Eneas De Troya - flickr.com - CC BY 2.0

Wieder einmal ist der Sozia­lismus gescheitert

Noch vor wenigen Jahren jubelten die Linken in Deutschland und auf der ganzen Welt Hugo Chávez zu, priesen den „Sozia­lismus im 21. Jahr­hundert“ und das „alter­native Wirt­schafts­modell Vene­zuelas“. Jetzt schweigen sie betreten.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
War Vene­zuela zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts eines der ärmsten Länder in Latein­amerika, so hatte es bis Ende der 60er-Jahre eine erstaun­liche Ent­wicklung genommen. 1970 war es das reichste Land Latein­ame­rikas und eines der 20 reichsten Länder der Welt. Das Brut­to­in­lands­produkt pro Kopf war sogar höher als das von Spanien, Grie­chenland oder Israel und nur 13 Prozent nied­riger als das von Großbritannien.
Der Abschwung des süd­ame­ri­ka­ni­schen Landes begann in den 70er-Jahren. Einer der Gründe für die Pro­bleme ist die starke Abhän­gigkeit vom Erdöl. Es kamen weitere Ursachen hinzu, ins­be­sondere ein unge­wöhnlich hoher Grad an staat­licher Regu­lierung des Arbeits­marktes, die seit 1974 durch immer neue Vor­schriften erhöht wurde. In kaum einem anderen Land Latein­ame­rikas (und weltweit) war der Arbeits­markt mit einem so eng­ma­schigen Netz von Regu­lie­rungen über­zogen. Während die Unter­nehmen 1972 noch das Äqui­valent von 5,35 Monats­löhnen für die Lohn­ne­ben­kosten zahlen mussten, hatte sich diese Rate bis 1992 auf 8,98 Monats­löhne massiv erhöht.
Chávez – Hoff­nungs­träger der Linken auf der ganzen Welt
Viele Men­schen in Vene­zuela hofften, der cha­ris­ma­tische Sozialist Hugo Chávez würde die Pro­bleme des Landes – Kor­ruption, Armut, wirt­schaft­licher Nie­dergang – lösen. Chávez hatte bereits 1992 ver­sucht, mit einem Putsch die Macht an sich zu reißen, war jedoch gescheitert. 1998 wurde er zum Prä­si­denten gewählt, und 1999 rief er die „Boli­va­rische Republik Vene­zuela“ aus. Chávez war nicht nur Hoff­nungs­träger für viele arme Men­schen in Vene­zuela, sondern er ent­fes­selte die Uto­pie­sehn­süchte der Linken in Europa und Nord­amerika mit der Parole vom „Sozia­lismus des 21. Jahrhunderts“.
Nachdem Ende der 80er-Jahre der Sozia­lismus in der Sowjet­union und den Ost­block­staaten zusam­men­ge­brochen war und sich die Chi­nesen auf den Weg vom Sozia­lismus zum Kapi­ta­lismus begeben hatten, fehlte der Linken das Utopia, von dem sie träumen konnten. Nord­korea und Kuba als einzig ver­bliebene kom­mu­nis­tische Staaten eig­neten sich dafür nicht so gut. Hugo Chávez füllte diese Lücke. Der euro­pa­po­li­tische Sprecher der Links­partei im Deut­schen Bun­destag schwärmte: „Was Chávez macht, ist auch der Weg, in Deutschland die öko­no­mi­schen Pro­bleme zu lösen“ und die Vor­sit­zende der Linken, Sarah Wagen­knecht, pries ihn als „großen Prä­si­denten“, der mit seinem ganzen Leben für den „Kampf um Gerech­tigkeit und Würde“ stand. Chávez habe bewiesen, dass „ein anderes Wirt­schafts­modell möglich sei“.
