Doch solche Kämpfe toben ja ständig in mir. Auch bei der Energiewende sage ich mir oft, man möge doch bitte endlich einfach auf die Grünen hören und mit einem Countdown von ein paar Tagen alle Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz nehmen – am besten jetzt am Wochenende, während die Bundesliga spielt und die Stadien beleuchtet werden müssen, während die Sonne nicht scheint und der Wind nicht… Doch die Vernunft hält den Knöchel des Fatalismus fest umklammert, den Laden mit der anderen Hand am Laufen und das Licht leuchtet weiter. Die einen glauben, es könne gar nicht verlöschen, denn es brannte ja immer und die anderen, die das nicht glauben, lassen es zum Glück soweit erst gar nicht kommen. Egal, wie sehr sie dafür gescholten werden.
Demokratie in Bayern, sowas gab’s doch gemäß der anerkannten Definition im Grunde noch nie, oder? Regierungswechsel, eines der Merkmale der Demokratie, wie wir alle mal in der Schule gelernt haben und wie wir es aller Welt wärmstens empfehlen, gab es in Bayern bisher nicht. Immer dieselbe Partei am Drücker im Franz-Josef-Land. Wie schön und toll und modern und digital und grün würde es erst werden, wenn auch Bayern wirtschaftlich aufschließen könnte – Bayern könnte unter Grün endlich Motor der Moderne und wirtschaftliches Zugpferd Deutschlands werden! Was meinen Sie? Das sind die Bayern jetzt schon? Wie kann das denn sein, so ganz ohne Demokratie im weiß-blauen Freistaat und ohne die Grünen? Da gäbe es schon noch weitere Ursachen des Erfolgs, meinen Sie? Freiheit zum Beispiel? Die Regierung halte sich weitgehend aus den Belangen der Bürger heraus, sei verlässlich und sorge für Planungssicherheit bei Investitionen, meinen Sie? Auch gäbe es dort ein Schulsystem, das auf Leistung und Wissensvermittlung ausgelegt ist und in dem die Kinder mehr lernen, als klimafreundliches Lüften und gendersensible leichte Sprache… ja, auch das könnte Teil der Erklärung des bayrischen Erfolges sein. Bayern profitiert seit Jahren von einer großen Homogenität, in der die Regeln des Zusammenlebens, der Wirtschaft und der Kultur eben nicht täglich neu ausgehandelt werden müssen, sondern feststehen.
Damit befindet sich die CSU im krassen Gegensatz zu den Grünen, die heute noch gar nicht wissen, was sie am nächsten Tag bekämpfen wollen, und über eine sehr viel größere ideologische Flexibilität verfügen. Ein Baum ist für die Grünen im Jahr 2018 nicht mehr ein Baum! Denn der eine steht der Zukunft im Weg, wenn etwa ein Windrad gebaut werden muss, während der andere der holzgewordene Protest ist, wenn es gilt, die Kohleförderung zu verhindern. In NRW zum Beispiel beschlossen die Grünen mit der SPD gemeinsam den Abbau von Braunkohle unter dem Hambacher Forst und heute beklatschen sie Baumhäuser im „Hambi“. Wie’s halt passt, da kann sich schon mal was ändern, da muss man flexibel sein. So flexibel wie Kapital, das dort keine Wurzeln schlagen wird, wo der Geist wurzelloser politischer Beliebigkeit über jedem geschlossenen Vertrag schwebt und ein heute gegebenes Wort morgen schon wertlos sein kann.
Die letzte Volkspartei verschwindet
Es ist nicht ganz klar, wie weit man den sagenhaften Umfragewerten der Grünen in Bayern trauen darf. Die Zuwächse auf bald 20% kommen aus zu vielen Richtungen und sind ungewiss. Die Enttäuschung über die ohnehin schon schwache SPD und die schlingernde, durchsetzungsschwache CSU kann sich in einer Umfrage durchaus in der Ankündigung ausdrücken, Grün zu wählen. Ob das am Ende aber dazu führt, dass der Gefragte sich aufrafft und überhaupt zur Wahl geht, darf durchaus bezweifelt werden. Fällt die CSU am Ende tatsächlich auf 35% oder weniger, wäre in Bayern das Ende der letzten Volkspartei in Deutschland in Sicht und der Umbau des letzten Bundeslandes in ein ideologisches Utopia nähme Fahrt auf. Wenn Schulze bedauert, in Bayern nicht genug Windräder aufstellen zu können, weil Flächennutzungspläne und Abstandregeln zu streng seien (was die betroffenen Anwohner aber gar nicht finden), oder wenn sie einem Landwirt ins Gesicht sagt, ihn bei der Umkrempelung seines Hofes auf Biolandbau unterstützen zu wollen (obwohl dieser weder um die Umkrempelung noch ums Mitnehmen gebeten hat), wenn Schulze sofort ins „Hey“ oder gleich ins „Du“ fällt, sobald sie ex cathedra spricht und eigentlich überhaupt nicht einen, sondern alle meint… all das zeigt, dass die Grünen das Bundesland Bayern als Ganzes für einen recht groben Klotz Holz halten, an dem sie nur allzu gern herumhacken würden, um ihn hübsch rund zu machen. Wehe, wenn es wie eine Beute an sie fallen sollte.
