Das kon­ser­vative Manifest der Moderne

Wer heut­zutage sich als Kon­ser­va­tiver bekennt, wird schnell in die rechte Ecke abge­schoben wie der Fall von Uwe Tellkamp zeigt. Doch der wahre Kon­ser­vative ist liberal, achtet tra­di­tio­nelle Werte und streitet gegen den Natio­na­lismus. Ein Plä­doyer für Wolfram Weimers neues Manifest.
Die abend­län­dische Kultur ist auch eine Geschichte von Mani­festen. Sei es in der Lite­ratur oder in der Politik. Keines aber war welt­ver­än­dernder als Marx’ und Engels „Manifest der Kom­mu­nis­ti­schen Partei“. Mit ihm schlug die Geburts­stunde des global fun­dierten Sozia­lismus als Sozi­al­ex­pe­riment der Extra­klasse – doch seine Eng­stir­nigkeit kostete Mil­lionen das Leben. Während im Reich der Mitte und in Nord­korea die alten Zöpfe aus ver­gangen Tagen noch zele­briert werden und für Mas­sen­ver­elendung und Zwangs­kol­lek­ti­vierung stehen, zeigt sich im Europa nach der Auf­klärung und nach dem Fall des Eisernen Vor­hangs ein anderes Bild. Der berühmt-berüch­tigte Marsch durch die Insti­tu­tionen, der vor 50 Jahren seinen Sie­geszug feierte, ist in die Jahre gekommen. Linke Ideo­logien haben an Wert ver­loren, zu tief sitzen die Wunden der sozia­lis­ti­schen Expe­ri­mente, der inklu­dierten Beton-Ideo­logie, der Ver­ge­sell­schaftung des Indi­vi­duums und der Zwangs­kol­lek­ti­vierung. Selbst die Links-Aus­richtung der CDU unter der Merkel-Ära stößt zunehmend auf Ablehnung. Das tem­pe­rierte Wohl­fühl­klima des Mitte-Kurses, der Wert­verfall, der Kul­tur­pes­si­mismus, die Laissez-faire-Politik in der Migra­ti­ons­frage und die säkulare Ver­la­gerung des Reli­giösen in den Bann­kreis der reinen Ver­nunft bewirkt keinen Zauber mehr und hat jedwede Strahl­kraft verloren.
Die neue Sehn­sucht nach den alten Werten
Anstelle von Multi-Kulti, tugend­loser Frei­zü­gigkeit, anti­au­to­ri­tärer Gesinnung und Gender-Irrsinn ist hin­gegen das Kon­ser­vative auf dem Vor­marsch, aber eben nicht als anti­li­be­rales, anti­de­mo­kra­ti­sches und antie­ga­li­täres, sondern als „kon­ser­vative Revo­lution“ im Sinne von Hugo von Hof­mannsthal. Der Literat träumte bereits 1927 in seiner Rede „Das Schrifttum als geis­tiger Raum der Nation“ von einem Trans­for­ma­ti­ons­prozess, der die ganze Gesell­schaft umgreift, mit dem Ziel, „eine neue deutsche Wirk­lichkeit” zu schaffen, an der die ganze Nation teil­nehmen könne.“ Schon damals beklagte Hof­mannsthal, dass die „pro­duk­tiven Geis­tes­kräfte“ in Deutschland zer­rissen sind, der Begriff der geis­tigen Tra­dition kaum aner­kannt sei. Und Thomas Mann betonte, bevor er sich von der „kon­ser­va­tiven Revo­lution“ ver­ab­schiedete, weil er darin das Auf­flammen des Natio­nal­so­zia­lismus sah: „Denn Kon­ser­va­tismus braucht nur Geist zu haben, um revo­lu­tio­närer zu sein als irgend­welche posi­ti­vis­tisch libe­ra­lis­tische Auf­klärung, und Nietzsche selbst war von Anbeginn, schon in den ‚Unzeit­ge­mäßen Betrach­tungen‘, nichts anderes als kon­ser­vative Revolution.“
Was bedeutet konservativ?
