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EZB-Politik: Ent­eignung oder nicht?

Letzte Woche habe ich bei Twitter etwas schnell reagiert. Kollege Markus Krall ging in einem Tweet Mark Schieritz, geschätzter „ZEIT ONLINE“-Kolumnist, harsch an. Aus­löser war ein Beitrag von Schieritz, der auf­zeigt, dass die Deut­schen eigentlich Gewinner der Politik der EZB seien und jene, die die EZB kri­ti­sieren, „Res­sen­ti­ments schüren gegen die EZB, den Euro und die Euro­päische Union im All­ge­meinen, um den Prozess der euro­päi­schen Einigung zu delegitimieren.“ 
Nun bin ich keiner der Schwarz-Weiß-Kri­tiker der EZB, müsste mir den Schuh also gar nicht anziehen, dennoch hat mich diese Aussage gestört. Kann man doch zwei­fellos Kritik an der EZB üben, ohne gleich im Lager der Anti-Europäer zu landen. Ohnehin halte ich es nicht so sehr mit Lagern. Hinzu kam, dass Schieritz im gleichen Artikel die Ren­ten­stei­ge­rungen lobt. Da habe ich bekanntlich eine gänzlich andere Sichtweise. 
Schieritz jeden­falls scheint sich über die Tweets richtig geärgert zu haben und twit­terte dann am Abend, dass Krall und ich wohl lieber in Argen­tinien leben würden, wo wir 60 Prozent Zinsen bekämen: 
Quelle: Twitter
Da war die Dis­kussion wohl ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Sicherlich nicht meine Absicht, schätze ich doch die Bei­träge von Schieritz sehr, gerade auch wenn ich nicht gleicher Meinung bin. Grund genug, sich dem Thema nochmals grund­legend zu nähern. Deshalb heute vier ver­schiedene Bei­träge, die ich dazu in bewährter Form kommentiere. 
Beginnen wir mit dem Aus­gangs­punkt der Dis­kussion: Der Mythos von der Ent­eignung der Sparervon Mark Schieritz in der ZEIT ONLINE: 
  • „Sie werden (…) aus­ge­raubt, ent­eignet, abge­zockt. Und zwar von Mario Draghi höchst­per­sönlich, dem Prä­si­denten der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB), der dem deut­schen Sparer den Zins weg­nimmt und damit der Mas­sen­ver­elendung im Alter den Weg bereitet. So ungefähr ist die Debat­tenlage in Deutschland, seit die Bun­desbank unlängst ver­kündet hat, dass die reale Rendite des deut­schen Volks­ver­mögens im ersten Quartal dieses Jahres negativ war, also Ver­mögen nach Abzug der Inflation ver­nichtet wurde.“ – bto: was natürlich eine tolle Schlag­zeile ist, aber diese trügt, wo Schieritz mit seiner nun fol­genden Kritik einen Punkt hat.
  • „(…) dennoch wird das Bild vom gebeu­telten Sparer und der dadurch bedingten Alters­armut der Rea­lität nicht gerecht. Das liegt zum einen daran, dass sich das Geld­ver­mögen der pri­vaten Haus­halte in Deutschland – Bargeld, Bank­ein­lagen, Aktien, Ver­si­che­rungs­po­licen – zwar in den ersten drei Monaten dieses Jahres tat­sächlich ver­ringert hat, dafür aber in den Jahren zuvor kräftig gestiegen ist. Nach Daten der Bun­desbank belief sich das Geld­ver­mögen im Jahr 2010 auf 4.546 Mil­li­arden Euro. Aktuell beträgt es 5.875 Mil­li­arden Euro.“ – bto: So, da haben wir gleich mehrere Aspekte. Zum einen haben wir nicht nur Geld­ver­mögen und gerade die Sach­werte haben in den letzten Jahren enorm gewonnen, auch wegen der Politik der EZB. Insofern sind wir noch viel reicher als 2010. Zum anderen darf man nicht einfach die zwei Zahlen mit­ein­ander ver­gleichen. Setzen wir eine Infla­ti­onsrate von zwei Prozent pro Jahr an, müsste das Geld­ver­mögen in den acht Jahren auf 5.326 Mil­li­arden steigen, nur um die Inflation aus­zu­gleichen. Dann haben wir real nur rund 500 Mil­li­arden mehr. Nehmen wir für den Zeitraum von rund acht Jahren, ein BIP von über 3.000 Mil­li­arden und eine Spar­quote von fünf Prozent an, so haben wir alleine durch Ersparnis in diesen Jahren 1.200 Mil­li­arden Euro gespart. Über­schlägig ist der nominale Anstieg der Geld­ver­mögen damit zu 100 Prozent erklärt. Real fehlen rund 700 Mil­li­arden. Ja, die Rechnung ist über den Daumen. Deshalb hier etwas genauer. Daten sind Sta­tis­ti­sches Bundesamt/Statista (ich bitte die Form zu ent­schul­digen, es ist ein ein­faches Excel Sheet):

  • Wenn das diese berühmte Ent­eignung sein soll, dann möchte man doch gerne noch ein wenig mehr ent­eignet werden.bto: also ich nicht, wie meine über­schlägige Rechnung zeigt. Außerdem ver­gisst Schieritz, dass es sich um unter­schied­liche Bevöl­ke­rungs­gruppen handelt. Dazu kommt er später aber meines Erachtens aus einem zu ein­sei­tigen Blickwinkel.
