Es gibt hunderte solcher Fälle, dokumentiert und undokumeniert, in denen von Gräueltaten an flüchtenden deutschen Zivilisten oder Kriegsgefangenen zum Ende des zweiten Weltkriegs berichtet wird. Sie sind damals wie heute “unpopulär”. Direkt nach dem Krieg durfte man nicht nachforschen oder wollte einfach nur verdrängen, was geschehen war. Und heute? Wer in unserer “überkorrekten” Gesellschaft traut sich denn heute schon von “deutschen Opfern” zu sprechen? Einige wenige trauen sich…
Als Köln im Zweiten Weltkrieg von alliierten Fliegerverbänden zerbombt wurde, verloren viele Kölner ihr Haus, ihre Wohnung, ihre Besitztümer — einfach alles. Auf die Idee, im Ausland Schutz zu suchen kam man damals nicht. Es wäre auch wahrscheinlich sinnlos gewesen, Deutsche hätte niemand aufgenommen.
Damals wurden die Bewohner aus den in Grund und Boden zerbombten Städten auf’s Land evakuiert. Noch lange sprachen die Zeitzeugen des Krieges von ihren Erlebnissen. Die Redewendung „als wir noch in der Evakuierung waren …“ kennen die meisten noch von ihren Eltern und Großeltern. Kölner, die durch Bombardierungen obdachlos geworden waren, aber noch Glück hatten, nicht durch Brandbomben zu Kohlemumien verschmort worden zu sein, wurden zuhauf per Zug in ruhigere, ländliche Gebiete gebracht.

Dort erreichte der Zug endlich den Ort Drossen in der Neumark. Die Dorfleitung, Polizisten, Bürgermeister und Parteiabgeordnete empfingen die Ankömmlinge, waren aber sehr verwundert, da man sich in Drossen selber auf eine Flucht in den Westen einrichtete. Eine Kölner Familie fand Aufnahme in Zielnzig (heute das polnische Sulecin), bei einer Bauersfamilie. „Warum kommt ihr ausgerechnet hierhin?“ wurden die Ankömmlinge gefragt, „Wir packen selber schon“.
Und tatsächlich war der Aufenthalt in der Neumark nur wenige Tage lang. Schon am 2. Februar 1945 hieß es für alle, mit den Habseligkeiten wieder zum Bahnhof zu kommen. Die Rote Armee stand kurz vor Drossen. Gegen elf Uhr Vormittags, unter der Flagge des internationalen Roten Kreuzes, setzte sich der Zug in Bewegung Richtung Reppen (heute Rzepin).
Dann begann die Tragödie.
Plötzlich hörte man das Knallen von Panzergeschützen. Der Dampfkessel der Lokomotive wurde getroffen und der Zug kam zum Stillstand. Dann wurde das Feuer auf die Abteilwagen mit den Menschen darin eröffnet. Wer konnte, sprang aus dem Zug und rannte um sein Leben in den nahegelegenen Wald. Augenzeuge sahen zwei T‑34 Panzer in der Nähe des Zuges. Sowjetische Soldaten bestiegen den Zug und gingen durch die Abteile. Mit gesenkten Maschinenpistolen verließen sie später den Zug und kehrten zu den Panzern zurück. Die Überlebenden, die sich im Wald versteckt hatten, wussten keinen anderen Rat, als erst einmal zurück nach Drossen zu laufen. Doch der Ort wurde sehr bald von der roten Armee besetzt.

Solche Geschehnisse hab es massenhaft, und oft weiß niemand mehr irgendetwas davon. In den letzten Kriegswochen war das Sterben unter den Zivilisten groß. Die Fliehenden konnten in den Wirren nicht mehr genau erfasst werden. Viele starben auch an Erschöpfung und Kälte am Wegrand. Unbekannte Tote, niemand konnte es sich leisten, sich darum zu kümmern. Die Wunden sind bei vielen Familien bis heute nicht verheilt.
Doch das tragische Geschehen bei Drossen (heute Osno Lubuskie) mit 200 ermordeten Zivilisten erfährt nun, nach über 70 Jahren zumindest eine Aufklärung. In mancher Kölner Familie leben noch Flüchtlinge von damals, die all das als sehr junge Menschen miterleben mussten. Wie die damals 14jährige Katharina Hilgers, deren Großmutter und Mutter bei dem Versuch, sie vor Vergewaltigung zu schützen, erschossen worden waren.
![Mit acht auf dem Flüchtlingstreck - Erinnerungen an die Jahre 1939 bis 1945 von [Berger-Klotz, Ulla]](https://i0.wp.com/images-eu.ssl-images-amazon.com/images/I/410VIRijpTL.jpg?resize=225%2C359&ssl=1)
Bei der Aufklärung und Identifizierung helfen nun auch Angehörige und letzte, überlebende Familienmitglieder der damals Umgekommenen. Manche davon lasen rein zufällig einen Bericht über den Fund und die Umbettung der Toten, wie zum Beispie, der Kölner Klaus Reichwein, dessen Mutter, Großmutter, Tante und Cousine, ebenjene 14jährige Katharina Reichwein in diesem Flüchtlingstreck dabei gewesen waren. Er meldete sich bei Tomasz Czabanski und trägt nun das, was er noch erzählen kann, zur Aufklärung der Sache bei. Auch die damals 16 Jahre alte Trude Merten aus Rodenkirchen-Weiß kann sich noch sehr genau an die Zeit in Dossen und an die schrecklichen Erlebnisse erinnern.
Am 31. Januar 2018 findet um 19.30 Uhr in der Stadtteilbibliothek Rodenkirchen (Schillingsrotter Straße 38, 50996 Köln) ein von Zeitzeugen begleiteter Rückblick auf die Kölner Ost-Evakuierung statt.
Sie bekommen alle neuesten Artikel per E-Mail zugesendet.
























