Sahra Wagenknecht ist eine der wenigen präsentablen Politiker der Linken. Gescheit, furchtlos, gradlinig, gebildet, schick und gutaussehend. Sie hat erkannt, dass die klassische Linke abgewirtschaftet hat und in ihrem verbiesterten, pseudo-antifaschistischen Grimm reflexhaft gegen „rechts“ beißend, durch die vom Wutschaum verkleisterten Fester ihres moralischen Elfenbeiturms nicht mehr sehen kann, mit welchen Problemen der „kleine Mann“ (früher „Arbeiter“) dort unten auf der Straße tagtäglich zu kämpfen hat.
Das Problem der Linken ist, dass sie das nicht bemerkt, der „kleine Mann auf der Straße“ aber schon. Und so wendet sich gerade dieses Klientel von der Politik ab, und da diese Menschen früher das Wählerpotential der Linken waren, merkt das besonders die SPD und auch die Linke.
Frau Wagenknecht ist zu besonnen, um zu polemisieren, sie weiß, dass ihre neue Bewegung „Aufstehen“ ein Drahtseilakt ist. Sie war schon vorher nicht unumstritten bei der Linken, und nun wird sie mit Argusaugen betrachtet, ob sie eine One-Woman-Show abzieht und die Partei im wahrsten Sinne des Wortes „links liegen“ lässt.
Sahra Wagenknecht macht es geschickt. Ihre Bewegung ist keine neue Partei, sondern eine „Bewegung“ innerhalb der Linken. Sie ist angetreten, weil eine rote Alarmlampe blinkt und hupt, die die anderen geflissentlich übersehen: Die Arbeiter und kleinen Leute laufen zur AfD über, weil sie sich alleingelassen fühlen, auch und gerade von der Linken: „Die Linke hat die Politik der sozialen Spaltung nie unterstützt. Aber auch ihr ist es nicht gelungen, die Menschen zu erreichen, die sich von der SPD abgewandt haben. Viele Arbeiter, Arbeitslose, Menschen mit Niedriglohn fühlen sich offenbar auch bei uns mit ihren Problemen und Ängsten nicht mehr verstanden.“
Und hier sind wir an einem Punkt angekommen, wo Frau Wagenknecht im wahrsten Sinne des Wortes „Farbe bekennen“ muss: Wie rot ist ihre Bewegung „Aufstehen“ wirklich?
Denn die Wähler, die zur AfD übergelaufen sind, befinden sich gesellschaftlich jetzt im Pariabezirk, in der dämonisierten Zone. Dorthin verirrt sich kein politischer Sonnenstrahl des Menschenrechts, man ist vogelfrei und darf beschimpft, beleidigt, gekündigt, misshandelt, verleumdet und von den Schlägerbanden der Linken straflos zusammengeschlagen werden. Ist sie nicht, wenn sie die Gründe, aus denen die Abtrünnigen zur AfD gehen, selber aufgreift, ebenfalls in der weltanschaulichen Twilight-Zone verloren?
Sie wäre nicht Sahra Wagenknecht, wenn sie nicht mit einem Doppelaxel elegant von dem genannten Drahtseil spränge. Bei diesem Königssprung des Eiskunstlaufes besteht die Kunst nämlich darin, auf dem rechten Bein rückwärts-auswärts gleitend, dann auf dem linken Fuß in Vorwärtsrichtung drehend abzuspringen, wobei man das rechte Spielbein mit Schwung am linken Standbein anwinkelt, sich dabei um 540° dreht, und rechts rückwärts-auswärts wieder landet und in einer Linkskurve weitergleitet.
Genauso macht sie das. Passen sie auf:
Die FAZ, genauer Ralph Bollmann, hat Frau Wagenknecht interviewt. Nach dem eben zitierten Satz, viele Arbeiter, Arbeitslose, Menschen mit Niedriglohn fühlten sich auch von der Linken in ihren Ängsten und Nöten nicht verstanden, fragt Herr Bollmann Frau Wagenknecht:
„Einer Ihrer Mitstreiter spricht von „dekadenter Political Correctness“. Machen Sie sich die Sprache der AfD zu eigen, um abgewanderte Wähler zurückzugewinnen?“
Sahra Wagenknecht: „Neuerdings ist offenbar alles „Sprache der AfD“. Niemand von uns bedient Ressentiments. Es geht darum, dass Politiker heute oft eine Sprache sprechen, die normale Menschen als abgehoben und unverständlich empfinden. Statt über Sternchen in Worten zu debattieren, sollten wir uns auf die sozialen und ökonomischen Fragen konzentrieren. Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass Unzufriedene in die Arme der AfD getrieben werden, weil sie sich bei allen anderen nicht mehr verstanden fühlen. Viele wählen die AfD aus Protest, das sind keine Rassisten, sondern Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.“
Saugut.