  • „Keine Frage: Die Ver­mehrung des Geld­ver­mögens ist nicht nur darauf zurück­zu­führen, dass sich das ange­legte Geld ver­mehrt hat. Es ist schlicht auch mehr Geld angelegt worden. Aber das konnten sich die Deut­schen nur leisten, weil mehr Arbeits­plätze geschaffen wurden, die Löhne zulegten und ihnen deshalb mehr Ein­kommen stand. Wer nämlich nichts ver­dient, der kann auch nichts sparen. Und die nied­rigen Zinsen haben ent­scheidend dazu bei­getragen, dass in Deutschland so viele Arbeits­plätze ent­standen und die Löhne gestiegen sind.“ – bto: Da bin ich wie­derum voll bei Schieritz. Sehe ich doch auch Draghi und die EZB als Getriebene, die retten müssen, was sie nicht retten können und die Politik auch nicht retten könnte, sie es aber nicht mal pro­biert. Aber das darf ich nicht schreiben, weil, das wäre ja Res­sen­ti­ments schüren gegen die EZB, den Euro und die Euro­päische Union im All­ge­meinen um Schieritz zu zitieren.
  • „Für die meisten Bun­des­bürger ist das Zins­niveau nicht die rele­vante Größe für die Alters­vor­sorge. 30 Prozent der Deut­schen haben per Saldo, also abzüglich der Schulden, prak­tisch keine Ersparnis. Es nützt ihnen also über­haupt nichts, wenn die Zinsen steigen. Dafür nützt es ihnen sehr wohl etwas, wenn die Renten steigen. Und was tun die Renten gerade? Genau: Sie steigen. Und zwar allein in diesem Jahr um 3,22 Prozent in den alten Bun­des­ländern und um 3,37 Prozent in den neuen Bun­des­ländern.“ – bto: So, und jetzt ärgere ich mich. Ja, 30 Prozent haben nichts. Nun aber zu sagen, der Rest ist so reich und kann es deshalb bezahlen, stimmt auch nicht. Das liegt daran, dass gerade die Klein­sparer ihr Geld in Geld­ver­mögen sparen. Damit haben wir hier ein soziales Problem, welches Schieritz zu leicht­fertig weg­wischt. Wenn man nun die Abgel­tungs­steuer für Zins­ein­kommen abschaffen will, dann trifft das auch nicht den Mil­lionär, sondern den Fach­ar­beiter, der schon ab dem 1,3‑Fachen des Durch­schnitts­ein­kommens als Spit­zen­ver­diener zählt und so besteuert wird. Das ist hoch ungerecht!
  • „Erst diese Woche hat die Bun­des­re­gierung eine Sta­bi­li­sierung des Ren­ten­ni­veaus bis zum Jahr 2025 beschlossen. Das kann sich das Land leisten, weil die Kon­junktur so gut läuft. Und warum läuft die Kon­junktur so gut? Sie haben es erraten: weil die Geld­po­litik die Wirt­schaft stützt. Anders gesagt: Die Zins­de­batte ist bei Lichte betrachtet eine Gut­ver­die­n­er­de­batte.“ – bto: Es ist eine Fach­ar­bei­ter­de­batte, die schon heute als „reich“ behandelt werden, es aber objektiv gesehen nicht sind. Die Deut­schen gehören schon jetzt zu den Ärmsten der Eurozone! Und es ist ein Wahnsinn, was die Regierung da betreibt, weil sie, statt zu inves­tieren, den Konsum steigert. Meine Meinung dazu habe ich hier klar gemacht: → Renten sichert man nicht durch mehr Umverteilung!
