By Bundesarchiv, Bild 183-1990-1220-008 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link

50 Jahre 68er — 200 Jahre Marx — Das Jahr linker Geschichtsklitterung

2018 ent­wi­ckelt sich zum Jahr der großen Geschichts­ver­fäl­schung: Was sind die Gemein­sam­keiten in der Glo­ri­fi­zierung von Karl Marx und der 68er-Revolte?
Liest man all die unzäh­ligen Artikel zum 200. Geburtstag von Karl Marx und zum 50. Jah­restag der 68er-Revolte, dann werden erstaun­liche Gemein­sam­keiten in der Ver­fäl­schung des Geschichts­bildes deutlich:
1. Aus­blendung der Gewalt und Umdeutung der Ziele
Marx und die 68er werden von Revo­lu­tio­nären, deren erklärtes Ziel die gewaltsame Zer­schlagung der bür­ger­lichen Gesell­schafts­ordnung war, zu harm­losen Reformern. Nicht nur in den tages­themen, sondern in zahl­losen Artikeln mutiert Marx zu einem von gerechter mora­li­scher Empörung über Kin­der­arbeit und lange Arbeits­zeiten moti­vierter „Sozi­al­re­former“, der sich gegen die „Aus­wüchse“ des Kapi­ta­lismus gewandt habe. Das ist abwegig. Marx wandte sich nicht gegen irgend­welche „Aus­wüchse“ des Kapi­ta­lismus und wollte das System nicht refor­mieren, sondern er wollte es durch eine gewaltsame Revo­lution zer­schlagen und an dessen Stelle die Dik­tatur des Pro­le­ta­riats setzen. Gleiches gilt für die 68er. Auch sie waren keine harm­losen Sozi­al­re­former. Im Gegenteil: „Refor­mismus“ war für sie das schlimmste Schimpfwort. Vielmehr ver­standen sie sich als Revo­lu­tionäre gegen das ver­hasste „System“, also gegen die demo­kra­tische und markt­wirt­schaft­liche Ordnung der Bun­des­re­publik. Und sie trugen eben keine Plakate von Mutter Theresa und Gandhi mit sich, sondern von Lenin, Che Guevara, Ho-Chi-Minh und Mao.
2. Hor­rorbild der Ver­hält­nisse, gegen die sich Marx und die 68er wandten
So wie die Ziele und die Methoden von Marx und den 68ern sys­te­ma­tisch ver­fälscht, ver­harmlost und beschönigt werden, so wird von den Ver­hält­nisse, gegen die sie sich rich­teten, ein ver­zerrtes Hor­rorbild gezeichnet. Der Trick: Die Ver­hält­nisse vor 150 Jahren werden ver­glichen mit denen von heute – und da müssen sie natürlich schrecklich erscheinen. Was dabei nicht gesagt wird: Dass die Ver­hält­nisse für die Men­schen heute sehr viel besser sind als zu den Zeiten von Marx ist ja nicht dessen Ver­dienst, sondern das Ver­dienst genau jenes Systems, das er ver­nichten wollte, nämlich des Kapi­ta­lismus. Und es ist natürlich unredlich und unhis­to­risch, die Ver­hält­nisse im Früh­ka­pi­ta­lismus nur mit unseren heu­tigen Stan­dards zu ver­gleichen. His­to­risch Unge­bildete glauben, vor der Ent­stehung des Kapi­ta­lismus hätten die Men­schen glück­selig gelebt und dann sei plötzlich die Sünde der bru­talen kapi­ta­lis­ti­schen Aus­beutung mit Kin­der­arbeit und über­langen Arbeits­zeiten über sie her­ein­ge­brochen. Marx selbst wusste es besser und lobte den Kapi­ta­lismus als großen zivi­li­sa­to­ri­schen Fort­schritt im Ver­gleich zu vor­an­ge­gan­genen gesell­schaft­lichen Ver­hält­nissen. Dass die Mehrheit der Men­schen vor der Ent­stehung des Kapi­ta­lismus in schlimmster Armut und Not lebte, wird in den „200 Jahre Marx“-Artikeln verschwiegen.
