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Totentanz der Zombies — Immer mehr Unter­nehmen sind bei ehr­licher Betrachtung insolvent

Zombies sind all­ge­gen­wärtig. Nicht in Hor­ror­filmen, sondern in der Wirt­schaft. Ein immer grö­ßerer Anteil der Unter­nehmen ist bei ehr­licher Betrachtung insolvent. Eine solche ehr­liche Betrachtung kann und will sich niemand leisten, denn dann fällt die Illusion der über­wun­denen Krise in sich zusammen. Steigen die Zinsen, ist das Spiel vorbei.
Immerhin neun Prozent der Unter­nehmen in Europa sind nach Schät­zungen der Bank of America „Zombies“, also eigentlich insolvent und nur noch am Leben, weil sie mit Mühe die Zins­zah­lungen leisten können. Andere Schät­zungen beziffern den Anteil des Kapitals, der in Zombies gebunden ist, auf fünf bis 18 Prozent, wobei es in Italien, Spanien und Por­tugal besonders schlecht aus­sieht. Selbst in Deutschland dürfte es nicht wenige Unter­nehmen geben, die nur in einem Nullzins-Umfeld über die Runden kommen. 
In den anderen Regionen der Welt sieht es nicht besser aus. So schätzte die Bank für Inter­na­tio­nalen Zah­lungs­aus­gleich schon vor einem Jahr, dass rund 20 Prozent der US-Unter­nehmen in Schwie­rig­keiten gerieten, sobald die Zinsen steigen würden. Chinas Zombie-Pro­bleme sind eben­falls bekannt, vor allem bei den staat­lichen Unter­nehmen, die trotz Rekord­schulden, Über­ka­pa­zi­täten und schwacher Pro­duk­ti­vität weiter am Markt bleiben. In Japan, dem Land wo die Unter­neh­mens­zombies Anfang der 1990er-Jahre nach dem Platzen der Immo­bilien- und Akti­en­blase erstmals in großer Zahl auf­traten, dürften nicht wenige bis heute durch­ge­halten haben. 
Großes Spiel der Illusion
Das Ent­stehen der Zombies ist kein Zufall, sondern die logische Folge unserer Politik der letzten Jahr­zehnte. Immer, wenn eine Rezession oder eine Krise an den Finanz­märkten drohte, haben die Noten­banken mit groß­zü­gigen Liqui­di­täts­spritzen und Zins­sen­kungen reagiert. Nach der Krise haben sie aller­dings die Zinsen nie wieder über das Niveau vor der Krise erhöht. In der Folge dieser asym­me­tri­schen Reaktion kannten die Zinsen nur eine Richtung: nach unten.
Struk­turell sin­kende Zinsen ver­führen jedoch Unter­nehmen, Banken und Inves­toren, mit immer weniger Eigen­ka­pital und immer mehr Einsatz von Schulden zu arbeiten. Da dieser Trend zur Ver­schuldung auf allen Ebenen vom Finanz­sektor bis zur Real­wirt­schaft glei­cher­maßen erfolgt, wächst die Kri­sen­an­fäl­ligkeit des Systems. Die Noten­banken müssen immer häu­figer und immer stärker intervenieren. 
Allei­niges Ziel der Inter­ven­tionen ist es, die Illusion der Solvenz auf­recht­zu­er­halten. Um jeden Preis soll und muss ver­hindert werden, dass es zum Offen­ba­rungseid kommt, weil dieser nicht nur für die betrof­fenen Schuldner und Gläu­biger fatal wäre, sondern für die Welt­wirt­schaft ins­gesamt. Eine Krise würde die große Depression der 1930er-Jahre locker in den Schatten stellen. 
Offen­sicht­liches Symptom dieser Ent­wicklung ist der Anteil der Schein­toten im System, der Zombies: also Unter­nehmen, die lediglich das Geld für die (schon her­ab­ge­setzten) Zins­zah­lungen erwirt­schaften können und von den Banken nur deshalb am Leben erhalten werden, weil sie selber die Abschrei­bungen nicht ver­kraften können. Zombie-Banken und Zombie-Unter­nehmen stützen sich gegen­seitig. Mit jeder neuen Krise wächst zudem der Anteil der Zombies, weil zu den Alt­fällen neue hinzukommen. 