  • „(…) wie jeder Mythos hat auch dieser eine Funktion: Er soll (…) Res­sen­ti­ments schüren gegen die EZB, den Euro und die Euro­päische Union im All­ge­meinen, um den Prozess der euro­päi­schen Einigung zu dele­gi­ti­mieren. Bis die Errun­gen­schaften der Nach­kriegszeit in Trümmern liegen und an die Stelle des Europas der Einheit ein Europa der Nationen tritt. Was ja bekanntlich nicht ganz so gut funk­tio­niert hat.“ – bto: Sorry, aber das hat eben nichts mit der Kritik zu tun und ist meines Erachtens nicht ange­messen. Es ist eine Art der Argu­men­tation, die wir sonst nur in der Zuwan­de­rungs­de­batte kennen. Und es spricht nicht für die Stärke des inhalt­lichen Argu­ments. Sorry.
Auf jeden Fall lohnt es sich, etwas genauer auf das Thema zu blicken. Hier brachte die WELT in dieser Woche den Beitrag Deutschland soll plötzlich Pro­fiteur der EZB-Geld­po­litik sein:
  • „Erst kürzlich schreckte die Nach­richt auf, dass die deut­schen Sozi­al­ver­si­che­rungs­träger Mil­lionen an Straf­zinsen zahlen müssen, weil sie ange­sichts der Dau­er­nied­rig­zinsen hohe Summen ihrer Bei­trags­zahler lieber bunkern, statt diese anzu­legen.“ – bto: statt sie den Bei­trags­zahlern zurückzugeben!
  • „Sparer und Lebens­ver­si­cherte hier­zu­lande fühlen sich bereits seit Langem als die großen Ver­lierer in der Euro-Zone. Doch eine neue Studie der ame­ri­ka­ni­schen Invest­mentbank Bank of America Merrill Lynch legt nahe, dass diese Wahr­nehmung zu ein­seitig ist. Die Spa­rer­nation Deutschland leide unter der extrem lockeren Geld­po­litik nicht stärker als andere Euro-Länder (…).“ – bto: was nun nicht sagt, dass die Sparer nicht leiden. Sicher ist es so, dass alle jene weltweit leiden, die ihr Geld in geld­nahen Formen sparen.
  • „Rechne man die Ent­las­tungs­ef­fekte der nied­rigen Zinsen für den Schul­den­dienst mit ein, hat die größte Öko­nomie in den ver­gan­genen zehn Jahren von der ultra­lo­ckeren Geld­po­litik der EZB sogar kräftig pro­fi­tiert.“ – bto: Das kann nun wirklich nie­manden wundern. Natürlich haben wir enorm pro­fi­tiert: a) keine Depression wie nach dem Zerfall des Euro, b) Kon­junk­turboom durch bil­liges Geld und schwachen Euro, c) Ent­lastung aller Schuldner, Ver­mö­gens­preis­in­flation macht Sach­ver­mö­gens­be­sitzer reicher. Aber, dies geht klar zulasten einer Gruppe: jener Men­schen, die nur in Geld­ver­mögen sparen können oder wollen. Muss kein Thema sein, denke aber, es ist zu Recht ein Thema, weil es die Mitte der Gesell­schaft ist. Hinzu kommt, dass dieser Boom auf Sand gebaut ist. Denn weder der Geld­druck­prozess noch die damit ver­bundene Explosion der welt­weiten Ver­schuldung schaffen echten Wohl­stand und können – ent­gegen der Erwar­tungen vieler Beob­achter – auch nicht ewig weitergehen.
  • „Die Debatte in Deutschland kon­zen­triert sich einzig auf die Kosten, die das niedrige Zins­umfeld mit sich bringt. Aber das ist eine unvoll­ständige Sicht auf die Dinge. Die Vor­teile der sehr nied­rigen Geld­po­litik werden ein­deutig ver­nach­lässigt.“ Dazu würden etwa die geringen Ver­schul­dungs­kosten oder der positive Ein­fluss, „den die nied­rigen Zinsen auf andere Ver­mö­gen­s­klassen wie Aktien oder Immo­bilien bringen“ zählen. „Auch das Wirt­schafts­wachstum, Beschäf­tigung sowie Löhne und Gehälter hier­zu­lande hätten von den sehr nied­rigen Zinsen der ver­gan­genen Jahre pro­fi­tiert.“ – bto: So ist es ohne jeden Zweifel. Das Problem ist halt die Ver­tei­lungs­wirkung und diese darf nicht unter­schätzt werden. Auch von jenen nicht, die sich über Popu­lismus Sorgen machen, da es genau jene trifft, die auch so schon unter Druck sind.
