Der Bundessozialgerichtshof hat eine Entscheidung getroffen, die Hartz-IV-Empfänger aufhorchen lässt. Bekannt ist, dass das so genannte Arbeitslosengeld 2 nicht ohne Hürden zu bekommen ist. Nicht nur erfordert es viel Geduld und haufenweise Anträge, die oft erfolglos sind und mehrfach abgeschmettert werden. Auch, wenn man es endlich geschafft hat und bezugsberechtigt ist, wird jedes zusätzlich hereinkommende Geld vom bezahlten Regelsatz abgezogen.
Sogar Erspartes muss vom Bezieher zum Lebensunterhalt verwendet werden, und auch Ersparnisse, die in der Vergangenheit gebildet wurden oder mit einem Spar- oder Vermögensbildungsprogramm der Bank aufgebaut wurden. Sogar Rücklagen, die aus den Zuwendungen durch Hartz-IV zusammengekommen sind, können zu einer Kürzung der Leistungen führen.
Laut der Internetseite „hartz4hilfthartz4“ gilt Folgendes:
- Geld sparen mit/trotz Hartz 4 ist per se nicht verboten, jedoch müssen sich Betroffene ab einer bestimmten Höhe auf entsprechende Abzüge in Ihren monatlichen Regelsätzen einstellen.
- Wieviel Erspartes Sie bei Hartz-4-Bezug anrechnungsfrei besitzen dürfen, richtet sich nach Ihrem Alter und ob Sie Teil einer Bedarfsgemeinschaft sind.
- Diese Regelungen gelten für Hartz-Ersparnisse aus Regelsatz und dergleichen, nicht jedoch für regelmäßige Überweisungen jeglicher Art.
Dabei gibt es ein so genanntes „Schonvermögen“, also einen Geldbetrag, den der Leistungsempfänger besitzen darf, ohne dass seine Bezüge gekürzt werden. Das ist vom Alter abhängig. Die Formel lautet:
Alter in Jahren x 150 = Grundfreibetrag in Euro. Entsprechend eines Alters von 65 Jahren liegt der Vermögensfreibetrag für einen Erwachsenen in einer Bedarfsgemeinschaft bei 9.750 Euro.
Wenn diese Ersparnisse jedoch durch Nebenverdienste oder Geldzuwendungen Dritter oder regelmäßige Überweisungen entstehen, gelten sie als Einkommen und werden mit dem Regelsatz verrechnet.
Viele umgehen das Problem, indem sie Geld auf Konten halten, die offiziell auf den Namen eines Verwandten oder Freundes lauten, oder indem sie einfach Bargeld horten. Kommt das Jobcenter dahinter, ist das Geld allerdings weg oder es drohen Rückzahlungen.
Ein sechzigjähriger Sachse hatte ganz offen und ehrlich von seinen Hartz-IV Leistungen, die mit 406 Euro pro Monat keineswegs üppig anfallen geschafft, sich ein Polster zur Seite zu legen, das sich sehen lassen kann. Über die Jahre hatte er 18.540 Euro zusammengetragen, die er sich, nach eigener Auskunft, vom Munde abgespart hatte. Darunter eine Lebensversicherung im Rückkaufwert von 16.800 Euro.
Das Jobcenter Mansfeld-Südharz bekam davon Kenntnis und war der Meinung, der Mann müsse das Geld „verwerten“. Das bedeutet, dass seine Hartz-IV-Bezüge so lange gekürzt oder ausgesetzt werden, bis er diese Summe zum Leben verbraucht hat. Dabei würden die einbehaltenen Beträge aufaddiert, bis sie die Höhe des Ersparten erreicht haben, danach würde wieder der Regelsatz beziehungsweise die Rente einsetzen.
Der Sachse war damit nicht einverstanden. Er war der Meinung, hier liege eine besondere Härte vor, und man müsse in seinem Fall eine Ausnahme machen, da er ja das Geld nicht zusätzlich nebenbei eingenommen habe, sondern von dem ihm rechtmäßig zustehenden monatlichen Betrag zurückgelegt habe. Die Argumentation ist auch für jeden denkenden Menschen nachvollziehbar. Durch die Kürzung seiner Bezüge in Höhe der gebildeten Rücklagen ist dem Mann unter’m Strich sehr viel weniger ausbezahlt worden, als ihm zustand.
Der sparsame Sachse klagte und verlor. Das Bundessozialgericht in Kassel gab mit seiner Entscheidung dem Jobcenter Recht (Aktenzeichen: B 4 AS 19/16 R, es ist die letzte Entscheidung No. 6 unten).
