Sech­zig­jäh­riger Hartz-IV-Bezieher spart Geld — Bun­des­so­zi­al­ge­richt sagt: No Go!

Der Bun­des­so­zi­al­ge­richtshof hat eine Ent­scheidung getroffen, die Hartz-IV-Emp­fänger auf­horchen lässt. Bekannt ist, dass das so genannte Arbeits­lo­sengeld 2 nicht ohne Hürden zu bekommen ist. Nicht nur erfordert es viel Geduld und hau­fen­weise Anträge, die oft erfolglos sind und mehrfach abge­schmettert werden. Auch, wenn man es endlich geschafft hat und bezugs­be­rechtigt ist, wird jedes zusätzlich her­ein­kom­mende Geld vom bezahlten Regelsatz abgezogen.

Sogar Erspartes muss vom Bezieher zum Lebens­un­terhalt ver­wendet werden, und auch Erspar­nisse, die in der Ver­gan­genheit gebildet wurden oder mit einem Spar- oder Ver­mö­gens­bil­dungs­pro­gramm der Bank auf­gebaut wurden. Sogar Rück­lagen, die aus den Zuwen­dungen durch Hartz-IV zusam­men­ge­kommen sind, können zu einer Kürzung der Leis­tungen führen.

Laut der Inter­net­seite „hartz4hilfthartz4“ gilt Folgendes:

  1. Geld sparen mit/trotz Hartz 4 ist per se nicht ver­boten, jedoch müssen sich Betroffene ab einer bestimmten Höhe auf ent­spre­chende Abzüge in Ihren monat­lichen Regel­sätzen einstellen.
  2. Wieviel Erspartes Sie bei Hartz-4-Bezug anrech­nungsfrei besitzen dürfen, richtet sich nach Ihrem Alter und ob Sie Teil einer Bedarfs­ge­mein­schaft sind.
  3. Diese Rege­lungen gelten für Hartz-Erspar­nisse aus Regelsatz und der­gleichen, nicht jedoch für regel­mäßige Über­wei­sungen jeg­licher Art.

Dabei gibt es ein so genanntes „Schon­ver­mögen“, also einen Geld­betrag, den der Leis­tungs­emp­fänger besitzen darf, ohne dass seine Bezüge gekürzt werden. Das ist vom Alter abhängig. Die Formel lautet:

Alter in Jahren x 150 = Grund­frei­betrag in Euro. Ent­spre­chend eines Alters von 65 Jahren liegt der Ver­mö­gens­frei­betrag für einen Erwach­senen in einer Bedarfs­ge­mein­schaft bei 9.750 Euro.

Wenn diese Erspar­nisse jedoch durch Neben­ver­dienste oder Geld­zu­wen­dungen Dritter oder regel­mäßige Über­wei­sungen ent­stehen, gelten sie als Ein­kommen und werden mit dem Regelsatz verrechnet.

Viele umgehen das Problem, indem sie Geld auf Konten halten, die offi­ziell auf den Namen eines Ver­wandten oder Freundes lauten, oder indem sie einfach Bargeld horten. Kommt das Job­center dahinter, ist das Geld aller­dings weg oder es drohen Rückzahlungen.

Ein sech­zig­jäh­riger Sachse hatte ganz offen und ehrlich von seinen Hartz-IV Leis­tungen, die mit 406 Euro pro Monat kei­neswegs üppig anfallen geschafft, sich ein Polster zur Seite zu legen, das sich sehen lassen kann. Über die Jahre hatte er 18.540 Euro zusam­men­ge­tragen, die er sich, nach eigener Aus­kunft, vom Munde abge­spart hatte. Dar­unter eine Lebens­ver­si­cherung im Rück­kaufwert von 16.800 Euro.

Das Job­center Mansfeld-Südharz bekam davon Kenntnis und war der Meinung, der Mann müsse das Geld „ver­werten“. Das bedeutet, dass seine Hartz-IV-Bezüge so lange gekürzt oder aus­ge­setzt werden, bis er diese Summe zum Leben ver­braucht hat. Dabei würden die ein­be­hal­tenen Beträge auf­ad­diert, bis sie die Höhe des Ersparten erreicht haben, danach würde wieder der Regelsatz bezie­hungs­weise die Rente einsetzen.

Der Sachse war damit nicht ein­ver­standen. Er war der Meinung, hier liege eine besondere Härte vor, und man müsse in seinem Fall eine Aus­nahme machen, da er ja das Geld nicht zusätzlich nebenbei ein­ge­nommen habe, sondern von dem ihm recht­mäßig zuste­henden monat­lichen Betrag zurück­gelegt habe. Die Argu­men­tation ist auch für jeden den­kenden Men­schen nach­voll­ziehbar. Durch die Kürzung seiner Bezüge in Höhe der gebil­deten Rück­lagen ist dem Mann unter’m Strich sehr viel weniger aus­be­zahlt worden, als ihm zustand.

Der sparsame Sachse klagte und verlor. Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt in Kassel gab mit seiner Ent­scheidung dem Job­center Recht (Akten­zeichen: B 4 AS 19/16 R, es ist die letzte Ent­scheidung No. 6 unten).