  • „Für ihre Analyse (…) einen Blick in die Volks­wirt­schaft­liche Gesamt­rechnung geworfen, die die Zins­ein­künfte und ‑aus­gaben auf­listet und zwar sor­tiert nach pri­vaten und öffent­lichen Haus­halten sowie Unter­nehmen. Ihre Analyse hat sie in drei Zeit­ab­schnitte unter­teilt, um detail­lierter her­aus­zu­finden, welche geld­po­li­ti­schen Maß­nahmen letztlich für die Ver­än­derung ver­ant­wortlich sind. (…) Ergebnis ist ein­deutig: Alle Akteure haben nach der Finanz­krise nied­rigere Zins­ein­nahmen ver­bucht, wenn man diese an der Wirt­schafts­leistung misst.“ – bto: Auch dazu muss man eigentlich nicht groß ana­ly­sieren. Die Soll­zinsen sind stärker gesunken als die Haben­zinsen, was sich in gerin­geren Margen für die Banken nie­der­schlägt, was wie­derum die Genesung des Ban­ken­systems hemmt. Und da wir eine Kon­vergenz der Zinsen dank der EZB-Politik haben, ver­lieren natürlich die mehr, die von einem höheren Niveau kommen.
Quelle: Info­grafik WELT
Was wie­derum auch die andere Erkenntnis der Analyse erklärt, nämlich, dass die Deut­schen nicht die größten Ver­lierer sind, sondern die Ita­liener. Was in der Analyse aller­dings fehlt, ist die Wirkung auf die Immo­bi­li­en­werte. Hier pro­fi­tieren natur­gemäß die Besitzer von Immo­bilien mehr als Mieter. Hier liegen wir deutlich zurück. Schon vor einiger Zeit hatte die nie­der­län­dische Bank ING-DIBA die Ver­tei­lungs­wirkung der EZB-Politik ana­ly­siert und dabei auch die Sach­ver­mögen berück­sichtigt. Das Ergebnis war wenig ver­wun­derlich, aber ein anderes. So rechnet die ING-DIBA vor, dass vor allem Haus­halte in Belgien, Italien, den Nie­der­landen und Spanien von dem bil­ligen Geld pro­fi­tieren. Die Ver­mö­gens­werte dort steigen, während die Belastung durch die Schuld­zinsen gesenkt wurde.
Inter­essant an dem Chart ist übrigens auch, dass der Effekt der Geld­po­litik offen­sichtlich abnimmt. Auch das ist natürlich zu erwarten. Die Zins­senkung wirkt nur einmal. Damit nähert sich die EZB der Wir­kungs­lo­sigkeit – wenn sie da noch nicht ist – weshalb in der nächsten Phase der Krise die Heli­kopter kommen. 
Dabei ist es nicht so einfach, nur die Zins­ein­nahmen und ‑aus­gaben zu ver­gleichen. Es gibt noch mehr Fak­toren. So zitiert die F.A.Z. eine Studie, die sich mit den Wir­kungen auf Ver­si­che­rungen befasst:
  • „Wie viel deutsche Sparer tat­sächlich ver­loren haben, wurde seither nur unbe­frie­digend beant­wortet. Denn im Wesent­lichen bestanden die Ana­lysen darin, das Zins­niveau vor den EZB-Inter­ven­tionen fort­zu­schreiben und die Kapi­tal­erträge mit­ein­ander zu ver­gleichen. So kam etwa die DZ Bank im Jahr 2016 auf eine Zins­einbuße der Bürger von 344 Mil­li­arden Euro in den sechs Jahren nach 2010.“ – bto: wobei man sagen muss, dass diese Her­an­ge­hens­weise nicht völlig falsch ist. Es ist eine zulässige Betrachtung.
  • „For­scher der Goethe-Uni­ver­sität (gehen) in einer gerade ver­öf­fent­lichten Studie der Frage nach, welchen Ein­fluss geld­po­li­tische Inter­ven­tionen auf Ver­si­cherer haben. (…) Die geld­po­li­tische Lockerung (Quan­ti­tative Easing, QE) habe einen mode­raten nega­tiven Effekt auf Ver­si­cherer gehabt. Je weiter sich die Finanz­märkte aller­dings aus der Krise heraus bewegt hätten, desto geringer sei der Ein­fluss auf die Akti­en­kurse gewesen, die ja wider­spiegeln, welche künf­tigen Erträge Anleger erwarten und die damit ein guter Indi­kator für den Effekt der geld­po­li­ti­schen Inter­vention sind.“ – bto: Das ist als solches eine ebenso denkbare Vor­ge­hens­weise. Vor­aus­setzung ist, dass man den Effekt an den Märkten wirklich so iso­lieren kann. Da bin ich nicht zu 100 Prozent überzeugt.
