Juristin: „Es gibt in Europa keine Mei­nungs­freiheit mehr“

Karoline Seibt gehört mit zu den Pro­mi­nenten, die über ihr beruf­liches Renommee hinaus in den sozialen Netz­werken durch ihre State­ments zu poli­ti­schen und gesell­schaft­lichen Fragen deutsch­landweit bekannt sind. Am Wochenende wurde sie erneut von Facebook gesperrt. Ich habe mit ihr über Facebook und die Situation der Mei­nungs­freiheit in Europa gesprochen.
Frau Seibt, Sie wurden erneut von Facebook für 30 Tage gesperrt. Die wie­vielte Sperre ist das nun?
Es ist die vierte Sperre mit einer Dauer von 30 Tagen. Ins­gesamt kann ich die Sperren nicht mehr zählen. Es waren sicher mehr als 8. Die erste Sperre dauerte einen Tag und das wurde dann nach und nach gesteigert auf 30 Tage. 30 Tage ist die Höchst­dauer. Danach kommt die Löschung des gesamten Profils.
Aber das mit der Löschung sind doch nur Drohungen!
Nein, viele Profile von kri­ti­schen Bloggern wurden mitt­ler­weile kom­plett gelöscht. An die meisten erinnert sich kaum jemand mehr. Die islam­kri­tische, jesi­dische Blog­gerin Ronai Chaker hatte zuletzt 3 Profile, die sie immer wieder neu auf­bauen musste. Inzwi­schen sind alle ihre Profile gelöscht. Ich habe leider den Kontakt zu ihr kom­plett ver­loren. Ver­mutlich musste sie aus Sicher­heits­gründen auch ihre Han­dy­nummer ändern.
Welche Begründung wurde Ihnen genannt? Wann wurde dann Matissek gesperrt?
https://philosophia-perennis.com/wp-content/uploads/2017/06/k-seibt-16b-300x195.jpgIch hatte einen – zuge­ge­be­ner­maßen sar­kas­ti­schen – Text des Jour­na­listen Daniel Matissek über unseren neuen Außen­mi­nister Heiko Maas kopiert und den Beitrag mit dem Namen des Autors gepostet. Darin wurde Maas mit Eichmann ver­glichen, aller­dings aus­drücklich nur optisch. Diese Par­allele ist nicht neu. Wenn man bedenkt, mit wem oder was Trump hier­zu­lande vom Main­stream ver­glichen wird, finde ich das Auf­zeigen dieser – opti­schen – Ähn­lichkeit absolut hin­nehmbar. Heiko Maas bräuchte nur eine andere Brille zu tragen oder seine Frisur zu ändern, dann wäre die Ähn­lichkeit weniger augenfällig.
Ansonsten war der Text von Daniel Matissek zwar böse, aber sati­risch. Und wie gesagt, der Text stammte gar nicht von mir. Das habe ich kenntlich gemacht. Wit­zi­ger­weise ist der Text bei dem Autor selbst nach wie vor zu finden. Er wurde dort nicht gelöscht und der Autor wurde auch nicht von Facebook gesperrt. Insofern glaube ich schon, dass ich als Person bei Facebook „gelistet“ bin und man hatte nur nach einem neuen Anlass für eine Sperre gesucht. Den Anlass habe ich selbst nicht gegeben, weil ich ver­suche, mich eini­ger­maßen zurück­haltend aus­zu­drücken und Vieles nur andeute. Meine Fol­lower ver­stehen diese ver­steckten Hin­weise. Deshalb musste wohl der Text von Daniel Matissek für eine neue Sperre her­halten. Ich hatte bereits Tage vor der Löschung bemerkt, dass sich auf meiner Seite im Hin­ter­grund Kon­trollen anbahnten.
Ein­zelne Kom­mentare von Freunden wurden „unsichtbar“ gemacht, ich konnte sie nur grau schat­tiert sehen.
Man kann ja direkt bei Facebook Beschwerde gegen eine solche Sperre ein­legen. Haben Sie das getan?
