Sie war eine Löwin, eine Unzerbrechliche, eine Kämpferin. Das Leben hat es ihr nicht leicht gemacht. Für viele – auch für mich – war sie ein Vorbild. Sie hat noch in einem Alter, wo andere sich auf ihren Lorbeeren ausruhen, mit ihrer umwerfenden Präsenz auf den Bühnen der Konzerthallen gestanden und Stadien gefüllt. Sie hat mit ihrer unglaublichen Präsenz und Energie mitgerissen und beeindruckt. Ihre Stimme war unverwechselbar. Praktisch weltweit war sie einer der bekanntesten Rocksänger. Das Schicksal hat ihr wirklich voll eingeschenkt, aber sie blieb ungebrochen.
Tina Turner kam 1939 als Anna Mae Bullock in Brownsville, Tennessee zu Welt. Ihre Eltern waren Baumwollpflücker, und sie hatte eine ältere Schwester. Die Familie war tiefgläubig. Ihr Vater, Floyd Richard Bullock war Diakon bei den Baptisten. Tina fiel schon im baptistischen Kirchenchor in Nutbush mit ihrer Stimme auf.
Ihr Lebensgefühl in dieser winzigen Siedlung zwischen Baumwollfeldern (im Jahr 2000 zählte das Nest 259 Einwohner) beschrieb sie in einem ihrer großen Hits „Nutbush City Limits“ (die Stadtgrenze von Nutbush, 1973), der ihr 26 Wochen lang den Platz 2 der Singlecharts in Deutschland sicherte. Es gibt einen Gemischtwarenladen, der aus einem altern Westernfilm stammen könnte, und 1881 wurde ein U.S. Postamt eröffnet, was 1905 wieder geschlossen wurde. Das Haus, in dem Tina Turner als Kind bei ihrer Großmutter aufwuchs, nachdem die Eltern sich trennten, gibt es nicht mehr. Auch die kleine, hölzerne Einklassen-Schule wäre heute nicht mehr da, wenn Fans nicht dafür gesammelt hätten und Tina Turners Schulhäuschen mit einem Tieflader abtransportiert und für das Brownsville Museum für Kultur renoviert hätten.
Schulhaus von Nutbush, Wikimedia Commons,Thomas R. Machnitzki, CC BY 3.0
Heute noch ist Baumwolle die bedeutendste Einnahmequelle des Örtchens. Und man ist stolz auf die weltberühmte Tochter.
Mit sechzehn zog sie 1955 mit ihrer Schwester zur Mutter nach nach St. Louis, einer Stadt, die vor schwarzer Musik vibrierte und Tina bzw. Anna Mae war mittendrin. So lernte sie dort 1958 auch den Musiker Ike Turner kennen. Dem fiel das Talent der jungen Frau auf und er machte sie ersteinmal zur Backgroundsängerin in seiner Band „Kings of Rhythm“. 1960 hatte sie die Chance, als Solosängerin bei dem Stück „A Fool in Love“ mit der Band auf der Bühne zu stehen, weil der eigentliche Sänger Art Lassiter kurzfristig ausfiel. Mit Tinas unverwechselbarer „Rockröhre“ schoss der Titel der bis dahin überregional kaum bekannten Band im August 1960 direkt in die US-Charts.
Bis dahin war Tina Turner noch unbekannt, doch nun gab ihr Ike Turner – die beiden waren bereits ein Paar – den Namen Tina Turner, der einfach besser klang und so tourten sie als „Ike and Tina Turner“ durch die USA und dann auch durch Europa — und bis nach Australien. Tina brachte ihnen sehr viel Geld ein. Jahrelang wuchs der Ruhm, der aber hauptsächlich an ihrem Auftritt und ihrer Stimme lag. Mit „Proud Mary“ verdienten sie sich einen Grammy Award. 1962 heirateten Ike und Tina Turner in Mexiko.
Unvergessen ist Tinas Filmrolle als „Acid Queen“ in der Verfilmung der Rockoper „Tommy“ mit der Gruppe „The Who“:
Ihre unglaubliche Präsenz, ihre Energie, ihre Stimme waren es, die „Ike und Tina Turner“ ganz nach ober katapultiert hatten und das wurde immer mehr zum Konflikt in der Ehe. Ike Turner war drogensüchtig geworden und kompensierte seine Probleme mehr und mehr mit Wutanfällen und Prügeln – auch gegen Tina. 1976 verließ Tina Turner ihn und reichte die Scheidung ein. Zwei Jahre später war sie frei.
Die Scheidung war schmutzig und konfrontativ. Einer der Hauptpunkte, die Tina Turner durchsetzte war, dass sie den Künstlernamen Tina Turner behalten wollte. Sie konnte eine Einigung erzielen, indem sie alle Steuerschulden übernahm und die Geldstrafen für ausgefallenen Konzerttermine wegen Ike Turners Drogenmissbrauch. Sie behielt auch alle Autorenrechte und ‑lizenzen ihrer eigenen Songs, zwei Autos und teuren Schmuck. Und sie behielt die die vier Söhne Craig, Ronald (Ronnie), Renelle, Ike Junior und Michael. Zwei davon waren adoptiert, Craig war ein Sohn des Saxophonspielers Raymond Hill und beging Selbstmord. Michael und Ike Junior stammte aus einer Beziehung von Ike Turner mit Lorraine Taylor und wurden von Tina adoptiert. Ronnie war das einzige Kind aus der Ehe mit Ike Turner.
