„Niemand hat die Absicht …“ – so beginnt eine der größten Lügen der Geschichte. Nein, EU-Kommissar Oettinger hat das nicht gesagt. Im Gegenteil, er war entwaffnend ehrlich. Also eher wie die Brandstifter bei „Biedermann und die Brandstifter“, in dem Drama des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, das den Untertitel trägt „Ein Lehrstück ohne Lehre“. Oettinger sagt laut und deutlich im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass er möchte, dass deutsches Steuergeld in ein Konstrukt gepumpt wird, welches mit mehr Umverteilung eben nicht gerettet werden kann. Schauen wir uns an, wie er das begründet!
- „Wir haben eine Brexit-Lücke. Die Briten gehen und die sind Nettozahler gewesen. Da fehlen jetzt 13 Milliarden pro Jahr, im nächsten Jahrzehnt jedes Jahr. Und zweitens gibt es neue Aufgaben, die wir dringend europäisch angehen müssen: Grenzschutz oder Migration generell oder Verteidigungsaufgaben, Terrorismusbekämpfung, innere Sicherheit, Forschungsaufgaben. Deswegen wollen wir die Mitgliedsstaaten bitten, uns etwas mehr Geld zu geben, um europäisch sinnvoller als national diese Aufgaben anzugehen und eigentlich im Interesse der Steuerzahler sie auch effizienter zu lösen.“
– Stelter: Ich kann mir schwer vorstellen, dass Oettinger als Ministerpräsident gegenüber dem Bund genauso argumentiert hätte! Niemals. Er hätte die Subsidiarität gelobt! - „Ich glaube, dass auch Olaf Scholz nicht so ohne Weiteres bereit ist, Geld zu geben. Es geht um die Frage, wo kann man effizienter investieren, und meine Bitte an Deutschland ist, an alle Parteien, CDU, CSU, SPD: Dort wo wir europäisch investieren könnten, Grenzschutz, Verteidigung, Forschung, sollten wir die Gelder aus Berlin nach Brüssel geben, um von dort aus gemeinsam mit unseren Partnern aus ganz Europa effizienter zu investieren. Das heißt aber, wir brauchen etwas mehr Geld.“
– Stelter: Und der „reiche“ Onkel soll das bezahlen. - „Die Industrie aus Bayern erwartet den Binnenmarkt, erwartet mehr europäische Forschung. Wenn wir diese regionalen Grenzschutzaktivitäten beenden wollen, wenn wir zwischen Salzburg und Bayern frei fahren wollen, dann brauchen wir gemeinsame Anstrengungen, um die Außengrenzen zu schützen – gemeinsame!“
– Stelter: Dann darf aber auch ein Land nicht unter Bruch von Gesetzen sagen, wer es bis zu uns schafft, darf bleiben (egal wie das Asylverfahren ausgeht!). - „Wir können den ESM heute stärken auf der Grundlage unserer europäischen Verträge.“
– Stelter: Klartext: Wir können ohne Zustimmung der nationalen Parlamente mehr Zugriff auf Geld bekommen. - „Die Kanzlerin kann mit uns allen gemeinsam die Bundestagsfraktion von CDU und CSU überzeugen, einer Vertragsänderung zuzustimmen. Insofern sind wir alle Teil dieser Veranstaltung. Ich finde, wir sollten uns von der AfD nicht völlig in die Ecke drängen lassen. Manche sagen ja, oh, wir haben jetzt rechtskonservative Gruppen, wir haben Populisten im Parlament, wir können das nicht machen. Im Gegenteil! Wir sollten Macron folgen, mutig vorangehen und die Dinge ankündigen, die wir brauchen für Europa.“
– Stelter: Als wären es nur rechte Populisten, die skeptisch sind … - „Ich glaube, dass Macron hilfreich ist, wichtig ist. Er hat auch gestern im Parlament in Straßburg eine richtungsweisende Rede gehalten. Und wenn der Deutsche Bundestag sich Dinge zutraut, werden andere folgen. (…) Deutschland sollte Europa als seine Umgebung sehen, die man stärken muss, und nicht als einen Gegensatz zur nationalen Politik.“
– Stelter: Könnte es sein, dass „Stärkung“ was mit eigener Anstrengung und nicht mit mehr Umverteilung zu tun hat. - „Am Ende einer Währungsunion wird eine gemeinsame Massierung der Einlagen notwendig sein. Das heißt erstens: Minimierung der Risiken in den Banken. Das dauert noch sechs Jahre. Und dann die Einlagensicherung.“
- „Deswegen müssen wir die Risiken in allen Mitgliedsstaaten reduzieren. Aber ich bin Baden-Württemberger. Ich habe jahrzehntelang im Länderfinanzausgleich in Richtung aller deutschen Regionen mitgeholfen. Für mich ist Europa ein Teil dessen, was ich als Verantwortung sehe. Man kann nicht nur S‑Klasse produzieren und S‑Klasse exportieren, ansonsten sagen, mich geht Europa nichts an. Europa ist eine Schicksalsveranstaltung und wir sollten alles tun, dass in allen europäischen Regionen die Grundlagen für Wirtschaften, für Fortschritt, für Zukunft gegeben sind. Deswegen: Mir ist Europa wichtig und nicht nur Mecklenburg und nicht nur das Saarland.“
– Stelter: KLARTEXT: Oettinger ist für einen Finanzausgleich auf europäischer Ebene! Was hat es denn Berlin und Bremen gebracht? Bayern ist immer die viel zitierte Ausnahme. Aber wo ist denn heute die kluge Politik in Berlin und Bremen und NRW, die das Wunder wiederholt? Wo ist sie denn in Europa? Ich sehe sie nicht. - „Nach der Krise ist immer vor der Krise. Wir haben gesehen, dass unsere Europäische Währungsunion 2009, 2010 und 2011 nicht wetterfest gewesen war. Jetzt haben wir seit sechs, sieben Jahren eine Konjunktur, ein Wachstum der Wirtschaft, einen guten Arbeitsmarkt in fast ganz Europa. Das heißt, wir haben eine gute Lage. Jetzt müssen wir die Europäische Union und die Währungszone wetterfest machen. Da haben wir noch ein bis fünf Jahre Zeit. Das weiß keiner. Aber in fünf Jahren werden unsere Nachfolger fragen, warum habt ihr nicht gehandelt. Deswegen jetzt zu handeln und die Währungsunion und die EU generell festzumachen, ist eine gemeinsame Aufgabe, auch im deutschen Interesse.“
– Stelter: Und was müsste man tun? Schulden restrukturieren, Länder austreten lassen, Geldsystem reformieren. NICHTS davon hat Oettinger oder ein anderer der Akteure je ernsthaft angedacht. - „Es geht nicht nur um Geld; es geht um Asyl und es geht um die Außengrenzen, es geht um wichtige Fragen der inneren und äußeren Sicherheit. Und es geht natürlich um die Bankenunion. Ich möchte hoffen, dass von dem, was Macron vorschlägt, vieles mit Deutschland vor Jahresende verabschiedet wird.“
– Stelter: Tja, sobald man am Brüsseler Topf sitzt, sind einem die Zukunftsaussichten des eigenen Landes nicht mehr so wichtig. Aber das gilt ja auch für viele in Berlin.
→ deutschlandfunk.de: „Wir sollten Macron folgen“, 18. April 2018
Dr. Daniel Stelter — www.thinkbeyondtheobvious.com