Zombies ver­giften das Wasser
Die Auf­recht­erhaltung der Illusion kommt uns teuer. Die Zombies schaden der gesamt­wirt­schaft­lichen Ent­wicklung auf ver­schiedene Weise:

  • Geringere Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wächse: Schon seit Jahren bemerken wir weltweit einen Rückgang der Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wächse. Allen Inno­va­tionen zum Trotz sta­gniert die Pro­duk­ti­vität pro Kopf und damit der Wohl­stands­zu­wachs. Es liegt nahe, dass Zombies hier eine wesent­liche Rolle spielen. Daten zeigen, dass sich die Fort­schritte auf wenige füh­rende Unter­nehmen in jeder Industrie kon­zen­trieren. Die anderen Unter­nehmen können mit diesen Fort­schritten nicht mit­halten, was daran liegen dürfte, dass sie weder die finan­zi­ellen noch die Human-Res­sourcen haben, um ent­spre­chende Fort­schritte zu erzielen. Unter­nehmen, die mit Mühe ihren finan­zi­ellen Ver­pflich­tungen nach­kommen können, inves­tieren nicht in neue Anlagen und Innovation. 
  • Schlechtes Umfeld für alle: Dabei schaden die Zombies nicht nur direkt, sondern auch indirekt. Unter­nehmen, die aus­schließlich an Liqui­dität inter­es­siert sind, agieren anders, als Unter­nehmen, die lang­fristig pro­fi­tabel arbeiten wollen, um ent­spre­chende Inves­ti­tionen tätigen zu können. In der Folge drücken Zombies nicht selten das Preis­niveau für die gesamte Branche und erschweren den eigentlich noch gesunden Unter­nehmen die weitere Entwicklung. 
  • Banken bevor­zugen Zombies: Banken neigen dazu, Zombie-Unter­nehmen bei der Kre­dit­vergabe zu bevor­zugen, wie eine aktuelle Studie am Bei­spiel Por­tugals vor­rechnet. Da sie die Abschrei­bungen nicht ver­kraften, geben sie ihnen weiter Kredit, was ange­sichts der gestie­genen Kapi­tal­an­for­de­rungen dazu führt, dass gesunde Unter­nehmen, weniger oder keinen Kredit bekommen. Die Banken ver­schieben mit diesem Ver­halten, den gesamt­wirt­schaft­lichen Anteil zugunsten der Zombies, was wie­derum zu gerin­geren Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wächsen in der gesamten Volks­wirt­schaft führt. 
  • Weniger Wachstum, mehr Zombies: In der Folge sinkt das Wirt­schafts­wachstum immer mehr. Zombies ent­falten keine wirt­schaft­liche Dynamik und hemmen direkt und indirekt, wie gezeigt, die Ent­wicklung der gesunden Sek­toren und Unter­nehmen einer Volks­wirt­schaft. Das geringere Wachstum führt wie­derum zu einem wei­teren Anstieg der Zombies, weil es immer mehr Unter­nehmen schwer­fällt, den Ver­pflich­tungen nachzukommen.
  • Weniger Inflation, mehr Zombies: Zombies wirken preis­dämpfend. Zum einen, weil sie, wie gesagt, Liqui­dität vor Pro­fi­ta­bi­lität stellen. Zum anderen, weil sich immer mehr Über­ka­pa­zi­täten in allen Branchen und Regionen auf­bauen. Es findet keine Berei­nigung mehr statt. Tiefe Infla­ti­ons­raten erhöhen jedoch die reale Last der Schulden und beschleu­nigen den Prozess der welt­weiten Über­schuldung zusätzlich. 

Die Geld­po­litik der letzten Jahr­zehnte war darauf kon­zen­triert, den kurz­fris­tigen Schmerz von Rezes­sionen und Krisen zu ver­hindern. In der Folge haben wir uns immer mehr selbst ver­giftet und schleppen die Unter­nehmen, die in einem gesunden Berei­ni­gungs­prozess schon vor Jahren aus­ge­schieden wären, weiter mit uns mit. 
