Bun­deswehr und Ein­satz­fä­higkeit: Zwi­schen Mangel-Management, Über­for­derung und Behörden-Irrsinn

 

Sol­daten der UN-Mission in Mali erweisen den toten Bun­des­wehr­pi­loten das mili­tä­rische Ehren­geleit. (Foto: Bundeswehr)

Seit vielen Jahren muss Deutschland wieder Sol­daten, die in Aus­übung ihrer Pflicht gestorben sind, beklagen. Der Hub­schrauber-Absturz in Mali machte Schlag­zeilen, Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terin v. d. Leyen empfing die Särge. Das Herz der Bun­des­wehr­sol­daten, das sie in den letzten Wochen arg mit Füßen trat, hat sie damit nicht gewonnen, aber ihre Pflicht als Minis­terin getan. Sie besuchte die deut­schen Truppen in Mali und wohnte dort einem Feld­got­tes­dienst bei.

Die Hub­schrau­ber­tra­gödie in Mali

Am ver­gan­genen Mittwoch heben im Norden Malis zwei Heli­kopter vom Boden ab. Sie sollen sich einen Über­blick über die ver­worrene, bür­ger­kriegs­ähn­liche Lage in dem afri­ka­ni­schen Land ver­schaffen. Ver­feindete Gruppen schießen auf­ein­ander, und zum ersten Mal in Mali ist es eine echte „scharfe“ Mission mit dem „Tiger“-Hubschrauber.

Die Besatzung des zweiten „Tiger“ beschreibt das Geschehen so: Auf halber Strecke zum Ein­satzort, neigt sich die Unglücks­ma­schine urplötzlich vorne her­unter, der Pilot gibt keinen Notruf ab, der Heli fliegt im Sturzflug kopfüber in den Wüs­ten­boden, beide Piloten sind auf der Stelle tot.

Noch immer ist fraglich, ob es ein tech­ni­sches Ver­sagen war. Über die Hydraulik wird gerätselt oder ob es ein Problem mit dem Auto­pi­loten gab. Selt­sa­mer­weise schließt die Bun­deswehr aus, es könne sich um ein Tem­pe­ra­tur­problem handeln. 
Dabei liegt gerade bei dem Tem­pe­ra­tur­problem sofort das Augenmerk. Mali liegt in Äqua­tornähe, wo die Sonne eine eine extrem hohe Strah­lungs­in­ten­sität hat. Die matte, eher dunkle Metal­lau­ßenhaut des Heli­ko­pters heizt sich in der Sonne schnell auf 70–80 °C auf. Daher konnten bisher diese Hub­schrauber in Mali nur von der Abend­däm­merung bis zur Mor­gen­däm­merung fliegen. Das machte sie für den Einsatz tagsüber unbrauchbar. Nun wurde seit Ende April das Tem­pe­ra­tur­limit per Son­der­ge­neh­migung auf 48,26 °C ange­hoben. Mit welcher sach­lichen Begründung das Limit um genau auf das hun­dertstel Grad um ganze fünf Grad ange­hoben werden kann, ist unklar.

“Bei Gefährdung von Leib und Leben dürfen wir an diese Tem­pe­ra­tur­grenze her­an­gehen”, sagte der Einsatzleiter.

Ist auch aus­ge­testet worden, welche zusätz­liche Belastung Sand und Staub in einer Wüs­ten­land­schaft dar­stellen? Tech­niker sagen, so die Zeitung „die Welt“, dass die Hub­schrauber „in einem Monat Mali-Einsatz so schnell altern, wie in meh­reren Jahren Einsatz in Deutschland.“

War die ursprüng­liche Grenze von genau 43,26 °C eine reine Phan­tasie-Grenze ohne sach­liche Begründung? Warum gehen auf einmal 48,26 °C?

Wie konnte der Inspekteur des Heeres die Sicher­heits­grenze der Betriebs­tem­pe­ratur einfach um 5 °C erhöhen? Pi mal Daumen? Weil es vorher unsinnig war? Ist die Erhöhung tech­nisch ver­tretbar? Auf jeden Fall scheint klar, dass die Heli­kopter im Grenz­be­reich der Sicherheit operierten.

Tech­nische Pro­bleme, feh­lende Aus­rüstung, „kreative Mangelverwaltung“

Das ist kein Aus­nah­mefall. Immer wieder bringen tech­nische Pro­bleme und feh­lende Aus­rüstung die Sol­daten der „hoch­mo­dernen Budeswehr“ in Gefahr. Auf der anderen Seite werden unsinnige Anfor­de­rungen an die Her­steller der Aus­rüstung gestellt.

Große Teile des Fuhr­parks der Bun­deswehr sind nicht ein­satz­bereit, defekt, ver­altet oder durch unsinnige Vor­schriften für den Einsatz nicht zuge­lassen. Bis­weilen muss spontan impro­vi­siert werden, was dann zu mas­siven Sicher­heits­lücken führt.

