Merkel könnte noch 2017 stürzen, wenn die Jamaika-Gespräche scheitern und es zu Neuwahlen käme. Oder kommt es stattdessen zu einem Bündnis von CDU (ohne CSU), Grünen & SPD?
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Solange Merkel regiert, wird Deutschland tief gespalten bleiben. Stabilität für Deutschland kann es erst geben, wenn Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Schlimmstenfalls müssen wir darauf vier Jahre warten. Doch es gibt eine – wenn auch nur schwache – Hoffnung, dass wir sie eher loswerden können. Stellen wir uns folgendes vor:
1. Die SPD bleibt bei ihrer sturen Haltung, wofür vieles spricht.
3. In diesem Fall gäbe es Neuwahlen. Merkels Position wäre so geschwächt, dass die CDU bei Neuwahlen nicht noch einmal mit ihr antreten könnte.
Ich gebe zu: Sehr wahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Dagegen spricht, dass Union und SPD sicherlich Neuwahlen verhindern wollen, weil sie befürchten müssen, dass sie dann noch mehr geschwächt würden und die AfD noch stärker werden könnte.
Die Macht von FDP, CSU und Grünen
Es liegt in der Hand von Grünen, FDP und CSU. Die Grünen werden die Jamaika-Gespräche nicht scheitern lassen. Zwischen Grünen und der Merkel-CDU sehe ich keine unüberbrückbaren Gegensätze. Zudem die Machtbesessenheit bei den Grünen sogar noch größer ist als ihre ideologische Verbohrtheit und es Merkel ohnehin nur um die Macht geht. Sie träumt ja schon lange von einem Bündnis mit den Grünen, die ihr näher stehen als die meisten CDU-Mitglieder. Schließlich fürchten die Grünen Neuwahlen, weil sie jetzt noch einmal ganz gut davongekommen sind und ihr Ergebnis wahrscheinlich schlechter werden würde. Daher wären die Grünen bei Jamaika-Gesprächen zu fast jedem Kompromiss bereit.
Aber wie steht es mit der CSU? Wenn die CSU sich beim Thema Einwanderung nicht durchsetzt (was gegen die Grünen und Merkel schwer vorstellbar ist), muss sie befürchten, bei den Landtagswahlen 2018 brutal abgestraft zu werden. Ein Ergebnis von 30 Prozent wäre dann nicht unwahrscheinlich. Und die FDP? Wenn sie sich wieder – wie vor acht Jahren – bei Koalitionsverhandlungen über den Tisch ziehen ließe und bei Themen wie Europa/Wirtschaft/Einwanderung auf die Linie von Merkel & Grünen einschwenkte, dann wäre das definitiv das endgültige Ende der Partei. Ich glaube nicht, dass Christian Lindner zum Totengräber der FDP werden möchte, nachdem er sie vor dem Untergang gerettet hat. Und ich denke nicht, dass die FDP große Lust hat, mit dem Grünen Anton Hofreiter als Verkehrminister am Koalitionstisch zu sitzen und zuzuschauen, wie der die deutsche Automobilindustrie gängelt, drangsaliert und schwächt.
Wer bekommt den Schwarzen Peter?
Also: Grüne, CSU und FDP werden verhandeln, vielleicht viele Monate. Denn keiner will dafür verantwortlich sein, dass es nicht klappt, weil das die Ausgangspositionen bei Neuwahlen verschlechtern würde. Aber bei den Verhandlungen wird es nur darum gehen, den anderen Beteiligten den Schwarzen Peter für das Scheitern zuzuschieben. Eine Einigung ist ausgeschlossen, sofern die CSU und FDP nicht auf einem Selbstmordtrip sind, was ich nicht glaube. Das gilt vor allem, wenn Seehofer Platz für Markus Söder machen muss. Denn bei Söder ist nicht anzunehmen, dass er ein ähnlich unwürdiges Spiel wie Seehofer (erst Merkel kritisieren und dann mit ihr kuscheln) spielen wird. Es spricht also Vieles dafür, dass die Jamaika-Gespräche scheitern. Das könnte der Auslöser dafür sein, dass Merkel endlich stürzt. Denn sie hätte keine Mehrheit zusammenbekommen.
Kommt ein Bündnis CDU (ohne CSU), SPD, Grüne?
Ob es zu Neuwahlen kommt, weiß trotzdem niemand. Dagegen spricht die scheinbar fast unendliche Leidensfähigkeit der CDU, die Merkel schon so lange duldet. Da Merkel viele gute Männer (wie Friedrich Merz) aus der CDU vergrault hat, fehlen Köpfe, die eine Revolte gegen Merkel anführen könnten. Wolfgang Schäuble, der Merkel am ehesten als Königsmörder hätte gefährlich werden können, hat sie jetzt vorsichtshalber schon einmal auf das Amt des Bundestagspräsidenten weggelobt. Manchmal wird der Name von Jens Spahn als potenzieller Merkel-Nachfolger genannt. Aber hätte er die Kraft und den Mut, Merkel nach einem Scheitern der Jamaika-Gespräche zu stürzen? Ich halte das für eher unwahrscheinlich. Im schlimmsten Fall würde Ursula von der Leyen an die Stelle von Merkel treten – aber in diesem Fall könnte man ebenso gut mit Merkel weitermachen. Denn die politisch überkorrekte Kasernenaufräumerin von der Leyen ist auch nicht besser als Merkel.
Gegen das Neuwahl-Szenario spricht auch, dass die SPD nach einem Scheitern von Jamaika-Gesprächen doch noch eine Koalition mit der Union bilden könnte, um Neuwahlen abzuwenden. Denn die SPD müsste befürchten, bei Neuwahlen unter 20-Prozent zu fallen und nur noch drittstärkste Partei zu werden (auf Platz zwei könnten dann FDP oder AfD kommen). Um so etwas zu verhindern, könnte sich die SPD entschließen, entgegen ihrer Ankündigung doch noch in eine Regierung zu gehen. Sie würde diesen Kursschwenk ihren Wählern als Rettung in der Not verkaufen, nachdem Jamaika-Gespräche gescheitert sind. Die SPD mal wieder als die einzige staatspolitisch zuverlässige Partei, wie schon seit 150 Jahren – das wäre die Sprachregelung für die Genossen.
Vorstellbar wäre dann eine große sozialdemokratische Koalition aus CDU (ohne CSU), Grünen und SPD. Nur für CDU und SPD (ohne CSU) würde es nicht reichen, da beide zusammen nur 353 von 709 Sitzen haben. Aber zusammen mit den Grünen, die 67 Sitze haben, würde es bequem ausreichen für das große Bündnis von CDU, SPD und Grünen. So könnte Merkel weiterregieren. Da alle drei Parteien (CDU, SPD und Grüne) befürchten müssten, bei Neuwahlen weniger Sitze als jetzt zu bekommen, könnte es sein, dass sie sich zusammentun, nachdem die Jamaika-Gespräche gescheitert sind.
Titelbild: Collage — Merkel auf dem Mond — Bild vom Mond: NASA