Kurztext des Bundessozialgerichtes zu dieser Entscheidung:
6) Die zulässige Revision war im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil der Senat nicht abschließend entscheiden kann, ob dem Kläger in der Zeit vom 1.3. bis 30.4.2009 weitere Leistungen für KdUH zustehen. Nach den Feststellungen des LSG verfügte der Kläger Ende 2008 über ein Aktiendepot von 1.303,17 Euro, Sparbucheinlagen von 424,97 Euro und eine Kapitallebensversicherung ohne Verwertungsausschluss mit einem Rückkaufswert von 16.802,77 Euro, zusammen 18.539,91 Euro. Die Lebensversicherung könnte dazu führen, dass die Freibetragsgrenzen des § 12 Abs 2 Nr 1 und 4 SGB II überschritten werden. Denn vom Vermögen des Klägers war (nur) der Grundfreibetrag von 9.000 Euro (Nr 1) sowie der Freibetrag für Anschaffungen von 750 Euro (Nr 4) abzusetzen. Der Senat kann aber nicht abschließend entscheiden, ob der fragliche Vermögensgegenstand “Lebensversicherung” durch Kündigung, Verkauf oder Belastung verwertbar war. Sollte das LSG bei der ausgehend vom Beginn des Bewilligungszeitraums vorzunehmenden prognostischen Betrachtung eine fristgemäße Verwertbarkeit der Lebensversicherung feststellen, ist diese allerdings nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Aufgrund der großen Diskrepanz zwischen dem Substanz- und dem Rückkaufswert ist ein wirtschaftlicher Verlust auszuschließen.
Zutreffend hat das LSG allerdings angenommen, dass die Verwertung der Lebensversicherung, deren Substanzwert aus “nicht benötigten Hilfeleistungen” herrührt, für den Kläger keine besondere Härte bedeutet. Zweck und Funktion der SGB II-Leistungen führen nicht zu einer Schonung im Rahmen der Vermögensprüfung. Dagegen spricht schon die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II. Die nach dieser Regelung zu berücksichtigenden Freibeträge korrespondieren mit der Konzeption des Regelbedarfs als pauschalierter Leistung. Dem Leistungsberechtigten soll ermöglicht werden, aus dem Regelbedarf Rücklagen für größere Anschaffungen zu bilden. Wollte der Gesetzgeber aber Ansparungen aus SGB II-Leistungen in beschränktem Umfang von einem Absetzbetrag erfasst sehen, so kann nicht angenommen werden, dass aus SGB II-Leistungen angespartes Vermögen zugleich in unbegrenzter Höhe als Schonvermögen freizustellen wäre, weil in diesem Fall die Regelung des § 12 Abs 2 SGB II leerliefe.
SG Halle — S 26 AS 454/10 -
LSG Sachsen-Anhalt — L 2 AS 378/13 -
Bundessozialgericht — B 4 AS 19/16 R -
Die Lehre, die Hartz-IV-Bezieher aus diesem Urteil beklagenswerterweise ziehen werden ist, dass diejenigen, die mit dem ihnen zustehenden Geld wirklich sparsam wirtschaften, um sich ganz legitim eine Sicherheit zurückzulegen, bestraft werden. Mit einem kleinen Vermögen von fast 20.000 Euro stünde man im Falle von weiteren Kürzungen im Sozialbereich nicht gleich vor dem Nichts. Oder man könnte im Fall ernster Erkrankungen auch medizinische oder heilkundliche Leistungen bezahlen, die in den Krankenkassenleistungen nicht enthalten sind.
Es weiß auch niemand, ob bei der gegenwärtigen Entwicklung in 10 Jahren Deutschland oder der EU überhaupt noch an nennenswerte Renten zu denken ist. Die Rentenkürzungen im bankrotten Griechenland sind drastisch. Es gibt viele denkbare Gegebenheiten, in denen eine solche Rücklage enorm wichtig ist und Möglichkeiten eröffnet, an die andernfalls überhaupt nicht zu denken wäre.
Ehrlichkeit währt eben nicht am längsten. Hartz-IV-Bezieher werden spätestens nach dieser Entscheidung alles Ersparte, das die Höhe ihres persönlichen Schonvermögens übersteigt, zukünftig als Bargeld oder Edelmetall verstecken oder auf eine andere Weise der Kenntnis und dem Zugriff der Jobcenter entziehen.