Auch von den Ver­hält­nissen vor 1968 wird ein Zerrbild gezeichnet, damit die Ver­dienste der 68er noch größer erscheinen können. Diese wandten sich angeblich gegen die ver­miefte Ade­nau­erzeit (die in Wahrheit längst vorbei war) und the­ma­ti­sierten angeblich erstmals das Unrecht der NS-Zeit (was tat­sächlich längst vorher geschehen war). Die 68er waren angeblich von pazi­fis­ti­scher Empörung gegen den Viet­nam­krieg getragen (während sie in Wahrheit „Sieg im Volks­krieg“ skan­dierten). Alles, was damals ver­meintlich oder wirklich schlechter war und heute ver­meintlich oder wirklich besser ist, wird den 68ern zugute gehalten, ob nun Kinder heute weniger geschlagen werden oder die Ver­ge­wal­tigung in der Ehe strafbar ist. Gesell­schaft­liche Ent­wick­lungen, die längst vor 68 begonnen hatten bzw. gar nichts damit zu tun hatten, werden als Ergebnis der 68er-Revolte verklärt.
3. Fol­ge­wir­kungen entkoppelt
Dagegen werden die ver­häng­nis­vollen Fol­ge­wir­kungen sowohl von Marx als auch von den 68ern von den „eigentlich“ hehren „huma­nis­ti­schen“ Ideen ent­koppelt. Max Hork­heimer, einer der Vor­denker der 68er, sagte: „Wer vom Kapi­ta­lismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.“ Ich sage: Wer von den 100 Mil­lionen Toten des Kom­mu­nismus nicht reden will, soll vom Mar­xismus schweigen. Der „große Denker“ Marx wird sys­te­ma­tisch ent­koppelt von den unmensch­lichen Dik­ta­turen, die sich auf ihn beriefen; angeblich hätten ihn alle miss­ver­standen. Und die 68er? In den 70er-Jahren teilten sie sich in ver­schiedene Strö­mungen auf: Die Mehrheit war in mao­is­ti­schen Gruppen orga­ni­siert, deren Sym­pa­thien mör­de­ri­schen Sys­temen wie in Kam­bo­dscha und China galt – später lan­deten viele davon bei den Grünen. Andere gingen den Weg in den Ter­ro­rismus – so die „Bewegung 2. Juni“ oder die RAF. Alles, was unap­pe­titlich ist, wird jedoch von Marx und den 68ern ent­koppelt, weil es nicht zur Geschichts­ver­klärung passt. Auch die gesell­schaft­lichen Fehl­ent­wick­lungen, die 1968 ihren Ursprung hatten, werden nicht thematisiert.
Fazit: Die Gemein­samkeit in der Geschichts­ver­klärung liegt darin, dass einer­seits ein Hor­rorbild der Ver­hält­nisse vor 150 bzw. vor 50 Jahren gezeichnet wird, damit dann ande­rer­seits die Motive der­je­nigen, die diese Ver­hält­nisse mit Gewalt besei­tigen wollten, umso edler erscheinen können. Aus Marx und den 68ern werden harmlose und gut­mei­nende Sozi­al­re­former gemacht. Dass sie den gewalt­samen Umsturz und die Zer­schlagung der bür­ger­lichen Gesell­schaft pro­pa­gierten, wird ebenso unter­schlagen wie die mör­de­rische Praxis der Nachfolger.
Die Linken und Grünen feiern und glo­ri­fi­zieren ihre Grün­der­väter Marx und die 68er – und das naive Bür­gertum feiert natürlich fröhlich mit, ob nun aus Unkenntnis oder Oppor­tu­nismus sei dahingestellt.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de