Im deutschen Recht gibt es Gesetze. Die Gesetzestexte zählen Tatmerkmale auf, deren Kriterien abgearbeitet werden, ob sie erfüllt sind — zum Beispiel ob Mord oder Totschlag. Das Gesetz definiert dann gleichzeitig den Rahmen des Strafmaßes oder der Schadenswiedergutmachung. In diesem Rahmen muss sich der Richterspruch bewegen.
Das Englische Fallrecht funktioniert ganz anders als das deutsche Rechtsstaatprinzip. Im englischen „Case of Law“ orientiert sich das Urteil an früheren Urteilen in ähnlich gelagerten Fällen, wovon es Niederschriften in riesigen Bibliotheken gibt. Der Nachteil des „Case of Law“ besteht darin, dass man sich heftigst darüber streiten kann, inwieweit der vorliegende Fall mit dem Fall X oder Y ähnlich ist, oder ob er nicht eher eine Besonderheit aufweist, die im Fall Z Anno Dazumal zu einem ganz anderen Urteil geführt hat. Wird argumentiert, dass es einen ganz besonderen Hintergrund oder Umstand gegeben hat, der eine völlig andere, von den bisherigen Fällen abweichende Beurteilung erfordert, muss man dieses „Overruling“ sehr sorgfältig begründen. Dann dient dieser Fall in Zukunft als Präzedenzfall für weitere, ähnlich gelagerte Fälle. Der Vorteil des „Case of Law“-Rechtssystems ist, dass die Strafmaße und Geldstrafen alle in einem gerechten und nachvollziehbaren Verhältnis zueinander stehen.
Zur Zeit stehen zwei Urteile in Strafverfahren im öffentlichen Raum, die für großes Aufsehen gesorgt haben: Der Mord an Mia V. ind Kandel und das Urteil gegen Nino K. in Dresden wegen eines Anschlages auf die Dresdener Fatih-Camii Moschee.
Der Mörder, Abdul D., der die 15 Jahre junge Mia in Kandel, mit einem Messer grausam zigfach niedergestochen und getötet und ihr Gesicht vollkommen zerschlitzt hat, erhält acht Jahre und fünf Monate Haftstrafe, die Staatsanwaltschaft hatte auf zehn Jahre plädiert.
Nino K. hatte 2016 zwei Rohrbomben gebaut und in einem Eimer mit brennbaren Materialien vor einer Tür der Moschee abgestellt. Durch eine Zeitschaltuhr wurden die beiden selbst gebastelten Bomben zur Explosion gebracht. Es gab einen kurzen Feuerball, die Wand um die Tür wurde vom Qualm und Ruß geschwärzt. Der Imam und seine Frau, die sich in ihrer Wohnung in der Moschee aufhielten, kamen mit dem Schrecken davon. Nino K. wird zu fast zehn Jahren Haft verurteilt.
Wir stellen also fest: Abdul D. ermordet ein wehrloses, fünfzehnjähriges Mädchen und erhält eine deutlich geringere Strafe als Nino K., der unter dem Strich eine Sachbeschädigung begangen und dem Imam und seiner Frau einen Schrecken eingejagt hat. Das sorgt für Empörung.
Nach dem „Case of Law“ hätte es zu solchen Urteilen wahrscheinlich nicht kommen können. Eine de-facto Sachbeschädigung und ein gehöriger Schrecken würden nicht schwerer bestraft werden als ein grausamer Fememord.
Zumal bei beiden Fällen Besonderheiten festzustellen sind.
Fall Abdul D., Kandel:
Nach den Umständen, die öffentlich bekannt wurden, handelt es sich bei dem Täter Abdul D. um einen besonders grausamen Mord. Augenzeugen sprechen von einen Abschlachten und Verstümmeln des Mädchens. Überdies zeigt der Täter keinerlei Reue, ja er „grinste“ sogar zufrieden bei seiner Festnahme an der Leiche des Mädchens.
