Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Goslar. (PI-News)

SPD-Außen­mi­nister Sigmar Gabriel behauptet erneut Türken hätten Deutschland aufgebaut

„Deutschland hat viel davon pro­fi­tiert, dass Men­schen aus anderen Teilen der Welt, ins­be­sondere der Türkei, nach dem zweiten Welt­krieg zu uns gekommen sind und das Land auf­gebaut haben.“ Diese völlig fak­ten­freie Behauptung kommt nicht etwa wie gewohnt von tür­ki­scher Seite, sondern aus dem Mund des deut­schen Außen­mi­nisters Sigmar Gabriel (SPD).
Gabriel ver­breitete die Wie­der­auf­baulüge unwi­der­sprochen am 6. Januar bei einer Pres­se­kon­ferenz mit dem tür­ki­schen Außen­mi­nister Mevlüt Cavu­soglu in Goslar (hier ab Minute 3.14).
Nach­folgend die für jeden nach­prüf­baren Fakten hin­sichtlich der Anwe­senheit von zig Mil­lionen Türken in Deutschland, und deren Beitrag zum Wie­der­aufbau des Landes:
Am 31. Oktober 2017 jährte sich zum 56. Mal (1961) die Unter­zeichnung des Gast­ar­bei­ter­ab­kommens zwi­schen Deutschland und der Türkei. Im Gegensatz zum gerne von tür­ki­scher Seite erzählten Mythos „Deutschland hat tür­kische Gast­ar­beiter nach dem Krieg geholt und diese haben das Land wieder auf­gebaut“, ging der Wunsch nach einem Abkommen nicht von Deutschland aus, sondern von der Türkei.
Sowohl die Türkei als auch die USA hatten ein großes Interesse am Zustan­de­kommen dieser Ver­ein­barung. Ein starkes Bevöl­ke­rungs­wachstum in der Türkei hatte zu hohen Arbeits­lo­sen­zahlen geführt. Diese hoffte man durch das Abkommen zu redu­zieren. Außerdem sollten zurück­keh­rende Fach­kräfte mit ihrem neu erwor­benen Know-how die Effi­zienz der hei­mi­schen Industrie steigern. Ziel der USA war eine öko­no­mische Sta­bi­li­sierung der Türkei, die 1952 in die NATO auf­ge­nommen worden war.
Hierzu führt Dr. Stefan Luft in seinem 2006 erschienen Buch “Abschied von Mul­ti­kulti“ aus:
Die Initiative für das deutsch-tür­kische Anwer­be­ab­kommen ging, was wenig bekannt ist, von der Türkei aus. Die Türkei hatte ein erheb­liches Interesse daran, einen Teil der rasch anwach­senden Bevöl­kerung befristet als Gast­ar­beiter ins Ausland zu schicken. Neben der Ent­lastung des eigenen Arbeits­marktes ver­sprach sie sich zu Recht dringend benö­tigte Devi­sen­ein­nahmen sowie einen Moder­ni­sie­rungs­schub durch zurück­keh­rende Gast­ar­beiter, die sich ent­spre­chende Qua­li­fi­ka­tionen ange­eignet haben würden. Rund 77 Prozent der Erwerbs­tä­tigen waren damals in der Land­wirt­schaft tätig, nur etwa zehn Prozent in der Industrie. „Sowohl Anfang der sech­ziger Jahre als auch zu Beginn der sieb­ziger Jahre war die Türkei darauf ange­wiesen, Arbeits­kräfte ins Ausland zu schicken, da sie nur auf diese Weise die Arbeits­lo­sigkeit im Lande redu­zieren und mit Hilfe der regel­mä­ßigen Gast­ar­bei­ter­über­wei­sungen ihr hohes Außen­han­dels­de­fizit aus­gleichen konnte.”
