Sie surften immer hart an der Grenze und das war ihr Markenzeichen. Bisweilen ging es auch über Geschmack- und Rücksichtslosigkeit hinaus und war schon beleidigend oder sittenwidrig. Sie waren damit aber ein Ventil für viele, denen die zunehmende Political Correctness auf den Geist ging oder die einfach mal zumindest verbal über die Stränge schlagen wollten. Jetzt geben sich die Musikrabauken plötzlich „achtsam“. Sie weigern sich, ihre alten Kult-Songs aufzuführen.
Das Stück „Elke“ der Berliner Band „die Ärzte“ ist bei ihren Fans Kult. Bei einem ihrer Auftritte wollten die Fans den Song hören – aber zu deren Erstaunen bekamen sie nicht den Song, sondern eine knappe, moralische Zurechtweisung zu hören. Die Ansage von Bandleader Farin Urlaub (Jan Vetter, 58):
„Neee, Leute. Elke ist fatshaming und misogyn. Sowas spielen wir nicht mehr, das ist letztes Jahrtausend.“
Damit man mal einen Eindruck davon bekommt, hier das Original im Video:
und hier der inkriminierte Text:
Es fing an, als sie mich anrief, da war ich gleich verlorn
Ihre Stimme klang so zärtlich und so sanft in meinen Ohren
Sie schickte mir ein Foto, mein Herz blieb beinah stehn
Sie sah aus wie eine Pizza, sie war wunder-wunderschön
Ich schrieb ihr einen Liebesbrief mit Rosenduft sogar
Und zwei Wochen später waren wir ein Liebespaar
Elke, die fette Elke
Wir haben uns getroffen allein bei mir zu Haus
Sie sah noch viel, viel dicker als auf dem Foto aus
Ich schloss sie in die Arme, das heißt, ich habs versucht
Ich stürzte in ihr Fettgewebe wie in eine Schlucht
Sie ist ein echter Brocken, 3 Meter im Kubik
Sie sieht so aus wie Putenbrust mit Gurke in Aspik
Elke, die fette Elke
Ich war mit Elke essen, ganz schick mit Kerzenschein
Ich aß ein bisschen Tofu, sie aß ein ganzes Schwein
Elke ist so niedlich, Elke ist mein Schwarm
Im Sommer gibt sie Schatten, im Winter hält sie warm
Sie hat zentnerschwere Schenkel, sie ist unendlich fett
Neulich hab ich sie bestiegen – ohne Sauerstoffgerät!
Die fette Elke, Elke, die widerwärtige Elke
Ich nannte sie mein Nilpferd, natürlich nur im Scherz
Doch ich brach damit ihr dickes, fettes Herz
Sie ist daran gestorben, mein süßer, kleiner Schatz
Ich konnt sie nicht begraben. Auf dem Friedhof war kein Platz.
Nun gibt es eine Geschichte hinter dieser „Elke“. Die Band fühlte sich von zwei korpulenten, hartnäckigen Verehrerinnen namens Elke und Daniela belästigt. Als diese das Desinteresse der Band ignorierten und ständig anriefen, zahlreiche Briefe schickten und ihnen auch noch noch drei Fotos von sich schickten und sich dauernd unbedingt treffen wollten, drohte Bandleader Farin, ein Lied über sie zu schreiben, wenn sie keine Ruhe geben. Anscheinend hörten die Aufdringlichkeiten aber nicht auf – und so brachten „die Ärzte“ dieses Lied heraus. Showleute, Schauspieler, Musiker und andere Publikumslieblinge müssen aber nun mal mit dem Problem leben, auch die unerwünschte „Liebe“ unangenehmer Fans auf sich zu fokussieren. Das ist die dunkle Seite des Ruhms. Davon können die „Celebrities“ der Welt alle ein Liedchen singen. Aber gleich so ein giftig-böses Liedchen?
Das ist in der Tat ziemlich gemein. Nun gehören Texte, die jede Schamgrenze überschreiten, zum „Image“ und dem Selbstverständnis der Band. In diesem Fall wird aber eine ganz konkrete und nicht eine fiktive Person, nämlich „Elke“ öffentlich blamiert und beleidigt. Das verletzt eine ganz konkrete Frau auf üble Weise und ist moralisch und rechtlich das wahre Problem. Denn Songs wie „Männer sind Schweine“ reduzieren den Mann ja auch höchst bösartig auf eine verwerfliche, amoralische, rücksichtslose Kreatur, die Frauen degradiert und einfach nur benutzt, um seinen Sextrieb abzureagieren. Da gibt es aber anscheinend keine Distanzierung. Kein Wunder: Der Mann – und zwar ausschließlich der weiße Mann – ist nicht schutzwürdig, sondern die Ursache allen Übels auf dieser Welt. Keine Gruppe der menschlichen Weltbevölkerung ist mehr dem Hass, dem Spott und der Kritik ausgesetzt.
Um einen miesen, persönlichen Angriff auf eine dicke Frau, nur, weil sie dick ist, zu verurteilen, braucht es keine neumodischen Vokabeln wie „fatshaming“. Hier geht es auch gar nicht wirklich um die Adipositas der beiden Verehrerinnen, sondern in erster Linie um eine sehr unfaire und überzogene Abwehr von Belästigung. Das hätte man auch anders lösen können. Und das Adjektiv „misogyn“ passt nicht, weil das ja alle Frauen beträfe, was hier ja nicht der Fall ist. Warum geht es nicht einfach menschlich und anständig? Vielleicht so: „Das war sehr unfair von uns und wir sind nicht stolz darauf – wir haben jemandem sehr weh getan — und wir werden das nicht wieder spielen.“?
Nein, „die Ärzte“ versuchen auch noch, sich zu adeln, indem sie mit den PC-Modebegriffen „misogyn“ und „fatshaming“ um sich werfen – und nun damit eigentlich ihre eigenen Fans dieser Untugenden zu bezichtigen, weil die unmoralischerweise das Lied hören wollen. Aus dieser Äußerung spricht nicht Reue und Bedauern, sondern Konformismus. Und das ist es auch, was die Fans ihnen ihnen übelnehmen. Wer Ärzte-Fan ist, der will dieses Aufbegehren, das „wider-den-Stachel-löken“, das Ungezügelte, das sagen, was nicht gesagt werden darf. Die Ärzte werden einen guten Teil ihrer Fans verlieren. „Go woke, get broke“, heißt es im Englischen (wenn du „achtsam“ wirst, gehst du pleite).
„Die Ärzte“ haben/hatten noch ein paar Songs im Repertoire, die ganz gezielt gesellschaftliche Totaltabus brechen. Das Lied „Claudia“ handelt von einer sexuellen Beziehung einer Frau mit ihrem Schäferhund. „Geschwisterliebe“ thematisiert die die Inzucht zwischen Bruder und Schwester.
Das „Elke“-Lied ist übrigens schon seit vielen Jahren nicht mehr aufgeführt worden. Weder sollte man darum jetzt plötzlich so ein Aufhebens machen, noch muss man sich hier als „politisch Korrekter“ und Bekehrter darstellen und an die Meinungsdiktatur anbiedern.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.