Studien zeigen, dass die großen Brand­ka­ta­strophen in Kali­fornien eine Folge davon sind, dass man die kleinen Brände, die in der Natur immer wieder vor­kommen, zu früh erstickt. So bleibt zu viel leicht bren­nendes Altholz im Wald, welches irgendwann einen Mons­ter­brand ermög­licht. Zombies sind das Altholz in unserer Wirtschaft. 
Zins­an­stieg als Zündholz
Die Existenz der Zombies ist nur denkbar, wenn die Zinsen immer weiter sinken. Die weiter zuneh­mende Ver­schuldung ist nur tragbar, wenn die effektive Zinslast, die mit diesen Schul­den­bergen ein­hergeht, stabil gehalten wird. Dies geht nur, wenn das Zins­niveau weiter sinkt. Schon ein sta­biles Zins­niveau wird über Zeit zum Problem. Stei­gende Zinsen hin­gegen bringen Zombie-Banken und Zombie-Unter­nehmen glei­cher­maßen unter Druck. Die Illusion der Solvenz zerplatzt. 
Das gilt natürlich nicht nur für Unter­neh­mens­zombies. Es gilt auch für die Staaten der Welt, die trotz deutlich gestie­gener Ver­schuldung in den letzten Jahren nicht mehr für den Zin­sen­dienst auf­wenden. So zahlen die USA im letzten Jahr für ihre fast 20 Bil­lionen US-Dollar-Schulden den­selben Zins­betrag wie für die rund 9,5 Bil­lionen im Jahre 2008. So lässt es sich auf Pump leben!
Grund genug also, für die Noten­banken den Geldhahn weit offen­zu­lassen? In der Tat ist dies die Argu­men­tation der „Opti­misten“, die mit Blick auf die Aus­weg­lo­sigkeit der Situation fest damit rechnen, dass die Zinsen nie wieder steigen werden. Einfach, weil sie es nicht können. Deshalb raten sie auch dazu, in Sach­werte zu flüchten, weil am Ende der Ent­wicklung nur eine völlige Mone­ta­ri­sierung der Schulden durch die Noten­banken stehen kann. 
Gemeint ist, dass die Noten­banken zunächst alle Staats­schulden auf­kaufen und sodann annul­lieren, also in ihren Bilanzen auf null abschreiben. Dies wäre ein ele­ganter Weg, die Schulden aus der Welt zu schaffen und dürfte ver­mutlich auch der einzige ver­bliebene sein, der zumindest die Chance hat, eini­ger­maßen geordnet und ohne zu große Ver­wer­fungen abzulaufen.
Die Japaner sind uns auf dem Weg schon weit voraus. Und wie ich an dieser Stelle schon vor einiger Zeit erläutert habe, stellen sie sich auch deutlich smarter an als bei­spiels­weise wir Deut­schen. Die Pen­si­ons­fonds ver­kaufen Staats­an­leihen und kaufen dafür japa­nische und aus­län­dische Aktien. Geht das Expe­riment gut und es kommt zu keiner Inflation, erholt sich die japa­nische Wirt­schaft und die Börsen steigen. Geht es schief und es kommt, wie von den Skep­tikern befürchtet, doch zu einer Ver­trau­ens­krise in die Währung und damit zu einer (Hyper-)Inflation, sichern die Sach­werte eben­falls einen Vermögenserhalt. 
Anders sieht es so oder so mit den Spar­bü­chern und Lebens­ver­si­che­rungen der Deut­schen aus. Selber schuld, kann man da nur sagen, doch das ist ein anderes Thema. 
Die Märkte zündeln
Eigentlich ist die Sache klar: Die Zinsen steigen nicht, weil sie nicht steigen dürfen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis zeichnet sich jedoch vor­über­gehend eine Trend­wende ab. Die US-Notenbank macht ernst mit dem Aus­stieg aus der Politik des bil­ligen Geldes. Die Bilanz wird schritt­weise zurück­ge­führt, Zins­er­hö­hungen stehen an. Die chi­ne­sische Notenbank ist eben­falls auf dem Brems­pedal und ver­sucht das unge­zü­gelte Kre­dit­wachstum unter Kon­trolle zu bekommen. Selbst in Japan gibt es erste Stimmen, die dafür ein­treten, den Geld­druck­prozess zu verlangsamen. 
