Bill Gates, OnInnovation.com Interview, Bildquelle: Flickr.com, Bildlizenz: CC BY-ND 2.0

Die pri­va­ti­sierte “Welt­rettung”: Bill Gates und der “Phil­an­thro­ka­pi­ta­lismus”

Bill Gates ist nicht mehr der reichste Mann der Welt. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat den ersten Platz erobert. Ein Fall für das Sozi­alamt wird Bill Gates jedoch mit einem Pri­vat­ver­mögen von 89 Mil­li­arden Dollar nicht werden. Der Tycoon führt zusammen mit seiner Frau Melinda die wohl größte und mäch­tigste private Stiftung mit einem Kapital von über 40 Mil­li­arden Dollar. Warren Buffett, mit derzeit 59.5 Mil­li­arden US-Dollar Pri­vat­ver­mögen der dritt­reichste Mensch der Welt, gehört zu den größten Inves­toren der BMGF und sitzt im Auf­sichtsrat der Stiftung.
Es ist eine so genannte Wohl­tä­tig­keits­stiftung, und jedes Jahr werden daraus rund 5 Mil­li­arden Dollar für die Bekämpfung von Armut, Gesund­heits- und Bil­dungs­pro­jekte gespendet, schreibt der Spiegel als Ein­führung in ein Interview mit Bill Gates höchstpersönlich.
Dabei fun­giert der Inter­viewer Marc Pitzke eigentlich nur als Stich­wort­geber. Ver­ständlich, denn er möchte seinen Job behalten. Also rollt er den roten Teppich aus, auf dem der Mul­ti­mil­li­ardär seine Ideen dar­legen kann, Lob und Tadel ver­teilen und sich und seine Stiftung im gol­denen Licht baden kann.
Alles ist soviel besser geworden, resü­miert Bill Gates, der dem Titelbild des Artikels zufolge sehr bescheiden mit kas­sen­ge­stell-ähn­licher Brille, blauem Hemd und einem fla­schen­grünen Aller­welts­pulli gewandet zum Interview erschien: Nur noch halb so viele Kinder stürben, wie im Jahr 2000, die inter­na­tio­nalen Hilfs­maß­nahmen funk­tio­nierten wun­derbar, alle spen­deten, und selbst, wenn Trump die Ent­wick­lungs­hilfe ein­schränkte, nun, dann würden eben andere umso mehr spenden, und hier lobt er vor allem Deutschland. Er preist sich und seine Impf­kam­pagnen und kündigt an, noch mehr Geld in seine Bill-and-Melinda-Gates-Foun­dation (BMGF) zu stecken, und er gibt sich so von seiner Mission erfüllt, dass er es als ein Ziel ansieht, soviel seines Geldes in die Stiftung zu inves­tieren, dass er ganz von der Welt­rang­liste der Reichen verschwindet.
Das ist die läs­sigste und breit­spu­rigste Ange­berei, die ich je gelesen oder gehört habe, Respekt.
Er spricht auch von Part­ner­schaften mit den großen Geber­ländern und den Regie­rungen. Von Deutschland und den USA redet er so, wie der Regie­rungs­vor­sit­zende einer Groß­macht, man ist auf Augenhöhe. Melinda Gates, Bills Gattin und eben­falls Lei­terin der Stiftung, so Marc Pitzke, habe Trump ja gerügt, mit seinen respekt­losen Tweets gegen Frauen, Min­der­heiten und arme Länder kein „Vorbild für ame­ri­ka­nische Werte zu sein“. Bill Gates stimmt ihr darin zu. Wenn das Ehepaar Gates das Ver­halten eines Groß­macht­prä­si­denten nicht billigt, dann lassen sie es diesen auch wissen. Die Gates nehmen an den Haupt­ver­samm­lungen der WHO teil, halten Eröff­nungs­reden und werden hofiert, obwohl dort eigentlich nur Experten und Regie­rungs­ver­treter vor­ge­sehen sind. Augenhöhe schließlich.
Die coole Über­heb­lichkeit ist unan­ge­bracht. Dass die ach-so-men­schen­freund­lichen Unter­neh­mungen der BMGF auch unan­ge­nehme Fragen auf­werfen, haben sogar schon Haupt­medien der Qua­li­täts­presse kom­men­tiert. Unter dem Titel, „Der Welt­ge­sund­heits­apostel“ widmete das ange­sehene Blatt „Die Zeit“ dem Wohl­täter einen langen Artikel. Hier wird beleuchtet, welchen Macht­faktor diese Stiftung auf der Welt – und ins­be­sondere in den Ent­wick­lungs­ländern dar­stellt. Die WHO wird von der über­mäch­tigen BMGF geradezu erdrückt, während gleich­zeitig die Mittel fehlen, um zum Bei­spiel die Ver­breitung des Ebola-Virus zu ver­hindern. Wie das?
