Die Rettung Europas und des Euro ist eine Illusion!

Viel ist dieser Tage von der Rettung Europas und des Euros die Rede. Deutschland brauchte endlich eine hand­lungs­fähige Regierung, um auf die Vor­schläge aus Frank­reich reagieren zu können. Implizit sind dabei zwei Annahmen:

  1. dass die Vor­schläge des fran­zö­si­schen Prä­si­denten geeignet sind, die Eurozone und die EU zu sanieren.
  2. dass es in unserem Interesse ist, genau diese Vor­schläge auch umzusetzen.

Beides ist falsch.
Macron will mehr Schulden
Im Kern möchte der fran­zö­sische Prä­sident die Krise, die durch zu viel bil­liges Geld und zu viele Schulden ver­ur­sacht wurde, mit noch mehr Schulden bekämpfen. Ein Euro­fi­nanz­mi­nister soll finan­zielle Mittel euro­paweit ver­teilen, gespeist aus eigenen Steu­er­ein­nahmen und – besonders wichtig – eigener Ver­schul­dungs­mög­lichkeit. Dahinter liegt die Idee, dass nur so eine gleich­mäßige Ent­wicklung in der Eurozone erzielt werden kann. In die gleiche Richtung zielen die Voll­endung der Ban­ken­union (die öko­no­misch auf eine Sozia­li­sierung der faulen Pri­vat­schulden hin­aus­läuft, Stichwort: ita­lie­nische Banken!) und Über­le­gungen für eine euro­zo­nen­weite Arbeitslosenversicherung.
Damit wäre die Eurozone auch offi­ziell eine Trans­fer­union. Dass sie es dank der Politik der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB) ohnehin schon ist, habe ich letzte Woche erläutert. 
Umver­teilung ver­hindert keine Krisen
Diese Maß­nahmen hätten die letzte Krise nicht ver­hindert. Sie wurde durch eine über­mäßige Kre­dit­vergabe durch Banken ver­ur­sacht, ange­reizt durch viel zu tiefe Zinsen. Die Folge war ein sich selbst­ver­stär­kender Boom: Der Pri­vat­sektor fragte die von den Banken ange­bo­tenen Mittel bereit­willig nach, vor allem, um Immo­bilien zu kaufen. Das führte zu einem Bau- und Wirt­schafts­auf­schwung, wodurch Löhne und Importe erheblich stiegen. Mit dem Aus­bruch der Finanz­krise wurde jedoch deutlich, dass ein guter Teil der Kredite unpro­duktiv ver­wendet worden war und es kam es zur Euro­krise. Die Wirt­schaft stürzte in eine tiefe Rezession und das Ban­ken­system der Eurozone wurde insolvent. 
Keine der Maß­nahmen, die EU-Kom­mission und fran­zö­sische Regierung vor­schlagen, würde eine Wie­der­holung dieser Ent­wicklung ver­hindern. Immer noch ist es in unserem Wirt­schafts- und Finanz­system möglich, dass Banken pro­zy­klisch Fehl­in­ves­ti­tionen finan­zieren können, dank ihres Pri­vilegs fak­tisch unbe­grenzt Geld zu schaffen. 
Gemein­sames Budget bringt wenig
Auch zur Sta­bi­li­sierung der Wirt­schaft in einer Krise wären die Maß­nahmen wenig geeignet. Selbst in den USA, wo der Anteil der Umver­teilung zwi­schen den Bun­des­staaten deutlich über dem Niveau zwi­schen den Mit­glieds­ländern der Eurozone liegt, tragen fis­ka­lische Transfers nur wenig dazu bei, Schocks auf Ebene der Bun­des­staaten auf­zu­fangen. So rechnet der IWF vor, dass in den USA bis zu 80 Prozent eines lokalen Schocks über Umver­teilung auf­ge­fangen werden. Mit anderen Worten: Bei einem Ein­bruch des BIP um ein Prozent geht der Konsum nur um 0,2 Prozent zurück. Dieser Risi­ko­puffer ist aber vor allem die Folge pri­vater Kapi­tal­flüsse. Der Staat hat nur einen Anteil von 15 Prozent. Bei uns in Deutschland liegt der Anteil staat­lichen Aus­gleichs im regio­nalen Kri­senfall gar noch unter dem Niveau in den USA.
