Das Gleich­heits­prinzip als Kulturzerstörer

Das Ein­ebnen aller Unter­schiede war und ist eines der großen Ziele des nach wie vor exis­tie­renden euro­päi­schen Mar­xismus. In seiner heu­tigen Form kommt das mar­xis­tische Gedan­kengut stets gut ver­kleidet daher, denn kaum jemand bekennt sich öffentlich dazu, ein Marxist zu sein. Man ist heute einfach nur “links­li­beral”, man steht für ein gemein­sames Europa ohne Grenzen, für soziale Gerech­tigkeit und  “Mensch­lichkeit” auf allen Ebenen, für eine groß­zügige Migra­ti­ons­po­litik, für Toleranz und alle anderen in den Main­stream-Medien ver­brei­teten Begriffe und man fühlt sich berufen, den Huma­nismus stets auf neue erfinden zu müssen. Man demons­triert seinen aus diesem Pot­pourri ent­stan­denen und mit der linken Welt­an­schauung ver­quickten Tugend­stolz natürlich auch gerne in der Öffent­lichkeit. Besonders gut gelingt das, wenn man linker Poli­tiker, Künstler oder sonst ein Promi ist.
Eine Ironie der Geschichte
Die Ironie der Geschichte will es, dass der gleich­heits­ori­en­tierte Mar­xismus, der heute vor allem als Kul­tur­so­zia­lismus in Erscheinung tritt, in den letzten Jahr­zehnten uner­wartet und immer stärker regel­rechte Schüt­zen­hilfe vom Libe­ra­lismus bekommen hat. Der Libe­ra­lismus hat sich von seiner ursprüng­lichen Form, die am selbst­be­stimmten Handeln des Indi­vi­duums ori­en­tiert und eine zutiefst bür­ger­liche (also rechte) Erscheinung war, immer weiter ent­fernt und ist zunehmend vom Gleich­heits­ge­danken domi­niert worden. Wo früher per­sön­liche Iden­tität, Indi­vi­dua­lismus und Mün­digkeit waren, da soll heute umfas­sende Gleichheit herrschen.
Die Dege­ne­ration der Liberalen
Der Libe­ra­lismus ist durch die Dominanz des Gleich­heits­ge­dankens zur Belie­big­keits­phi­lo­sophie ver­kommen, die jeder Haltung, jeder Welt­an­schauung, jeder Religion und jeder Kultur letztlich die­selbe Wer­tigkeit zumessen will: Es ist völlig egal, was du bist, die Haupt­sache ist, du darfst es sein und du wirst wegen deiner jewei­ligen Ein­stellung kei­nes­falls irgendwo kri­ti­siert, zurück­ge­wiesen oder gar benach­teiligt. Man hat dafür so schöne Slogans wie “Diversity” oder “Einheit durch Vielfalt” ent­wi­ckelt und ver­meinte, mit der Belie­bigkeit die Erfüllung jedes huma­nis­ti­schen Gedan­kenguts gefunden zu haben. Die ehemals auf den bür­ger­lichen Werten auf­bau­enden Libe­ralen sind den Kul­tur­so­zia­listen freudig auf den Leim gegangen, weil sie damit dem schlechten Gewissen, das die linken Gleich­heits­pre­diger ständig bei Anders­den­kenden ver­ankern wollen, elegant aus­weichen konnten.
Bei den Mar­xisten haben sich die heute nur nach Belie­bigkeit agie­renden Libe­ralen mit ihrer Meta­mor­phose daher schnell die besten Freunde gemacht. Die wen­digen Linken haben sofort begriffen, dass sie hier massive “kul­tu­relle” Unter­stützung bekommen.  Umgehend wurde der Aus­druck “links­li­beral” als neue Kennung erfunden, der Begriff kryp­to­mar­xis­tisch besetzt und mit einem zeit­geis­tigen Anstrich ver­sehen. Wer etwas auf sich hielt und moder­nis­tisch agieren wollte, der nannte sich alsbald links­li­beral und tut dies noch heute.
