Pol­nische Repa­ra­ti­ons­for­de­rungen in der Höhe nicht aber in der Sache schwer nachvollziehbar

- ein öko­no­mi­scher Diskussionsbeitrag -

Das Thema (offener?) deut­scher Kriegs­re­pa­ra­tionen gegenüber Polen erhitzt hüben wie drüben so manche Gemüter. Die lei­den­schaft­liche Debatte wird leider fast aus­schließlich auf juris­ti­scher, emo­tio­naler und mora­li­scher Ebene geführt. Der öko­no­mische Aspekt fehlt dagegen völlig. Experten wagen wohl aus Angst vor öffent­licher Empörung keine “Net­tozahl” zu nennen, die Kriegs­schäden Polens mit dem Ver­mö­gens­verlust der abge­tre­tenen deut­schen Ost­ge­biete “auf­zu­rechnen”. Es bleibt offen, ob und wie Polen vor einem inter­na­tio­nalen Gericht die For­derung von 840 Mrd. € bis zu 1 Bill, € (Außen­mi­nister Waszc­zy­kowski) — unse­riöse nicht-amt­liche Adressen fordern sogar das Vier­fache — geltend machen will. Dr. Viktor Heese ver­sucht in diesem öko­no­mi­schen Kurz­beitrag eine solche “Net­tozahl” zu ermitteln und sie zur Dis­kussion zu stellen. Im Fol­ge­beitrag werden die Pres­se­stim­mungen in den beiden Ländern und die Bereit­schaft dieses alte Kapitel wieder auf­zu­machen behandelt.

Pol­nische For­de­rungen für die Kriegs­schäden im Zweiten Welt­krieg (1939 — 1945) nach dem Pariser Reparationsabkommen

Als Aus­gangs­basis könnten die mit 16,9 Mrd. USD bezif­ferten mate­ri­ellen Kriegs­schäden Polens — ohne die von der UdSSR annek­tierten pol­ni­schen Ost­ge­biete — dienen, die 1946 auf dem sog. Pariser Repa­ra­ti­ons­ab­kommen genannt wurden. (Für Jugo­slawien wurden dort 9,1 Mrd. USD ange­setzt.) “Ver­zinst” man diesem Betrag mit einem rea­lis­ti­schen Satz von 3% jährlich, ergibt sich wegen des extrem langen Betrach­tungs­zeit­raumes 1946 — 2016 eine Summe von 134 Mrd. USD oder ein Mul­ti­pli­kator von knapp 8. Nach dem aktu­ellen Wäh­rungskurs USD-Euro wären das etwa 110 Mrd. Euro.

Deut­scher Ver­mö­gens­verlust durch abge­tretene Ost­ge­biete an Polen (etwa 103.000 Km2)

Von diesem Wert wäre der Ver­mö­gens­zu­wachs Polens durch die erhal­tenen deut­schen Ost­ge­biete abzu­ziehen, was War­schau nicht akzep­tieren möchte. Ein Artikel der Zeit vom 10.4.1947 beziffert das Gesamt­ver­mögen der deut­schen Ost­ge­biete 1939 mit 37 Mrd. Reichmark http://www.zeit.de/1947/15/

volks­ver­moegen-der-ost­ge­biete. Ohne den an die Sowjet­union gefal­lenen Teil Ost­preußens und die schwer zu schät­zende Ver­mö­gens­min­derung infolge ent­stan­dener Kriegs­schäden (Polen rechnet für sein Gebiet mit 38%) stünde ab 1946 zur “Ver­rechnung” eine Dif­ferenz von etwa 10 Mrd. USD  zugunsten Polens. Wird auch diese Summe mit 3% ver­zinst, ergibt sich heute ein offener Repa­ra­ti­ons­betrag von 79 Mrd. USD, oder von knapp 66 Mrd. €. Hiervon wären aller­dings Fai­rer­weise die ver­schie­denen frei­wil­ligen Wie­der­gut­ma­chungen Deutsch­lands an den pol­ni­schen Staat in Abzug zu bringen, auch wenn sie nicht “Repa­ra­ti­ons­zah­lungen” genannt (Kre­dit­nach­lässe, Hilfen usw.) und in der Höhe nur wenige Mil­li­arden € ausmachen.

