Pädo­philer Gerichts­prä­sident? — Ver­fahren ein­ge­stellt, Ermittler bedroht, Akten verschwunden…

Kaum im Dienst, erfährt der junge Züricher Polizist Peter Mathys, dass gegen einen angeblich pädo­philen Gerichts­prä­si­denten ermittelt wird. Das Ver­fahren wird ein­ge­stellt. Der Fall lässt Mathys nicht los: Fast 30 Jahre später rekon­struiert er den Fall – und schreibt einen “fik­tiven” Krimi darüber — denn öffentlich die Fakten benennen, wäre ein Verstoß gegen das Amtsgeheimnis.

Damals war er noch ein junger Polizist mit Idealen und Werten und hat an den funk­tio­nie­renden Rechts­staat geglaubt. Peter Mathys (60) wuchs in Küs­nacht im Kanton Zürich auf und suchte nach einer Lehre bei der Bank nach etwas Sinn­vol­lerem. 1982 besuchte er bei der Stadt­po­lizei Zürich die Poli­zei­schule. «Das war natürlich sehr idea­li­siert, aber viel­leicht braucht es diesen Idea­lismus, um als junger Mensch Polizist zu werden.» sagt er

Irgendwann, in einer Dienst­pause, erzählte ihm ein ver­deckter Fahnder von einem mut­maßlich pädo­philen Züricher Gerichts­prä­si­denten, der regel­mäßig nach Paris fahre, um dort Jungs zu miss­brauchen. Dass jemand, der eigentlich Ver­brecher bestrafen sollte, eben­falls Ver­brechen begehen könnte, scho­ckierte Peter Mathys damals zutiefst. Der Fahnder erwähnte gegenüber Mathys, dass die Ermitt­lungen des zustän­digen Sach­be­ar­beiters bei der Sit­ten­po­lizei gestoppt worden seien, er im Stich gelassen und gemobbt werde. Obwohl es bereits einen Kontakt zur fran­zö­si­schen Polizei gegeben habe.

Peter Mathys als junger Polizist

Mathys schrieb meh­reren höheren Beamten und wollte auf den Fall auf­merksam machen. «Weil ich mich als Polizist dazu ver­pflichtet fühlte. Ich dachte, jetzt kommt alles ins Rollen. Doch nichts pas­sierte. Nicht einmal eine Antwort erhielt ich.»

Die Ermitt­lungen gegen den Gerichts­prä­si­denten wurden schließlich ein­ge­stellt. Außerdem sind von diesem Fall über­haupt keine Akten vor­handen, wie das Zürcher Ober­ge­richt später fest­ge­stellt hat. Eine angeblich durch­ge­führte interne poli­zei­liche Unter­su­chung sah darin später keine Unkor­rektheit. «Alles blieb ver­tuscht. Damals ist in mir etwas kaputt­ge­gangen», sagt Mathys heute. Der 2015 ver­storbene Gerichts­prä­sident blieb bis zu seiner Pen­sio­nierung im Amt.

Mathys konnte nicht ver­stehen, wie eine solche Ange­le­genheit einfach unter den Teppich gekehrt werden konnte. «Natürlich gibt es ein über­ge­ord­netes Interesse, der Rechts­staat muss geschützt werden. Aber hier ging es um den Ver­dacht mut­maß­lichen Miss­brauchs an Knaben; den zu ver­folgen und auf­zu­decken, ist doch wich­tiger als das Ansehen des Staats!»

Ein Krimi arbeitet die Geschichte auf

In seinem Kri­mi­nal­roman «Schlimmer Ver­dacht» konnte Mathys das Erlebte nun ver­ar­beiten. «Hätte ich diese Geschichte nicht erzählt, wäre ich als Polizist psy­chisch kaputt­ge­gangen.» Damit wollte er auch den Sit­ten­po­li­zisten reha­bi­li­tieren, der kaputt­ge­mobbt und für unglaub­würdig erklärt worden sei. «Dieser Mensch war ein her­vor­ra­gender Sit­ten­po­lizist, der über 70 kom­plexe Ermitt­lungs­ver­fahren gegen pädo­phile Straf­täter meist mit Erfolg geführt hat. Über das Buch hat er sich gefreut, das bedeutet mir viel. Er ist heute schwer krank, hat aber zum Glück eine Frau, die sich um ihn kümmert.»

Polizist Peter Mathys vor dem Zürcher Obergericht.

Es ist Peter Mathys’ erstes Buch. Zwei Jahre hat er daran gear­beitet. Geschrieben hat er schon früher: In den 80er-Jahren ver­fasste Mathys mehrere Jahre lang für die «Züri-Woche» die Kolumne «Poli­zei­alltag». Sein Roman basiert auf den Berichten von invol­vierten Kri­mi­nal­be­amten. «Etwa 80 Prozent davon sind Tat­sachen», sagt er. Feh­lende Stellen hat er lite­ra­risch ergänzt. Mut habe es nicht gebraucht, die Geschichte zu ver­öf­fent­lichen, obwohl Mathys mit seinem Buch die Grenzen des Amts­ge­heim­nisses auslotet.

Auch heute noch, knapp 30 Jahre später, merkt man Mathys die Ent­täu­schung an. Gewisse Dinge müssten an die Öffent­lichkeit. «Ich stelle das Amts­ge­heimnis mit keinem Wort infrage. Doch es trägt dazu bei, dass begangene kri­mi­nelle Hand­lungen innerhalb eines Staats­be­triebs wie unter einer ‹Glas­glocke› geschützt werden, nie an die ­Öffent­lichkeit gelangen und nicht geahndet werden. Es braucht in der Schweiz unbe­dingt einen bes­seren Whist­le­b­lower-Schutz.» Damit spricht er auch die Whistle­blowerinnen Margrit Zopfi und Esther Wyler an, die 2007 über miss­bräuchlich bezogene Sozi­al­gelder beim Zürcher Sozi­al­de­par­tement infor­mierten und dafür wegen Amts­ge­heim­nis­ver­letzung ver­ur­teilt wurden. Für Mathys sind Zopfi und Wyler zwei mutige Frauen.

Heute arbeitet Mathys im Tag­dienst in der Quar­tier­wache in Zürich-Schwa­men­dingen. Mit seiner Frau Susanne (58) wohnt er in Fäl­l­anden. Die Töchter Melanie und Nadine sind bereits aus­ge­flogen. Die besten Ideen zum Schreiben habe er beim Reiten mit
seiner 22-jäh­rigen Island­stute Hekla. Hier findet Mathys einen Aus­gleich zum Beruf. «Als Polizist brauchst du einen festen fami­liären, sozialen Boden. Nur mit dem Poli­zei­beruf ver­hei­ratet zu sein, geht nicht auf, denn dort findest du dein Glück nicht.»

Trotz allem, was vor­ge­fallen ist, betrachtet Mathys den Poli­zei­beruf als etwas Sinn­volles. “Die Men­schen, die hil­fe­su­chend zu uns kommen, können ja nichts dafür, wenn etwas im Polizei- und Jus­tiz­ap­parat schief­läuft. Ich bin nicht Polizist für meine Vor­ge­setzten geworden, sondern für die Bevöl­kerung. Dieser Gedanke hat mich gerettet,” sagt der Polizist im Interview mit dem Migros­Ma­gazin Schweiz.

Hier gehts zum Buch von Peter Mathys “Schlimmer Verdacht”

 

Bild: Collage Ober­ge­richt Zürich / Miss­brauch Pixabay