Ende Mai bei­spiels­weise, sollten 85 Bun­des­wehr­sol­daten heim­fliegen von Mali nach Deutschland. Sie wurden in unge­pan­zerten Bussen eines lokalen, afri­ka­ni­schen Bus­un­ter­nehmers, wehrlos wie Ton­tauben, zum Flug­hafen gekarrt, nur durch schuss­si­chere Westen halbwegs geschützt. Eigene Fahr­zeuge, in der Bun­deswehr oder der UNO, „Coms“ genannt, in denen sie „ver­bracht“ werden konnten, gibt es nicht. Sol­daten fremder Länder, ins­be­sondere Weiße in Afrika, sind beliebte Anschlags­ziele, und gerade im Norden Malis ist die Bedrohung erheblich, sagte der Staats­se­kretär des Aus­wär­tigen Amtes, Markus Ederer.
Das war aber erst der Anfang einer sprich­wört­lichen Himmelfahrt.

Am Flug­hafen in Mali besteigen die Sol­daten einen Bun­deswehr-Airbus A310, wie sich her­aus­stellt, auf sui­zi­dalem Sicher­heits­niveau. Statt nach dem Start in Richtung Heimat zu fliegen, zieht die Maschine aber Schleifen über die Stadt. Laut Pilot gibt es eine tech­nische Störung am Fahrwerk. Es lässt sich nicht ein­fahren. Der Airbus fliegt allen Ernstes direkt über den Flug­hafen-Tower hinweg, damit die Flug­lotsen darin durch die Fenster gucken können, ob das Fahrwerk einen Schaden hat oder Rauch zu sehen ist. Danach landet man vor­sichts­halber wieder. Die Systeme hatten einen Brand im Fahrwerk gemeldet. Man kann also nicht nach Hause fliegen mit der Mühle. Also, zurück in die lebens­ge­fährlich unge­pan­zerten Busse und ab ins schwe­dische Mili­tärcamp. Ein Tech­niker aus Köln wird ein­ge­flogen und prüft den Airbus. Die Sol­daten fliegen mit einer Ver­kehrs­ma­schine der SAS heim. Eine Ersatz­ma­schine der Bun­deswehr gibt es nicht.

Absurde Anfor­de­rungen, Kos­ten­trei­berei vom Heeresbeschaffungsamt

Während es unzählige Berichte wie diesen gibt, wo das Leben und die Gesundheit von Bun­des­wehr­sol­daten durch feh­lende Aus­rüstung, unge­eig­neten Ersatz, skan­dalöse Sicher­heits­lücken und tech­nisch man­gel­hafte Aus­rüstung unnötig in akuter Gefahr ist, werden an anderer Stelle durch geradezu schild­aeske Anfor­de­rungen an die Her­steller, die Kosten und Schwie­rig­keiten der Her­stellung neuer Aus­rüstung ins Uner­mess­liche getrieben.

Vom neuen Bun­des­wehr­panzer „Puma“ bei­spiels­weise, werden statt 1000 Panzer nur 350 – und diese noch viel zu spät – aus­ge­liefert. Grund: die neue Arbeits­stät­ten­ver­ordnung für Per­sonal und Gerät der Bun­deswehr wurde auf Geheiß der Arbeits­mi­nis­terin Andrea Nahles neu über­ar­beitet und gebar Aus­wüchse der Büro­kratie, die einen Rat­ten­schwanz an Pro­blemen im Schlepptau hatten.

Harmlos muten davon Vor­gaben an, wie eine vor­ge­schriebene Min­destem­pe­ratur für Abstell­räume und Archive von 17 °C, die wahr­scheinlich bei 16 °C auch nicht implo­dieren würden, während, weniger harmlos, in Mali die Höchst­be­triebs­tem­pe­ratur eines Kampf­hub­schraubers bei Kampf- und Wüs­ten­be­din­gungen einfach um 5 °C her­auf­ge­setzt wird. Tee­küchen müssen aus Sicher­heits­gründen zwingend über ein Fenster ver­fügen, während Bun­des­wehr­sol­daten in Kri­sen­ge­bieten mit lokalen, unge­pan­zerten Bussen als pla­kative Ziel­scheiben zu einem Flug­hafen zu einem flug­un­taug­lichen Bun­deswehr-Flugzeug gekutscht werden.