Stärken, Schwächen in Über­ra­schungen in der obigen “Auf­rechnung”  

Wenn­gleich die obige “Auf­rechnung” natur­gemäß strittig ist, wird eine ver­ein­fachte aber metho­disch kor­rekte Schätzung, die auf den Erkennt­nissen der Volks­ver­mö­gens­rechnung basiert, immer noch besser sein als keine. Das darf ein Ökonom aber wohl kein Poli­tiker sagen. Hierzu drei wichtige Punkte:

  1. Die Quellen von 1946 stammen aus einer Zeit als das Klima in Europa durch Poli­tik­in­ter­essen noch nicht “ver­un­reinigt” war und sind daher glaub­würdig. Die Auf­zählung der Ein­zel­po­si­tionen in beiden ist auch relativ detail­liert, wovon sich der Leser über­zeugen kann. Polen hatte damals keine Interesse die Zahl zu niedrig dar­zu­stellen, für die Ost­ge­biete des Deutsche Reiches gab es amt­liche Statistiken.
  2. In den Aus­gangs­zahlen sind hier nur mate­rielle Schäden berück­sichtigt worden, die im Unter­schied zu per­so­nellen (z.B. Bewertung von Men­schen­leben) und imma­te­ri­ellen Schäden (z.B. Bewertung zer­störter Kunst­denk­mäler) einer sta­tis­ti­schen Schätzung zugänglich sind.
  3. Das Ergebnis ist jedoch sehr “zins­sen­sitiv”. Wird ein Satz von 5% gewählt (wie unten) erhöht sich der For­de­rungs­betrag auf 250 Mrd. €, bei 2% hal­biert er sich dagegen auf 32 Mrd. €. Selbst die 2% sind in der heu­tigen Nied­rig­zins­phase jedoch noch ein “Traumzins”.

Wie kommt Polen jetzt auf die 1 Bill. € ?

Eine Exper­ten­kom­mission der kom­mu­nis­ti­schen Regierung Polens (Biuro Osz­ko­dowan Wojennych) schätzte 1946 jedoch einen dreimal höheren Scha­dens­betrag von 50 Mrd. USD. Woraus der Unter­schied zu der Pariser-Zahl von 16,9 Mrd. USD resul­tiert, wird in den Quellen nicht erklärt. Dieser Kom­mis­si­onswert sollte 2004 einem Gegenwert von 650 bis 700 Mrd. USD ent­sprechen, was eine “Jah­res­ver­zinsung” von 5%. oder einen Mul­ti­pli­kator von über 30 impli­ziert. https://pl.wikipedia.org/wiki/Straty_materialne_Polski_w_czasie_II_wojny_%C5%9Bwiatowej. Wahr­scheinlich wurde diese alte Schätzung bis 2016 fort­ge­führt, womit wir auf den in Rede ste­henden Mammut-Betrag von bis zu 1 Bill. € kämen. Nichts Genaues weiß man nicht. Die Ana­lysen seien noch nicht abge­schlossen, heißt es in War­schau das eine Berück­sich­tigung “aller direkter und indi­rekter mate­ri­ellen und imma­te­ri­ellen Kriegs­schäden” in der neuen Analyse verspricht.

Wären 66 Mrd. € für Deutschland eine untragbare Belastung?

Seit 1946 hat die Wirt­schafts­ent­wicklung in Europa einen rie­sigen Sprung gemacht. Allein das deutsche BIP stieg zwi­schen 1950 und 2016 um das 62fache auf über 3,1 Bill. €. Der Bun­des­haushalt für 2017 weist ein Volumen von 330 Mrd. €, das gesamt­wirt­schaft­liche Volks­ver­mögen Deutsch­lands über­schritt die Marke von 22 Bill. €. und last but noch least Deutschland zahlt über 30 Mrd. € jährlich für seine Migranten. Diese Belastung tritt wegen der poli­ti­schen Kor­rektheit in der öffent­lichen Dis­kussion kaum in Erscheinung. Kurz gefasst, Deutschland wäre sehr wohl wirt­schaftlich in der Lage die errech­neten 66 Mrd. € zu stemmen. Das gilt natürlich nicht für die gefor­derten 1 Bill. €.

Schluss­be­merkung:

Kriegs­re­pa­ra­tionen sind so alt wie die Kriege selbst. Sie sind weder mora­lisch unan­ständig werden oft mit aller Härte durch­ge­setzt und sind in ihrer Höhe sehr wohl öko­no­misch bezif­ferbar. Wenn sich heute Deutschland einer neuen Dis­kussion im Falle Polens vor dem Hin­ter­grund des Flücht­lings- und Wer­testreits mit dem öst­lichen Nachbarn ver­weigert, so hat das rein juris­tische und poli­tische Gründe. Mehr darüber im nächsten Beitrag.

 

Dr. Viktor Heese —      Finanz­analyst und Fach­buch­autor in Polen geboren. www.börse-für-anfänger.de

 

Bild: Wiki­pedia — Deut­scher Überfall auf Polen 1939