Wie das rus­sische Fern­sehen über den Gene­ral­streik in Frank­reich berichtet

In Frank­reich wurde wegen einer radi­kalen Ren­ten­reform der Gene­ral­streik aus­ge­rufen und das Land ist weit­gehend lahm­gelegt. Sogar die Ver­sorgung mit Benzin könnte pro­ble­ma­tisch werden, was dann auch Aus­wir­kungen auf die Ver­sorgung der Men­schen haben könnte. 
In Deutschland wird über das Thema erstaunlich wenig berichtet, wenn man seine Dimension betrachtet. Unser Nach­barland wird lahm­gelegt, aber der deutsche Michel soll sich daran offen­sichtlich kein Bei­spiel nehmen. Während in Deutschland erste Poli­tiker bereits von einer wei­teren Erhöhung des Ren­ten­alters auf 70 Jahre sprechen, ver­an­stalten die Fran­zosen einen Auf­stand, weil sie zukünftig bis 64 arbeiten sollen.
Daher finde ich es besonders inter­essant, wie das rus­sische Fern­sehen darüber berichtet, vor allem auch vor dem Hin­ter­grund, dass die rus­sische Regierung in diesem Jahr auch eine extrem unbe­liebte Ren­ten­reform beschlossen hat, nach der die Russen dem­nächst bis 60 (für Frauen), bezie­hungs­weise bis 65 (für Männer) arbeiten müssen.
Das rus­sische Fern­sehen hat in der Sendung „Nach­richten der Woche“ am Sonntag über die Situation in Frank­reich berichtet und ich habe den Beitrag über­setzt, der irgendwie anders klingt, als das, was man so in Deutschland hört.
Beginn der Übersetzung:
In Frank­reich geht der Gene­ral­streik gegen die Ren­ten­reform weiter. Das Thema betrifft alle Fran­zosen, denn in Zukunft werden sie länger arbeiten müssen und weniger Rente erhalten, als heutige fran­zö­sische Rentner.
Am 11. Dezember war es nicht Prä­sident Macron, sondern Pre­mier­mi­nister Edouard Philippe, der offi­ziell die wich­tigsten Bestim­mungen der Reform vor­stellte. Die Maß­nahme ist unver­meidlich und bereits dringend. Wenn nichts unter­nommen wird, könnte das Defizit der Pen­si­ons­kasse in Frank­reich bis 2025 auf 17 Mil­li­arden Euro ansteigen.
Nach den jüngsten Pro­testen, als 1,5 Mil­lionen Men­schen in Städten im ganzen Land auf die Straße gegangen sind, wurden einige Dinge abge­schwächt, aber ins­gesamt hat sich das Wesen der Reform nicht geändert.
Das Ren­ten­system in Frank­reich wird soli­da­risch bleiben. Das heißt, die­je­nigen, die arbeiten, zahlen für die­je­nigen, die bereits im Ruhe­stand sind. Das bestehende System der Ren­ten­leis­tungen und ‑prä­fe­renzen für jede der 42 Berufs­gruppen wird voll­ständig abge­schafft. Es wird ein „uni­ver­selles“ Ren­ten­system ein­ge­führt, in dem Ren­ten­bei­träge in Punkte umge­rechnet werden. Die Branche, in der der Arbeit­nehmer arbeitet, spielt keine Rolle mehr. Die Höhe der Rente hängt von der Anzahl der gesam­melten Punkte ab. Wer mehr ver­dient, zahlt mehr und bekommt mehr. Ein neues Konzept, das Ren­ten­ein­tritts­alter soll 64 Jahre betragen, für Männer und Frauen glei­cher­maßen. Wenn Sie vor dem 64. Lebensjahr in Rente gehen, wird die Rente deutlich geringer sein, da der Wert jedes Punktes in Euro ver­ringert wird. Das heißt, in der Praxis steigt das Ren­ten­ein­tritts­alter von 62 auf 64 Jahre. Darüber hinaus wird bestimmten Kate­gorien von Arbeit­nehmern, wie Eisen­bahner, die jetzt mit 55 Jahren in Rente gehen, Zug­führer sogar mit 50 Jahren, dieses Recht genommen. Es ist also klar, warum die Eisen­bahner während des Streiks einen echten Ver­kehrs­kollaps insze­niert haben. Und ihre Rente lag bisher auch noch um 10 Prozent über dem Landesdurchschnitt.
Wenn wir alles ins­gesamt ver­gleichen, bekommen die Fran­zosen eine radi­kalere Version der Ren­ten­reform, als wir.
Aus Paris berichtet unsere Korrespondentin.
Wenn man sieht, wie Men­schen einen der sel­tenen Züge stürmen, die den Nord­bahnhof ver­lassen, dann glaubt man nicht, dass man in Paris ist. Die meisten Zug­führer gehen immer noch nicht zur Arbeit. Die U‑Bahn ist immer noch geschlossen, fast alle Linien. Züge fahren nur dort, wo die Auto­ma­ti­sierung funk­tio­niert. Wer es als Bus­fahrer ris­kiert, sich hinter das Steuer zu setzen, muss von der Polizei vor wütenden Kol­legen beschützt werden.
Auch die Flug­lotsen streiken, daher gibt es häufige Flug­aus­fälle, Men­schen­massen an Flug­häfen und endlose Staus, die alle Rekorde brechen – in Paris sind es in der Haupt­ver­kehrszeit mehr als 700 Kilo­meter – und neue Demonstrationen.