Kon­ser­vativ ist diese Revo­lution, weil sie die Moderne als kri­senhaft emp­findet und eine gesell­schaft­liche Moder­ni­sierung aus dem Geist der abend­län­di­schen Geis­tes­tra­dition sucht, nicht um die Moderne zu destru­ieren, sondern um diese mit alten Tugenden und Werten neu zu beleben. „Zukunft braucht Her­kunft” hatte Odo Mar­quard in einem berühmten Essay einst geschrieben. Und bereits im Jahr 1932 cha­rak­te­ri­sierte Edgar Julius Jung die kon­ser­vative Revo­lution als die „Wie­der­ein­setzung aller jener ele­men­taren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusam­menhang mit der Natur und mit Gott ver­liert und keine wahre Ordnung auf­bauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wer­tigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesell­schaft.“ Dass die kon­ser­vative Revo­lution nicht nur bewahren will, sondern kon­struktiv und kon­sti­tutiv für eine Ver­än­derung der Gesell­schaft wirbt und anstatt nur auf Tra­diertem vielmehr auf neue „lebendige Werte“ setzt, hatte Arthur Moeller van den Bruck her­aus­ge­ar­beitet. „Der kon­ser­vative Mensch […] sucht heute wieder die Stelle, die Anfang ist. Er ist jetzt not­wen­diger Erhalter und Empörer zugleich. Er wirft die Frage auf: was ist erhal­tenswert?“ Aber dieses zu Erhal­tende ist nach Moeller van den Bruck erst noch zu schaffen, denn kon­ser­vativ sei, „Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt.“
Die neue Bürgerlichkeit
Dass der Geist des Kon­ser­va­tiven kei­neswegs eine unzeit­gemäße Betrachtung ist, zeigte ein Gast­beitrag von Alex­ander Dob­rindt Anfang 2018. Dort bediente sich der CSU-Frak­ti­onschef des Begriffes „kon­ser­vative Revo­lution“ und for­derte die Stärkung einer neuen Bür­ger­lichkeit. Obwohl es „keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland“ mehr gebe, so kri­ti­sierte er, beherrschten die linken 68er immer noch die Debatte. Auf einen maroden Linksruck, „auf die linke Revo­lution der Eliten“, müsse nunmehr eine „kon­ser­vative Revo­lution der Bürger“ folgen.
Das kon­ser­vative Manifest
So sieht es nicht nur Dob­rindt, so sehen es viele, die erschöpft vom linken Kul­tur­kampf sind – auch der Publizist Wolfram Weimer, der pünktlich zum 50. Jah­restag der 68erBewegung sein kon­ser­va­tives Maifest vor­gelegt hat, ein Gegen­pro­gramm zum vor­herr­schenden Main­stream wie ihn deutsche Medien und die grüne Zeit­geist­kultur zele­brieren. Weimers Plä­doyer für das Kon­ser­va­tivsein will weder den Geist des Anti­li­be­ralen, Reak­tio­nären, des Res­sen­ti­ments, des Natio­nalen samt seiner grau­en­haften Maske aus Natio­na­lismus und Anti­se­mi­tismus wieder auf­atmen lassen oder gar beschwören, sondern mittels Zehn Geboten, daran erinnern, was eigentlich wert­kon­ser­vativ ist. Sein Manifest für eine neue Bür­ger­lichkeit ist dabei ein Kom­pendium „gegen linke und rechte Ideo­logien”, eine Pro­vo­kation für Linke und Rechts­po­pu­listen glei­cher­maßen, denn sein Kon­ser­va­tiver ist in seinem ur-eigensten Wesen ein libe­raler Geist, einer, der die Auf­klärung ein­ge­atmet und ver­in­ner­licht hat, einer der bewahrt und doch erneuert, ein Patriot der hei­mat­lichen Scholle, der „sich seinem Vaterland ver­bunden“ fühlt, „ohne es zu glo­ri­fi­zieren und ohne andere Nationen herabzusetzen.“
„Keine Zukunft ohne Her­kunft“ ist die Maxime, die sich Weimer auf die Fahnen schreibt. Und er setzt dabei immer wieder auf den alten Tugend­kanon, auf die geistige Renais­sance von antiker Phi­lo­sophie, römi­schem Rechts­glauben und christ­licher Wehr- und Wert­haf­tigkeit, auf die vor­po­li­ti­schen Grund­lagen des säku­la­ri­sierten Rechts­staates also. Weimer erneuert und befeuert so die Quellen der abend­län­di­schen Zivi­li­sation, wie sie ihre Blüte in Jeru­salem, Athen und Rom ent­faltete, in der Got­tes­eben­bild­lichkeit und der unver­äu­ßer­lichen Men­schen­würde als dem A und O des Poli­ti­schen und Ethi­schen haben. Und aus dem Geist des Chris­tentums erwachsen, ist Weimer dabei ein ener­gi­scher Streiter gegen jed­weden Uti­li­ta­rismus, der den Men­schen auf seine bloße Mate­ria­lität ver­kürzt und ihm dadurch die Res­source Sinn als Exis­tential abspricht.
