Frau­en­marsch Berlin: Wir erheben unsere Stimme – wir Frauen

Der erste Frau­en­marsch schei­terte an linker Gewalt, die häufig Berlins Straßen beherrscht und de facto die Ver­fassung außer Kraft setzt für die­je­nigen, die Roten oder Grünen nicht genehm sind. Dazu gehört auch der Frau­en­marsch der deutsch-kur­di­schen Islam­kri­ti­kerin Leyla Bilge.
Von Andrea Berwing
Am Wochenende lassen sich manche Men­schen, meist ältere, auf das Lesen einer Rubrik ein, die uns vor Augen hält, dass unser Leben eine Zeit hat. Todes­an­zeigen. Für einen Moment werden All­tags­sorgen kleiner und für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Bald auch wird man dort sein. Die dem Sterben nahe sind, sor­tieren ihre Ange­le­gen­heiten, wün­schen sich meist, dass sich Freunde und Ver­wandte treffen und einen lus­tigen Abend haben und vor allem Mit­ein­ander, das tröstet sie, bei der Beer­digung, voller Humor, das Leben lacht und dem Tod ins Angesicht.
Doch heute, am 09. Juni sind wir hier, nicht um den natür­lichen Tod in Erin­nerung zu rufen und an den Kreislauf des Lebens zu erinnern, sondern denen eine Stimme zu ver­leihen, die Opfer impor­tierter Gewalt geworden sind.
Leyla Bilge, Kurdin, hat zur zweiten Frau­endemo auf­ge­rufen. Als ich am Hal­le­schen Tor aus der U‑Bahn steige, ist der Zugang von der U‑Bahn zur Demo, ver­schlossen. Anders als beim letzten Mal. Ich muss mich durch­fragen. Poli­zisten erklären mir, dass ich nicht so aus­sehen würde, als würde ich zur „AfD Demo“ gehören. Ich erwidere, dass ich zur Frau­endemo gehen möchte, die Leyla Bilge ange­meldet hat. Erst der fünfte, den ich anspreche, zeigt mir ver­nünftig den Weg. Einem anderen Freund wird sein Ausweis für zehn Minuten weg­ge­nommen und dann erst darf er weiter. Auch er sieht angeblich nicht so aus, als würde er DAZU GEHÖREN. Punks, die dort ebenso waren, erzählen Ähnliches.
Doch Schub­laden funk­tio­nieren nicht,

nicht heute und nicht hier und nir­gendwo, wir sind zu lebendig, zu indi­vi­duell. Schub­la­den­denken hat noch nie funk­tio­niert. Schub­la­den­denken zeigt die Begrenztheit des Geistes, des­je­nigen, der Men­schen in Schub­laden steckt und bewertet. Nicht die Begrenztheit des Geistes der Men­schen, die in Schub­laden gesteckt werden.
Viel­leicht erklärt sich durch die Vor­ge­hens­weise der Polizei die geringere Zahl von Demons­tra­ti­ons­teil­nehmern, als beim letzten Mal. Doch es ist egal. Wir sind hier, wir zeigen Gesicht, wir sind hier, weil unsere Kinder, die in unserem Land sterben, unsere Zukunft sind, die mit ihnen stirbt. Wir wollen sie nicht her­geben. Nicht unsere Kinder, nicht unsere Zukunft.
Wir laufen durch das Bran­den­burger Tor hin­durch, es ist ein groß­ar­tiger Augen­blick. Einige Frauen tragen Kreuze mit den Namen der Ermor­deten. Gedenk­mi­nuten, groß­artige Reden, mutige Frauen und Männer, wir laufen bis vor das Kanz­leramt. Dort gehören wir hin. Michaela, die hier schon vor­ge­stellt wurde, schmeißt ihre Notizen weg und hält eine hoch emo­tionale, ergrei­fende Rede. Nachher kommen Men­schen zu ihr und bedanken sich für Ihre Stimme. Die jüdische Autorin Orit Arfa, sinnlich und klug spricht: „Deutschland, ent­scheide Dich!“. Und auch andere mutige Frauen.
Ein Mann hält ein Schild hoch: „Wir hassen nie­manden, wir lieben Deutschland!“ Ich spreche ihn an. Er ist Halb­bra­si­lianer und auch jüdi­scher Her­kunft, er sieht sehr glücklich aus, hier zu sein. Macello, herz­liche Grüße auf diesem Weg! Sie sind es fast alle, ein wenig eupho­risch, fröhlich ent­schlossen, mit den Deutsch­land­fahnen in der Hand, die Hitler damals verbot. Doch wir lassen uns von „Hitlers“ nicht ver­bieten, unser Land zu lieben.