  • „Der Effekt auf einen ein­zelnen Ver­si­cherer hängt von seiner Größe und von seinem Anla­ge­port­folio ab. In Staaten wie Belgien, Frank­reich, den Nie­der­landen und Spanien, wo Ver­si­cherer sehr stark auf fest­ver­zins­liche Wert­pa­piere setzen, um ihre lang­fris­tigen Zins­ver­sprechen an Kunden zu erfüllen, sei der Effekt sehr groß. Deutsche Ver­si­cherer werden in der Studie zwar nicht explizit erwähnt. Aber es gibt auch für sie Daten, und mit der starken Fokus­sierung auf Alters­vor­sor­ge­pro­dukte mit langen Garantien haben auch sie unter dem Verfall des Zinses stärker zu leiden gehabt als etwa Markt­teil­nehmer in den angel­säch­si­schen oder den skan­di­na­vi­schen Ländern, die von der Geld­po­litik ver­gleichs­weise wenig stark getroffen waren.“ – bto: So dürfte es sein.
  • „Einen recht objek­tiven und unab­hän­gigen Blick auf die Lage der Ver­si­cherer in Zeiten des Nied­rig­zinses liefert all­jährlich der Finanz­sta­bi­li­täts­be­richt der Deut­schen Bun­desbank. Ein Jahr nach Ein­führung neuer Kapi­tal­regeln (Sol­vency II) hätten deutsche Lebens­ver­si­cherer Ende 2016 im Median (die Hälfte der Gruppe lag dar­unter) 291 Prozent der erfor­der­lichen Mittel auf­ge­wiesen. Aller­dings hätten dabei auch zwei Drittel der Unter­nehmen auf Über­gangs­regeln zurück­ge­griffen, die ihnen die Kal­ku­lation erleichtern. 14 von 87 Unter­nehmen hätten ohne diese nicht das Min­dest­ka­pital erreicht.“ – bto: Die Pro­bleme wachsen mit jedem Jahr der Null­zinsen. Sollte es wirklich zu einem Zins­an­stieg kommen, würde dieser im Port­folio der Ver­si­cherer noch schlimmere Spuren hin­ter­lassen. Gerade bei den Ver­si­che­rungen ist es die Zeit, die sich bemerkbar macht. Ein Blick nach Japan hilft hier.
Irgendwie eine nicht so klare Aussage, was aber dennoch ein Fazit erlaubt. Sparer jammern zu Recht, aber so ist nun mal in einer Welt, in der Sparer keinen öko­no­mi­schen Nutzen haben. Es gibt Gewinner an anderer Stelle, weshalb es allen netto besser geht, vor allem, wenn wir auch noch die ver­hin­derte Depression infolge des Euro­zer­falls einrechnen. 
Klar ist aber auch, dass die EZB mit ihrer Politik nur das Problem ver­schleppt und ver­größert. Man denke nur an weiter stei­gende Schulden und Zombies, die nach­haltig das Wachstum dämpfen und die Schulden noch untrag­barer machen. Das müssen wir kri­ti­sieren und dringend über Alter­na­tiven nachdenken. 
Vor allem müssen wir immer daran denken, dass die EZB eigentlich die falsche Adresse ist, weil sie nur so handeln muss, weil die wirklich Ver­ant­wort­lichen nicht handeln.
Daran erinnert FT Alpha­ville: There’s only so much a central bank can do alone:
  • „Yes­terday Holger Steltzner of the Frank­furter All­ge­meine made clear (link in German) how he felt about
    – Mario Draghi,
    – Angela Merkel for allowing Mr Draghi to become pre­sident of the ECB,
    Ms Merkel for declining to insist that Jens Weidmann become the next pre­sident of the ECB,
    – Anyone who believes that Italy should have a veto on the next pre­sident of the ECB, and
    Anyone who believes that Germany should have to offer some­thing in return for its choice of the
    next pre­sident of the ECB.“
– bto: Das ist eine gute Zusam­men­fassung des Artikels, der einen ent­schei­denden Satz beinhaltet: Das ist ihr gutes Recht und poli­tisch sogar nach­voll­ziehbar. Denn im Zentrum ihrer Politik stehen seit langem nicht hiesige Sparer oder Steu­er­zahler, sondern die Flücht­linge.