Die WHO bezieht 80% ihres Budgets aus Spenden, und die dürfen nur für die Maß­nahmen aus­ge­geben werden, die der Spender vor­ge­geben hat. Taucht also plötzlich eine Ebola-Epi­demie auf, und die immensen Mittel der Spender sind aber z. B. in Polio-Imp­fungen gebunden, kann die WHO die Gelder nicht – was dringend nötig gewesen wäre – zur Ver­hin­derung der Ebola-Aus­breitung ein­setzen, sondern muss weiter gegen Polio impfen, obwohl die Geimpften dann mög­li­cher­weise an Ebola sterben, aber der Wille des Spenders muss befolgt werden. „Und der Mann, auf dessen Wille es in einem kaum zu über­schät­zenden Maße ankommt, heißt Bill Gates.“ schreibt „die Zeit“. Als Bill Gates endlich medi­en­wirksam eine Spende von 50 Mil­lionen Dollar zur Bekämpfung von Ebola ankün­digte, hatte die Seuche sich schon auf mehrere Länder verbreitet.
Auch die Frank­furter Rund­schau pran­gerte „die Pri­va­ti­sierung der Welt­rettung“ mit deut­lichen Worten an:
Wenn die Mäch­tigen in München das Schicksal des Pla­neten ver­handeln, darf der reichste Mensch der Welt nicht fehlen: Auch Bill Gates ist bei der Sicher­heits­kon­ferenz. Der Microsoft-Gründer hat sich vom Software- zum Welt­ret­tungs-Mono­po­listen ent­wi­ckelt. [ … ] Wer Geld von der Stiftung bekommt, muss sich nach deren Vor­gaben richten. Die Gates-Stiftung ver­folgt einen tech­no­kra­ti­schen Ansatz und setzt den Schwer­punkt auf schnell messbare Ergeb­nisse sowie die Zusam­men­arbeit mit der Pri­vat­wirt­schaft in Public Private Part­ner­ships. Zur Hun­ger­be­kämpfung setzt die Gates-Foun­dation auf Gen­technik und mit Vit­aminen und Mine­ral­stoffen ange­rei­cherte indus­trielle Lebens­mittel. Statt öffent­liche Gesund­heits­systeme zu stärken, kon­zen­triert sich die Stiftung auf wenige Krank­heiten wie HIV, Tuber­kulose, Malaria und solche, gegen die man impfen kann. Dabei arbeitet die Stiftung mit umstrit­tenen Kon­zernen zusammen – mit Coca Cola, Glaxo-Smith Kline und Monsanto. Deshalb wächst die Kritik: Die Stiftung bindet auch öffent­liches Geld, weil sie ihre Finanz­zu­sagen an die von Regie­rungen koppelt.“ 
Linsey McGoey, Sozio­lo­gie­pro­fes­sorin an der Uni­versity of Essex, hat sich mit den Neben­wir­kungen dieser Form von Wohl­tä­tigkeit beschäftigt. “Die Spenden lenken von den Schwächen des Gesund­heits­systems ab, das durch die wohl­tä­tigen Gaben nicht nur nicht ver­bessert, sondern oft noch behindert wird. … Diese moderne Form der Wohl­tä­tigkeit hat die inter­na­tionale öffent­liche Gesund­heits­po­litik in eine Ansammlung unko­or­di­nierter Ein­zel­pro­jekte ver­wandelt, die sich den Wün­schen der Geld­geber unter­ordnen muss.”, schreibt „die Zeit“.
Dieser Wohl­tä­tig­keits­ka­pi­ta­lismus, auch „Phil­an­tro­ka­pi­ta­lismus“ genannt, den auch George Soros welt­um­spannend ausübt, funk­tio­niert nach unter­neh­me­ri­schen Grund­sätzen. Es gibt Kosten-Nutzen-Ana­lysen und die BMGF „inves­tiert“ in globale Gesund­heits, Ernäh­rungs- und Armuts­be­kämp­fungs­pro­jekte – sogar mehr, als jede Regierung der Welt. Das Ehepaar Gates sieht sich als Altru­isten und Philanthropen.
Was aber ist die Vor­ge­hens­weise in den Entwicklungsländern?
Die Gates-Stiftung enga­gierte sich zum Bei­spiel stark in der Gen­technik, um einer­seits die Lebens­mit­tel­er­zeugung in den Ent­wick­lungs­ländern vor­an­zu­treiben, ande­rer­seits die Gen­the­rapie in der Medizin vor­an­zu­bringen. Das erwies sich als tra­gi­scher Fehl­schlag, der einige Todes­fälle ver­ur­sachte und eine erbit­terte ethische Dis­kussion darüber ent­fachte. Die Pati­enten, an den die Ver­suche durch­ge­führt wurden, waren zum Zeit­punkt der Studie noch relativ gesund. Die Methode war noch unaus­ge­reift und die gen­tech­ni­schen Expe­ri­mente an Men­schen hätten nach der Ein­schätzung von Ethik­ex­perten nie durch­ge­führt werden dürfen.