Aus grüner Sicht nutzte die CSU ihre Gestaltungsmacht, die ihr aufgrund einer absoluten Mehrheit zufiel, nicht konsequent genug, um Politik zu „machen“ und die Gesellschaft „umzubauen”. Statt die Wirtschaft einfach sich selbst zu überlassen oder darauf zu vertrauen, dass jeder Landwirt und auch jeder Bürger selbst am besten weiß, was gut für ihn ist, entstünde unter grüner Ägide ein bevormundender, ideologisierter bayrischer Staatsapparat, der zumindest beim Start noch über ausreichend Mittel verfügen könnte, um allerlei ökonomische und gesellschaftliche Experimente zu starten. Dass sich die Politik in Bayern auf Festbieranstich und Sonntagsreden beschränkt und sich ansonsten vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, wäre dann vorbei. Die Grünen wollen „gestalten“ und glauben fest daran den Auftrag zu haben, die Sonne jeden Tag gut von Ost nach West zu bringen. Die eigentliche Frage aber, die man sich am Sonntag in Bayern stellen sollte, ist folgende: Läuft Bayern wirtschaftlich so gut, obwohl die CSU in landesfürstlicher Manier „minimalinvasiv“ regiert oder gerade deshalb?
Wenn am 14.10.2018 um 18 Uhr die Grünen nicht die absolute Mehrheit in Bayern in den Prognosen haben, lag es jedenfalls nicht an unseren Medien, die sich nach Kräften bemühten, grüne Selbstverliebtheit und Phrasendrescherei zur Aufbruchstimmung umzufiedeln. Vorneweg der Spiegel, dem im Videoporträt von Katharina Schulze einfach nichts peinlich war. Selfiestimmung liegt in der Luft, wenn Schulze dem politischen Gegner vorwirft, die Kohleverstromung für den „ganz heißen Scheiß“ zu halten. Das tun zwar nicht mal die Betreiber der Kohlekraftwerke, die höchstens von „leider notwendigem Scheiß“ reden würden, aber wer kann in dem Moment den Wortschwall bremsen und fragen, ob all die Anwürfe und Verdächtigungen wirklich stimmen oder nur der schwarz/weiß-Phantasie von Frau Schulze entspringen? Deren Welt teilt sich nämlich exakt in Klimaretter und Klimaleugner, Willkommensklatscher und Hetzjagdveranstalter, Europagegner und Europafreunde. Die „Spaltung der Gesellschaft“ wird von den Grünen gleichzeitig herbeigeführt, beklagt und wie von keiner anderen Partei genutzt. Die Medien, mehrheitlich ohnehin auf grüner Linie, rollen dafür nur zu gern den journalistischen Klangteppich aus.
Schulze beantwortet Fragen mit Grundsätzen
Wie es journalistisch richtig geht, zeigte ausgerechnet die BILD in einer Fragerunde, die man mit der Spitzengrünen veranstaltete. Den Auftritt Schulzes kann man nur als im entlarvenden Sinne gelungen bezeichnen, weil sie auch auf wiederholtes Nachfragen immer noch auf ihren Textbausteinen und Plattitüden beharrte. „Was ich sagen möchte ist das, was ich erwähnt hatte“ – na da schau her, schöner hätte auch die Kanzlerin nichts sagen können! Trotzig bis patzig war Schulzes Vortrag, voller Klingelworte und teils unverschämter und unbelegter Anschuldigungen. Der Vorwurf eines Zuschauers, der nach einer Stunde Dauerfeuer sagte, „des wor wie früh’r in der Schul” und vom Niveau einer Schülersprecherin* sprach, die „koa einzigs Mal jo oda nei sag’n kinna”, trifft es leider nur zu genau. Die Grünen und im besonderen Maße deren Spitzenkandidatin treffen mit ihrer internationalistischen Agenda auf gewachsenes Lokalkolorit, dessen Sprache sie nicht einmal verstehen. Sie reden von „Bayern als Teil Europas“, während die Franken noch nicht entschieden haben, ob sie überhaupt und endgültig zu Bayern gehören wollen. Auf den im besten Bajuwarisch vorgetragenen Vorwurf, wie eine Schülersprecherin zu agieren, sagte Schulze wörtlich: „Ich habe klar formuliert, wofür wir Grüne stehen. Der Unterschied zu anderen Parteien ist, dass wir eine klare Haltung haben“. Eine klare Haltung haben die Grünen in der Tat, aber eben nicht zu Bayern, sondern zu ihrer internationalistischen Erziehungsagenda, in der es für bayrische Sonderwege und lokale Verstiegenheiten einfach keinen Platz mehr gibt. „Ich habe klar formuliert“ bedeutet „ich habe Recht!“, die „klare Haltung“ bedeutet „ich weiß alles besser“, und wenn sie abschließend lächelnd ausruft: „Wir Grüne gestalten mit den Menschen zusammen die Zukunft“, weiß man von Hof bis Garmisch und von Passau bis Neu-Ulm, was ansteht: die unfreundliche Übernahme durch eine Alien-Partei, die nur galaktische Ziele kennt und in Bayern einen Interessenausgleich zwischen „Grünen und Menschen“ herbeiführen möchte. Das in den nächsten vier Jahren mit anzusehen, könnte allerdings auch dem Fatalisten in mir großen Spaß machen.
* Dieses Wort benutzt Katharina Schulze natürlich nie, denn das würde selbst ihr perfekt gegendertes Hochdeutsch überfordern. Denn korrekt müsste es natürlich Schülerinnen-und-Schüler-Sprecherinnen-und-Sprecher heißen.