Alle Immo­bi­li­en­blasen platzen – irgendwann

Die Krise des kana­di­schen Immo­bi­li­en­fi­nan­zierers Home Capital mag andere Gründe haben. Dennoch ruft die Schieflage des Unter­nehmens, der ein­set­zende Run der Kunden und das eilig orga­ni­sierte Ret­tungs­paket von zwei Mil­li­arden US-Dollar ungute Erin­ne­rungen hervor. Auch die Finanz­krise begann vor acht Jahren mit ersten ver­ein­zelten Schief­lagen, erinnert sei an die bri­tische Nor­thern Rock. Sollte es Kanada nun also doch noch treffen, obwohl die dor­tigen Banken einer weitaus stren­geren Regu­lierung unter­liegen? Aus­zu­schließen ist das nicht, weil heute ange­sichts des größten Risikos der Welt­fi­nanz­märkte selbst die beste Regu­lierung versagt: die unbe­grenzte Finan­zierung von Immo­bilien durch das Bankensystem.
Globale Blasen an Immobilienmärkten
Kanada ist sicherlich nicht alleine mit dem Risiko über­teu­erter Immo­bi­li­en­märkte. Die UBS iden­ti­fi­ziert gleich mehrere Städte in der Welt mit einem erheb­lichen Bla­sen­risiko. In abstei­gender Rei­hen­folge sind dies:

  • Van­couver
  • London
  • Stockholm
  • Sydney
  • München

Allen gemeinsam ist ein knappes Angebot, die Ver­füg­barkeit bil­ligen Geldes und der unge­bremste Glaube, dass Immo­bilien niemals im Preis fallen können.
Knappes Angebot
Als ich im Jahre 2010 geschäftlich in Aus­tralien unterwegs war, erzählten mir meine Gesprächs­partner immer das Gleiche:

  1. Wir haben keine Finanz­krise gehabt, weil wir alle in sichere Immo­bilien investieren.
  2. Immo­bilien können nur im Preis steigen, weil Land knapp ist.
  3. Immer weniger Familien können sich noch eine Wohnung in der Stadt leisten.

