Brüssel ver­liert Kampf gegen die Flüchtlingsverweigerer

Eine Ele­men­tar­auf­klärung für den mora­li­sie­renden Laien

Die Sank­ti­ons­dro­hungen gegen die ost­eu­ro­päi­schen Migran­ten­ab­lehner sind vom Tisch. Die Werte-Mora­listen wurden von Juncker & Co. einfach im Stich gelassen. Viele haben nicht einmal mit­be­kommen, dass Brüssel klein bei­gegeben hat. Es gibt die Nie­derlage nicht zu und jon­gliert mit einem neuen Slogan „Anreiz­pro­gramm für frei­willige Auf­nahmen“. Dieser Beitrag erklärt, warum die Sank­ti­ons­drohung auch in Zukunft nicht funk­tio­nieren kann. Zu stark sind die west­lichen Wirt­schafts­in­ter­essen in der Region. Im Ernstfall dürfte wohl ein Anruf des Siemens-Chefs in Berlin genügen, um dem Brüs­seler-Wer­tespuk ein Ende zu machen.

Die EU-Ost­erwei­terung von 2005 brachte beiden Seiten Vor­teile (Win-Win-Situation)

Die EU profitiert(e) sowohl von der Öffnung ost­eu­ro­päi­scher Märkte als auch von den Divi­denden aus Betei­li­gungen am Volks­ei­gentum (Sek­toren: Handel, Ver­sorger, Auto­mobile, Tele­kom­mu­ni­kation, Medien). Nicht zuletzt trug das hoch qua­li­fi­zierte Human­ka­pital zur rasanten Ent­wicklung bei. Umge­kehrt kamen den Ost­eu­ro­päern West­auf­träge und das Finanz­ka­pital zugute, auch wenn strittig bleibt, ob die kapi­ta­lis­tische Sys­tem­trans­for­mation oder der EU-Bei­tritt stärker wogen. Über diese Win-Win-Situation wurde in tau­senden von Ana­lysen ein Jahr­zehnt lang positiv berichtet, bis mit den Aus­bruch des mer­ke­li­schen Migra­tion­chaos abstruse Behaup­tungen, die Ost­eu­ropäer „seien Abzocker“, „unso­li­da­risch“, – selbst vom Ter­minus „Schma­rotzer“ wurde ver­wendet, – in die Welt gesetzt wurden.

Wovon hätte Brüssel heute Angst? Die EU-Net­to­zah­lungen besitzen zu wenig „Droh­po­tential“

Als Beleg für die Undank­barkeit der neuen Mit­glieder dienen die EU-Net­to­zah­lungen an die Ost­länder, die als Gaben, Schen­kungen oder bes­ten­falls Sub­ven­tionen fehl inter­pre­tiert werden. Die Dro­hungen Brüssels den „poli­tisch Unkor­rekten“ die Geld­hähne zuzu­drehen, hören wir seit zwei Jahren. Dem Bürger werden aber wichtige Tat­sachen ver­schwiegen. So empört sich der deutsche Michel, ohne in der Sache auch nur Ele­men­tar­wissen zu besitzen:

1.Die nach dem Eigen­an­teil­abzug ver­blei­benden Net­to­zah­lungen sind tem­poräre Hilfen um das Wirt­schafts­ge­fälle zwi­schen ein­zelnen Uni­ons­ländern zu glätten und nicht als Dau­er­zu­stand kon­zi­piert. Auch Bayern war im deut­schen auch Län­der­fi­nanz­aus­gleich lange Zeit Net­to­emp­fänger, bis es zum größten Net­to­zahler auf­rückte. So wird auch Ost­europa zum Net­to­zahler, das stärker als die Alt-Länder wächst. Brüssel kümmert aber wenig, ob der EU-Bürger über den kor­rekten Rechts­status der Zah­lungen Bescheid weiß. Davon hängt kein Posten ab.

2. Die Zah­lungen sind – anders als die 30 Mrd. € Jah­res­aus­gaben für die Migranten in Deutschland – an Inves­ti­ti­ons­zwecke gebunden und dürfen nicht schlicht „ver­kon­su­miert werden“. Da die Emp­fänger-Länder die Inves­tition zuerst mit eigenen Mitteln tätigen müssen und erst später auf teil­weisen Aus­gleich durch EU-Gelder hoffen dürfen, führt dieser Mecha­nismus zum Anstieg der Staats­ver­schuldung (darüber mehr im Fol­ge­beitrag). Zudem werden die Ost­eu­ropäer auf die 40€ bis 50€ Hilfe pro Kopf und Monat (Graphik) ver­zichten können, wenn es um vitale nationale Inter­essen geht. Ehre ist nicht käuflich. Leider würde auch der Aus­tritt einiger unbe­deu­tender Länder wohl kaum die Top-Büro­kraten beeindrucken.
3. Ernst würde für diese Leute erst werden, wenn die Wirt­schaft hinter den Kulissen Köpfe fordern, sprich Rück­tritte von fun­da­men­ta­lis­ti­schen Dem­agogen fordern würde. Das ist bis dato nicht geschehen, gilt aber als wahr­scheinlich, wenn diese Funk­tionäre wie­derholt Mil­li­arden-Geschäfte stören würden. Ob es zuletzt im Falle Polens und Ungarn so weit gekommen ist, werden wir nicht erfahren. Würde auf Geheiß Berlins ein Top-Bürokrat erst unter medialen Dau­er­be­schuss geraten, wäre es mit dessen Kar­riere wohl schnell vorbei. Denn keinen von ihnen hat bekanntlich das Ver­mögen und Format eines Donald Trump. Wie ein solches Worst-Case-Sze­nario in einem kon­kreten Fall ablaufen könnte, zeigt das poten­tielle Bei­spiel Polens.

