhäufung von Kapital ein Merkmal einer Markt­wirt­schaft ist, beschränkt sich diese Erscheinung nicht auf die Markt­wirt­schaft. Es ist die per­sön­liche Freiheit und die Neue­rungen, die daraus ent­stehen, die den Motor des Kapi­ta­lismus antreiben.
Mythos 4: Kapi­ta­lismus schafft „Gewinner“ und „Ver­lierer“
Es stimmt zwar, einige Ein­zel­per­sonen und Unter­nehmen sind erfolg­reich im Kapi­ta­lismus, während andere es nicht sind, aber dies ist kein Allein­stel­lungs­merkmal von Märkten. In allen Wirt­schafts­sys­temen haben einige Ein­zel­per­sonen Erfolg, andere eben nicht.
Der Kapi­ta­lismus unter­scheidet sich in dieser Hin­sicht jedoch in zwei wesent­lichen Punkten. Erstens, der Kapi­ta­lismus erhöht die Anzahl der „Gewinner“. Im Gegensatz zu anderen Wirt­schafts­ord­nungen ver­ringert der Kapi­ta­lismus die Ein­tritts­hürden in das Markt­ge­schehen für eine größere Zahl von Per­sonen. Der daraus ent­ste­hende Wett­bewerb bietet größere Erfolgs­mög­lich­keiten (sowohl größere als auch kleinere) als jede andere Ordnung.
Zweitens, die Gesell­schaft in ihrer Gesamtheit gewinnt durch Märkte auf lange Sicht. Das liegt daran, dass Märkte, wie oben erwähnt, mehr Güter und Dienst­leis­tungen für mehr Men­schen zugänglich machen als jede andere Ordnung.
Märkte bringen auch Waren und Dienst­leis­tungen hervor, die das Leben auf eine Art und Weise ver­bessern, von der unsere Vor­fahren nie zu träumen gewagt haben. Allein der Ver­gleich mit dem, was heute und was vor 30 Jahren vor­handen war, genügt. Die schlichte Tat­sache ist, heut­zutage haben die ärmsten Ame­ri­kaner mehr Güter und Dienst­leis­tungen zu ihrer Ver­fügung als es Könige und Köni­ginnen vor nur zwei­hundert Jahren hatten.
Auch wenn ein­zelne Unter­nehmen scheitern und ein­zelne Men­schen keinen großen Reichtum erwirt­schaften können: Auf lange Sicht gewinnen alle, indem sie einen höheren Lebens­standard als frühere Gene­ra­tionen genießen.
Es braucht bessere Bildung
Wenn die Ver­ei­nigten Staaten ihre Wirt­schaft wei­terhin wachsen und die Lebens­be­din­gungen der Bürger ver­bessert sehen wollen, ist es wichtig, Schüler und Stu­denten die Grund­lagen der Wirt­schafts­ordnung zu lehren, die es ihnen erlaubt, Adam Smiths „all­um­fas­senden Über­fluss“ zu genießen. Ohne dieses grund­le­gende Wissen werden sie leicht dazu gebracht, die Mythen zu glauben, die ich erwähnt habe, und Poli­tiker und Poli­tik­an­sätze zu wählen, die letztlich die Ordnung unter­graben, die ihr Leben wesentlich besser gemacht hat als das ihrer Vor­fahren und das der meisten anderen ihrer Zeit­ge­nossen auf der ganzen Welt.
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Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Arno Stöcker (Ludwig von Mises Institut Deutschland). Der Ori­gi­nal­beitrag mit dem Titel 4 Common Capi­talism Myths Debunked ist am 9.1.2018 auf der website der Foun­dation of Eco­nomic Edu­cation erschienen.