3. Oktober 2017, ein Feiertag

In dem Moment, als im Jahr 1990 der zweite Oktober um 23:59:59 Uhr in 00:00 Uhr des dritten Oktobers wech­selte, war nach mehr als vierzig schmerz­haften Jahren die Einheit der beiden deut­schen Teil­staaten voll­zogen. Die Mauer war gefallen, die Schlach­terei an der Zonen­grenze hörte auf. Die Men­schen lagen sich in den Armen. Alle auf dem Gelände vor dem Reichs­tags­ge­bäude sangen aus voller Brust die Deutsche Natio­nal­hymne, ein Fah­nenmeer über den Köpfen in Schwarz-Rot-Gold, die Kir­chen­glocken läu­teten im ganzen Land, wir alle weinten vor Glück. Es war, das schäme ich mich nicht zu sagen, für uns alle ein hei­liger Moment. Für alle. Es waren nicht nur Deutsch­stämmige dabei. Auch tür­kische Freunde und Gäste von überall her hatten sich mit dar­unter gemischt, die Arme und die Herzen waren offen. Es war ein großer, erha­bener Moment der Deut­schen Geschichte und der Weltgeschichte.

Endlich war diese eiternde Narbe des zweiten Welt­krieges, diese wider­na­tür­liche Mauer quer durch Familien des deut­schen Volkes weg, die Grenz­zäune wurden abmon­tiert, wir waren wieder bei­sammen. Wir lernten Freunde aus den alten, neuen Bun­des­ländern kennen, ver­brachten die Ferien und ver­län­gerten Wochen­enden ent­weder in Meck­lenburg oder bei uns damals im baye­ri­schen Unter­franken. Wir haben viel von­ein­ander erfahren. Im Super­markt unseres Städt­chens tauchten freundlich säch­selnde Ver­käu­fe­rinnen auf und unser Zahnarzt hatte eine attraktive Leip­ziger Kol­legin in seiner Praxis ein­ge­stellt. Der ört­liche Thea­ter­verein freute sich über den Zulauf, und ein schwer säch­selnder Wilhelm Tell sorgte für Hei­terkeit bei der Premiere.

Wir fanden auch Freunde in Jena, und gemeinsam fuhren wir nach Weimar für ein Wochenende. Mein großer Wunsch war, das Wei­marer Hof­theater und das Denkmal Schillers und von Goethes davor zu sehen. Wir beiden Familien standen gemeinsam vor den Statuen dieser beiden Titanen deut­scher Kultur. Ich hätte noch ein Jahr vorher nie gedacht, dass ich diesen Moment erleben würde. Nie werde ich ver­gessen, wie wir alle — ohne Worte — wussten, dass wir das­selbe fühlten, uns an den Händen nahmen und eine ganze Weile dort andächtig und still zusammen standen. Selbst die Kinder hielten aus­nahms­weise mal still und spürten, dass dies ein beson­derer Moment war.

In so einem Moment braucht man keinen Duden und kein staats­phi­lo­so­phi­sches Traktat um zu spüren, was „Nation“ bedeutet. Was es für jeden Men­schen auf der Welt in seiner Nation bedeutet. Es ist Freude. Zusam­men­ge­hö­rigkeit. Gebor­genheit. Friede. Heimat. Ver­trauen. Wissen. Geschichte. Zukunft. Sicherheit. Gemein­samkeit. Wurzeln. Kraft. Zuver­sicht. Auf­ge­hoben sein im Strom der Zeit.

Das Wort „Nation“ kommt aus dem latei­ni­schen „natus“- geboren. Das besagt, dass seit Men­schen­ge­denken die Zuge­hö­rigkeit eines Men­schen zu seiner Familie – Sippe – Stamm – Volk — Nation durch Geburt in diese Gruppe defi­niert ist. Auch heute noch wird die Staats­bür­ger­schaft bei den aller­meisten Völkern und Staaten dieser Welt durch das „ius san­guinis“ (Recht des Blutes), nämlich die Abstammung von den Eltern, begründet. Das gilt selbst bei klas­si­schen Ein­wan­de­rungs­ländern wie den USA, Kanada und Aus­tralien. Der Staat “Vatikan” ist eines der wenigen Bei­spiele, wo es nicht so ist.

Deutschland ist seit Karl dem Großen als hei­liges römi­sches Reich Deut­scher Nation ein sehr schönes Bei­spiel dafür, dass die „Nation“ als durch gemeinsame und ver­wandte Abstammung, Sprache, Kultur, Gebräuche, Rechts­system, Glaube, Sitte usw. auch dann erkennbar ein zusam­men­hän­gendes und ver­floch­tenes Gebilde ist, wenn sie nicht in einer zen­tralen, staat­lichen Einheit regiert und ver­waltet wird.

Dass bei­spiels­weise Frau Özoguz keine Vor­stellung von der deut­schen Nation und ihrer Kultur hat, ist höchst bedau­erlich und wirft Fragen zu ihrer Eignung als (bald ehe­malige?) Inte­gra­ti­ons­mi­nis­terin auf. Doch auch, wenn jemand nicht rechnen kann, ist dies kein Beleg dafür, dass es die Mathe­matik nicht gibt.

Es gibt auch Völker, die in einem Staat leben, obwohl sie eine eigene Nation sind, die wenig bis gar­nichts mit dem Staat zu tun haben. Das sind die Abori­gines in Aus­tralien, die indi­genen Völker in Nord­amerika, die Kurden in der Türkei, die Süd­ti­roler in Italien. Das waren die Inuits, als sie noch zu Dänemark gehörten, die afri­ka­ni­schen Völker, als sie Kolonien waren und die süd­ame­ri­ka­ni­schen Indios, als sie Kolonien Spanien oder Por­tugals waren. Die Basken emp­finden sich nur beschränkt als Fran­zosen und zur Zeit erleben wir die Bru­ta­lität Spa­niens, das in den Kata­lanen mit Gum­mi­ge­schossen und prü­gelnden Poli­zisten erst recht den Willen zur Unab­hän­gigkeit weckt.