In Ihrem Buch „Diplo­ma­tische Tausch­ge­schäfte. ‘Gast­ar­beiter’ in der west­deut­schen Diplo­matie und Beschäf­ti­gungs­po­litik 1953–1973“ führt Heike Knortz das Zustan­de­kommen des Ver­trages auch auf außen­po­li­ti­schen Druck der USA zurück:
Zunächst reagierte die Bun­des­re­gierung zurück­haltend auf das Angebot. Arbeits­mi­nister Theodor Blank lehnte das Angebot zunächst ab. Da er die kul­turell-reli­giöse Distanz und mög­liche aus dieser resul­tie­rende Kon­flikte als zu groß ein­schätzte, des Wei­teren bestünde zunächst auch kein Bedarf an tür­ki­schen Arbeits­kräften, da das Potenzial an deut­schen Arbeits­losen aus struk­tur­schwachen Regionen noch nicht hin­rei­chend aus­ge­schöpft sei. Auf­grund des außen­po­li­ti­schen Drucks der USA, welche nach der geo­stra­te­gisch moti­vierten Auf­nahme der Türkei in die Nato dieses Land öko­no­misch sta­bi­li­sieren wollte, übernahm das bun­des­deutsche Außen­mi­nis­terium, im Gegensatz zum ursprünglich zustän­digen Arbeits­mi­nis­terium, die Ver­hand­lungs­führung mit der tür­ki­schen Republik. Bei Abschluss des Abkommens standen die außen­po­li­ti­schen Ziele der Nato, sowie die innen­po­li­ti­schen und wirt­schaft­lichen Ziele der Türkei im Vor­der­grund. Ins­be­sondere erhoffte sich die Türkei einen Rückgang der hohen tür­ki­schen Arbeits­lo­sen­zahlen, welche durch ein dau­erhaft über dem Wirt­schafts­wachstum lie­gendes Bevöl­ke­rungs­wachstum ver­ur­sacht waren.
Das Problem des explo­si­ons­ar­tigen Anwachsens der eigenen Bevöl­kerung (von 1955 bis 1975 stieg die Bevöl­ke­rungszahl in der Türkei von 24 auf 40,2 Mil­lionen Men­schen) wurde zumindest damals noch von tür­ki­scher Seite aus offen zuge­geben. Helmut Schmidt (SPD, deut­scher Bun­des­kanzler 1974 bis 1982) berichtete in der Wochen­zeitung “Die Zeit” (Heft “Zeit-Punkte”, Nr. 1/1993) über ein Schlüs­sel­er­lebnis mit dem tür­ki­schen Minis­ter­prä­si­denten Demirel:
Ich kann mich gut daran erinnern, als ich ihn das erste Mal traf. Das muss anderthalb Jahr­zehnte her sein. Wir trafen uns in Ankara. Er war damals Regie­rungschef und hat zu mir gesagt: „Wissen Sie, Herr Schmidt, bis zum Ende des Jahr­hun­derts müssen wir noch fünfzehn Mil­lionen Türken nach Deutschland expor­tieren.“ Und ich habe zu ihm gesagt: „Das wird nicht statt­finden, das werden wir nicht zulassen.“ Da hat er gesagt: „Warten Sie mal ab. Wir pro­du­zieren die Kinder und Ihr werdet sie aufnehmen.“
Es ließen sich von 1961 bis 1973 viermal so viele Bewerber bei der „Deut­schen Ver­bin­dungs­stelle“ der Bun­des­an­stalt für Arbeit regis­trieren, wie tat­sächlich nach Deutschland ver­mittelt werden konnten. Neben den Über­wei­sungen der Gast­ar­beiter und der Ver­bes­serung der tür­ki­schen Han­dels­bilanz gegenüber der Bun­des­re­publik Deutschland erhoffte sich die Türkei auch durch die Rückkehr der in Deutschland mit moder­neren Pro­duk­ti­ons­tech­niken ver­traut gewor­denen Arbeits­kräften im Rahmen des ver­ein­barten zwei­jäh­rigen Rota­ti­ons­prin­zipes eine Effi­zi­enz­stei­gerung der eigenen Industrie (Know-How-Transfer). Auf­grund der Ver­trags­be­din­gungen, ins­be­sondere des ver­ein­barten zwei­jäh­rigen Rota­ti­ons­prinzips, gab es keine Über­le­gungen oder gar Pla­nungen hin­sichtlich einer dau­er­haften Ansiedlung der tür­ki­schen Zuwan­derer, denn dies war in den Ver­trags­be­din­gungen explizit nicht vor­ge­sehen. Dass das Abkommen keinen wirt­schafts- sondern einen außen­po­li­ti­schen Hin­ter­grund hatte, wurde es auch fol­ge­richtig nicht vom Wirt­schafts- sondern vom Außen­mi­nis­terium ver­handelt und abge­schlossen. Ein Volk, das weltweit für seinen Fleiß, Hand­werks­kunst und Erfin­der­geist bekannt, bereits 1959 hinter den USA wieder zweit­stärkste Wirt­schafts­nation ist, war mit Sicherheit nicht auf größ­ten­teils unge­lernte Türken zum „Wie­derbau“ seines Landes ange­wiesen. 1961 gab es in Deutschland nichts mehr zum „wie­der­auf­bauen“. Eine gute Gele­genheit zum Wie­der­aufbau hätte es hin­gegen in der Türkei gegeben:
Er kommt selbst aus diesem Gebiet um die Städte Erzurum, Mus und Varto. „Als dort 1966 ein Erd­beben wütete, ließ die tür­kische Regierung viele Über­le­bende, die Hab und Gut ver­loren hatten, als Gast­ar­beiter nach Deutschland rekru­tieren. Tau­sende kamen nach Berlin.“
Bereits 1971 wurde das Abkommen wieder gekündigt, 1983 zahlte man „Rück­kehr­prämien“, damit Türken wie ursprünglich ver­einbart in die Türkei reimigrieren.