In der Eurozone werden nach dieser Studie weniger als 40 Prozent eines lokalen Schocks über Umver­teilung auf­ge­fangen, was natürlich innerhalb einer Wäh­rungs­union unbe­frie­digend ist. Dies liegt aber weniger an dem geringen Grad staat­licher „Soli­da­rität“, sondern am Fehlen der pri­vaten Kapi­tal­ströme. Selbst wenn wir den Grad der staat­lichen Umver­teilung auf das US-Niveau ver­drei­fachen, ändert sich an dieser Lage nichts. 
Mehr fis­ka­lische Soli­da­rität innerhalb der Eurozone ist nicht nur sinnlos, weil ohne ent­schei­dende Wirkung mit Blick auf das eigent­liche Problem, sondern ver­braucht erheb­liches poli­ti­sches Kapital. Am Ende stärkt ein solcher Umver­tei­lungs­me­cha­nismus nur die anti­eu­ro­päi­schen Kräfte und legt die Basis für ein Kata­lonien in ganz Europa.
Euro­päische Ein­la­gen­si­cherung – wozu?
An dieser Stelle kommt die For­derung nach einer euro­päi­schen Ein­la­gen­si­cherung ins Spiel, denn nur so ließe sich ein kri­sen­ver­stär­kender „eigen­dy­na­mi­scher Prozess“ ver­hindern. Die Banken sind immer noch die größten Gläu­biger der (eigenen) Staaten und müssten deshalb theo­re­tisch vom bank­rotten Staat gerettet werden. Kommt es aus anderen Gründen zu einer Schieflage, sind die Staaten für die Ein­la­gen­si­cherung ihrer Ban­ken­systeme und für die Finan­zierung der Abwicklung ein­zelner Institute zuständig. So ziehen sich Banken und Staaten gegen­seitig in die Krise und die Volks­wirt­schaft gleich mit.
Hier nun soll eine euro­päische Ein­la­gen­si­cherung ein­springen. Kommt es also zu einer Ban­ken­krise in Italien, sollen die euro­päi­schen Sparer soli­da­risch an den Kosten beteiligt werden. 
Inter­essant an diesen Über­le­gungen ist, dass die Ein­la­gen­si­cherung in der EU auf 100.000 Euro beschränkt ist. In den bis­he­rigen Fällen blieben diese Beträge immer geschützt, auch ohne euro­päische Soli­da­rität. Für die kleinen Sparer braucht man die euro­päische Ein­la­gen­si­cherung also nicht. Die realen Pro­bleme liegen bei den über diesen Betrag hin­aus­ge­henden For­de­rungen. Hier sind Ver­luste beim Abbau der Über­schuldung unver­meidbar, doch sollten diese nach den Regeln der Ban­ken­ab­wicklung ver­teilt werden und nicht über euro­päische Solidarität.
Erst sanieren, dann refor­mieren 
Die Vor­schläge zur Sanierung der Eurozone sind wir­kungslos. In der heu­tigen Situation kann man mit mehr Umver­teilung die gigan­ti­schen Pro­bleme nicht mehr lösen. 
Eine funk­tio­nie­rende Wäh­rungs­union setzt private Kapi­tal­ströme voraus, die in guten wie in schlechten Zeiten funk­tio­nieren. Vor­aus­setzung für diese Kapi­tal­ströme sind klare Regeln, die für alle gelten. In den USA ist das unter anderem die eiserne Regel, dass der Bund nicht für die finan­zi­ellen Schief­lagen der ein­zelnen Staaten ein­tritt. Bei uns in Europa über­wiegt die Angst vor den poli­ti­schen Kon­se­quenzen gepaart mit der gerne ver­drängten Tat­sache, dass wir nun mal keinen euro­päi­schen Bun­des­staat haben, sondern eine Gemein­schaft sou­ve­räner Staaten, die in Zukunft eher mehr als weniger auf ihre Sou­ve­rä­nität achten werden. 
Wer die Eurozone retten möchte, kommt um einen geord­neten Schul­den­schnitt und eine Neu­ordnung nicht herum. Erst danach können und sollten Reformen, die zu mehr Eigen­ver­ant­wort­lichkeit von Schuldnern und Gläu­bigern führen, umge­setzt werden. Alles andere erzeugt die Illusion der Rettung oder kauft schlicht Zeit. 
Nur die EZB hält die Wäh­rungs­union am Laufen, womit auch die Frage nach dem Ende der aggres­siven Geld­po­litik beant­wortet ist: erst nach einem solchen Schritt oder niemals. Ich selbst tippe auf eine Flut noch aggres­si­verer Maß­nahmen, sobald die kon­junk­tu­relle Zwi­schen­er­holung vorbei ist.
Dr. Daniel Stelter / www.think-beyondtheobvious.com