Gerade der Punkt mit der Land­knappheit kam mir ange­sichts end­loser Weiten unbe­bauten Landes beim Über­fliegen Aus­tra­liens etwas komisch vor. Im Kern ging es darum, dass die Städte nicht genügend neues Bauland aus­wiesen, um dem anhal­tenden Zuzug nach Aus­tralien und in die Städte aus­zu­gleichen. Damit wird aber auch klar, dass Knappheit ein rela­tives Konzept ist. Vor allem wird die Knappheit dadurch akzen­tuiert, dass sich der Glaube durch­setzt, dass Immo­bilien nur im Preis steigen können, was objektiv falsch ist, weil es in jedem Markt – auch in den fünf Märkten mit dem größten Bla­sen­risiko laut UBS – his­to­risch immer wieder Preis­rück­gänge gegeben hat. 
Richtig ist aber, dass Immo­bilien in Deutschland auch deshalb im Schnitt güns­tiger sind als in anderen Märkten, weil wir durch unsere föderale Struktur über viele Zentren mit guter Wirt­schafts­kraft ver­fügen. In anderen Ländern, wie bei­spiels­weise Groß­bri­tannien und Frank­reich ist die Wirt­schaft auf die Haupt­städte kon­zen­triert, was natur­gemäß zu höheren Immo­bi­li­en­preisen führt. 
Unbe­grenzte Finanzierung
Dieses begrenzte Angebot an Immo­bilien trifft auf eine stetig stei­gende Nach­frage – nicht nur, weil der Zuzug in die wirt­schaft­lichen Zentren anhält, sondern weil es eine unbe­grenzte Finan­zierung gibt. Unser Ban­ken­system kann fak­tisch unbe­grenzt neue Kauf­kraft schaffen und steht für rund 90 Prozent allen im Umlauf befind­lichen Geldes. 
Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Banken würden vor­handene Erspar­nisse an Kre­dit­nehmer ver­mitteln. In Wirk­lichkeit ist es ganz anders. Die Bank schreibt einem Kre­dit­nehmer das Dar­lehen auf dessen Konto gut. Dies ist nichts anderes als eine Bilanz­ver­län­gerung für die Bank. Auf der Pas­siv­seite – also als Einlage – steht das Kon­to­gut­haben des Kre­dit­nehmers, auf der Aktiv­seite der Kredit in gleicher Höhe. Zwar mag der Kre­dit­nehmer das Geld an jemanden anderes über­weisen und damit zu einer anderen Bank. Im Ban­ken­system gleichen sich diese Zah­lungen jedoch aus. Die Begrenzung für die Kre­dit­vergabe liegt nur im poten­zi­ellen Kon­kurs­risiko der Bank, sollten Kre­dit­nehmer ihren Ver­pflich­tungen nicht mehr nach­kommen. Dank der impli­ziten Garantie der Staaten ist dieses Risiko gering, weshalb die Banken mit mini­malstem Eigen­ka­pital ein großes Rad drehen.
Dabei finan­zieren Banken nichts lieber als ver­meintlich risi­koarme Immo­bilien. Unbe­grenzte und für fast null Kosten pro­du­zierbare Kauf­kraft trifft so auf ein begrenztes Gut. Die Preise müssen steigen und setzen damit einen sich selbst ver­stär­kenden Kreislauf in Gang. Sobald eine Immo­bilie zu einem höheren Preis ver­kauft wird, wirkt sich das auf den Preis aller Immo­bilien in der Gegend aus. Das Preis­niveau ins­gesamt beginnt zu steigen. Dies erhöht das Eigen­ka­pital aller Immo­bi­li­en­be­sitzer und ermög­licht es ihnen wie­derum, mehr Kredite auf­zu­nehmen, um weitere Immo­bilien zu kaufen. Für die Käufer sind die gestie­genen Preise zwar unan­genehm, aber dank der unbe­grenzten Finan­zie­rungs­mög­lich­keiten durch die Banken ver­kraftbar, vor allem mit Blick auf die weitere zu erwar­tende Preis­stei­gerung. Dabei wird das System immer mehr selbst­re­fe­ren­ziell. Haus­preise gelten als günstig, relativ zu dem, was man in anderen Ländern bereits bezahlt oder aber auch hier bald bezahlen wird.
Welche Bedeutung die Finan­zierung von Immo­bilien hat, ver­deut­lichen fol­gende Zahlen aus Groß­bri­tannien: Seit 1990 haben sich die Hypo­theken und Kredite an Immo­bilien- und Finanz­un­ter­nehmen von 33 Prozent des BIP auf nun 98 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes (BIP) ver­drei­facht. Die Aus­lei­hungen an die pro­duk­tiven Sek­toren – also die Nicht-Finanz­un­ter­nehmen, die in Maschinen und Anlagen inves­tieren oder neue Pro­dukte und Dienst­leis­tungen ent­wi­ckeln– blieben stabil bei 25 Prozent des BIP. 
Dieses Zusam­men­spiel unbe­grenzter Kauf­kraft und begrenzten Angebots ist der ent­schei­dende Erklä­rungs­faktor für stetig stei­gende Ver­mö­gens­preise und Schulden. Schon 2015 habe ich auf­ge­zeigt, dass der fran­zö­sische Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahr­hundert“ nur Sym­ptome beschreibt. Die Ver­mögen (fak­tisch nur die Immo­bi­li­en­preise) wachsen im Ein­klang mit den Schulden, die erst die Preis­stei­gerung ermöglichen. 
Auf­wärts ohne Ende
All­gemein setzt sich die Erkenntnis durch, dass Immo­bilien nur im Preis steigen können. Banken und Käufer halten es für ein prak­tisch risi­ko­freies Geschäft. Doch aus genau diesem Grund wachsen die Risiken langsam an. Geben die Banken anfangs nur jenen Käufern einen Kredit, die in der Lage sind, Zinsen und Tilgung zu leisten, so genügt es nach einiger Zeit, dass die Kre­dit­nehmer die Zinsen bezahlen können. Eine Tilgung wird als nicht nötig ange­sehen, steigen die Immo­bi­li­en­preise doch ohnehin. Das ermög­licht es auch finan­ziell schwä­cheren Per­so­nen­kreisen, bei der Party an den Immo­bi­li­en­märkten mitzuspielen. 