Das Urteil von acht Jahren und sechs Monaten stützt sich auf das Jugendstrafrecht. Die medizinische Inaugenscheinnahme geht aber von einem deutlich höheren Alter aus. Wahrscheinlich sei das Alter zum Tatzeitpunkt 20 Jahre gewesen. Man könne aber nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass Abdul D. nicht doch erst siebzehn Jahre und sechs Monate alt gewesen sei. Insofern war eine Bestrafung nach Jugendstrafrecht möglich. Ob angebracht, sei dahingestellt.
Der Mord war von schockierender Grausamkeit, das Opfer war bereits vor dem Mord schon umfangreichen Beleidigungen, ernsten Drohungen und anderen Straftaten von Seiten des Täters ausgesetzt. Es wäre also durchaus die Höchststrafe von zehn Jahren für einen Jugendlichen angebracht gewesen. Dass der Angeklagte in Bezug auf sein Alter massiv gelogen hatte, ist erwiesen.
In Anbetracht der Tatsache, dass Abdul D. mit guten Gründen eher als Heranwachsender mit 18 Jahren Alter hätte angesehen werden können, wäre auch eine Haftstrafe von 15 Jahren möglich gewesen.
Es gab keinen erkennbaren Grund, bei den vorliegenden Tatmerkmalen, von der Höchststrafe von zehn Jahren, die das Jugendstrafrecht vorgibt, nicht Gebrauch zu machen. Die Milde des Gerichtes wird weiter Öl ins Feuer des Unmuts gießen, der sich in der Bevölkerung breit macht.
Der Verdacht des „Migrantenbonus“ verfestigt sich dadurch leider bei sehr großen Teilen der Bevölkerung.
Fall Nino K.:
Der sogenannte „Moscheebomber“ wurde am letzten Freitag zu neun Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Nino K. hatte den Anschlag im Februar dieses Jahres gestanden. Er gab zu, im September 2016 selbst gebaute Rohrbomben in einem Eimer mit brennbaren Stoffen neben der Tür der Dresdener Fatih-Camii Moschee zur Explosion gebracht zu haben.
Ihm wurden im Prozess versuchter Mord, besonders schwere Brandstiftung und die Herstellung von Brandsätzen zur Last gelegt.
Den Mordvorwurf stritt er stets beharrlich ab: „Ich hatte nie vor, Menschen zu verletzen oder gar in die Gefahr des Todes zu bringen.“ Es sollte nach seinen Worten lediglich „einen Feuerball und einen lauten Knall“ geben. „Ich wollte nur ein Zeichen setzen.“
Nino K. erläuterte, er habe kein Licht gesehen und daher angenommen, dass niemand im Gebäude anwesend sei. Er sei schockiert gewesen, als er später erfuhr, dass die Familie des Imams in ihrer Wohnung in der Moschee war. Er betonte ausdrücklich, dass er die Tat bereue.
Nino K. wurde als „Pegida-Redner“ erschwerend zur Last gelegt, dass er aus fremden- und islamfeindlichen Motiven gehandelt habe. Umgekehrt wurde aber bei der Gerichtsverhandlung gegen Abdul D. nicht als erschwerend angesehen, dass Abdul K. wegen seines muslimischen Glaubens Frauen als minderwertig ansieht und daher aus verletzter Mannesehre tötete. Das ist ebenso grundgesetzwidrig und moralisch verwerflich, wie eine „außerordentlichen Abneigung gegenüber Ausländern muslimischen Glaubens“, wie der Staatsanwalt im Fall Nino K. es formulierte.
Brandstiftung ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Das heißt, dass das, was bei der Brandlegung wirklich als Schaden dann auch geschehen ist, eine große Rolle in der Beurteilung und im Strafmaß spielt.