Auch in den USA hatte Chávez unter den Links­in­tel­lek­tu­ellen viele Bewun­derer. Einer ihrer pro­mi­nen­testen Köpfe, der 2016 ver­storbene Tom Hayden, erklärte: „Ich sage voraus, dass der Name von Hugo Chávez von Mil­lionen verehrt werden wird, je mehr Zeit vergeht.” Ein anderer ton­an­ge­bener Links­in­tel­lek­tu­eller, der Princeton-Pro­fessor Cornell West, bekannte: „Ich liebe es, dass Hugo Chávez die Armut zur obersten Prio­rität gemacht hat. Ich wünschte mir, Amerika würde die Armut zur Prio­rität machen.“ Und die bekannte ame­ri­ka­nische Jour­na­listin Barbara Walters schwärmte: „Er kümmert sich so sehr um die Armut, er ist ein Sozialist. Was er getan hat für ganz Latein­amerika, was sie über Jahre ver­sucht haben, ist die Armut zu besei­tigen. Er ist nicht der Ver­rückte, wie man uns erzählt hat […] Er ist ein sehr intel­li­genter Mann.“
Das große sozia­lis­tische Experiment
Das sozia­lis­tische Expe­riment von Chávez begann viel­ver­spre­chend. Möglich war dies, weil Vene­zuela die größten Erd­öl­vor­kommen der Welt hat und in der Regie­rungszeit von Chávez die Ölpreise geradezu explo­dierten. Damit spru­delte so viel Geld in die Staats­kasse, dass sie bestens gefüllt war für das große sozia­lis­tische Expe­riment. Enden sollte der Groß­versuch mit dem „Sozia­lismus im 21. Jahr­hundert“ jedoch in einem wirt­schaft­lichen Desaster, in Hyper­in­flation, Hunger und Diktatur.
Chávez erklärte anfangs, er wolle das Pri­vat­ei­gentum respek­tieren und niemals „irgend­etwas von irgend­je­mandem ent­eignen“. Vor der Wahl stellte er sich über­ra­schen­der­weise als Freund aus­län­di­scher Inves­toren sowie ganz generell west­licher Werte dar. Damals war der bri­tische Sozi­al­de­mokrat Tony Blair inter­na­tional populär. Chávez erklärte sich selbst zum „Tony Blair der Karibik“. Zugleich kri­ti­sierte er den „neo-libe­ralen Kapi­ta­lismus“ und pries Kubas System als „Meer des Glücks“.
Die Erd­öl­in­dustrie, Vene­zuelas mit großem Abstand wich­tigste Ein­nah­me­quelle, war bereits 1976 ver­staat­licht worden. Damals wurde die Gesell­schaft PDVSA gegründet, die heute über 140.000 Mit­ar­beiter hat. Es handelt sich um ein Staats­un­ter­nehmen, das jedoch in den 90er-Jahren eng mit pri­vaten aus­län­di­schen Firmen koope­rierte. Dies hatte sich als erfolg­reiches Modell erwiesen und dazu geführt, dass die Ölpro­duktion auf über drei Mil­lionen Barrel gesteigert werden konnte. Das Staats­un­ter­nehmen PDVSA wurde ähnlich wie eine auf Gewinn­erzielung gerichtete private Firma geführt und galt als eine der am besten gema­nagten Ölfirmen der Welt.
Genau dies war dem Sozia­listen Chávez ein Dorn im Auge. 2002 berief er poli­tische Gesin­nungs­freunde und Generäle in den Vor­stand der PDVSA, viele davon ohne jede Erfahrung in der Wirt­schaft. Mit­ar­beiter des Unter­nehmens traten wegen der Ein­mi­schung von Chávez in einen zwei­mo­na­tigen Streik, der Vene­zuelas Ölin­dustrie lahm­legte. Der Arbei­ter­führer Chávez reagierte, indem er 18.000 Strei­kende zu „Staats­feinden“ erklärte und entließ.
Der Kon­flikt zwi­schen Arbeitern des Unter­nehmens und der sozia­lis­ti­schen Staats­führung ging jedoch weiter und 2006 stellte der Ener­gie­mi­nister Rafael Ramirez die Mit­ar­beiter der PDVSA vor die Wahl, sie sollten den Prä­si­denten Chávez unter­stützen oder sie würden ihre Jobs ver­lieren: „PDVSA ist rot, rot von oben bis unten.“ Chávez selbst meinte: „PDVSA-Arbeiter sind für diese Revo­lution, und die, die es nicht sind, sollten woanders hin­gehen. Geht nach Miami.“ Die Gewinne des Unter­nehmens wurden nicht mehr für Rück­lagen oder Inves­ti­tionen ver­wendet, sondern zur Finan­zierung von staat­lichen Sozi­al­pro­grammen, zur Sub­ven­tio­nierung ver­lust­brin­gender Unter­nehmen und zum Bau von Häusern für die Armen im Wert von meh­reren Mil­li­arden Dollar jedes Jahr.
