By Photo: Andreas Praefcke - Self-published work by AndreasPraefcke, CC BY 3.0, Link

Der Umbruch in der Auto­mo­bil­in­dustrie — Bei VW herrscht Hochspannung!

Der Abgas­skandal ver­schlingt noch immer Mil­li­arden, doch Quartal um Quartal steigt der Absatz. Einer­seits spielte bislang mit der Zukunft der Mobi­lität kaum eine Rolle, ande­rer­seits stehen seit der IAA plötzlich Mil­li­ar­den­in­ves­ti­tionen in die Elek­tri­fi­zierung der Modell­pa­lette im Raum – und zwar derart massiv, dass der Kon­kurrenz schwin­delig werden kann. Stürmt VW nun an die DAX-Spitze?

Die deutsche Auto­mo­bil­in­dustrie hat es derzeit wahrlich nicht leicht. Die Grünen, die allem Anschein nach bald Teil einer Regierung sein werden, wollen das Aus des Ver­bren­nungs­motors bis 2030, Feins­taub­höchst­werte in den Städten und der Abgas­skandal machen dem Diesel das Über­leben zur Her­aus­for­derung und Anbieter wie Tesla, aber auch Renault, Nissan oder die Chi­nesen tun ihr Bestes, um Deutsch­lands Vor­zei­ge­industrie mit inno­va­tiven Antriebs­tech­no­logien in Zukunft düpieren zu können. All diese Fak­toren haben sich zu einem großen Angst- und Unsi­cher­heits­ge­misch zusam­men­ge­braut. Von den Auto­käufern über die Politik bis hin zum Anleger scheint jeder ver­un­si­chert. Und wie so oft sind die Aus­wir­kungen von Unsi­cherheit vor allem am Finanz­markt am deut­lichsten zu spüren.

Nachdem es nach Bekannt­werden des VW-Die­sel­skandals 2015 sowohl für Volks­wagen selbst als auch für Daimler und BMW an der Börse abrupt und steil bergab ging, konnten sich deren Papiere bis heute nicht mehr wirklich erholen. Auch wenn zuletzt ein Auf­wärts­trend erkennbar war, steht seit jenem März bei Daimler und BMW ein Verlust von 27 Prozent und bei Volks­wagen einer von stolzen 44 Prozent. Während die Kon­zerne aus München und Stuttgart haupt­sächlich unter dem schlechten Bild leiden, dass die deutsche Auto­in­dustrie derzeit von der Öffent­lichkeit „geschenkt“ bekommt, ist die Bör­sen­zu­kunft von VW besonders spannend. Hier scheint zwi­schen Kurs­sturz und Gip­fel­sturm alles möglich.

Erst vor kurzem mussten die Nie­der­sachsen mal wieder eine Belastung ihrer Quar­tals­er­geb­nisse auf­grund des Abgas­be­trugs ver­melden. 2,5 Mil­li­arden Euro dienen in Quartal drei erzwun­ge­ner­maßen der Risiko-Auf­sto­ckung. Ins­gesamt sum­mieren sich die mit dem Skandal ver­bun­denen Auf­wen­dungen damit auf 25,1 Mil­li­arden Euro. Und wei­terhin ist unklar, was noch an Klagen hinzu kommt und welche der lau­fenden gut oder schlecht für VW aus­gehen. Über­standen hat man seinen größten Fehler der Kon­zern­ge­schichte wohl noch lange nicht. Und das ist gefährlich. Denn die damit ein­her­ge­henden Mil­li­ar­den­ver­luste könnten Inves­ti­tionen in wichtige Zukunfts­felder erschweren. Wobei von solchen Schwie­rig­keiten, ange­sichts der Mil­li­arden, die man nun in die E‑Mobilität inves­tieren will, bisher wenig zu sehen ist. Wir wollen Volks­wagen bis 2025 zur welt­weiten Nummer Eins in der E‑Mobilität machen. Und dieses Ziel werden wir erreichen.“, gab sich Chef Mat­thias Müller am Rande der IAA kämp­fe­risch wie selten zuvor.

Bereits 2015 drei Mil­lionen e‑Volkswagen jährlich?