Eine Brandstiftung nach § 306 StGB ist einerseits ein Eigentumsdelikt, nämlich in diesem Fall die Beschädigung der Moschee. Das öffentlich gemachte Foto zeigt, dass hier mehr als Rußspuren an der Außenwand nicht verursacht wurden. Selbst Wikipedia, der Kumpanei mit „Rechten“ unverdächtig, schrieb damals: „Die eher überschaubare Brisanz der Sprengkörper und deren gefundene verkohlte Reste lassen auf die Verwendung von Molotowcocktails schließen.“
Einmal mit einem Kärcher abgespritzt und überstrichen, ist der Schaden behoben.
Der Täter Nino K. beteuerte stets, er sei davon ausgeganngen, dass sich keine Menschen im Gebäude befanden. Er habe nur „ein Zeichen setzen“ wollen. Man darf also berechtigterweise und aufgrund der „schockierten Reaktion“ des Angeklagten davon ausgehen, ein direkter Vorsatz (dolus directus) sowie ein bedingter Vorsatz (dolus eventualis) zum Mord nach § 211 StGB nicht bestand.
So wäre im vorliegenden Fall eine Brandstiftung im minder schweren Fall nach § 306 (2) StGB möglich gewesen. Das Strafmaß hätte sich zwischen sechs Monaten bis zu fünf Jahren bewegt. Dazu träfe ihn noch der Schadensersatz für die Beseitigung des Brandschadens.
Das Gericht erkannte aber auf besonders schwere Brandstiftung und versuchten Mord. Sehen wir uns das einmal an:
§ 306a StGB (Schwere Brandstiftung):
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
1. ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2. eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3. eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Der Angeklagte Nino K. zündete den Brandsatz vor einer Moschee, es kommt also § 306 (1) Abs. 2 (Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude) und Abs. 3 (Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen) in Betracht. Der Angeklagte versicherte aber, davon ausgegangen zu sein, dass niemand im Gebäude war, weil er kein Licht sah und die Moschee verlassen wähnte. Nino K. ging also davon aus, dass er seine Tat nicht zu einer Zeit beging, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen. Er wusste nicht, dass der Imam mit seiner Familie in dem Gebäude wohnte. Daher ist im Zweifel davon auszugehen, dass dies so stimmte, zumal der Täter geständig war (in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten). Also ist fraglich, ob § 306 a (1) Abs. 3 angewendet werden kann.
Hier greift wahrscheinlich eher der Vorwurf der Fahrlässigkeit, also dolus eventualis II. Grades.
Zusätzlich hat der Brand nicht den Wohnraum erfasst. Eine Brandstiftung und versuchter Mord kann nur dann als Straftat gewürdigt werden, „wenn ein wesentlicher Bestandteil der eigentlich dem Wohnen dienenden Räumlichkeit (etwa die Wohnungstür) tatsächlich vom Feuer erfasst ist“.
Das ist hier nicht der Fall gewesen. Es gilt die restriktive Auslegung.
Nach dem Foto, das nur eine kleinräumige Rußverfärbung der Tür und der Wand daneben zeigt, könnte hier in der Tat von einem minder schweren Fall ausgegangen werden. Die schwächeren Taten, die in Tateinheit mit dem Brandanschlag begangen wurden, wie Sachbeschädigung, ruhestörender Lärm, Verstoß gegen das Waffengesetz, können strafverschärfend gewertet weden, gehen aber im Prinzip im schwerwiegenderen Delikt der Brandstiftung auf (Konsumtion).
Nach § 306 a (3) beträgt in minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 die Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und acht Monaten ist auf diesem Hintergrund äußerst erklärungsbedürftig. Im englischen Case of Law hätte das Gericht dieses „Overruling“ überzeugend und exakt begründen müssen.
Der Verdacht des „Böse-Rechte-Malus“ verfestigt sich dadurch leider bei sehr großen Teilen der Bevölkerung.
Hätte Abdul D. für seine grauenhafte Tat die Höchststrafe von zehn Jahren im Jugendstrafrecht erhalten und Nino K. die Höchststrafe für schwere Brandstiftung im minder schweren Fall von fünf Jahren, wäre das gerecht und nachvollziehbar gewesen.
So gibt es jetzt zwei fatale Urteile, für die keine juristische Notwendigkeit bestand.