Ich habe früher schon mal Beschwerden gegen Sperren ein­gelegt. Diese wurden aber igno­riert. Ich glaube, dass die Funktion nur zum Schein exis­tiert und kenne Nie­manden, der durch eine „Beschwerde“ wieder frei­ge­schaltet wurde.
Immer mehr Juristen emp­fehlen, in solchen Fällen juris­tisch gegen Facebook vor­zu­gehen. Wäre es für Sie als Rechts­an­wältin nicht ein Leichtes, das zu tun?
Das wäre es sicherlich möglich, aber meine Zeit ist begrenzt. Ich kann und will mich nicht mit dieser The­matik juris­tisch befassen. Mein Schwer­punkt ist das Medi­zin­recht und ich werde mich jetzt noch im Ver­si­che­rungs­recht wei­ter­bilden. Das kostet viel Aufwand und Zeit. Ich habe zwei Kinder und ein Pri­vat­leben. Wir dis­ku­tieren viel zuhause, lesen und schauen Videos aus dem Ausland, vor allem von Stephan Molyneux, Jordan Peterson oder Ben Shapiro. Meine Tochter Naomi hat mich darauf gebracht. Diese Leute sind phi­lo­so­phisch und intel­lek­tuell viel weiter als die meisten Blogger und You­Tuber hier. Zudem bin ich eine lei­den­schaft­liche Tän­zerin. Gerade wenn mich die Politik zu sehr stresst, brauche ich diesen Aus­gleich. Wenn ich könnte, würde ich auch wieder Geige spielen. Ich kann Jedem nur dringend raten, sich solche Inseln zu schaffen, denn anders ist der Irrsinn hier gar nicht mehr zu ertragen.
Wenn ich mich mit jeder Sperre juris­tisch befassen würde, dann hätte ich den Kopf nicht für diese schönen Dinge frei, sondern wäre ständig frus­triert und belastet. Denn ganz egal, welches Thema ich juris­tisch angehe: Ich könnte das nur ganz oder gar nicht tun. Deshalb kon­zen­triere ich mich lieber auf meine Kern­kom­pe­tenzen sowie darauf, meine Resi­lienz zu stärken, statt mich mit Will­kür­maß­nahmen eines „tota­li­tären“ Systems her­um­zu­schlagen, die mich nur psy­chisch her­un­ter­ziehen. Wenn Du in einem System „gelistet“ bist, beschränkt sich das nicht auf Facebook. Man sieht das an Martin Sellner, der gerade in London ver­haftet wurde, nur weil er in Speakers Corner eine Rede halten wollte.
Es gibt in Europa keine Mei­nungs­freiheit mehr. Facebook ist nicht die Ursache, sondern das Symptom. Nur, wenn es uns gelingt, dass immer mehr Men­schen das begreifen, kann der gewalt­freie, ver­nunft­ge­tragene Wider­stand erfolg­reich sein.
Was würden Sie anderen facebook-Usern emp­fehlen: Juris­ti­sches Ver­fahren? Sich von Facebook ver­ab­schieden? Den Regeln und der Willkür, die dort herr­schen beugen? 
Man sollte sich nicht darüber ärgern, sondern die Sperren als das betrachten, was sie sind: Der untaug­liche Versuch einer sozia­lis­ti­schen Volks­er­zie­hungs­maß­nahme. Die Wahrheit bahnt sich immer ihren Weg. Wir müssen auf­passen, dass wir tota­li­tären Welt­ver­bes­serern nicht eben­falls mit tota­li­tärer Welt­ver­bes­serung begegnen. Es gibt Pro­gnosen, die besagen, dass Facebook auf die Dauer sein Ver­trauen ver­spielt und diese Anbie­derung an die Politik nicht überlebt. Das sehe ich genauso.
Herz­lichen Dank, für das Gespräch!


Dieses Interview führte David Berger für seinen Blog philosophia-perennis.com