Das End­stadium wird erreicht, wenn Käufer Zins und Tilgung nicht leisten können und nur auf die künftige Wert­stei­gerung setzen. Der ver­storbene Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Hyman Minsky sprach in diesem Zusam­menhang nicht zu Unrecht von „Ponzi-Finan­zierung“.
Immer mehr Käufer spe­ku­lieren auf einen unge­bro­chenen Anstieg der Preise und gehen immer größere Risiken ein. Dabei kommt es zu offen­sicht­licher Spe­ku­lation. Immo­bilien werden nur gekauft, in der Hoffnung, sie kurze Zeit später mit Gewinn ver­kaufen zu können.
Party in Kanada und Australien
Schon lange boomen die kana­di­schen Immo­bi­li­en­märkte. Mit immer gerin­gerem Eigen­ka­pital und Ein­kommen werden immer teurere Häuser gekauft. Der Anteil „ris­kanter“ Hypo­theken wird lan­desweit auf 18 Prozent geschätzt. In Toronto auf atem­be­rau­bende 49 und Van­couver auf 39 Prozent. Dies muss kein Problem sein, solange die Ein­kommen nicht sinken, zum Bei­spiel in Folge einer Rezession – oder die Immo­bi­li­en­preise beginnen zu sinken. 
Opti­misten würden sagen, dass Immo­bi­li­en­preise eben nicht sänken und es dieses Risiko folglich nicht gäbe. Leider dürfte dem nicht so sein. Immer mehr Immo­bilien werden aus spe­ku­la­tiven Gründen gekauft, was Märkte struk­turell anfällig macht. So stiegen die Woh­nungs­preise in Toronto alleine in den letzten 12 Monaten um mehr als 30 Prozent. Immer mehr Woh­nungen stehen leer und kommen rasch wieder auf den Markt.
Wesent­licher Treiber der Immo­bi­li­en­märkte in Van­couver und Toronto sind auch aus­län­dische Käufer, vor allem Chi­nesen. Aus diesem Grund haben beide Städte Beschrän­kungen und zusätz­liche Steuern für aus­län­dische Käufer ein­ge­führt. Diese sicherlich richtig gemeinte Maß­nahme könnte jedoch die Blase zum Platzen bringen. 
Die Wirkung stei­gender Schulden und Immo­bi­li­en­preise dreht sich um. Sobald die Finan­zie­rungs­kosten über der Wert­stei­gerung des auf Kredit gekauften Gutes liegen, droht der Crash: Erste Spe­ku­lanten ver­suchen zu ver­kaufen, was zu einem Preis­rückgang für alle Immo­bilien führt. In der Folge kommen immer mehr Immo­bi­li­en­be­sitzer unter Druck und müssen wie­derum ver­kaufen. Was folgt, ist keine geordnete Beru­higung des Marktes, sondern ein wahrer Sturz. Als Faust­regel gilt: Je höher der Anteil an Schulden mit denen gear­beitet wird, desto größer die Crashgefahr. 
In Aus­tralien sieht es nicht viel besser aus. Die Aus­tralier haben eine der höchsten Eigen­heim­quoten in der Welt und zugleich ist die För­derung der Alters­vor­sorge sehr auf den Akti­en­markt aus­ge­richtet. Letz­terer wird durch die aus­tra­li­schen Banken domi­niert. Das bedeutet, dass die Aus­tralier ihre Alters­ver­sorgung im eigenen Haus sehen, welches sie hoch von Banken finan­zieren lassen, deren Eigen­tümer sie wie­derum sind. Klingt nach einem Ponzi-System der ganz beson­deren Art!
Die Regierung befeuert den Immo­bi­li­enboom weiter, in dem die Alters­vor­sorge auch in Immo­bi­li­en­an­lagen gefördert wird, um auf diese Weise die Folgen der Krise im Roh­stoff­sektor abzu­federn. Damit ver­größert man eine Blase weiter, wie auch der Noten­bankchef öffentlich zugibt: „The pro­perty bubble is ever­y­thing to this economy and the country’s citizens, whether they know it or not, are ‚all in‘.“ 
Sys­tem­wechsel nötig
Nun müssen die Blasen nicht platzen, und selbst wenn sie es tun, so ist der Zeit­punkt bekanntlich schwer vor­her­zu­sagen. Ein­deutig ist jedoch, dass sie sich in unserem heu­tigen Geld­system zwangs­läufig ergeben. Unbe­grenzte Kauf­kraft trifft auf ein begrenztes Angebot. Natürlich könnte man über ent­spre­chende Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­rungen die Nach­frage nach Immo­bilien dämpfen. Die Gefahr ist jedoch groß – und die aktu­ellen Bei­spiele zeigen es auch – dass diese Auf­lagen nur den nicht regu­lierten Schat­ten­banken mehr Geschäft verschaffen. 
Wer Blasen ver­hindern und die Sta­bi­lität des Finanz­systems erhöhen will, der muss grund­le­gender über unser Geld­system nach­denken und das Recht der Banken, Geld zu schaffen, infrage stellen. Das tut sogar die Bun­debank in ihrem jüngsten Monats­be­richt, ohne aller­dings den rich­tigen Schluss zu ziehen. Sie ver­wirft – wenig über­ra­schend – die Reform­ideen, wie zum Bei­spiel den Vor­schlag, den Banken eigene Geld­schöpfung zu unter­sagen. Die Schweizer sind da in ihren Über­le­gungen weiter, gibt es doch dem­nächst eine Volks­ab­stimmung zu dem Thema. Auch Island denkt nach den leid­vollen Erfah­rungen in der Finanz­krise über einen Sys­tem­wechsel nach. 
Bis es ernsthaft zu einem Sys­tem­wechsel kommt, brauchen wir wohl noch eine weitere große Krise. Unwahr­scheinlich, dass diese von Kanada oder Aus­tralien ausgeht. Wahr­schein­licher, dass die Mutter aller Krisen die Welt­wirt­schaft trifft, wenn die chi­ne­si­schen Immo­bi­li­en­blasen platzen. Undenkbar?
 
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com