Ratlos und am Ende – Wie aus einem Macron sehr bald ein Macrönchen wurde

Zum Erfolg ver­dammt – aber grandios gescheitert
Zur Ein­stimmung in den fol­genden Artikel ein Zitat von con­servo vom 18.05.2017direkt nach den Prä­si­dent­schafts­wahlen im letzten Jahr:
„ … (Es wird sich bald zeigen), ob die Fran­zosen dem neuen Prä­si­denten trauen und ihm zutrauen, wenigstens die schwie­rigsten Pro­bleme zu lösen. Macron kämpft an zwei Fronten, denn Madame Le Pen sitzt ihm im Nacken. Wenn Macron scheitert, ist Le Pen die nächste Prä­si­dentin. Und aus dem einst strah­lenden Macron wird ein arg geschrumpftes Makrönchen.“ (P.H.)
(Von Peter Helmes)
Pro­teste wurden zu Krawallen
Nun pro­tes­tiert, wie es scheint, „toute la France“ auf den Straßen von Paris und anderswo. Vor einer Woche gab es nach ver­schie­denen Umfragen schon drei Viertel der Fran­zosen, die sich hinter diese Bewegung gestellt haben, und nach einer Woche ist die Zustimmung noch gewachsen. Also, nach über­ein­stim­menden Schät­zungen stehen drei Viertel der Fran­zosen hinter den „Gelb­westen“.
Die Pro­teste, die Welle der Empörung gehen durchs gesamte Volk – von rechts bis links – und lassen sich (noch) nicht einem bestimmten Lager zuordnen. Am letzten Wochenende (24./25.11.) gab es in Paris regel­rechte Kra­walle. Teil­weise ver­mummte Demons­tranten errich­teten Bar­ri­kaden, warfen Steine auf Poli­zisten und ent­zün­deten Feuer.
Die Fran­zosen, die gerne und lei­den­schaftlich auf die Straße gehen, um der Regierung die Mar­seil­laise zu blasen, tun es diesmal jeden­falls nicht aus „Lust an der Freud´”. Ursprünglich pro­tes­tierten die ‚Gelb­westen‘ gegen hohe Ben­zin­preise, aber dann wuchs die Bewegung an und ist inzwi­schen eine Art Vehikel für jede Form der Unzu­frie­denheit mit Prä­sident Macron und seiner Politik. Die Kampf­szenen aus Paris waren die bislang schlimmsten dieser Pro­test­welle, mit Sicherheit aber nicht die letzten.
„Nichts ist besser geworden“
Ein bedeu­tender Teil der Bevöl­kerung nimmt die von Prä­sident Macron ein­ge­lei­teten Reformen wie eine Bestrafung wahr, vor allem, weil diese „Reformen“ mit beträcht­lichen Kon­se­quenzen für das Ein­kommen oder die Arbeits­be­din­gungen der Bevöl­kerung ver­bunden sind. Frank­reich hat immer noch mit den Folgen der Finanz- und der Euro­krise zu kämpfen: Die Kauf­kraft der Bevöl­kerung ist schwach, die Arbeits­lo­sen­quote hoch und qua­li­fi­zierte Fach­kräfte wandern ins Ausland ab. Vor diesem Hin­ter­grund haben die Fran­zosen Macrons Reformen als einen viel zu eng geschnallten Gürtel empfunden.
Deshalb sind die Pro­teste (und Kra­walle) vom letzten Wochenende vor allem ein Aus­druck der Wut, einer Wut, die tief aus dem Herzen der Fran­zosen kommt und in dem sich die Empörung und Ent­täu­schung lange ange­staunt haben. Es sind Fran­zosen, die das Auto benutzen müssen, weil sie in länd­lichen Regionen leben oder an der Peri­pherie von Metro­pol­re­gionen, wo der öffent­liche Verkehr nicht so ent­wi­ckelt ist oder sich zurück­ge­zogen hat, wo Zug­linien zum Bei­spiel geschlossen wurden.
Es sind Leute, die oft Ein­fa­mi­li­en­häuser, aber nicht viele finan­zielle Mittel haben, und für die ist jetzt die Erhöhung der Sprit­preise der Tropfen zu viel. Es ist der Aus­druck einer steu­er­lichen und/oder sozialen Unge­rech­tigkeit, die schon lange in dieser Bevöl­kerung existiert.
Feige vor dem Volk verdrückt
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Regierung bisher weder mit ihren Worten noch mit ihren Taten diesen Fran­zosen zuge­wandt hat. Sie fühlen sich „von oben“ ver­schaukelt – ein Déjà-vu wie schon bei Sarkozy und Hol­lande. Volkes Fazit: Nichts ist besser geworden, eher noch schlimmer; denn der fran­zö­sische Prä­sident, der sich so gerne jugendlich gibt, sonnt sich im Dunkeln und berauscht sich an der gefühlten eigenen Bedeutung, die längst perdu ist.