Lediglich in der Eurozone hält die EZB unter Führung von Mario Draghi am ein­ge­schla­genen Kurs fest, der zu einer Bilanz­summe der EZB in Höhe von rund 40 Prozent des BIP geführt hat. Draghi weiß besser als jeder andere, dass die Zombies in seinem Hei­matland – und zwar Unter­nehmen wie Staat – bei der kleinsten Zins­er­höhung in die Pleite schlittern. 
So haben wir es in der Praxis weltweit mit einer sich abzeich­nenden Ver­knappung der Liqui­dität und damit dem Sze­nario stei­gender Zinsen zu tun. Die Rendite der zehn­jäh­rigen US-Anleihen hat deutlich zugelegt, bisher jedoch nicht die als chart­tech­nisch kri­tisch ange­sehene Marke von drei Prozent über­schritten. Sollte dies der Fall sein, wären erheb­liche Tur­bu­lenzen zu erwarten. Immer, wenn die Zinsen in den letzten Jahren im lang­fris­tigen Abwärts­kanal an den oberen Rand stießen, kam es zu Finanz­krisen, zuletzt 2007. Dass dabei der kri­tische Punkt immer tiefer liegt, kann nie­manden ver­wundern, der das Spiel mit der zuneh­menden Zom­bi­fi­zierung ver­standen hat.
Das Zittern beginnt bereits. Noch ist es nur in einigen Bereichen der Finanz­märkte zu beob­achten. So under­per­formen die Aktien hoch ver­schul­deter US-Unter­nehmen schon seit dem letzten Jahr. Gleiches gilt für die Anleihen dieser Unter­nehmen. Die kurz­fris­tigen Zinsen steigen und der Drei­monats-LIBOR (der Zins, zu dem sich Banken in London gegen­seitig Geld leihen) hat ein Zehn­jah­reshoch erreicht. Letz­terer ist besonders wichtig, hängen doch zwei Drittel aller US-Unter­neh­mens­kredite und immerhin 90 Prozent der soge­nannten „Leveraged Loans“, die vor­nehmlich zur Finan­zierung von Fir­men­über­nahmen durch Private Equity Fonds dienen, direkt an diesem Satz. Steigt der LIBOR, wird es für alle teurer – und nicht alle können es sich leisten.
Beginnen die ersten Zombies zu fallen, kommt es zu einer sich selbst-ver­stär­kenden Abwärts­spirale. Die Märkte beginnen dann wieder, das Aus­fall­risiko ein­zu­preisen und die Risi­ko­zu­schläge steigen deutlich. Genau dies beschleunigt den Nie­dergang wei­terer Zombies, Panik greift um sich. Der Totentanz beginnt und droht Finanz­märkte und Real­wirt­schaft mit sich zu reißen. 
Wie in der DDR
Die Zombies müssen erst zittern und einige wirklich sterben, bevor die Noten­banken wieder einen offen­sicht­lichen Grund haben, eine weitere, noch größere Dosis ihrer süchtig machenden und letztlich töd­lichen Medizin zu ver­ab­reichen, um das Spiel noch eine Runde weiter zu bekommen. Wie gesehen, stehen uns noch weitere radikale Maß­nahmen ins Haus auf dem Weg zur völ­ligen Mone­ta­ri­sierung aller Schulden. 
Wie im Sozia­lismus haben die Noten­banken die Bud­get­re­striktion abge­schafft. Geld kostet (fast) nichts und geht niemals aus; die Miss­wirt­schaft kann ewig fort­ge­setzt werden. Immer mehr Zombies, immer weniger Wachstum, immer untrag­barere Schulden. 
Das geht so lange gut, bis die Sub­stanz so stark ero­diert ist, dass die gesamte Wirt­schaft zom­bi­fi­ziert ist. Siehe Zusam­men­bruch der DDR. 
 


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com