Kalt­herzig werden die genannt, die trauern in einer gestörten Welt.
Ich per­sönlich war wirklich so naiv, zu denken, eine einzige Ver­ge­wal­tigung würde aus­reichen, um die Grenzen unseres Landes, Europas, sofort zu schützen. Das rufen auch die Demonstranten:
Schützt Europa.
Freiheit braucht Sicherheit.
Doch nicht einmal Mord reicht aus, zurück zu einer Politik der Ver­nunft zu finden. „Die Lei­chen­berge werden größer“, lese ich und auch „ich wähle AfD aus Notwehr!“ in den Kom­men­tar­spalten von Artikeln, die den Wahn ohne Sinn doku­men­tieren. Oft bin ich sprachlos und mit diesem ohn­mäch­tigen ver­lo­renen Gefühl bin ich nicht allein. Das begreife ich hier.
Darum bin ich heute hier, um denen eine Stimme zu geben, die keine mehr haben, weil sie umge­bracht oder ver­ge­waltigt wurden. Denen eine Stimme zu geben, deren Kinder, Freunde, Ver­wandte, Mütter oder Groß­mütter geschändet oder getötet wurden und denen im Moment die Kraft fehlt, hin­aus­zu­gehen in die Welt, um wenigstens ein Ein­ge­ständnis von Mit­ver­ant­wortung für Ihr Leid und  für die ver­lo­renen Gesichter ihrer Liebsten ein­zu­fordern. Den Opfern einer Will­kom­mens­po­litik, die, ver­fehlt, geräuschlos, einen ver­lang­samten Putsch in Zeitlupe gegen das eigne Volk darstellt.
3.000 Frauen haben an Schwester Hatunes Schulter geweint, erzählt sie. Wir müssen uns behüten. Krieg ist in unser Land gekommen, in das Land meiner Urmütter und Urväter. Er ist auf leisen Sohlen gekommen und er ist geräuschlos. So geräuschlos, wie der BAMF Skandal ver­tuscht werden sollte, so geräuschlos, wie die Inter­essen und Rechte unserer Men­schen nach Brüssel abge­geben werden, so „geräuschlos“, wie Mit­glieder der Alt­par­teien eine Schwei­ge­minute für Susanna durch­brochen haben und damit ihr Gesicht gezeigt.
Was ist eine Minute Schweigen gegen Stunden Qual und Todes­angst eines Kindes?
Für Euch sind wir zu spät, wir waren zu leise, wir waren zu Wenige. Doch in Gedanken sind wir bei Euch und wir sind hier. Ein kleiner Tropfen ist ein Tropfen.
Mit den Ange­hö­rigen der Opfer und den Opfern der Flücht­lings­po­litik wird umge­gangen, als hätten  sie die Pest. Es wird Distanz genommen, man will damit nichts zu tun haben.
Doch wir müssen es uns anhören, das geht uns direkt an, es ist kol­lektiv hervorgerufen.
Und im Grunde möchte ich den Opfern, den Ange­hö­rigen und Familien, Freunden sagen, es ist egal, ob ihr links oder rechts oder Mitte seid, ob ihr blind wart oder an irgendeine Ideo­logie geglaubt habt, ob ihr Frau Merkel geglaubt, die ihre Ver­ant­wortung an Andere über­geben haben muss, anders kann ich es mir nicht erklären, es ist egal, bekennt Euch zu Eurem Schmerz, lasst Euch nicht stumm machen, Unge­rech­tigkeit ver­langt immer eine Wider­gut­ma­chung, eine Auf­ar­beitung. I‘m a human being.
Viel­leicht hätte ich mehr Respekt, indem ich mir Bun­des­tags­de­batten anschaue, ver­liere ich jedoch kon­ti­nu­ierlich diesen vor den sich selbst auf­lö­senden Altparteien.
Und jeder weiß inzwi­schen, in einer hoch­glo­ba­li­sierten Welt ist es möglich, Hilfe über­allhin zu gene­rieren, ohne die eigene Bevöl­kerung dieser Gefährdung impor­tierter Gewalt auszusetzen.
Sie wissen es, wir wissen es.
Dafür stehen wir hier. Poli­tik­ver­sagen muss benannt werden. Steht mit­ein­ander auf, für ein ja, ver­eintes Europa, für die Men­schen­rechte, für die Unter­stützung von poli­tisch Ver­folgten, doch nicht für Kri­mi­nelle, bezahlt nicht mit Leid und Euren Tränen eine Unge­rech­tigkeit, schaut hin, wer für Demo­kratie und Men­schen­rechte, Frau­en­rechte ein­stehen möchte und ob er mit Mitteln der Ignoranz und Ver­höhnung und Zensur arbeitet oder mit den Mitteln unserer Sprache, unserer Zivi­li­sation, der Courage, des Mutes und ver­dammt, legt nicht ein Wort auf die Gold­waage, sondern den Text. Wer es nicht schafft, hier zu sein, kann trotzdem auf­stehen, indem er sich in seinem Umfeld äußert. Können Wunden heilen, ich weiß es nicht. Für Demü­tigung, Ver­höhnung, Kummer, gibt es keine Therapie.
Lasst Euch nicht therapieren!
Unnötige Wunden heilen ohnehin nie. Wir sind Men­schen. Trauert zusammen, findet Euch, es muss ein Licht geben, ein Aner­kenntnis dessen, was Unrecht ist. Fühlt Euch nicht schuldig, Ihr seid im Recht!   Ihr habt Rechte, alle ! Und jedes Land und jedes Volk hat die Pflicht, die Erste, sich um die Seinen zu kümmern, das und nur das ist Nächs­ten­liebe! Das und nur das ist Huma­nität. Ein uraltes Gut von Sippen.
 


Dieser her­vor­ra­gende Bericht wurde erst­ver­öf­fent­licht auf dem Blog von David Berger — www.philosophia-perennis.com