Aus Kon­tra­henten wurden Partner
Libe­ra­lismus und Mar­xismus sind an sich fun­da­mentale Gegen­sätze. Man konnte die Legierung aus diesen beiden Welt­an­schau­ungen nur schaffen, indem eine sich grund­legend ver­än­derte — und das war der Libe­ra­lismus, er dege­ne­rierte. Erst die Union des Kul­tur­mar­xismus mit der dege­ne­rierten Form des Libe­ra­lismus hat die neuen Aus­prä­gungen und Spiel­arten des Gleich­heits­prinzips ermög­licht: Der gesamte Femi­nismus, die Gender-Phi­lo­sophie und die #EheFuerAlle-Bewegung wären heute ohne Unter­stützung der seit Jahr­zehnten auf einem intel­lek­tu­ellen Irrweg her­um­tau­melnden neuen Libe­ralen so nicht möglich gewesen.
Man muss die Kon­se­quenzen dieser unse­ligen und wider­sprüch­lichen Allianz zu Ende denken: Die einen wollen erklär­ter­maßen die kul­tu­rellen, öko­no­mi­schen und sozialen Unter­schiede global ver­wi­schen und am liebsten würden sie einen Ein­heits-Welt­staat errichten, der unter dem Signum der Gleichheit allen Men­schen die gleichen Mög­lich­keiten bietet. Sie sind der Ansicht, dass man nur so die Rettung der Menschheit im Dies­seits ein­leiten kann. Die anderen wollen unter stän­digem Verweis auf die indi­vi­du­ellen Rechte des Einzeln jedem sein Glück auf Erden ver­schaffen und ver­gessen dabei, dass gleiche Rechte auch gleich Pflichten bedeuten und dass die kul­tu­rellen Unter­schiede die Umsetzung der blei­big­keits­li­be­ralen Denke a priori verhindern.
So geht Kultur nicht
Alles, was Kultur ist, hat Gestalt. Das Gleich­heits­prinzip nimmt dieser Gestalt jedoch immer und überall ihr Wesen. Dabei ist es völlig egal, ob die Gleichheit von links gedacht wird oder ob sie aus dem libe­ralen Weltbild kommt. Die von den Links­li­be­ralen so lange und so gern her­bei­fan­ta­sierte neue Kultur einer rein säku­laren und strikt auf Gleichheit basie­renden Ori­en­tierung des Men­schen kann auch nicht in Form eines Multi-Kulti-Denkens umge­setzt werden, in dem man jedem Men­schen und jeder Com­munity die jewei­ligen Lebens­ent­würfe und die jeweils eigene Kultur zubilligt und es keinen ord­nenden Überbau gibt. Das kann in der Rea­lität nicht funktionieren.
Was dabei her­aus­kommt, haben wir in den letzten Jahren in Europa schmerzhaft erkennen müssen. Die euro­päische Kultur sucht nun ver­zweifelt nach ihrer Iden­tität und alle, die erkannt haben, was es geschlagen hat, rufen nach der Leit­kultur und nach der Iden­tität. Durch das zu lange ange­wandte falsche linke Konzept der kul­tu­rellen Dekon­struktion im Namen der Gleichheit ist diese Leit­kultur aber nur noch vage zu erkennen und es bestehen nicht zuletzt auf­grund der demo­gra­fi­schen Situation berech­tigte Zweifel, ob eine Reani­mation über­haupt noch gelingen kann.
Bisher haben nur jene Nationen und Kul­tur­räume zu einer ver­stärkten Präsenz gefunden, die ihre eigene Iden­tität betonen und sich klar dazu bekennen. Die Rede ist natürlich von den ost­eu­ro­päi­schen Ländern, die wohl auf­grund ihrer mühe­vollen kom­mu­nis­tisch-mar­xis­ti­schen Ver­gan­genheit  einen bes­seren Blick auf das haben, was Europa bedeuten kann und soll.
 

Dr. Marcus Franz auf www.thedailyfranz.at