Im Jahr 2007 mussten aus­län­dische Ölge­sell­schaften Teile ihrer Betei­li­gungen an Ölfeldern in Vene­zuela an den vene­zo­la­ni­schen Staat ver­kaufen, so dass die PDVSA auf einen Mehr­heits­anteil von min­destens 60 Prozent kam. Das Unter­nehmen Exxon­Mobil wei­gerte sich, seine Anteile abzu­geben, und klagte dagegen vor Gerichten in den USA, Groß­bri­tannien und den Nie­der­landen. Nach dem Ein­frieren von Ver­mö­gens­werten der PDVSA in Höhe von zwölf Mil­li­arden Dollar durch ein bri­ti­sches Gericht stoppte der Staats­konzern im Februar 2008 den Rohöl-Verkauf an Exxon und setzte die Geschäfts­be­zie­hungen aus. Als Chávez an die Macht kam, kas­sierte der Staat bereits 50 Prozent der Gewinne aus der Ölpro­duktion. Als er 2013 starb, war dieser Anteil auf 90 Prozent gestiegen, einer der höchsten in der Welt.
Ölpreis­antieg finan­zierte soziale Wohltaten
Was Chávez zugute kam, war die Explosion des Ölpreises in der Zeit seiner Regierung. Als er Ende 1998 gewählt wurde, lag der Ölpreis bei einem his­to­ri­schen Tief­stand von 10,53 Dollar und als er 2013 starb, hatte sich der Ölpreis auf 111 Dollar mehr als ver­zehn­facht. Stei­gende Roh­stoff­preise sind nicht nur eine Chance, sondern häu­figer noch eine Ver­su­chung, weil die Regierung denkt, es gehe immer so weiter und das Geld mit vollen Händen ausgibt, statt Rück­lagen für Zeiten fal­lender Ölpreise zu bilden.
Ganz besonders gefährlich war dies in einem Land, das weit­gehend vom Ölexport abhängig ist und in dem ein sozia­lis­ti­scher Prä­sident im Ölrausch das scheinbar endlose Geld mit vollen Händen für soziale Wohl­taten ausgab und gleich­zeitig die Wirt­schaft sozia­lis­tisch umge­staltete. Chávez tat auch nicht viel, um die Pro­duktion zu diver­si­fi­zieren. Die Abhän­gigkeit von Erd­öl­ex­porten und Waren­im­porten wurde sogar noch viel stärker.
Nach seiner Wie­derwahl im Jahr 2006 ver­staat­lichte Chávez zunehmend Indus­trie­be­triebe, zunächst vor allem in der Eisen- und Stahl­in­dustrie. Danach traf es die Strom­ver­sorgung, die Häfen, die Zement­in­dustrie und die Nah­rungs­mit­tel­ver­sorgung. Allein zwi­schen 2007 und 2010 gingen etwa 350 Unter­nehmen in Staats­ei­gentum über. Oft wurden die ver­staat­lichten Firmen mit poli­tisch getreuen Gefolgs­leuten besetzt. Der staat­liche Sektor wurde immer stärker auf­ge­bläht, im Jahr 2008 war bereits jeder dritte Beschäf­tigte ein Staatsbediensteter.
In großem Stil wurden Arbei­ter­ge­nos­sen­schaften mit Steu­er­vor­teilen und Zuschüssen gefördert und ihre Zahl stieg von 820 im Jahr 1999 auf 280.000 zehn Jahre später. Aber die meisten dieser Firmen waren nur leere Hüllen, die dazu dienten, staat­liche Zuschüsse zu kas­sieren, an günstige Kredite zu gelangen oder Steuern zu sparen. Viele exis­tierten nur auf dem Papier.
Immer stärker griff Chávez in die Wirt­schaft ein und verbot Unter­nehmen, in schwie­rigen Situa­tionen Mit­ar­beiter zu ent­lassen, was diese in erheb­liche Tur­bu­lenzen brachte. Eine andere wichtige Kom­po­nente seines Sozi­al­pro­gramms war es, für Fleisch und andere Grund­nah­rungs­mittel sehr günstige Preise fest­zu­legen, die oftmals sogar unter den Geste­hungs­kosten lagen. Unter­nehmer, die zu solchen Preisen nicht ver­kaufen wollten, beschimpfte Chávez als Spe­ku­lanten und drohte ihnen mit Gefängnisstrafen.
Solange der Ölpreis hoch war, schien es keine Grenzen für den Segen des Sozia­lismus zu geben. Weltweit bewun­derten Anti­ka­pi­ta­listen das ver­meint­liche Genie von Hugo Chávez, der sie mit sozialen Wohl­taten unge­heuer beein­druckte. Seit 2003 wurde ein Großteil der spru­delnden Ölein­künfte für Sozi­al­pro­gramme ver­wendet: Geld wurde an die Armen ver­teilt, der Staat gewährte äußerst groß­zügige Zuschüsse für Essen, Wohnen, Wasser, Elek­tri­zität oder Tele­fon­kosten. Das Tanken an der Tank­stelle war prak­tisch umsonst – meist war das Trinkgeld für den Tankwart höher als die Kosten der Tank­füllung. Dollars, von denen es ja durch die Ölein­nahmen genug gab, wurden zu Vor­zugs­wech­sel­kursen eingetauscht.
