Rot­licht­milieu in Deutschland: 400.000 Pro­sti­tuerte und 15 Mil­li­arden Euro Jahresumsatz

Deutsche Bor­delle machen einen Jah­res­umsatz von 14 bis 15 Mil­li­arden Euro. 400.000 Pro­sti­tu­ierte arbeiten in deut­schen Städten. Weltweit gehen 42 Mil­lionen Men­schen diesem Beruf nach.
(Von Ansgar Lange)
Pro­sti­tution gilt gemeinhin als das „älteste Gewerbe der Welt“. Dies wird mit Sicherheit nicht zutreffen. Aller­dings spielt Pro­sti­tution eine große Rolle in unserer Gesell­schaft, auch wenn sie an den Rand gedrängt wird. Ilan Ste­phani, Tochter aus gutem Hause und heute als Kör­per­the­ra­peutin in Berlin tätig, hat über die Pro­sti­tu­ier­ten­or­ga­ni­sation Hydra erstmals Kontakt zu der Szene bekommen. Als „Freu­den­mädchen“ Paula hat sie in einem Bordell gear­beitet. Ihr Buch „Lieb und teuer“ liefert einen inter­es­santen Ein­blick. Deutsche Bor­delle machen einen Jah­res­umsatz von 14 bis 15 Mil­li­arden Euro. 400.000 Pro­sti­tu­ierte arbeiten in deut­schen Städten. Weltweit gehen 42 Mil­lionen Men­schen diesem Beruf nach. Es hat also durchaus seine Berech­tigung, sich mit diesem Phä­nomen kri­tisch, aber nicht mora­li­sierend auseinanderzusetzen.
Frau­en­recht­le­rinnen und Poli­tiker, die vor­geben, sich um das Wohl der Frauen (und wenigen Männer) zu kümmern, sehen Pro­sti­tu­ierte oft nur als Opfer und Männer aus­schließlich als Täter (Freier und Zuhälter). Diese Welt­sicht ist ver­logen und schlicht. Ilan Ste­phani berichtet aus eigener Erfahrung, dass längst nicht alle Formen von Pro­sti­tution mit Zwang und Gewalt ein­her­gehen. Sicher ist die ehe­malige Phi­lo­so­phie­stu­dentin aus gut­bür­ger­lichem Hause nicht die „typische“ Pro­sti­tu­ierte. Doch es gibt durchaus Frauen, die ihren Körper ver­kaufen, weil sie dies – aus welchen Gründen auch immer – bewusst so wollen.
Stephan Sulke hat die Dop­pel­moral, mit der wir Pro­sti­tution und Pro­sti­tu­ierten begegnen, einmal schön in dem Lied „Die Moral“ gefasst:
„Wenn das Lieschen, weil es doof ist, ihre schönen Beine, jedem her­ge­l­aufnen Typen rüber schiebt, sind die Spießer voller Lob und Beifall für die Kleine, weil sie jedem sich diskret und gratis gibt. Aber als das Lieschen schließlich doch begriffen hatte, wie man schmusen kann, dazu gleich Geld ver­dient, stand die ganze heilige Familie auf der Matte und schrie laut, dass sich doch sowas nicht geziemt. Die Moral, die Moral von der Geschicht, die hat ein dre­ckiges Gesicht.“
Die Autorin glo­ri­fi­ziert den Puff nicht. Sie beschreibt nicht das mondäne Leben einer Kur­tisane, die sich reichen und mäch­tigen Männern hingibt. Viele Männer, die zu ihr ins Bordell kamen, suchten eher eine The­ra­peutin, eine Frau zum Reden als eine Gefährtin für aus­ge­fallene Sexspiele.
Und manch andere Erwerbs­arbeit als die Arbeit der Huren ist ja auch nicht frei­willig. Ste­phani schreibt, dass uns nicht wirklich inter­es­siere, ob Men­schen an sich frei arbeiten dürfen: „Aber wir fühlen uns mora­lisch erhaben genug, um zu wissen, dass Pro­sti­tu­ierte nicht frei sein können.“
Besonders lesenswert sind die Aus­füh­rungen zum soge­nannten Pro­sti­tu­ier­ten­schutz­gesetz, das seit Juli 2017 das Gewerbe in Deutschland regelt. Dieses Gesetz dient nicht den Men­schen, die man eigentlich zu schützen vorgibt. Die gesetz­liche Regelung unter­scheidet nicht zwi­schen Sex gegen Geld und Sex unter Zwang, so die Autorin. Das Gesetz schreibt allen „Huren“, die dann auch einen „Hurenpass“ erhalten, vor, dass sie sich mit ihrem echten Namen, mit Lichtbild, Post­adresse und Geburts­datum behördlich zu melden haben. Sie müssen min­destens einmal im Jahr zu einer Zwangs­be­ratung über Gesundheit und Aus­stiegs­mög­lich­keiten und dürfen nur dann arbeiten, wenn die Behörde vorher eine Arbeits­er­laubnis aus­ge­stellt hat. Außerdem schert das Gesetz alle Formen „bezahlter geni­taler Berührung“ über einen Kamm. Tan­tra­mas­sagen, Sexolo­gical Bodywork, Orgasmic Medi­tation, S / M- und Sur­ro­ga­tarbeit: all dies ist für Vater Staat Prostitution.
Man kann dies alles privat ver­teufeln und für falsch halten. Aber ist es einer libe­ralen Gesell­schaft wie der unseren wirklich ange­messen, mit solchen Holz­ham­mer­me­thoden gegen bezahlte Sex­arbeit, ob frei­willig oder unfrei­willig, vor­zu­gehen? Die Ein­wände der Betrof­fenen wurden nicht gehört. Jeder Leser hat die Gele­genheit, bei der Lektüre des Buches von Ilan Ste­phani zumindest auch die andere Seite zu ver­stehen. Man muss Pro­sti­tution nachher nicht gut finde. Denn dies tut die Autorin im Übrigen auch nicht. Pro­sti­tution befriedige die Freier nicht. Sie sei daher letztlich auch männerfeindlich.
Ilan Ste­phanie: Lieb und teuer. Was ich im Puff über das Leben gelernt habe. Ecowin by Benevento Publi­shing: Wals bei Salzburg 2017. 264 Seiten. ISBN-13 9783711001252. 20 Euro.
Von Ansgar Lange für European.de