Das Paradies auf Erden, das gibt es. Nicht oft aber hier und da. Eines davon ist Rettenbach im Allgäu. Es sieht so aus, wie man sich in den Heimatfilmen die Dörfer vorstellt. Blumenkästen vor den Fenstern mit intensiv-bunter Blumenpracht vor den Holzbalkonen und sauberen, gepflegten Häusern. Kühe und Ziegen grasen entspannt auf den grünen Hügeln. Weiter weg der Auersberg und der 967 Meter hohe Hausberg Weichberg. Das ist Allgäu pur und es geht einem das Herz auf.
Ein Dorf geht seinen eigenständigen Weg: Energie-Autarkie ist machbar, Herr Nachbar!
Hier, in dieser Landschaft fühlte sich auch der Märchenkönig Ludwig wohl. Sein Schloss Neuschwanstein ist nur etwa 30 Kilometer weit weg. Und das beste: Rettenbach ist (fast) komplett autark, hat eine eigene, interne Währung und ist eine wunderbare Dorfgemeinschaft. Das Einzige, was man von weitem doch sehr Modernes sieht, sind die Solaranlagen, die auf fast allen Dächern je nach Sonnenstand in die Augen gleißen. Die Rettenbacher sind nämlich keine „ewig Gestrigen“, die eine Filmidylle leben, sondern tüchtige, nach vorn schauende Leute. Sie produzieren ihren eigenen Strom, haben ein kommunales Blockheizkraftwerk und damit sind sie Energieautark. Wärme gewinnen sie aus CO2-neutralen Scheitholzanlagen und ihre Autos betanken sie zum großen Teil mit Rapsöl. Rettenbach produziert mit Solaranlagen und privaten Sonnenpaneelen mehr Strom, als es selbst verbraucht, Die Bauern können ihre Höfe mit Energie und Wärme aus ihren Biogasanlagen versorgen. Das Blockheizkraftwerk wärmt das Dorfgemeinschaftshaus und den Kindergarten und versorgt sie mit Strom. Das, was überschüssig produziert wird im Dorf, wird ins allgemeine Stromnetz eingespeist.
Bäuerliches Anwesen bei Rettenbach, Birkenberg, Bild: Wikipedia/Flodur63, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Im Supermarkt des Dorfes gibt es Selbst-Angebautes
Die die meisten Nahrungsmittel in Rettenbach stammen aus eigener Produktion. Die Lebensmittel, die die 850 Dorfbewohner selbst produzieren, verbrauchen sie auch selbst und was die Familien gerade nicht selbst verzehren, kommt in den örtlichen Laden und was fehlt, wird direkt aus der Umgebung angeliefert. Die Waren sind frisch, die Transportwege kurz. Nur sehr wenige Waren müssen von weiter her geholt werden. Die Selbstversorgung ist daher zwar nicht einhundertprozentig, aber doch sehr weitgehend. Ein bisschen sehen die Leute aus der Umgebung den Ort, wie das trotzige „Gallische Dorf“ aus Asterix und Obelix an, denn ganz unbehelligt sind die konsequenten Bewohner nicht geblieben: Aus Berlin und von der EU kam schon Gegenwind, die Bürokratie sieht das nun mal nicht vor, was da abläuft. Da kamen immer wieder Versuche, das Dorf von oben zu reglementieren. Insbesondere wegen dieser unerträglichen Unbotmäßigkeit:
Das Dorf hat sein eigenes GELD!
Die Autarkie- und Selbstversorger-Philosophie will eben auch nicht, dass Geldentwertung und Inflation das System destabilisieren. Das mit der eigenen Währung war also keineswegs eine „Schnapsidee am Tresen“. Denn schon vor über 20 Jahren beschloss die Gemeinschaft, dass ihr Dorf nicht nur konsequent autark sein wollte, sondern auch echten Umweltschutz praktiziert und sich selbst versorgt, um unabhängig von den Höhen und Tiefen der Börsen des „globalen Marktes“ für Getreide und anderen Grundnahrungsmitteln zu sein – und daher machten sich die Dorfbewohner zwar langsam, aber Zug um Zug daran, dass Wohl ihres Dorfes wieder selbst in die Hand zu nehmen und dabei ist ein eigenes Geld als Tauschmittel sehr wichtig. Und: Geldgeschenke werden nicht über Amazon oder Temu nach China oder sonstwohin geschickt, sondern im Ort dann wieder eingelöst. Der Weichbergtaler ist somit eine Energiespritze für den lokalen Handel und das Prosperieren.
Das war dann die Geburtsstunde des „Weichbergtalers“, benannt nach dem Weichberg bei Rettenbach. Die Währung gilt allerdings nur innerhalb des Dorfes. Eine Münze entspricht dem Wert von fünf Euro und wird überall im Dorf als Zahlungsmittel angenommen. Im einzigen Supermarkt des Dorfes, dem „Weichbergmarkt“ wird auch mit dem Weichbergtaler (hier ein Bild) bezahlt. Schon das Äußere des Supermarktes ist ansprechend: Das Gebäude wurde aus dem Holz der umliegenden Wälder gebaut und wirkt sehr einladend und fast gemütlich. Innen ist man überrascht, wie groß der Laden ist.
Der Supermarkt in Rettenbach, aus örtlichem Holz gebaut: Bild: Screenshot Youtube
Das Dorf expandiert, Firmen siedeln sich an, das Handwerk floriert und junge Familien kommen
Anders, als in anderen Dörfern, wo gerade die jungen Leute in die Stadt abwandern, weil es oft an Verdienstmöglichkeiten fehlt, ist Rettenbach von etwa 500 Einwohnern auf heute fast 850 angewachsen. Der Grund: Es gibt viele kleine und mittelständische Unternehmen, die Gewerbesteuer ist günstig und die Grundstückspreise sind niedrig. Das Dorf verfügt über Tankstellen, den großen Supermarkt, Gaststätten und einen Kindergarten, wo man nicht ewig lang warten muss, bis man einen Platz bekommt. Genau das zieht junge Familien an.
Angst vor Überalterung und Abwanderung müssen die 850 Rettenbacher auch nicht haben. Das Interesse an Rettenbach ist inzwischen so groß, dass bereits viele Bewerbungen für ein ausgeschriebenes Baugebiet eintrafen, bevor 2019 überhaupt gekauft werden konnte.
Es gibt bereits einen Gewerbepark außerhalb, der gut angenommen wird. Das Holzbauunternehmen „Oberland Holzhaus GmbH“ hat sich hier angesiedelt, der führende Forstgerätehersteller Pfanzelt Maschinenbau und einer weiterer großen Arbeitgeber am Ort ist die Firma Kugelmann. Dessen Rasepflegemaschinen kommen sogar in UEFA-Fußballstadien zum Einsatz. Bei der Fußball-WM des „deutschen Sommermärchens“ 2006 sorgte Kugelmann für den perfekten Rasen in den Stadien. Die Maschinenbauer sind begehrteArbeitgeber und die „junga Leit“ arbeiten gerne dort, es wird ja auch schließlich gemeinsam gefeiert. Zum Beispiel eine Grill Pool Challenge:
Natürlich ziehen auch diese Unternehmen mit, was Ökologie und Selbstversorgung betrifft. Auch hier ist Solar auf allen Dächern, der Holzhaushersteller benutzt nur örtlich nachwachsende Rohstoffe und die Maschinenbauer lackieren die Geräte nur mit schadstoff-freien Farben.
„Da ist die Welt noch in Ordnung“
Hier ein paar Impressionen noch aus Rettenbach
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