Nachrichtenagenturen sind was ungeheuer Praktisches. Man setzt morgens jemanden an den Ticker, der schaut, was so im Angebot ist. Aha, copy & paste, einfach übernehmen … vielleicht noch ein bisschen umformulieren, fertig.
So auch heute morgen. Mit ein paar kleinen Schnörkeln Unterschied pinseln alle Mainstreammedien dasselbe ab. Sigmar Gabriel hat Wolfgang Schäuble gescholten, Europa in einen „Scherbenhaufen“ verwandelt zu haben. Anlass: Schäuble wird Bundestagspräsident.
„Scherbenhaufen“ klingt schonmal schön nach Rabbatz im Dschungelcamp Berlin, also kommt die Meldung rein.
Was aber steht wirklich drin in der Meldung? Ex-Außenminister Gabriel wirft seinem langjährigen Kabinettskollegen und Finanzminister Schäuble vor, er habe mit „deutscher Oberlehrerhaftigkeit“ und seiner „Starrsinnigkeit und finanzpolitischen Orthodoxie“ nahezu alle EU-Mitgliedsstaaten gegen Deutschland aufgebracht. Und im Internationalen Währungsfonds „für erheblichen Zündstoff“ gesorgt. In Wirklichkeit habe nicht einmal Deutschland es geschafft, seine Reformen ohne neue Schulden fertigzubringen. Und Schäuble verlange von allen anderen aber das Gegenteil. Außerdem habe Schäuble einfach nur unglaublich Glück gehabt, in Zeiten niedrigster Zinsen Finanzminister gewesen zu sein und seinen „guten Haushalt“ verdanke er nur der dadurch entstandenen Einsparung von 20 Milliarden Euro.
Herr Gabriel hat als Außenminister eine sehr überschaubare Performance hingelegt. Angesichts dieser, von keinerlei Sachverstand getrübten Kritik bleibt nur Erleichterung, dass er wenigstens nicht das Amt des Finanzministers innehatte.
Die Schuldenkurve der EU-Länder, die nicht zuletzt von der mehr oder weniger unausgesprochenen Erwartung befeuert wird, dass das fette, reiche Deutschland am Ende schon den Löwenanteil aller Schulden schultern müssen wird, wäre ohne Schäuble sehr wahrscheinlich noch viel extremer hochgeschossen. Allein über die Target-II Saldi haben die Zentralbanken der anderen EU-Länder bei der Deutschen Bundesbank fast eine Billion an Schulden angehäuft. Ein Kredit der Deutschen Bundesbank an andere Nationale Zentralbanken, der – bei Lichte betrachtet – sich als uneinbringbar erweisen wird. Vom deutschen Haftungsanteil für die von der EZB aufgekauften Schrott-Staatsanleihen der EU-Südschiene und den ebenfalls uneinbringbaren Griechenland-Krediten ganz zu schweigen. Bei der Vorstellung, wie der juristisch unbeleckte Gymnasiallehrer und Soziologe Gabriel als knallharter Verhandler mit dem IWF und der EZB, den Zentralbanken und Regierungen im Haifischbecken EU um Vertragsklauseln, Haftungen und Sicherheiten kämpfen soll, kann einem im Nachhinein noch angst und bange werden. Wenn er dann auch noch davon spricht, dass “andere mühsam” den von Schäuble angerichteten Schaden wieder reparieren müssen, so lasset uns alle inständig hoffen, dass Herr Gabriel sich dazu nicht berufen fühlen möge.
Angesichts des naiv-patzigen Vorwurfs, Schäuble habe ja quasi nur durch den unverdienten Dusel der Niedrigstzinsen einen relativ guten Haushalt hingelegt, bleibt nur zu sagen, dass es ja genau Zweck und Absicht der Niedrigstzinsen ist, den Schuldendienst trotz allem noch leistbar zu halten, um die Banken und Staaten vor dem Schuldenkollaps zu bewahren. Das ist etwa so, als beschimpfe man einen Autofahrer als gewissenlosen Straßenrowdy, den nur der Halt an der roten Ampel vor einer Kollision auf der Kreuzung gerettet habe.
Abschluss der Tirade Gabriels ist dann ein Schwenk in Richtung eines allgemein-versöhnlichen „War-nicht-so-gemeint“- Köpfchentätschlers für Schäuble, er habe ja auch „vieles richtig gemacht“. Nicht ohne mahnende Worte des scheidenden Vizekanzlers an den scheidenden Finanzminister, dieser möge seine Position als Bundestagspräsident nutzen, um der AfD das Leben möglichst schwer zu machen.
Es ist doch immer wieder ein Genuss, strategisch brillanten Köpfen bei ihren genialen, schwer durchschaubaren Schachzügen bewundernd zuzusehen.