Bei­spiel Polen: Geld­ab­flüsse in die Alt-EU deutlich höher die Brüsseler-(Netto-)Zahlungen

Das War­schauer Finanz­mi­nis­terium hatte vor kurzem ermittelt, dass Polen während seiner elf­jäh­rigen EU-Zuge­hö­rigkeit rd. 528 Mrd. Zloty (etwa 128 Mrd. €) an die EU in Form von Gewinn­ab­füh­rungen, Lizenz‑, Divi­denden- und Zins­zah­lungen und Ent­gelte für externe „Con­sulting- und Unter­neh­mens­be­ra­tungen“, – die keine direkten Per­so­nal­kosten dar­stellen, – gezahlt hat. Pro­fi­teure waren primär Holland, Deutschland und Groß­bri­tannien. Vor allem der letzte Posten, welcher mit 40% der Gesamt­summe de facto eine ver­steckte Gewinn­ab­führung dar­stellt und der Unter­hal­tungen aus­län­di­scher Kon­zern­zen­tralen dient – ganz ähnlich ver­fährt die deutsche IKEA Nie­der­lassung mit ihrer Holding in Ams­terdam – nimmt rasant zu. Da den Abflüssen nur 86 Mrd. € EU-Net­to­zah­lungen (360 Mrd. Zloty) gegenüber standen flossen im Betrach­tungsraum aus Polen 40 Mrd. € Finanz­mittel mehr aus- als ein. Das ist ein Betrag, der für west­liche Kon­zern­chefs schon ins Gewicht fällt. Unter­stellt man ferner, dass in den anderen EU-Ost­ländern die Grö­ßen­ord­nungen der Ein­nahmen und Aus­gaben sich ähnlich gestalten, darf eine Schätzung von jährlich 7 bis 8 Mrd. € gewagt werden. An deren rei­bungs­losen Transfer sind die Aktionäre sehr wohl inter­es­siert und sie würden sich den poli­ti­schen Eska­paden eines Herrn Tim­mer­manns zu erwehren verstehen.

Abwehr­maß­nahmen („Ver­tei­di­gungs­waffen“) gegen even­tuelle Wirts­sank­tionen stehen parat

EU-Stan­dards hin, Demo­kra­tie­ver­tei­digung her, die poli­tisch sta­bilen Ost­staaten ver­fügen über eine Reihe legaler (Steu­er­prü­fungen) und halb­le­galer Instru­mente (Zer­ti­fikate, Grenz­kon­trollen, Geneh­mi­gungen, Zah­lungs­verkehr) mit denen sie den Finanz­verkehr emp­findlich stören können, wenn Brüssel die För­der­mittel, stoppt. Sie dürfen dabei auch auf Hilfe von den West­kon­zernen – wie oben beschrieben – rechnen. Irgendwann wird sich die Wirt­schaft doch ein­mi­schen. Zu viel steht auf dem Spiel. Allein Polen hat 2016 mit 100 Mrd. € Han­dels­vo­lumen Öster­reich Schweiz als deutsche Han­dels­partner überholt. . Ost­europa, inkl. Bal­tikum gewinnt als Gesamtheit mit 120 Mil­lionen Ein­wohnern und 11 Länder-Stimmen trotz seines relativ nied­rigen öko­no­mi­schen Gewichts (70% des deut­schen BIP) an Bedeutung. Das letzte Nach­geben Brüssels in der Flücht­lings­frage wird diesen Prozess noch verstärken.

Auf­ge­schoben jedoch nicht auf­ge­hoben – wird es Brüssel mit Dro­hungen noch mal versuchen?

Wer sich in der EU über­zeugend und lange wehrt, hat schon halb gewonnen. Der Selbst­er­hal­tungs­zwang der Brüs­seler Eliten führt im End­effekt zur Gewährung von „vor­über­ge­henden“ Aus­nahmen. Der passive Steu­er­zahler zahlt ohnehin die Zeche. Das ver­stehen die „Werte-Opti­misten“ nicht. So manche von ihnen, die das Ein­knicken Brüssels doch bemerkt haben, werden sich nicht geschlagen geben wollen und die Aus­setzung der Straf­maß­nahmen als nur vor­über­gehend sehen wollen. Es gibt noch eine Reihe offener Themen (EUHG-Urteil, NGOs, Unab­hän­gigkeit der Justiz, Pres­se­freiheit), die sank­ti­ons­fähig sind. Ich meine, dass die Rea­listen dennoch ruhig schlafen können. Sie haben den denkbar stärksten Ver­bün­deten auf ihrer Seite – die wirt­schaft­lichen Sach­zwänge. Für jedermann ist ersichtlich, dass Brüssel ange­sichts der neuen Pro­bleme (Kata­lonien!) seinen Selbstmord durch erneute Attacken auf die alten ost­eu­ro­päi­schen „Wer­te­brecher“ nur beschleu­nigen würde.

Dr. Viktor Heese – Dozent und Fach­buch­autor – Bör­sen­wissen für Anfänger

Bild: Commons/Wikimedia