  • Mr Steltzner does not approve of any of these people. Tog­ether, their actions have allowed the ECB to drop its policy rates below zero, reducing the value of savings and inflating a pro­perty bubble. He has a point. All of these things hap­pened, and he’s right to point out the limi­ta­tions of pur­suing eco­nomic growth through monetary policy.“ – bto: Da stimmen wohl alle zu.
  • „What Mr Steltzner misses, however, is that this all hap­pened when regu­latory and fiscal policies in the eurozone were a tangled, con­trac­tionary mess. Mr Draghi did what he did not to punish German savers, but because no other actor at any level of the EU or its member states had both the will and the power to do any­thing else.“ bto: Die EZB hat auch nicht beschlossen, den Euro ein­zu­führen. Das waren die Poli­tiker und die sollten auch die Krise lösen. Sie weigern sich aber, weil jede Antwort poli­tisch nicht zu ver­kaufen ist bzw. nichts bringt.
  • „(…) there is only so much central bankers can do. The limited ability to raise or lower the price of debt is a battle axe. It is neither clean nor accurate. It’s just the tool that central banks happen to have. And for the last decade, as the Fed, the ECB and the Bank of Japan have whacked at the pro­blems of low growth and financial insta­bility, they have done so only because poli­ti­cians, who have better tools for detailed work, have been reluctant to use them.“ – bto: wobei ich da skep­tisch bin. Man kann den Euro in jet­ziger Form nur über die Runden bringen, nicht zum Erfolg führen.
  • „This is the unique and per­verse curse of central banking. They are the best places to find research in applied eco­nomics, because they do actually have to under­stand what is hap­pening to make policy. Once they under­stand, however, they are often powerless. You could hear Ben Ber­nanke make this case in a speech in 2012 where he begged European and Ame­rican poli­ti­cians for any kind of expan­sionary fiscal policy. That’s not what Mr Ber­nanke got. Instead, he had to con­tinue to ease credit in the United States, and watch as Mr Draghi eased credit in the eurozone, to the dis­ap­pointment of Holger Steltzner of the Frank­furter All­ge­meine. There’s only so much that monetary policy can do.“ – bto: Auch das kann man nur ganz dick unterstreichen.
Was bleibt also? Die Erkenntnis, dass 
  • die EZB die einzige hand­lungs­be­reite Insti­tution war und ist, um den Euro zu erhalten;
  • sie dabei ohne demo­kra­tische Legi­ti­mation eine Umver­teilung vor­nimmt – von Geld­ver­mö­gens­be­sitzern zu Schuldnern und Sachvermögensbesitzern;
  • die Maß­nahmen bisher per Saldo das Ver­mögen gesteigert haben, aller­dings mit erheb­lichen Neben­wir­kungen von Zombies, über stei­gende Schulden bis zu TARGET2-Salden;
  • sie mit ihren Maß­nahmen nur Zeit kaufen kann und es ohne eine echte Lösung zum großen Knall kommen wird;
  • eine Lösung mit den Poli­tikern, die wir haben, nicht zu erwarten ist und deshalb der Knall eine Frage der Zeit ist;
  • der Knall, wenn er dann kommt, umso bru­taler wird, je länger die Politik Zeit kauft;
  • wir uns darauf vor­be­reiten müssen und es jederzeit pas­sieren kann (Italien?), aber auch noch viele Jahre dauern.
Was die Dis­kussion um den Artikel von Mark Schieritz betrifft, so bleibt nur die Erkenntnis, dass er aus meiner Sicht die Zusam­men­hänge zu pau­schal dar­ge­stellt hat, die Ren­ten­ge­schenke fälschlich lobt und über­eilig jeden Kri­tiker gleich in die rechte Ecke stellt. Ansonsten hat er recht.

Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com
zeit.de: „Der Mythos von der Ent­eignung der Sparer“, 30. August 2018
welt.de: „Deutschland soll plötzlich Pro­fiteur der EZB-Geld­po­litik sein“, 20. August 2018
faz.net: „Deutsche Ver­si­cherer trifft die Geld­po­litik besonders“, 30. August 2018
faz.net: „Merkels EZB-Politik“, 27. August 2018
ftalphaville.ft.com: „There’s only so much a central bank can do alone“, 29. August 2018