Heißes Thema Zins­niveau: „Der Boden ist noch nicht erreicht!“

Also sprach Christine Lagarde die neue Chefin der EZB, deren Unter­schrift künftig die Geld­scheine der euro­päi­schen Espe­ran­to­währung zieren wird: „Es gibt eine Grenze, wie weit und wie tief man in den nega­tiven Bereich vor­dringen kann. Ja, es gibt bei allem einen Boden, aber den haben wir zum jet­zigen Zeit­punkt noch nicht erreicht.“ Sie meinte das Zins­niveau, das nach ihrer leider schwer­wie­genden Meinung noch nicht tief genug im Nega­tiv­be­reich liegt. Sie ist demnach wild ent­schlossen, den von ihrem Vor­gänger Mario Draghi ein­ge­schla­genen Kurs zur Ent­eignung der Sparer zügig fortzusetzen.
(von Andreas Tögel)
Das dürfte ihr auch pro­blemlos gelingen, da die kleinen Sparer hier­zu­lande und in Deutschland nach wie vor auf das Sparbuch setzen, um für schlechte Zeiten und für das Alter Reserven zu bilden. Diese Vor­sor­ge­stra­tegie unter­scheidet sich deutlich von der, die in Ländern wie Italien oder in Frank­reich vor­herrscht. Dort setzt man nicht so sehr auf das Horten von Geld, sondern vielmehr auf den kre­dit­fi­nan­zierten Erwerb von Immo­bilien. Niedrige Zinsen bedeuten in diesem Fall geringere Rück­zah­lungs­raten. Sie begüns­tigen klar die Schuldner zulasten der Sparer.