Staat­liche Unter­nehmen, die schlecht wirt­schaf­teten, erhielten groß­zügige Sub­ven­tionen, so dass sie es sich leisten konnten, Arbeits­kräfte weiter zu beschäf­tigen, auch wenn sie diese gar nicht mehr benö­tigten. Schon 2001 hatte Chávez auf­gehört, Geld aus Ölein­künften in den Not­fonds ein­zu­zahlen, der als Reserve für die Zeiten sin­kender Ölpreise gedacht war. Zudem redu­zierte er Inves­ti­tionen in die Ölin­dustrie, obwohl das Land gerade von ihr so stark abhängt. Das Geld wurde für die immer stärker aus­ufernden Sozi­al­pro­gramme benötigt.
Viele linke Bewun­derer von Chávez auf der ganzen Welt sahen ein soziales Wunder, denn nach offi­zi­ellen Angaben hal­bierte sich die Zahl der extrem armen Men­schen in Vene­zuela durch diese Pro­gramme. Aller­dings kann man den offi­zi­ellen Angaben des Regimes nicht unbe­dingt trauen. So behauptete Chávez bei­spiels­weise immer wieder, er habe die Zahl der Analpha­beten um min­destens 1,5 Mil­lionen redu­ziert – eine Zahl, die um etwa das Zehn­fache über­trieben war. Auch die Sta­tis­tiken über Morde wurden ver­fälscht, um die im inter­na­tio­nalen Ver­gleich extrem hohe Zahl von 15.000 Morden pro Jahr (in den Jahren 2000 bis 2005) zu verschleiern.
Maduro über­nimmt die Macht
Nach dem Tod von Chávez 2013 übernahm dessen Stell­ver­treter Nicolás Maduro die Macht. Er beschleu­nigte die Ent­eig­nungen von Betrieben: Mol­ke­reien, Kaf­fee­pro­du­zenten, Super­märkte, Dün­ge­mit­tel­her­steller und Schuh­fa­briken wurden ver­staat­licht. In der Folge ging die Pro­duktion in die Knie oder wurde ganz ein­ge­stellt. Dann stürzten die Ölpreise. Lagen die Notie­rungen für Rohöl Ende 2013 noch bei 111 Dollar je Barrel (rund 159 Liter), so waren sie ein Jahr später um fast die Hälfte auf 57,60 Dollar gefallen. Und wieder ein Jahr später, Ende 2015, lagen sie mehr als ein Drittel nied­riger bei nur noch 37,60 Dollar. 2016 schwankte der Ölpreis zwi­schen 27,10 und 57,30 Dollar.
Das hätte jedes Land vor Pro­bleme gestellt, aber ganz besonders war es ein Problem für ein Land mit einer extrem inef­fi­zi­enten, sozia­lis­ti­schen Wirt­schaft und strikten Preis­kon­trollen. Jetzt wurden die fatalen Aus­wir­kungen der sozia­lis­ti­schen Politik von Chávez vollends offen­sichtlich. Das gesamte System geriet aus den Fugen. Wie auch in anderen Ländern zeigte es sich, dass mit Preis­kon­trollen der Inflation nicht bei­zu­kommen war, sondern sie nur noch ver­schlim­merten. Die Inflation erreichte 225 Prozent im Jahr 2016 und liegt heute bei weit über 1000 Prozent.
Weil viele Preise staatlich fest­ge­setzt waren, die für die Pro­duktion der Waren not­wen­digen Roh­stoffe und Güter jedoch in Dollar gezahlt werden mussten, hatte der Verfall der Währung dra­ma­tische Aus­wir­kungen und führte dazu, dass das Waren­an­gebot immer knapper wurde. Da viele Pro­dukte zu extrem nied­rigen Preisen ver­kauft wurden, hor­teten die Men­schen Waren aller Art und standen oft Stunden vor den Geschäften an, um irgend­etwas kaufen zu können, das sie dann später viel teurer auf dem Schwarz­markt verkauften.