In Nantes setzte die Polizei erneut Trä­nengas ein. Hun­dert­tau­sende Men­schen gingen am Tag vor der Bekanntgabe aller Details der Ren­ten­reform in ganz Frank­reich auf die Straße.
Der sechste Tag der Streiks. Sie ver­sprechen, dies auf unbe­fristet zu machen und die Regierung zu zwingen, darauf zu reagieren. Doch bisher ruft Emmanuel Macron nur das Kabinett zusammen. Macron ruft das Kabinett zusammen, obwohl es nicht mehr möglich ist, die Men­schen zu ignorieren.
„Nachdem ich für Gas, Wasser, Licht, Heizung und Benzin für das Auto bezahlt hatte, habe ich bis Ende des Monats kaum genug für Lebens­mittel übrig. Und das, obwohl meine Gene­ration nicht 35 Stunden, sondern 45 Stunden gear­beitet hat“, empörte sich eine Rentnerin.
„In Frank­reich zahlen wir viele Steuern, die Leute werden mit einer Cash-Kuh ver­wechselt. Aber jetzt haben wir keine Milch mehr, die Leute haben sehr wenig Geld, nichts, womit wir den Kühl­schrank füllen können“, sagte einer der Franzosen.
Auch die­je­nigen, die es aus recht­lichen Gründen gar nicht dürfen, streiken bereits.
„Heute haben wir tausend Poli­zisten, die beschlossen haben, gleich­zeitig krank zu werden. Das wird zu unglaub­lichen Pro­blemen bei der Auf­recht­erhaltung der Ordnung bei der bevor­ste­henden Demons­tration führen, auch andere Depar­te­ments sind in Agonie, denn in Frank­reich gibt es heute etwa eine Million radi­kaler Isla­misten. Das ist eine riesige Menge. Alle zu über­wachen, ist sehr schwierig und wir haben zu wenig Poli­zisten in den Poli­zei­wachen. Die Polizei ist unglaublich müde, sie sind seit Monaten nicht mehr zu Hause, Schei­dungen und Selbst­morde haben zuge­nommen“, sagte Eric Roman, ein Sprecher der fran­zö­si­schen Polizeigewerkschaft.
Ver­schärft wird das Problem durch die wöchent­lichen Demons­tra­tionen der „Gelb­westen“ und von den Pogromen, die der soge­nannte „Schwarze Block“ ver­an­staltet, der regel­mäßig fried­liche Demons­tra­tionen für eigene Zwecke benutzt. Kürzlich insze­nierten sie eine Schlacht mit der Polizei in Paris und warfen Bretter, Steine und Fla­schen auf die Polizei. Die war dar­aufhin nicht geizig mit Gum­mi­ge­schosse und Tränengas.
Gegen Macron und die Straße und die Politik. Der ehe­malige Prä­si­dent­schafts­kan­didat Jean-Luc Melanchon äußerte sich exklusiv für „Rossiya 1“ zur Ren­ten­reform: „Das Problem ist, dass viele Men­schen sehr spät in Rente gehen und sie sind sehr arm. Aber das kann gelöst werden, es ist nicht not­wendig, alles so zu ändern, wie Macron es will, zugunsten der großen Kon­zerne und der Pen­si­ons­kasse“, sagte Melanchon.
Alle war­teten auf die Rede des Pre­mier­mi­nisters, des Autors dieser Reform, Edouard Philippe. Bei den Pro­testen vor der Firma „Total“ haben sie einen Laut­sprecher an ein Telefon ange­schlossen und die Rede schweigend verfolgt.
42 Son­der­regeln für Berechnung von Renten werden auf einen Schlag abge­schafft, das Ren­ten­ein­tritts­alter wird ein­heitlich bleiben, 62 Jahre, aber es wird dazu ermutigt, länger zu arbeiten, bis zu 64. Es gab viele schöne Worte über Soli­da­rität und Gleichheit, aber er ver­kündete wenig Kon­kretes. Die Men­schen zer­streuten sich schnell.
„Gleich zu Beginn seiner Rede wurde klar, dass die Regierung ihr Projekt nicht auf­geben würde. Und das ist für uns nicht akzep­tabel. Wir werden den Streik fort­setzen, um die Umsetzung zu ver­hindern“, sagte Hakim Beluz, ein Ver­treter der Gewerkschaft.
Die Erklärung des Pre­mier­mi­nisters wurde von buch­stäblich allen kri­ti­siert. In Frank­reich gibt es nur 8 Raf­fi­nerien, von denen 7 jetzt von Demons­tranten blo­ckiert werden. Die Kraft­stoff­re­serven im Land reichen aus, das bedeutet, dass es noch Benzin an den Tank­stellen gibt, aber die Frage ist, wie lange noch, weil die Gewerk­schaften nicht vor­haben, den Streik abzubrechen.
Die schwie­rigste Zeit kommt mit dem langen Weih­nachts­urlaub, wenn viele in den Urlaub wollen. Aber wird das trotz Streik möglich sein? Der Pre­mier­mi­nister ver­sucht, die Demons­tranten zu über­reden, ihn vor­über­gehend zu stoppen, aber es gibt bisher nicht viele, die bereit sind, einen solchen Schritt zu machen.
Ende der Übersetzung

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“