Dennoch will Bill Gates die bio­tech­no­lo­gi­schen For­schung noch stark aus­weiten und fördern. Zu diesem Zweck arbeitet er mit inter­na­tio­nalen, phar­ma­zeu­ti­schen und Gen­technik-Unter­nehmen eng zusammen. Hierzu gibt es eine Studie namens „Gated Deve­lo­pment — is the Gates Foun­dation always a force for good?“, der bri­ti­schen NGO Global Justice Now, die diese Ver­flech­tungen beleuchtet:
Gated Deve­lo­pment demons­trates that the trend to involve business in addressing poverty and ine­quality is central to the prio­rities and funding of the Bill and Melinda Gates Foun­dation. We argue that this is far from a neutral cha­ri­table strategy but instead an ideo­lo­gical com­mitment to promote neo­li­beral eco­nomic policies and cor­porate glo­ba­li­sation. Big business is directly bene­fitting, in par­ti­cular in the fields of agri­culture and health, as a result of the foundation’s acti­vities, despite evi­dence to show that business solu­tions are not the most effective.“
Ange­bundene Ent­wicklung zeigt auf, dass der Trend, Geschäft­liches ein­zu­be­ziehen, wenn man sich um Armut und Ungleichheit kümmert, die zen­trale Bedeutung bei den Ziel­set­zungen und und der Geld­be­schaffung der Bill-und Melinda-Gates Stiftung hat. Wir legen dar, das dies weit von einer neu­tralen Wohl­tä­tig­keits­stra­tegie ent­fernt ist, sondern statt­dessen ein ideo­lo­gi­sches Enga­gement ist, um so neo­li­berale Wirt­schafts­po­litik zu fördern und die Glo­ba­li­sierung durch Unter­nehmen. Als Ergebnis der Stif­tungs­ak­ti­vi­täten pro­fi­tiert das Big Business direkt davon, ins­be­sondere in den Bereichen Land­wirt­schaft und Gesundheit, obwohl Beweise belegen, dass unter­neh­me­rische Her­an­ge­hens­weisen nicht die effek­tivsten sind.
Die Studie unter­sucht die Ziele und Aus­wir­kungen der BMGF in vier Feldern:
Beein­flussung der glo­balen Politik
Vor­an­treiben der Unternehmensinteressen
Unter­stützen der indus­tri­ellen Landwirtschaft
Durch­setzen der Privatisierung
Die Schlüsse, die die Studie aus ihren Recherchen zieht, sind wenig schmei­chelhaft. In der Öffent­lich­keits­arbeit setzt die BMGF alles daran, als wohl­tätige, men­schen­ret­tende und heils­brin­gende Orga­ni­sation in Erscheinung zu treten. Im Januar 2016 erklärten Bill und Melinda Gates, dass sie sich der “Zero Hunger Challenge” der Ver­einten Nationen ver­pflichtet sehen, die den welt­weiten Hunger bis 2030 besiegen will.
Doch hinter dieser blen­denden Kulisse der BMGF werden knall­harte Inter­essen und Geschäfte durch­ge­zogen. Der Leiter der Studie, Mark Curtis, ent­hüllt darin dezi­diert die Ver­flech­tungen der Wohl­tä­tig­keits­stiftung mit den glo­balen Großkonzernen:
Der Welt­öf­fent­lichkeit wird der Mythos ver­kauft, die private Phil­an­thropie biete viele Lösungen für die Pro­bleme der Welt, statt­dessen schiebt sie aber die Welt in viele falsche Rich­tungen. […] Unter­sucht man die Pro­gramme der BMGF zeigt sich, dass die Stiftung — deren Füh­rungs­kräfte größ­ten­teils bei US-Ame­ri­ka­ni­schen Groß­kon­zernen arbeiten — mul­ti­na­tionale Konzern-Inter­essen unter­stützt … auf Kosten der sozialen und öko­no­mi­schen Gerechtigkeit. 