Ein Bei­spiel war Toi­let­ten­papier, das es nur noch sehr selten in den Geschäften gab. Grund: Die Unter­nehmen, die es pro­du­zierten, waren gezwungen, es zu einem nied­rigen staatlich fest­ge­setzten Preis zu ver­kaufen, während die Pro­duk­ti­ons­kosten mit der Inflation stiegen. Und wenn die Pro­duktion still­stand, weil Roh­ma­te­rialien fehlten, mussten die Arbeiter dennoch weiter bezahlt werden, weil es ver­boten war, ohne aus­drück­liche staat­liche Geneh­migung die Beleg­schaft zu redu­zieren. Der Chef des Natio­nalen Sta­tis­ti­schen Insti­tutes von Vene­zuela hatte aller­dings eine andere Erklärung für die Knappheit an Toi­let­ten­papier: In einem Fern­seh­in­terview meinte er, dies sei sogar ein gutes Zeichen, denn der Grund sei, dass Vene­zo­laner wegen der Sozi­al­po­litik der revo­lu­tio­nären Regierung nun mehr essen würden und daher fol­ge­richtig auch mehr Toi­let­ten­papier verbrauchten.
Mit selbst­ge­fer­tigten Binden gegen den Kapitalismus
Gab es doch einmal Toi­let­ten­paper zu staatlich niedrig gehal­tenen Preisen, dann war es blitz­schnell aus­ver­kauft. Viele Men­schen gaben ihren Beruf auf, weil die Löhne nicht mit den rapide stei­genden Preisen mit­hielten und sie als Händler auf dem Schwarz­markt viel mehr ver­dienten, indem sie bei­spiels­weise bil­liges, zu den staatlich fest­ge­setzten Nied­rig­preisen erwor­benes Toi­let­ten­papier teuer auf dem Schwarz­markt wei­ter­ver­kauften. Hygie­ne­ar­tikel wie Tampons und Binden gab es nur noch selten. Statt­dessen gab es Anlei­tungen im Fern­sehen, wie man diese selbst zu Hause her­stellen konnte. Die Frau, die die Her­stellung der Binden erklärte, konnte dem einen anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Aspekt abge­winnen: „Wir ent­gehen dem Wirt­schafts­kreislauf des bar­ba­ri­schen Kapi­ta­lismus. Wir leben bewusster und in Har­monie mit der Umwelt.“
Die Kin­der­sterb­lichkeit stieg in Vene­zuela in nur einem Jahr, von 2015 auf 2016, um 33 Prozent, die Müt­ter­sterb­lichkeit sogar um 66 Prozent. Nachdem die Gesund­heits­mi­nis­terin diese Zahlen ver­öf­fent­lichte, wurde sie von Maduro ent­lassen, der generell die Ver­öf­fent­li­chung von Sozial- und Wirt­schafts­in­di­ka­toren verbot, um „poli­tische Inter­pre­ta­tionen“ zu ver­meiden. Die Säug­lings­sterb­lichkeit in Vene­zuela, die unter Chávez in 13 Jahren zunächst von 20,3 auf 12,9 Prozent gesunken war, lag 2016 sogar über der in dem vom Krieg geschun­denen Syrien.
Vier von fünf vene­zo­la­ni­schen Haus­halten lebten laut einer Umfrage der Zen­tral­uni­ver­sität von Vene­zuela in Armut. 73 Prozent der Bevöl­kerung ver­loren auf­grund des Hungers im Jahr 2016 Gewicht, und zwar im Durch­schnitt 8,7 Kilo­gramm. In einer Anhörung des US-Kon­gresses im März 2017 berichtete Pro­fessor Hector E. Schamis von der Georgetown Uni­versity, der Anteil der Armen sei in Vene­zuela auf 82 Prozent gestiegen und jener der extrem Armen auf 52 Prozent. Das waren his­to­rische Höchststände.
Die Bevöl­kerung begehrte immer wieder auf, bei Wahlen bekam die Oppo­sition die Mehrheit im Par­lament. Aber Manduro ent­machtete das Par­lament, schaffte die Pres­se­freiheit ab und auch gleich dazu die Reste, die von der einst­ma­ligen Demo­kratie übrig­blieben. Über 120 Men­schen ver­loren 2017 ihr Leben bei Demons­tra­tionen und Pro­testen gegen das Regime. Wieder einmal war ein sozia­lis­ti­sches Expe­riment gescheitert. Vor wenigen Tagen hat Maduro offi­ziell seine Kan­di­datur für die Prä­si­dent­schaftswahl am 22. April ein­ge­reicht. Er wolle den “Weg und das Erbe unseres geliebten Führers Hugo Chávez in Richtung des wirt­schaft­lichen Wohl­stands” weiter aus­bauen, sagte Maduro, als er seine Unter­lagen bei der vene­zo­la­ni­schen Wahl­be­hörde einreichte.
Der Beitrag basiert auf Aus­zügen aus dem soeben erschie­nenen Buch “Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung”.

 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de