Das Foto zeigt das frän­kische Würzburg im Jahre 2011, als zu Ehren der „dringend benö­tigten“ tür­ki­schen Gast­ar­beiter die Innen­stadt flä­chen­de­ckend mit tür­ki­schen Fahnen ver­schandelt wurde.

Diese ein­deutige Fak­tenlage passt der Türkei nicht so recht in ihr eigenes Geschichtsbild. So behauptete hin­sichtlich des bevor­ste­henden 50ten Jah­res­tages des Abkommen im März 2011 der damalige „Minister für Aus­land­s­türken“ Faruk Çelik:
[…] In Anspielung auf die deutsche Kritik an tür­ki­schen Migranten erin­nerte der Minister die Bun­des­re­publik auch daran, dass die Aus­wan­derung keine Idee der Türken war: „Die Leute gingen, weil man nach ihnen rief.“ Nun müsse sich Deutschland ver­stärkt um eine gute Inte­gration bemühen, was bedeute, „Kultur und Religion“ der Türken zu respektieren. […]
Ebenso gab der damalige tür­kische Staats­prä­sident Abdullah Gül das Märchen vom dringend benö­tigten tür­ki­schen Gast­ar­beiter zum Besten:
„Die Türken sind damals einer Ein­ladung gefolgt. Deutschland brauchte Arbeits­kräfte, die Türken machten sich auf den Weg.“
Selbst die Bun­des­re­gierung klam­merte, aus welchen Gründen auch immer, die Geschichte des Zustan­de­kommens der Anwerbung aus:
Der Anwer­be­vertrag zwi­schen Deutschland und der Türkei wurde Ende Oktober 1961 in Bad Godesberg unter­zeichnet. Beide Länder waren an einer engeren Zusam­men­arbeit inter­es­siert. Zum einen brauchte Deutschland zur Zeit des „Wirt­schaft­wunders“ Arbeits­kräfte, zum anderen wollte die Türkei ihre Lands­leute durch einen Aus­lands­auf­enthalt weiter qualifizieren.
Ehe­malige deutsche Bun­des­kanzler und Minister ver­zich­teten auf falsche Rück­sicht­nahme bei Ihrer Bewertung der Folgen des Abkommens wie nach­fol­gende Zitate belegen:
Helmut Schmidt (SPD) in der Wochen­zeitung „Zeit“ vom 5.2.82:
„Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze!“
Manfred Börner (SPD und hes­si­scher Minis­ter­prä­sident) 1982:
“Es kommt, solange ich in Hessen etwas zu sagen habe, kein Türke mehr ins Land. Denn die sozialen Fol­ge­kosten sind so hoch, dass es unver­ant­wortlich ist, das fortzusetzen.“
Helmut Kohl, in einem ZDF-Interview v. 3.10.1982, dem ersten Tage seiner Kanzlerschaft:
„Aber es ist auch wahr, dass wir die jetzige vor­handene Zahl der Türken in der Bun­des­re­publik nicht halten können, dass das unser Sozi­al­system, die all­ge­meine Arbeits­marktlage, nicht hergibt. Wir müssen jetzt sehr rasch ver­nünftige, menschlich sozial gerechte Schritte ein­leiten, um hier eine Rück­führung zu ermöglichen.“
und an anderer Stelle:
„Das Problem ist, dass wir offen aus­sprechen müssen, dass wir mit der Zahl der tür­ki­schen Gast­ar­beiter bei uns, wie wir sie jetzt haben, die Zukunft nicht erreichen können. Die Zahl kann so nicht bleiben. Sie muss ver­ringert werden.“
Trotz aller Fakten, wird das Märchen vom Wie­der­aufbau Deutsch­lands durch Türken nicht nur bis zum Erbrechen von sel­bigen, sondern auch immer wieder von deutsch-feind­lichen Poli­tikern wie Sigmar Gabriel einmal bereits im Juli 2017 dieses Jahres zum Besten gegeben.
Wei­ter­füh­rende Links:
» Tobias Heinz: Beitrag der Gast­ar­beiter zum Wie­der­aufbau Deutschlands
» Necla Kelek: Almancis haben Türkei gerettet
Quelle: PI-News.net