Die Stra­tegie der Stiftung zielt darauf ab, die Rolle mul­ti­na­tio­naler Unter­nehmen in Belangen der glo­balen Gesundheit und ins­be­sondere in der Land­wirt­schaft zu stärken, obwohl exakt diese Unter­nehmen ganz maß­geblich die Armut und Unge­rech­tigkeit ver­ur­sacht haben und ohnehin schon die Süd­halb­kugel schi­ka­nieren. […] Außerdem ist die Stiftung der weltweit größte Investor bei der Erfor­schung gen­ma­ni­pu­lierter Nutzpflanzen.“
Die BMGF spendet zudem Mil­lio­nen­summen an Chemie- und Agrar­kon­zerne wie Monsanto, Cargill, DuPont Pioneer, Dow Che­micals, BASF und Bayer. Gleich­zeitig inves­tiert die BMGF in die Aktien dieser Unter­nehmen. 2010 kaufte die BMGF für 23,1 Mil­lionen US-Dollar über 500.000 Monsanto-Aktien. Es liegt auf der Hand, dass die BMGF daher ein Interesse daran hat, dass diese Agrar­kon­zerne Gewinne erwirtschaften.
Auch die WHO muss – wie bereits erwähnt — nach der Pfeife der BMGF tanzen. Als Gegen­leistung für seine groß­zü­gigen Zuwen­dungen „emp­fiehlt“ Bill Gates der WHO die Zusam­men­arbeit und Beauf­tragung von Phar­ma­kon­zernen wie Merck, Gla­x­oS­mit­h­Kline, Nov­artis und Pfizer. Das Ziel dieser Phar­ma­kon­zerne wie­derum ist, zusammen mit der BMGF (die ihrer­seits Aktien an den Phar­ma­kon­zernen hält) sich den exklu­siven Markt­zugang in Afrika und Asien zu sichern, dort “markt­ba­sierte Lösungen” zu imple­men­tieren und gleich­zeitig die öffent­lichen Gesund­heits­systeme Schritt für Schritt abzu­schaffen und den Gesund­heits­markt allein zu besetzen.
Imp­fungen sind da eine sehr dien­liche Sache. Die Studie beschreibt, dass Lun­gen­ent­zün­dungen auf der Süd­halb­kugel die häu­figste Todes­ur­sache für kleine Kinder sind. Gla­x­oS­mit­h­Kline und Pfizer, sind die ein­zigen Her­steller von Impf­prä­pa­raten dagegen und haben zwi­schen 2009 und 2015 über 19 Mil­li­arden US-Dollar allein mit ihren Imp­fungen dort ver­dient. Die “Ärzte ohne Grenzen” fordern schon länger, dass die hohen Kosten pro Impfung von 60 auf 5 US-Dollar gesenkt werden müssen. Die BMGF schmettert dies mit dem Argument ab, die Pharma-Kon­zerne hätten dann kein Interesse mehr, auf der Süd­halb­kugel tätig zu werden.

 
Die Regie­rungen können sich eben­falls der Macht der BMGF kaum ent­ziehen. Die Bun­des­re­gierung arbeitet seit 2006 mit der Stiftung und gehört zu den Finan­ciers der Glo­balen Allianz für Impf­stoffe (Gavi). Die Gates-Stiftung stellt 20 Prozent des Budgets dieser öffentlich-pri­vaten Part­ner­schaft. Gavi unter­stützt Impf­pro­gramme für Kinder in armen Ländern sowie die Ent­wicklung von Impf­stoffen. Im Gremium sitzen auch Ange­hörige von Phar­ma­kon­zernen wie Pfizer und Sanofi. Ärzte ohne Grenzen kri­ti­sieren, dass Gavi die Markt­macht der Kon­zerne stärkt, weil sie ihnen über­teuerte Imp­fungen abkauft. Die Patente der Kon­zerne auf lebens­wichtige Medi­ka­mente ver­hindern, dass diese in ärmeren Ländern günstig her­ge­stellt werden können. Daran hat Bill Gates Anteil: Als Microsoft-Chef hatte er sich für das “Trips-Abkommen” zum Schutz geis­tiger Eigen­tums­rechte eingesetzt.
Die Mit­glied­staaten der WHO waren in den letzten 20 Jahren gezwungen, ihre Bei­träge zur Welt­ge­sundheit immer weiter zu senken, weil die Staaten sich immer mehr ver­schulden und keine Gelder mehr frei haben. Das liegt unter anderem auch an der Steu­er­ver­mei­dungs­po­litik der Mega­reichen wie Bill Gates. Sein gigan­ti­sches Ver­mögen rührt nämlich auch daher, dass Microsoft bekann­ter­maßen seit vielen Jahren eine aus­ge­buffte Steu­er­ver­mei­dungs­stra­tegie fährt und 109 Mil­li­arden Dollar in Steu­er­oasen in Sicherheit gebracht hat. Und je weniger Gelder die WHO zur freien Ver­fügung hat, desto eher ist sie auf die Phil­an­thro­ka­pi­ta­listen ange­wiesen, die ihre publi­kums­wirksame Wohl­tä­tigkeit nutzen, um sich zusammen mit den glo­balen Groß­kon­zernen die Welt aufzuteilen.