Kurztext des Bun­des­so­zi­al­ge­richtes zu dieser Entscheidung:

6)     Die zulässige Revision war im Sinne der Zurück­ver­weisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil der Senat nicht abschließend ent­scheiden kann, ob dem Kläger in der Zeit vom 1.3. bis 30.4.2009 weitere Leis­tungen für KdUH zustehen. Nach den Fest­stel­lungen des LSG ver­fügte der Kläger Ende 2008 über ein Akti­en­depot von 1.303,17 Euro, Spar­buch­ein­lagen von 424,97 Euro und eine Kapi­tal­le­bens­ver­si­cherung ohne Ver­wer­tungs­aus­schluss mit einem Rück­kaufswert von 16.802,77 Euro, zusammen 18.539,91 Euro. Die Lebens­ver­si­cherung könnte dazu führen, dass die Frei­be­trags­grenzen des § 12 Abs 2 Nr 1 und 4 SGB II über­schritten werden. Denn vom Ver­mögen des Klägers war (nur) der Grund­frei­betrag von 9.000 Euro (Nr 1) sowie der Frei­betrag für Anschaf­fungen von 750 Euro (Nr 4) abzu­setzen. Der Senat kann aber nicht abschließend ent­scheiden, ob der frag­liche Ver­mö­gens­ge­gen­stand “Lebens­ver­si­cherung” durch Kün­digung, Verkauf oder Belastung ver­wertbar war. Sollte das LSG bei der aus­gehend vom Beginn des Bewil­li­gungs­zeit­raums vor­zu­neh­menden pro­gnos­ti­schen Betrachtung eine frist­gemäße Ver­wert­barkeit der Lebens­ver­si­cherung fest­stellen, ist diese aller­dings nicht offen­sichtlich unwirt­schaftlich. Auf­grund der großen Dis­krepanz zwi­schen dem Sub­stanz- und dem Rück­kaufswert ist ein wirt­schaft­licher Verlust auszuschließen.
 
Zutreffend hat das LSG aller­dings ange­nommen, dass die Ver­wertung der Lebens­ver­si­cherung, deren Sub­stanzwert aus “nicht benö­tigten Hil­fe­leis­tungen” her­rührt, für den Kläger keine besondere Härte bedeutet. Zweck und Funktion der SGB II-Leis­tungen führen nicht zu einer Schonung im Rahmen der Ver­mö­gens­prüfung. Dagegen spricht schon die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II. Die nach dieser Regelung zu berück­sich­ti­genden Frei­be­träge kor­re­spon­dieren mit der Kon­zeption des Regel­be­darfs als pau­scha­lierter Leistung. Dem Leis­tungs­be­rech­tigten soll ermög­licht werden, aus dem Regel­bedarf Rück­lagen für größere Anschaf­fungen zu bilden. Wollte der Gesetz­geber aber Anspa­rungen aus SGB II-Leis­tungen in beschränktem Umfang von einem Absetz­betrag erfasst sehen, so kann nicht ange­nommen werden, dass aus SGB II-Leis­tungen ange­spartes Ver­mögen zugleich in unbe­grenzter Höhe als Schon­ver­mögen frei­zu­stellen wäre, weil in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II leerliefe.
 
SG Halle                                    — S 26 AS 454/10 -
LSG Sachsen-Anhalt                  — L 2 AS 378/13 -
Bun­des­so­zi­al­ge­richt                   — B 4 AS 19/16 R -

Die Lehre, die Hartz-IV-Bezieher aus diesem Urteil bekla­gens­wer­ter­weise ziehen werden ist, dass die­je­nigen, die mit dem ihnen zuste­henden Geld wirklich sparsam wirt­schaften, um sich ganz legitim eine Sicherheit zurück­zu­legen, bestraft werden. Mit einem kleinen Ver­mögen von fast 20.000 Euro stünde man im Falle von wei­teren Kür­zungen im Sozi­al­be­reich nicht gleich vor dem Nichts. Oder man könnte im Fall ernster Erkran­kungen auch medi­zi­nische oder heil­kund­liche Leis­tungen bezahlen, die in den Kran­ken­kas­sen­leis­tungen nicht ent­halten sind.

Es weiß auch niemand, ob bei der gegen­wär­tigen Ent­wicklung in 10 Jahren Deutschland oder der EU über­haupt noch an nen­nens­werte Renten zu denken ist. Die Ren­ten­kür­zungen im bank­rotten Grie­chenland sind dras­tisch. Es gibt viele denkbare Gege­ben­heiten, in denen eine solche Rücklage enorm wichtig ist und Mög­lich­keiten eröffnet, an die andern­falls über­haupt nicht zu denken wäre.

Ehr­lichkeit währt eben nicht am längsten. Hartz-IV-Bezieher werden spä­testens nach dieser Ent­scheidung alles Ersparte, das die Höhe ihres per­sön­lichen Schon­ver­mögens über­steigt, zukünftig als Bargeld oder Edel­metall ver­stecken oder auf eine andere Weise der Kenntnis und dem Zugriff der Job­center entziehen.