Voilà, vor etwa zehn Tagen hatte Macron zer­knirscht erklärt, er habe es nicht geschafft, das fran­zö­sische Volk mit seinen poli­ti­schen Ver­ant­wort­lichen zu ver­söhnen. Und das war ja das große Ver­sprechen, als er im Mai 2017 gewählt wurde. Man muss auch daran erinnern, dass sich zwölf Mil­lionen Fran­zosen ihrer Stimme bei der Prä­si­den­tenwahl ent­halten hatten – vier Mil­lionen Wähler hatten ungültige Stimmen abge­geben. Das heißt, sehr viele Fran­zosen haben gar nicht gewählt oder gar nicht für ihn gewählt.
Des­wegen wäre es eine große Aufgabe für ihn gewesen, die Leute wieder „abzu­holen“ und ihnen eine Per­spektive auf­zu­zeigen. Aber offenbar zeigt der Protest, dass ein Teil der Bevöl­kerung sich von dem eli­tären Prä­si­denten zumindest igno­riert fühlt, wenn nicht sogar verachtet.
Und es scheint, dass ein etwas zu sehr auf sein Image bedachter Prä­sident ver­gessen hat, sich mit eben jenen zu beschäf­tigen, die ihn in den Ély­sé­e­palast gewählt haben.
Das mögen die stolzen Fran­zosen über­haupt nicht. Sie lieben zwar den prä­si­dialen Pomp – aber nur, wenn sie sich ihn leisten können. Und sie erwarten, dass der Prä­sident sich zuvör­derst um die Pro­bleme seines Landes kümmert, als in aller Welt Hände zu schütteln und Küsschen zu verteilen.
Als liberal-pro­gres­siver Messias in Paris, in Brüssel und in Straßburg Einzug und hof­zu­halten sowie die großen Führer der Welt zu treffen oder unter dem Tri­umph­bogen als Gäste zu emp­fangen, mag ja schön und gut sein – doch die Fran­zosen stellt es mit­nichten zufrieden. Nein, dieses prä­si­diale Gehabe geht ihnen ganz ent­schieden gegen den Strich – weshalb sie jetzt auf die Bar­ri­kaden gehen. Und die Antwort des harsch Kritisierten:
Mon­sieur le Pré­sident reagiert wütend und kündigt für diese Woche „weitere Reak­tionen“ an.
So ist durchaus nicht aus­zu­schließen, dass die Pro­bleme sehr leicht zum Stol­per­stein für Macron werden können, der vor­rangig für die Pro­teste ver­ant­wortlich ist. Ergo: Frank­reich bleibt auf der Liste der „unsi­cheren“ Kan­di­daten, die das euro­päische Finanz­gefüge auf eine – viel­leicht zu harte – Probe stellen und viel­leicht zum Scheitern Europas beitragen. 
Erdrü­ckend große Probleme
Frank­reichs Pro­bleme sind erdrü­ckend groß. Seit Beginn seiner Amtszeit ver­sucht Prä­sident Macron, sie zu lösen. Dabei hat er sich ganz offen­sichtlich über­schätzt! Mit der von ihm gesuchten Wie­der­be­lebung und Stärkung der Achse Paris-Berlin wollte er zwar „die Europa-Politik vor­an­treiben“ – auf Deutsch: die Macht des EU-Molochs stärken. Aber das fran­zö­sische – wie auch das deutsche – Volk begeistert sich schon lange nicht mehr so eupho­risch für „Europa“ wie ehedem. Heute über­wiegt Skepsis in beiden Ländern, zumal das Ganze – von der Flücht­lings­po­litik bis zum „Moloch“ Brüssel-Straßburg – viel zu viel Geld kostet. Und die Deut­schen haben keine Lust, immer mehr und mehr zu zahlen.
Die Euphorie über den Wahl­ausgang in Frank­reich vor nicht einmal ein­einhalb(!) Jahren ist längst ver­flogen, Macron wurde sehr bald auf den Boden der Tat­sachen geholt. Seine Wähler hatten ganz unter­schied­liche Erwar­tungen an ihn, die sich zum Teil gegen­seitig aus­schließen. Deshalb ist ein großer Teil der Wähler natur­gemäß von ihm ent­täuscht. Schauen wir uns ´mal einige Pro­bleme an:
Pro­blem­be­schreibung in Kürze

  • Frank­reichs Abstieg ist zu gra­vierend, die finan­zielle Situation zu kata­strophal, die Spaltung zu tief, als dass eine schnelle Erholung möglich sein könnte.