„Nation“ ist keine Frage der theo­re­ti­schen Defi­nition. Da mögen Nach­schla­ge­werke wie Wiki­pedia noch so raf­fi­niert an den For­mu­lie­rungen schrauben und her­um­mäkeln, das Wort „Nation“ bezeichne „größere Gruppen oder Kol­lektive von Men­schen, denen gemeinsame Merkmale wie Sprache, Tra­dition, Sitten, Bräuche oder Abstammung zuge­schrieben werden. Diese Begriffs­de­fi­nition ist jedoch empi­risch inad­äquat, da keine Nation diese Defi­nition voll­um­fänglich erfüllt.“ 

Das ist, wie mit dem Begriff „Familie“. Wo begrenzt man diese „Gruppe“? Ist es nur Vater, Mutter, Kinder? Gehören Groß­eltern, Onke und Tanten nicht auch dazu? Und deren Kinder? Gibt es, nur weil nicht auf alle Fami­li­en­mit­glieder alle Merkmale zutreffen, gar keine Familie?

Und wie kommt es dann, das aus­ge­rechnet die Ideo­logen, die beim Begriff „Deutsche Nation“ schon Schaum vor den Mund haben, dann aber ande­rer­seits den Fami­li­en­be­griff auf­greifen und auf das Zusam­men­leben ver­schie­denster Men­schen, mög­lichst noch queer, les­bisch und trans­se­xuell aus­dehnen? Dabei wird auf dem Wort Familie her­um­ge­ritten und der — für die seit Mensch­heits­gdenken „klas­sische“ Familie — garan­tierte Schutz als Keim­zelle des Lebens und der Zukunft ein­ge­fordert. Ab wann gilt als „Familie“ schon das Kon­glo­merat an Per­sonen, das den gleichen Haus­schlüssel für eine wie auch immer geartete Unter­kunft benutzt?

Diese Begriffs-Umde­fi­ni­tionen sind nicht zufällig. Sie folgen einem Plan. Zer­stört man die Familie samt der erwei­terten Fassung, der Verwandtschaft/Sippe, deutet man den Begriff „Nation“ um als inad­äquat und faschis­tisch, öffnet man der unkon­trol­lierten, kul­tur­fremden Zuwan­derung Tür und Tor, ist die gewollte und ver­göt­terte Zer­störung der Nation innerhalb von zwei Gene­ra­tionen zu erreichen. Was Jahr­tau­sende nicht ver­mochten, der moderne, glo­ba­lis­tische, völ­ker­mor­dende Ungeist der Kul­tur­zer­störung hat sich genau dies zum Ziel gesetzt und ist schon weit gekommen.

Es sei ange­merkt, dass auch die Deutsche Nation sich aus viel­schich­tigen Pro­zessen gebildet hat. Es gab Völ­ker­wan­de­rungen und Kriege, die Nationen in Europa haben fremde Ein­flüsse auf­ge­nommen und inte­griert. Bis zu einer gewissen Quan­tität und bei kraft­vollen, selbst­be­wussten Völkern ist das zwar oft schmerzhaft, aber auch berei­chernd. Die Zuwan­derung der Huge­notten sei bei­spiels­weise erwähnt. Europa hat wun­der­volle, viel­seitige Kul­turen ent­wi­ckelt. Und ja, die Deutsche Kultur sowie die Kul­turen Europas sind kein Museum. Sie sollen und müssen sich ent­wi­ckeln, wandeln in der Zeit. Panta rei — alles fließt. Es wäre falsch, sich rück­wärts­ge­wandt gegen jede Änderung zu stellen, die Zeit und das Leben würde uns überrollen.

Ducunt fata volentem, nolentem trahunt: Die Geschicke führen den Wil­ligen, den Unwil­ligen schleifen sie (hinter sich her). Die EU-Granden ver­suchen immer noch krampfhaft, ihren Plan einer Viel­völker-EU unter zen­tra­lis­tisch-glo­ba­lis­ti­scher Führung durch­zu­peit­schen. Den „Leviathan“, wie Macron das gigan­to­ma­nische Gebilde bezeichnete. Dabei sind die Zeichen des Zer­falls der EU nicht mehr zu über­sehen. Imperien und Ideo­logien, die schon dem Untergang geweiht sind, ver­suchen meistens, im letzten Moment, krampfhaft und unter Gewalt­an­wendung ihre ver­rottete Hybris durch­zu­drücken. Sie schaffen nur Leid und stählen den Willen der Unterdrückten.

Der Brexit, der ver­bissene Wider­stand der Visegrad­staaten, Ita­liens Über­le­gungen, eine eigene Währung wieder ein­zu­führen, Grie­chen­lands unab­wendbare Pleite, Kata­lo­niens Refe­rendum und der Einzug der AfD in den Bun­destag sind die Mene­tekel für die Linken und Glo­ba­listen. Ihre Utopien haben sich überlebt, sind lebens­fremd und men­schen­feindlich und gehen unter. Die Völker Europas öffnen die Augen und erheben sich — früher oder später.

Es wird ein neues Europa geben. Wahr­scheinlich auch mit deut­lichen Ein­flüssen aus neuen Quellen. Aber es wird nicht das Europa sein, was linke Glo­ba­listen und Völ­ker­zer­störer sich vor­stellen. Euch schleifen die Geschicke nur noch ein bisschen mit.