Wir brauchen wieder mehr Sinn und Religion
Mit wachem Auge sieht der Publizist und Ver­leger, dass in einer Welt glo­baler Raserei Ent­schleu­ni­gungs­kräfte frei­ge­setzt werden, die es wieder erlauben erneut nach dem Sinn von Sein zu fragen, nach der Eigent­lichkeit, die dem Men­schen so wesens­mäßig ist, und die zu ver­gessen, ihn auf einen puren Mate­ria­lismus redu­zieren würde. Aber genau gegen diesen gilt es zu streiten, um eine neue Sinn­fülle auf­zu­richten, die exis­ten­tielle Kate­gorien wie Iden­tität, Gebor­genheit und neo­re­li­giöse Sehn­sucht wieder in den Fokus der Auf­merk­samkeit rücken. Wird das Comeback zu den alten Werten nicht gelingen, so der kri­tische Befund, bleibt nur der „letzte Mensch“ Nietz­sches übrig. Und siegt letzt­endlich das Anti-Reli­giöse, erobert sich das Säkulare Himmel und Erde weiter, dann hilft nur eine Renais­sance des Reli­giösen. Diese, so Weimer, ist das „Ereignis“, das Nietz­sches „Gott-ist-tot-Ideo­logie ent­ge­gen­tritt und uns lehrt, „dass das Antignos­tische nicht das Ende der Geschichte ist“. In Zeiten des Any­thing Goes ist die „Säku­la­ri­sierung keine Ver­heißung mehr, sondern ein Risiko“ und eine kul­tu­relle Erneuerung geht mit der Renais­sance des Reli­giösen Hand in Hand. Die christ­liche Religion ist die „Wir­kungs­grundlage“ der frei­heit­lichen Demo­kratie, ihr kri­ti­sches Kor­rektiv zugleich, eine Gegen­macht, die Ideo­logien zu Fall bringt. Und darum gilt es aus ihren Wassern neue Kraft und neuen Sinn zu schöpfen.
Der neue Wächterstaat
Platon träumte einst vom Wäch­ter­staat, der bevor­mundet und regu­liert. Aber anders als Platon rebel­liert Weimer ganz ener­gisch dagegen. Linkes Gut­men­schentum, eine Bevor­mun­dungs­po­litik, die bloß formal regu­liert und mit dem mora­li­schen Zei­ge­finger agiert, lehnt er ab und kri­ti­siert, dass eine „Tugend­re­publik“ mit der Absicht her­auf­dämmert, „das Land in eine gigan­tische Bes­se­rungs­an­stalt zu ver­wandeln.“ In diesem modernen Pater­na­lismus, im Bemut­te­rungs­komplex sieht der Publizist dann auch eine destruktive Kraft am Werk, die nicht nur das Indi­viduum, sondern auch die Freiheit als Ganze beschädigt. Denn diese Freiheit ist es ja, die es zu retten gilt. Dies umso mehr in Zeiten, wo sich das zivi­li­sierte Europa im Abschwung findet, wo der kul­turell-tra­dierte Ero­si­on­prozeß spürbar und die Selbst­aufgabe Europas traurige Gewissheit ist. Europa, so Weimer, leidet an einer „Nie­der­gangsklerose“ und miss­traut sich selbst, „ja es hasst seine Geschichte“. „Und so ist die kul­tu­relle Gegenwart des Westens von der Gleich­zei­tigkeit des Ungleich­zei­tigen geprägt – einer­seits stürmt der Westen tech­no­lo­gisch und wis­sen­schaftlich immer weiter voran in die Moderne. Ande­rer­seits werden die Brems­re­flexe der Retro-Bewahrung immer spür­barer – vom grünen Nach­hal­tig­keits­be­we­gungen bis zum Neo-Natio­na­lismus.“ Der Kon­ser­vative hin­gegen ist kein „Moder­ni­sie­rungs­ver­ächter und Maschi­nen­stürmer, er kul­ti­viert vielmehr auch Retar­die­rungs­mo­mente, die in einer Kultur des Bewahrens münden. „Er ist in der Dia­lektik des Abend­landes geübt und sucht daher die ursprüng­liche Bande seiner Her­kunft, er pflegt die Iden­tität seines Kul­tur­kreises, ver­teidigt Europa und ist gerade darum ein beken­nender Neu­gie­riger des Fortschritts.“
Weimer, der beken­nende liberal-kon­ser­vative Denker wird so zum Mahner und seine Zehn Gebote zur Pflicht­lektüre. Intel­lek­tuell und fein­fühlig nimmt der Publizist seine Leser durch die Zeit­geist­ge­schichte behutsam auf den Weg, ver­mittelt viel Phi­lo­so­phi­sches getreu dem Motto der neuen Bür­ger­lichkeit. „Kon­ser­vativ ist nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.” So plä­diert Weimer mit seinem kon­ser­va­tiven Manifest nicht für eine kon­ser­vative Gesell­schaft der Zurück­ge­wandten und Ewig-Gest­rigen, sondern für eine radikale Erneuerung der Gesell­schaft. Sein Buch ist damit höchst­modern und grenzt sich radikal vom alten reak­tio­nären Kon­ser­va­tiven wohl­tuend ab. Es ist eine Schrift gegen den Zeit­geist und geboren aus dem Geist einer gedie­genen Aufklärung.
Wolfram Weimer, Das kon­ser­vative Manifest, Plassen-Verlag 2018. Ist in unserem Shop zum Preis von 9,99€ ver­sand­kos­tenfrei erhältlich!
 


Stefan Groß für TheEuropean.de