  • Tief­grei­fende wirt­schaft­liche und soziale Reformen für unser Nach­barland sind dringend erfor­derlich. Das bestä­tigte auch Macron und begründete dies u.a. mit der Not­wen­digkeit, „Europa vor­an­kommen“ zu lassen. Frank­reich sei es in den ver­gan­genen 30 Jahren nicht gelungen, das Problem der Mas­sen­ar­beits­lo­sigkeit zu lösen. 

Macron: „Das Problem Frank­reichs seit nunmehr 30 Jahren ist die Arbeits­lo­sigkeit. Wir sind das einzige Land in Europa, das die Mas­sen­ar­beits­lo­sigkeit nicht ein­dämmen konnte.“
Macrons eigent­licher Gegner ist nicht zuerst der Front National – es sind vielmehr die Gewerk­schaften, die an den erkämpften Pri­vi­legien fest­halten wollen, und es dürfte auch Macron kaum gelingen, sie von der Not­wen­digkeit einer Libe­ra­li­sierung des Arbeits­marktes und anderen Neue­rungen zu über­zeugen. Die ersten Kost­proben (z.B. Gene­ral­streiks) durfte er bereits „genießen“.
Bei der Staats­ver­schuldung von fast 100 Prozent fehlen die Mittel für große Investitionen. 
Die Staats­ver­schuldung von Frank­reich – in Relation zum Brut­to­in­lands­produkt (BIP) – beträgt im Jahr 2018 geschätzt rund 96,35 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts (Quelle „sta­tista“). Die Angaben beziehen sich auf den Gesamt­staat und beinhalten die Schulden des Zen­tral­staats, der Länder, der Gemeinden und Kom­munen sowie der Sozi­al­ver­si­che­rungen (siehe: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167258/umfrage/staatsverschuldung-von-frankreich-in-relation-zum-bruttoinlandsprodukt-bip/)
Anmerkung: Die fran­zö­sische Staats­ver­schuldung liegt damit weiter deutlich über dem von der EU vor­ge­schrie­benen Höchstwert.
Nach den soge­nannten Maas­tricht-Kri­terien sind maximal 60 Prozent des BIP erlaubt, also knapp 40 Pro­zent­punkte weniger als in Frank­reich. Zum Ver­gleich: In Deutschland lag die Staats­ver­schuldung 2016 bei gut 68 Prozent.
Erschwerend kommen hinzu eine hohe Arbeits­lo­sigkeit und ein Bil­dungs­system, das nicht chan­cen­ge­recht ist. Überall im Land gehen Arbeits­plätze ver­loren. Vor allem in der Industrie, deren Anteil an der Wirt­schafts­leistung kon­ti­nu­ierlich sinkt. Mit weniger als 14 Prozent spielt sie heute eine weit geringere Rolle als in Deutschland. Unter der De-Indus­tria­li­sierung leiden nicht nur Arbeiter, auch Ange­stellte für Rou­ti­ne­ar­beiten finden immer sel­tener Jobs. Die Arbeits­lo­sen­quote pendelt zwi­schen 9 und knapp 10 Prozent. Für Macron eines der zen­tralen Pro­bleme im Land. Und bei der Jugend­ar­beits­lo­sigkeit sieht´s noch düs­terer aus: In manchen Groß­städten erreicht sie 40% Prozent und mehr.
Nicht zu unter­schät­zende Pro­bleme sind die Folgen der Isla­mi­sierung: Der lange wäh­rende Aus­nah­me­zu­stand und die Außen­ein­sätze zur Bekämpfung des isla­mis­ti­schen Extre­mismus von Mali bis Afghanistan.
Das nicht nur von mir hoch geschätzte Gatestone Institut hat sich des Pro­blems der Isla­mi­sierung und damit der No-Go-Zonen ange­nommen. Näheres aus dem Artikel von Soeren Kern (ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute) sehen Sie hier: https://de.gatestoneinstitute.org/12454/frankreich-sanierung-no-go-zonen
Wenn Macron Frank­reich tat­sächlich moder­ni­sieren will, muss er zuerst die in zwei Hälften tief gespaltene Gesell­schaft wieder enger zusam­men­führen: Auf dem Land findet sich fast überall noch die „alte“ Gesell­schaft – bür­gerlich, national, katho­lisch. In vielen Bal­lungs­ge­bieten droht das Land zu „kippen“ – Armut, Arbeits­lo­sigkeit (besonders bei der Jugend), isla­mische Parallelgesellschaft.
