Wie der Staat die Flei­ßigen bestraft

Ein wich­tiges Thema! Immerhin berichtete darüber schon SPIEGEL ONLINE und stellt die Frage: „Dass sich mehr Arbeit für (Sozi­al­leis­tungs­be­zieher) oft kaum aus­zahlt, ist ein zen­trales Problem (…) Wie kann das sein?“ Um dann zu erläutern:

  • „Zum Teil liegt es sicher daran, dass die Materie komplex ist. Im Fall Sandra D. hatten vor der Gehalts­er­höhung außer dem Kin­dergeld zwei weitere Sozi­al­leis­tungen ihr Ein­kommen von 1.400 brutto auf 2.100 Euro gesteigert: Kin­der­zu­schlag und Wohngeld. Beide Leis­tungen werden unab­hängig von­ein­ander bei stei­gendem Ein­kommen gekürzt, gleich­zeitig werden aber höhere Steuern und Sozi­al­ab­gaben fällig. Kom­bi­niert kann das dazu führen, dass Gering­ver­diener für jeden zusätzlich ver­dienten Euro mehr als einen Euro abge­zogen bekommen.“
    Stelter: Es wurde dann zwar ent­schärft, aber dennoch lohnt es sich, die Kurve anzu­schauen. Dass es so etwas über­haupt gab, zeigt doch die ganze Unfä­higkeit der Politik!


Quelle: SPIEGEL ONLINE

  • „Aller­dings gibt es nach wie vor Kon­stel­la­tionen, in denen mehr Brutto für Gering­ver­diener weniger Netto bedeutet. Das wird am Bei­spiel einer Familie mit zwei Eltern und zwei Kindern deutlich, wie es die fol­gende Grafik dar­stellt: Ab einem Brut­to­ver­dienst von mehr als 2.450 Euro hat die Familie effektiv weniger Geld, erst bei 2.930 Euro brutto ist sie wieder auf dem gleichen Netto-Niveau. Auch hier ist die man­gel­hafte Abstimmung der beiden Sozi­al­leis­tungen Kin­der­zu­schlag und Wohngeld der Grund. Und auch hier hat die Bun­des­re­gierung reagiert: Durch die Reform des Kin­der­zu­schlags wird das Problem in diesem und kom­menden Jahr etwas gemildert, aber nicht voll­ständig behoben.“
    Stelter: Es ist absolut irr­sinnig. Obwohl die Men­schen von Wirt­schaft wenig ver­stehen, dies ver­stehen sie! Denn wenn sich Mehr­leistung über­haupt nicht lohnt, erbringt man sie auch nicht. Ver­mutlich denken die Poli­tiker, alle wären wie sie und würden nur aus Ver­gnügen arbeiten.


Quelle: SPIEGEL ONLINE

  • „Selbst wenn Gering­ver­diener aus­schließlich eine einzige Sozi­al­leistung beziehen, setzt das System falsche Anreize. So etwa bei einem Single in Hartz IV, der für Miete und Heizung 349 Euro bezahlt. Die fol­gende Grafik zeigt, wie sich sein Net­to­ein­kommen ver­ändert, wenn er seinen Brut­tolohn steigert: Die ersten 100 Euro darf er voll behalten. Darüber hinaus wird ihm für jeden zusätzlich ver­dienten Euro der Regelsatz gekürzt, und zwar
  • im Bereich zwi­schen 100 und 1000 Euro um 80 Cent,
  • im Bereich zwi­schen 1000 und 1200 Euro um 90 Cent
  • und im Bereich zwi­schen 1200 und 1420 Euro um den kom­pletten Euro.“ Stelter: Was für ein System! Das hält Men­schen dau­erhaft im Sozi­al­staat gefangen!


Quelle: SPIEGEL ONLINE

  • „Konkret bedeutet das: Mit einem 450-Euro-Job hat der Single bereits 170 Euro mehr im Monat. Wenn er seine Arbeitszeit mehr als ver­doppelt und 1000 Euro brutto im Monat ver­dient, erhöht er sein Net­to­ein­kommen lediglich um weitere 110 Euro. Noch mehr zu arbeiten, lohnt sich bis zur Grenze von 1.420 Euro kaum noch – sein Net­to­ein­kommen steigt lediglich um 20 Euro. Erst danach bleibt ihm von einem höheren Brut­tolohn auch spürbar etwas – weil er dann aus dem Hartz-IV-System kommt und nur noch Steuern und Sozi­al­ab­gaben abge­zogen werden.“
    Stelter: Man muss sich nur die Kurve ansehen. Besser kann man nicht zeigen, was hier schief­läuft. Die Kurve muss im gesamten Verlauf deutlich steigen.
  • „Viele Experten fordern daher, die Anreize exakt anders herum zu setzen. Das radi­kalste Konzept für eine solche Reform hat jüngst das Ifo-Institut vor­gelegt. Peichl und seine Kol­legen schlagen vor, dass Singles von den ersten 630 Euro ihres Lohns über­haupt nichts mehr behalten dürften – von jedem Euro über dieser Grenze jedoch 40 Cent statt bislang nur 20 Cent, 10 Cent oder gar nichts. So würden Kleinst- und Minijobs für sie völlig unat­traktiv – und nebenbei der bis­herige Anreiz beseitigt, einen offi­zi­ellen 100-Euro-Job mit Schwarz­arbeit zu kom­bi­nieren. Deutlich attrak­tiver würden hin­gegen sozi­al­ver­si­che­rungs­pflichtige Teil­zeitjobs. In der Folge, so argu­men­tieren die For­scher, würden Arbeit­geber viele Minijobs in diese regu­lären Arbeits­plätze umwandeln, weil weit weniger Men­schen für 450 Euro oder weniger arbeiten wollen.“
    Stelter: Genau, so ist es!