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Mario Draghi ist Ita­liener, Christine Lagarde ist Fran­zösin. Beide betrieben und betreiben unüber­sehbar eine Politik, die einer­seits im Interesse ihrer roma­ni­schen Lands­leute liegt, und die ande­rer­seits die deut­schen Sparer schädigt, sie de facto die ganze Rechnung zahlen lässt. Zynisch for­mu­liert, könnte man sagen, es handelt sich somit um eine Art „Kraut-Funding“.
Was die Wirt­schafts­kom­petenz Frau Lag­ardes angeht, sollte man übrigens keine allzu hohen Erwar­tungen hegen. Kürzlich meinte sie sinn­gemäß, dass es doch wich­tiger wäre, über einen Arbeits­platz zu ver­fügen, als über ein Spar­gut­haben. Das lässt schon recht tief blicken! Denn wodurch ent­steht ein Arbeits­platz? Als Folge einer Inves­tition. Und was steht vor der Inves­tition? Der Kon­sum­ver­zicht – also das Sparen, das die Akku­mu­lation von investiv ein­setz­baren Mitteln ermög­licht. Die Kau­sal­kette lautet also: Sparen – inves­tieren – Arbeits­plätze schaffen. Dieser im Grunde tri­viale Zusam­menhang erschließt sich Frau Lagarde ganz offen­sichtlich nicht, sonst hätte sie den Versuch unter­lassen, Sparer gegen Arbeits­platz­in­haber aus­zu­spielen. Sie glaubt aber mög­li­cher­weise auch, den frus­trie­renden Kon­sum­ver­zicht durch eine Bereit­stellung zusätz­licher, aus dem Nichts geschaf­fener Liqui­dität ersetzen zu können.
Doch das ist ein fataler Trug­schluss. Pro­spe­rität und Wohl­stand hängen nicht von unbe­grenzten Geld­mitteln ab, sondern allein vom ver­füg­baren Kapital. Und das ist, auch wenn diese Ein­sicht macht­trunkene Polit­funk­tionäre – und Frau Lagarde und Kon­sorten sind genau das – schmerzen mag, etwas völlig anderes als bunt bedruckte Zettel. Die demütige Beschäf­tigung mit der Geld­theorie (z. B. die Lektüre von „Die Theorie des Geldes und der Umlaufs­mittel“, der Habi­li­ta­ti­ons­schrift Ludwig von Mises‘) stünde den Gott­spielern in Staats­kanz­leien und Zen­tral­banken gut an. Aller­dings sollten sie dann, sol­cherart erleuchtet, auch die Nerven haben, daraus den rich­tigen Schluss zu ziehen und ihre ver­hee­rende, infla­tio­nis­tische Zins- und Geld­po­litik beenden.
Noch eine Sorge ver­bindet sich mit der Ernennung Frau Lag­ardes zur Hüterin des Euro: sie scheint nämlich der Meinung zu sein, das Mandat der EZB noch weiter über­schreiten zu müssen als ihr Vor­gänger das getan hat, als er durch den Ankauf von Staats­an­leihen mit der Staats­fi­nan­zierung durch die Zen­tralbank begann. Sie hat, wie sie kürzlich zu wissen kundtat, zu allem Über­fluss auch noch die Absicht, ihr Institut künftig in den Dienst des Kli­ma­schutzes (!) zu stellen. Wie auch immer das funk­tio­nieren soll – etwa durch den Kauf der Fir­men­an­leihen von Wind­park­be­treibern? – mit dem Mandat der EZB – der Bewahrung der Sta­bi­lität des Euro – hat das nichts zu tun!
Zeiten schlechten Geldes sind Zeiten guter Theorie, meinte Friedrich August von Hayek – und irrte damit, wie das aktuelle Auf­kommen der „Modern Monetary Theory“ (MMT) beweist, die – stark ver­ein­facht – auf die unbe­grenzte Ver­mehrung der Geld­mange setzt, um damit eine Dau­er­kon­junktur zu schaffen. Wer indes allen Ernstes meint, die Geld­menge würde den Wohl­stand bestimmen – je mehr, desto höher – sollte sich schon fragen, weshalb in Sim­babwe und Vene­zuela nicht die reichsten Men­schen der Welt leben.
Schon jetzt ist es – der über viele Jahre betrie­benen „lockeren“ Geld­po­litik sei Dank – nur dann möglich, von „unter zwei Prozent Inflation in der Eurozone“ zu schwafeln, wenn man die Preis­ent­wick­lungen bei Immo­bilien und Aktien aus­blendet. Würden in den amt­lichen Teue­rungs­sta­tis­tiken nämlich auch die Preis­ent­wick­lungen bei diesen beiden Anla­ge­klassen berück­sichtigt, wäre jedermann sofort klar, wie schlecht unser Geld in Wahrheit ist. Die angeblich unter zwei Prozent lie­gende Teue­rungsrate würde schlag­artig in Richtung zehn Prozent hochschnellen.
Wer Pro­spe­rität wünscht, sollte nicht die Geld­menge mani­pu­lieren, sondern vielmehr alles tun, um den Unter­nehmen freie Bahn zu schaffen – damit sie Kapital akku­mu­lieren und inves­tieren können. Besser: er sollte alles unter­lassen, was der Stei­gerung der Pro­duk­ti­vität im Wege steht. Bei­spiels­weise sollten Zen­tral­banken und Regie­rungen auf jede Struk­tur­kon­ser­vierung ver­zichten, die mit aggres­siver Geld­po­litik von­stat­tengeht, und die den für eine Markt­wirt­schaft maß­geb­lichen Prozess der „schöp­fe­ri­schen Zer­störung“ (Josef Schum­peter) unterbindet.
Wer marode Unter­nehmen mittels nied­riger Zinsen künstlich am Leben erhält, tut der Volks­wirt­schaft nicht Gutes. Denn er ver­ringert die tat­sächlich rea­li­sierbare Gesamt­pro­duktion, indem er Unter­neh­mens­zombies erschafft und den inno­va­tiven Betrieben Mittel ent­zieht, die diese inves­tieren und in Wachstum umsetzen könnten.
Wenn eine so mächtige Orga­ni­sation wie die EZB von einer Person geführt wird, deren Urteil durch kei­nerlei erkennbare Kennt­nisse der Funk­ti­ons­weise einer Markt­wirt­schaft getrübt wird, sollten sich die EU-Bürger besser schon einmal vor­sorglich warm anziehen.
Dass die Wirt­schafts­theorie auch in den USA, Japan und China nicht intel­li­genter ist als in Euroland, ist in einer wirt­schaftlich eng ver­floch­tenen Welt kein Trost. Das globale Wachstum der letzten Jahre war Groß­teils durch einen Boom im Reich der Mitte bedingt. Einen Boom, der von Schulden und Kre­diten getrieben war und ist, und der in naher Zukunft sein Ende finden könnte. Was dann? Da in Euroland die kon­ven­tio­nellen Mittel der Geld­po­litik erschöpft sind (weniger als gar keine Zinsen geht schließlich nicht ohne wei­teres), werden uns noch wesentlich ori­gi­nellere Formen der Kon­junk­tur­be­lebung ins Haus stehen. Viel­leicht werden wir – zur Freude schlichter Gemüter – schon dem­nächst nam­hafte Gut­schriften der Zen­tralbank auf den Giro­konten der Bürger erleben – Stichwort „Heli­kopter-Geld“. In Zeiten schlechten Geldes und schlechter Theorien ist schließlich alles möglich.
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Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschi­nen­bauer, aus­übender kauf­män­ni­scher Unter­nehmer und über­zeugter “Aus­trian”.

Quelle: misesde.org