Sin­kende Wirt­schafts­leistung, hohe Verschuldung
Der Liberale Macron will mit Struk­tur­re­formen die Wirt­schaft beleben. Zu seinen wich­tigsten Wahl­ver­sprechen zählen mehr Fle­xi­bi­lität des Arbeits­marktes und ein ein­fa­cheres Arbeitsrecht.
Dazu braucht Macron aber die Mit­wirkung der Gewerk­schaften. Und die sitzen bei der Lösung solcher Pro­bleme tra­di­tionell im Brem­ser­häuschen. Einen Vor­ge­schmack in Form von großen Streiks durfte der Prä­sident bereits mehrfach „genießen“.
Ver­lorene Bildung(s‑politik)
Jeder vierte Arbeitslose in Frank­reich ist heute unter 25 Jahren. Dass die über­wäl­ti­gende Mehrheit eines Jahr­gangs das Abitur macht, ist nur auf dem Papier ein Erfolg. In Wahrheit, so der fran­zö­sische Soziologe Louis Chauvel, sei der Abschluss wertlos:
„Einige Diplome des fran­zö­si­schen Bil­dungs­systems haben in den ver­gan­genen 30 Jahren eine massive, brutale Ent­wertung erfahren. Das gilt besonders für das Abitur und seit gut zehn Jahren nun auch für den Bachelor. Wenn man das mit dem gleichen Abschluss der Eltern ver­gleicht, so gab es einen regel­rechten Ein­bruch.“ Aber auch ein Uni-Abschluss garan­tiert heute keinen Job mehr.
Ter­ro­rismus
Eine Aufgabe wird dem neuen Prä­si­denten wie ein Mühl­stein um den Hals hängen: Seit den Pariser Ter­ror­an­schlägen vom November 2015 lebte Frank­reich bis ins Jahr 2017 im Aus­nah­me­zu­stand. Isla­mis­tische Ter­ro­risten – nicht selten auf­ge­wachsen und radi­ka­li­siert im Umfeld trost­loser Ban­lieues (Vororte) – haben in den ver­gan­genen zwei Jahren in Frank­reich 230 Men­schen getötet, 800 zum Teil schwer verletzt.
Deshalb will der neue Prä­sident auch hier neue Akzente setzen. 10.000 zusätz­liche Stellen in der Gen­dar­merie und der Polizei plant Macron, die Nach­rich­ten­dienste will er besser koor­di­nieren und den Ver­tei­di­gungsetat auf zwei Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes kräftig erhöhen.
Der Zustand der Gefäng­nisse in Frank­reich gibt seit Jahren Anlass zur Klage. Eine chro­nische Über­lastung kenn­zeichnet das System. Auch innerhalb des Straf­voll­zuges gibt es mas­siven Reform­bedarf. Von vielen isla­mis­ti­schen Atten­tätern ist bekannt, dass sie sich in den Gefäng­nissen radi­ka­li­siert haben. Diese Radi­ka­li­sierung – innerhalb, aber auch außerhalb der Gefäng­nis­mauern – will der neue Prä­sident bekämpfen, z.B. sollen Moscheen, deren Pre­diger sich nicht an die Werte der Republik halten, geschlossen werden:
Macron tönte: „Die neue Republik ist auch eine der Sicherheit. Ich will ganz klar sein: Es gibt null Toleranz. Wir zer­stören die Ver­ei­ni­gungen, die die Werte der Republik nicht respek­tieren.“ Das klingt eher nach Pfeifen im Walde!
Emmanuel Macron will die Kluft zwi­schen der mus­li­mi­schen Min­derheit und der Mehr­heits­ge­sell­schaft aber nicht nur mit Härte bekämpfen. An die Muslime sendet er ver­söhn­liche Signale. Ein Kopf­tuch­verbot an Hoch­schulen lehnt er ab und Mit­ar­beitern im öffent­lichen Dienst will er in einem „ver­nünf­tigen Maß“ gestatten, ihre reli­giösen Über­zeu­gungen zu zeigen.
Die Fran­zosen geben zu viel Geld aus – und das zudem an der fal­schen Stelle. Aber wer denkt, man könnte jetzt die fran­zö­sische Art und Weise – sich zu geben, zu leben, zu fühlen, wie es gefällt – einfach ein­reißen, das geht nicht.
Fassen wir zusammen:
Die aktu­ellen Pro­teste in Frank­reich sind Aus­druck sozialer Unge­rech­tigkeit. Ein großer Teil der Bevöl­kerung fühlt sich offenbar nicht von der Politik gehört. Diese Art der Bewegung ist neu, weil sie nicht durch eine Partei oder Orga­ni­sation ent­standen ist. Das Staats­ober­haupt reagiert hoch­näsig und ignorant. Keine guten Aus­sichten für La Grande Nation.
 


www.conservo.wordpress.com   26.11.2018