Beim 2004 in Auftrag gege­benen Kampf­panzer „Puma“ lis­teten dagegen die Hee­res­planer der Bun­deswehr in der Leis­tungs­be­schreibung 117 gesetz­liche Bestim­mungen, Vor­schriften, DIN-Normen sowie tech­nische Anfor­de­rungen auf. Es wird nicht weniger gefordert, als die sin­gende, tan­zende, eier­le­gende Woll­milchsau und das unter allen nur denk­baren Ein­satz­be­din­gungen: Stö­rungs­freies Funk­tio­nieren vom Nordpol bis in die Sahara, mit modernster Technik und hoch­prä­zisen Farb­mo­ni­toren zur Außen­be­ob­achtung. Schon bei Auf­trags­er­teilung wäre der neue Puma mit 7 Mil­lionen Euro Stück­kosten enorm teuer geworden. Mitt­ler­weile liegen sie bei 10 Mil­lionen. Kom­mentar der Her­steller KMW und Rhein­metall: „Die Absicht des Auf­trag­gebers, Zeit und Kosten gering zu halten und glei­cher­maßen ein Maximum an tech­ni­scher Inno­vation zu erreichen, ist als zen­trale Ursache für die enormen Lie­fer­ver­zö­ge­rungen zu betrachten“ .

Schwan­ger­enschutz beim Panzerfahren

Dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt aber die absurde Vor­schrift für die „Arbeits­stätte Kampf­panzer“. Im Innenraum des neuen Panzers „Puma“, der das alte Modell „Marder“ ablösen soll, müssen die Kli­ma­be­din­gungen und Sitze so beschaffen sein, dass selbst für hoch­schwangere Sol­da­tinnen die „Beför­derung bei einem Gefechts­einsatz noch möglich ist“. Was hoch­schwangere Sol­da­tinnen, die spä­testens dann im Mut­ter­schutz sind, im Gefechts­einsatz in einem Panzer im Krieg zu suchen haben, erschließt sich einem Nor­mal­den­kenden nicht.

Diese Vor­schrift soll, der Frank­furter All­ge­meinen Zeitung zufolge, in Rüs­tungs­in­dus­trie­kreisen zu Hei­ter­keits­aus­brüchen geführt haben.

Aller­dings ist diese nur noch als Gro­teske auf­zu­fas­sende Vor­schrift gar nicht so lustig. Abge­sehen davon, dass keine hoch­schwangere Sol­datin in einem Kampf­panzer in ein scharfes Gefecht reiten wird und der ganze Vorgang schlicht geis­tes­krank ist, treibt die Befolgung dieser Vor­schrift die Kosten der­maßen hoch, dass im Rahmen des Budgets nur noch ein Drittel der bestellten Panzer geliefert werden kann.

Denn der Grenzwert der „Schuß­gas­be­lastung“ — vulgo: der Pul­ver­dampf im Inneren des Panzers — musste enorm gesenkt werden, um eine (halten Sie sich fest!) „Frucht­was­ser­schä­digung der weib­lichen Puma-Besatzung“ garan­tiert auszuschließen.
Dass das Unge­borene mög­li­cher­weise bei einem scharfen Gefechts­einsatz durch wesentlich bru­talere Dinge gefährdet werden könnte, als durch Schuss­gas­be­lastung — zum Bei­spiel durch Pan­zer­fäuste, Bom­bar­de­ments und pan­zer­bre­chende Munition — ist den Damen Nahles und von der Leyen offenbar über­haupt nicht präsent. Wahr­scheinlich werden sie im Ver­tei­di­gungsfall dem mili­tä­ri­schen Gegner die Ver­ordnung zum Schwan­ger­schafts­schutz der hoch­schwan­geren Pan­zer­fah­re­rInnen zur ver­pflich­tenden Unter­schrift vor­legen, die ihm maximal das Abschießen von Gummi-Soft­bällen erlaubt.

Die Erfüllung der Vor­gaben ist dem Her­steller Krauss-Maffei-Wegmann in Zusam­men­arbeit mit Rhein­metall zwar gelungen, doch ver­teuerte dies die Ent­wick­lungs­kosten um Hun­derte Mil­lionen und fraß enorm Zeit, so daß die neuen, hoch­schwan­geren­ge­rechten Pumas nur wesentlich später, ab 2015 aus­ge­liefert werden konnten.

Das grenzt schon an Wehr­kraft­zer­setzung seitens der Minis­te­rIn­nen­riege. Statt der geplanten Stückzahl von 1000 Puma-Panzern, die bis 2020 geliefert werden sollten und die die Bun­deswehr dringend braucht, ist nur noch von 350 Stück die Rede.

Bei 10 Mil­lionen Euro Stück­kosten und nur 350 Panzern kann sich die Bun­deswehr Gott­seidank keinen Verlust und daher keinen Krieg leisten. Ganz abge­sehen von den Scha­dens­er­satz­for­de­rungen, die ent­stehen, wenn der Panzer im Ernstfall mit einer hoch­schwan­geren Sol­datin über einen Feld­brocken fahren müsste, und die Stoss­wirkung eine vor­zeitige Geburt ein­leiten würde. Die Klage der betrof­fenen Sol­datin gegen ihren Arbeit­geber könnte die Bun­deswehr ruinieren.

Lieb Vaterland, magst ruhig sein.

Die Särge der tödlich ver­un­glückten Bun­deswehr-Piloten werden von einer Ehren­wache in Empfang genommen (Bild: Bundeswehr/Marco Dorow)