„Die Chancen, dass sich eines der Kon­zepte umsetzen lässt und Gering­ver­diener bald nicht mehr dafür bestraft werden, ihre Löhne zu steigern, sind ver­schwindend gering. Dafür gibt es gleich eine Reihe von Gründen:“ – bto: Die alle von der Politik zu ver­treten sind.

  • Der Sozi­al­staat müsste in großem Stil umgebaut werden: (…) Derzeit sind drei ver­schiedene Bun­des­mi­nis­terien zuständig – das Arbeits­mi­nis­terium für Hartz IV, das Fami­li­en­mi­nis­terium für den Kin­der­zu­schlag, das Innen­mi­nis­terium für das Wohngeld. Für eine Reform müssten zwei der Minis­terien darauf ver­zichten. Eine Fami­li­en­mi­nis­terin könnte sich dann künftig nicht mehr mit einem „Starke-Familien-Gesetz“ pro­fi­lieren, ein Innen­mi­nister nicht mehr mit einem Wohn­geld­zu­schlag. Auch für die Ver­waltung müsste eben­falls eine neue, ein­heit­liche Lösung gefunden werden (…).“
    Stelter: Es geht also um Minis­ter­prestige und über­di­men­sio­nierte Behörden. Beides Gründe, die absolut inak­zep­tabel sind!
  • Ent­weder teuer – oder brutal: Es ist zwar durchaus möglich, die Zuver­dienst­regeln so zu ändern, dass niemand schlechter dasteht als bislang – aber dann wird es teuer. (…) Soll die Reform aber nichts zusätzlich kosten, wird es auch Ver­lierer geben müssen, (…) Konkret wären
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    das die jet­zigen Mini­jobber in Hartz IV, von denen nicht alle ihre Arbeitszeit erhöhen können, um den Verlust auszugleichen.“
    Stelter: Das ist das Ergebnis, wenn man Fehl­si­gnale korrigiert.
  • Mil­lionen neuer Hartz-IV-Bezieher: Alle Reform­kon­zepte würden die Zahl der­je­nigen sprunghaft erhöhen, die ein Recht auf die neue, inte­grierte Grund­si­cherung haben. Denn wenn diese Leistung bei stei­gendem Lohn wesentlich lang­samer abge­schmolzen wird als bislang, erhält man sie zwingend logisch auch bei wesentlich höheren Löhnen als bislang. Vor allem deshalb würde eine Reform auch sehr teuer werden.“
    Stelter: So ist es, wenn man mit einer fak­ti­schen nega­tiven Ein­kom­mens­steuer arbeitet. Dann benennt man es halt einfach um!
  • Viele Risiken, kaum Chancen für die Par­teien: Polit­tak­tisch betrachtet gibt es bei diesem Thema wenig zu gewinnen, aber viel zu ver­lieren. Das liegt auch daran, dass es sich um ein kom­plexes Problem handelt, das zudem nur sehr wenigen Wählern über­haupt bewusst ist. Wer laut die Abschaffung von Sank­tionen fordert, kann sich sicher sein, dass ihn die meisten Men­schen ver­stehen. Das Gleiche gilt für die Erhöhung des Regel­satzes. Wer aber im Wahl­kampf auf einer Markt­platz­bühne die Absenkung der Trans­fer­ent­zugsrate – so lautet der Fach­be­griff – ver­spricht, dürfte zumeist in leere Gesichter blicken.“
    Stelter: Deshalb sollten die Poli­tiker sich die Mühe machen, diese Zusam­men­hänge ver­ständlich zu erklären. SPON gelingt das in diesem Beitrag auch. Ver­mutlich wollen die Poli­tiker das aber gar nicht, weil sie sich so mehr Ein­fluss­mög­lich­keiten auf das System sichern und an vielen kleinen Schrauben drehen können, um den Ein­druck zu ver­mitteln, sie täten etwas Nutzbringendes.

Statt zu refor­mieren, ist es doch für große Teile der Gesell­schaft viel leichter nach „Mehr!“ zu rufen.
 


Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com
→ spiegel.de: „Wie der Staat die Flei­ßigen bestraft“, 22.März 2019