Die Zeit nach der Scheidung war für Tina Turner ein einziger Kampf und ein Weg voller Dornen. Ihr Ex-Mann ließ kein gutes Haar an ihr. Sie verdiente nicht mehr ansatzweise so viel Geld, wie vorher, trat in kleinen Räumen auf und tingelte durch die Provinz. Es gab keine stadienfüllenden Konzerte mehr, sie war froh, wenn ein paarhundert Fans kamen. Auch ihre ersten beiden Alben danach („Rough“ und „Love Explosion“) verkauften sich schlecht. Für die großen Schallplattenlabels bekam sie den Ruf eines „schlecht vermarktbaren Altstars“. Aber sie gab nie auf, Sie nahm auch mies bezahlte Jobs an, um die Familie über Wasser zu halten, Es heißt, sie sei sogar putzen gegangen. Chapeau, kann man da nur sagen.
Und sie arbeitete sich unaufhaltsam, zäh und energisch wieder nach oben. Der Musikproduzent Roger Davies stand ihr dabei zur Seite, aus dem Tief wieder heraus zu kommen. Sie absolvierte endlich wieder große Shows und man sprach wieder über sie. Neue Fans und alte Bewunderer kamen wieder, die Zuschauerzahlen wuchsen, sie bekam Gastauftritte bei Berühmtheiten, wie Tom Jones, Rod Stewart und David Bowie, trat im Vorprogramm der Rolling Stones auf.
1984 kam das Album „Private Dancer“ heraus, auf in dem sie verschlüsselt auch ihre harten Jahre und das Lebensgefühl thematisierte „I’m a private dancer, a dancer for money, do what they want me to do …“
All the men come in these places
And the men are all the same
You don’t look at their faces
And you don’t ask their names
You don’t think of them as human
You don’t think of them at all
You keep your mind on the money
Keeping your eyes on the wall
I’m your private dancer, a dancer for money
I’ll do what you want me to do
I’m your private dancer, a dancer for money
And any old music will do
All diese Männer kommen zu diesen Orten, und die Männer sind alle gleich.
Du schaust nicht in ihre Gesichter und du fragst nicht nach ihrem Namen.
Die siehst sie nicht als Menschen, du denkst überhaupt nicht über sie nach.
Du hast nur das Geld im Kopf und schaust die Wand an.
Ich bin deine Privattänzerin, eine Tänzerin für Geld, ich werde tun, was du von mir willst,
Ich bin deine Privattänzerin, eine Tänzerin für Geld, und jede alte Musik ist gut genug dafür.
Der Song auf dem Album „What’s Love got to do with it“ – beschreibt ihre emotionalen Verletzungen und dass das, was man Liebe nennt, lediglich eine körperliche Anziehung ist, „Was hat das Liebe damit zu tun? Was ist Liebe anderes, als ein Second-Hand Gefühl? Wer braucht ein Herz, wenn ein Herz gebrochen werden kann? Ich denke, dass ich mich schützen muss.“
Nun, sie hat es geschafft. Ein zweites Mal. Sie hat alles überstanden, dem Schicksal getrotzt und ist ganz nach oben gekommen, weil sie es wirklich kann, weil sie eine unglaublich starke, ungezähmte Frau ist, weil sie die Herausforderung des Lebens angenommen hat und die Verantwortungen, die sie übernommen hat, auch immer erfüllte. Eine Kämpferin und Steherin und ein Arbeitstier. Kein Gejammer, kein Betteln, keine Fluchten, kein Kneifen, keine Tricksereien. Was für ein großartiger Mensch.
Sie hatte sogar das Glück, noch einmal eine wirklich gute und echte Liebe zu finden, den Musikproduzenten Erwin Bach. Mit ihm lebte sie in Köln. Während dieser Zeit konnte man sie auch bisweilen in der Innenstadt sehen und bei Einkaufsbummeln im Kaufhof und Karstadt. Die Kölner sprachen sie seltenst an, man lächelte sie an, sie lächelte zurück. Niemand wollte ihr auf die Pelle rücken. Ich habe sie auch ein paarmal in meiner Kölner Zeit gesehen und mich für sie gefreut, dass sie es geschafft hatte und glücklich sein konnte, aber sie nie angesprochen. Später ist sie mit Erwin Bach in die Schweiz nach Küsnacht gezogen. Dort haben sie in einer buddhistischen Zeremonie geheiratet und sind später in den Kanton Ürikon gezogen.
Leider hat all das Kämpfen, die Entbehrungen, die Armut und die bösen Angriffe ihres Ex-Mannes Spuren hinterlassen. Sie erlitt 2013 einen Schlaganfall und erkrankte 2016 an Darmkrebs, 2017 kam ein schwerer Nierenschaden dazu, den sie überlebte, weil ihr Mann Erwin Bach ihr eine Niere spendete. Sie starb mit 83 Jahren nach langen Jahren der Krankheit in ihrem Haus in Küsnacht.
Sie wird in den Herzen ihrer Fans und Bewunderer weiterleben. Für mich persönlich war sie ein Vorbild. Da, wo sie jetzt ist, wird es ihr gut gehen, denn sie war und blieb ein guter Mensch, sie kann stolz auf sich sein. Ihrem Mann wünschen wir alles Gute und Dank, dass er ihr echte Liebe und eine gute Zeit im Leben geben konnte.
Der Gemischtwarenladen in Nutbush: Wikimedia COmmons, DoxTxob, CC BY-SA 3.0
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.