Was er dann ankün­digte, lies auf­horchen: 20 Mil­li­arden Euro sollen bis 2030 in die Ent­wicklung neuer E‑Modelle fließen, 50 Mil­li­arden in die Bat­te­rie­pro­duktion. Bis zum Jahr 2025 sollen kon­zern­über­greifend 80 neue PKW mit Elektro-Antrieb auf den Markt. 50 davon, so der Plan, werden einzig und allein mit Strom fahren, die rest­lichen 30 sollen Plug-In-Hybride werden. Alle Töchter mit inbe­griffen will VW bis 2030 für jedes seiner 300 Modelle und in allen Seg­menten min­destens eine elek­trisch ange­triebene Variante. Schafft es Volks­wagen diese Pläne in die Tat umzu­setzen, werden ab dem Jahr 2025 25 Prozent der neu pro­du­zierten PKW mit Bat­terie fahren, was einer Zahl von bis zu drei Mil­lionen pro Jahr entspricht.

Zudem scheint der VW-Konzern, was die Absatz­zahlen betrifft, wieder in der Spur. Und das über­ra­schen­der­weise vor allem in den USA. In den ersten neun Monaten 2017 können die Wolfs­burger hier auf ein Absatzplus in Höhe von 9,2 Prozent ver­weisen. Im ver­gan­genen Sep­tember ver­kaufte man knapp über 32.000 Autos, zirka 33 Prozent mehr als im Vor­jah­res­monat. Aller­dings lief das Jahr 2016 für VW auch selten schlecht. Weltweit steht 2017 bisher ein Absatzplus in Höhe von 2,7 Prozent zu Buche. Einzig in Deutschland will es nicht laufen. In den ersten sechs Monaten 2017 ging der Absatz um etwa ein Prozent zurück. Mar­ken­ver­triebschef Jürgen Stackmann blickt aller­dings positiv in die Zukunft. „Auch im Hei­mat­markt Deutschland zeichnet sich ein kräf­tiger Auf­wärts­trend ab, die aktu­ellen Bestel­lungen liegen deutlich über denen aus dem Vor­jah­res­monat.“ Den Umsatz konnten die Wolfs­burger im ersten Halbjahr 2017 weltweit um 7,3 Prozent auf knapp 116 Mil­li­arden Euro steigern. Beim ope­ra­tiven Ergebnis ging es um 18,6 Prozent auf 8,9 Mil­li­arden Euro nach oben.

Ana­lysten mehr­heitlich auf der posi­tiven Seite

Für Bar­clays-Ana­lystin Kristina Church genug positive Aspekte, um die Aktie des Groß­kon­zerns mit einem Kursziel von 174 Euro zum Kauf zu emp­fehlen. VW-Papiere seien im Auto­mo­bil­sektor offen­sichtlich unter­be­wertet, schreibt sie in einer Studie. Inves­toren würden aller­dings noch daran zweifeln, ob das VW-Management durch aggressive Ver­än­de­rungen den Wert des eigenen Unter­nehmens wirklich erhöht. Die Invest­mentbank Equinet setzt ihr Kursziel mit 166 Euro etwas nied­riger, rät damit aber eben­falls klar zum Kauf. In Bezug auf die guten Absatz­zahlen im Sep­tember schrieb Analyst Tim Schuldt: Der Auto­bauer sei auf Erfolgskurs geblieben und es seien weniger Anreize für Auto­käufer nötig gewesen. Dies sei ein gutes Zeichen. Marc-Rene Tonn vom Ana­ly­sehaus Warburg Research ist vor­sich­tiger und rät bei einem Kursziel von 155 Euro dazu die Aktie zu halten. Die zusätz­lichen Rück­stel­lungen für etwaige Garan­tie­an­spräche der US-Kunden im dritten Quartal unter­strichen die anhal­tenden Risiken, welchen der Konzern durch den Abgas­skandal aus­ge­setzt sei.

Die Ana­lys­ten­tendenz, sie ist im Durch­schnitt sehr positiv, aber natürlich ist der Abgas­skandal noch lange nicht über­wunden. Lang­fristig dürfte es wohl ent­scheidend sein, ob man seine hoch­ge­steckten Ziele auch erreichen kann. Die Kon­kurrenz schläft nicht und inno­vative Antriebs- und Mobi­li­täts­lö­sungen werden von Volks­wagen kommen müssen. Ebenso ent­scheidend: Die Rechts­strei­tig­keiten in Sachen Abgas­betrug dürfen sich nicht zu einem Desaster ent­wi­ckeln, wie es die Deutsche Bank durch ihre Machen­schaften nach der Finanz­krise erleben musste.

Und was folgt daraus für Anleger? Wenn er Mut zum Risiko hat, greift er zu. Ansonsten reicht es viel­leicht auch erstmal, den gespannten Beob­achter zu spielen und auf kleinere Rück­setzer zu warten. Wer Bör­sia­nerblut in den Adern hat, wird indes län­ger­fristig um VW kaum herumkommen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Ihrer BÖRSE am Sonntag resp. TheEuropean.com