1) „Neuerdings ist offenbar alles „Sprache der AfD“
Mit einem Satz das Tabuisierungssystem der Political Correctness abgewatscht: Man darf die Realitäten nicht mehr aussprechen, weil die AfD das ja tut, und weil die AfD rechts, böse und rassisitisch ist, ist die Realität auch rechts, böse und rassistisch und damit die verachtungswürdige Sprache der AfD. Realität bleibt aber Realität.
2) „… dass Politiker heute oft eine Sprache sprechen, die normale Menschen als abgehoben und unverständlich empfinden.
Das ganze politische Korrektgeschwafel ist ein Gruppenzwang-Gutsprech in der linksgrünen Politikerfilterblase, was offenbart, dass die Politikerkaste mit der Realität kaum Berührung und sich vom Volk abgeschottet hat. Das Volk lebt aber in der Realität, und darf die Dinge noch nicht einmal beim Namen nennen, unter denen es leidet.
3) „Statt über Sternchen in Worten zu debattieren, sollten wir uns auf die sozialen und ökonomischen Fragen konzentrieren.“
Die Politik wendet sich von den wahren Problemen ab und beschäftigt sich – in ihrem PC-Sprech — mit sinnlosem, fundamental-ideologischem Schwurbelschwachsinn, der niemandem nützt, anstelle sich um die realen Nöte der Wähler, des Volkes zu kümmern.
4) „Viele wählen die AfD aus Protest, das sind keine Rassisten, sondern Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.“
Genau diese abgehobenen PC-Schwätzer, die ihre eigentliche Arbeit als Vertreter des Volkes nicht machen, sind schuld, dass die kleinen Leute aus Verzweiflung in Scharen zur AfD laufen und an dem Rechtsruck in Deutschland. Nicht die AfD-Wähler sind schuld, sondern die realitätsfernen, unfähigen Politiker haben die kleinen Leute verraten und im Stich gelassen und den Rechtsruck verursacht. Die Bewegung „Aufstehen!“ holt nur die Kohlen aus dem Feuer.
Frau Wagenknecht redet überhaupt nicht von den AfD-Politikern, deren Programm, ob diese Rassisten sind oder nicht. Sondern nur vom Versagen der etablierten Parteien und der Verzweiflung der kleinen Leute, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen. Eins zu Null für Frau Wagenknecht. Gleichzeitig steht sie über den Dingen und spricht eine Amnestie für die verzweifelten AfD-Wähler aus. Kommt heim zu Sahra, wir machen’s richtig.
Aber Herr Ralph Bollmann hat noch einige Karten im Ärmel: Zurückzuck-Wörter wie „Donald Trump“ oder „Populistisch“ werden auf den Tisch geknallt. Frau Wagenknecht ist vorbereitet. Sie will populär sein, nicht populistisch, denn in einer Demokratie sollte eigentlich alle Parteien nah am Volk und seinen Nöten sein. Herr Bollmann legt nach. Ein wunderbarer Schlagabtausch:
Herr Bollmann: „Ihre politischen Freunde sprechen von einer „schwarz-rot-grünen Einheitsfront“. Was unterscheidet diesen Sprachgebrauch noch von der AfD, die gegen die „Systemparteien“ wettert?“
Frau Wagenknecht: „Die Profillosigkeit dieser Parteien kann doch niemand leugnen. Vergleichen Sie den aktuellen Koalitionsvertrag mit den Sondierungspapieren von Jamaika. Die Unterschiede sind marginal.”
Es kommt die Gretchenfrage der Einwanderung. Herr Bollmann wird pampig: “Sie bekämpfen Nationalismus mit Nationalismus?“
Frau Wagenknecht: „Nationalismus bedeutet, andere Kulturen abzuwerten, sich über andere zu erheben. Niemand bei uns vertritt so etwas. Reden muss man über Probleme, die bei hoher Zuwanderung und mangelnder Integration entstehen. Nicht bei den Wohlhabenden, die in einer eigenen geschützten Welt leben, aber sehr wohl in den sozialen Brennpunkten, wo die Ärmeren leben. (…) wenn es darauf hinausläuft, in Deutschland junge Menschen mit hartem Numerus Clausus vom Medizin- oder auch Ingenieurstudium abzuhalten und sich dann die qualifizierten Fachkräfte aus armen Ländern zu holen, dann ist das zynisch. (…) Statt Fachkräfte aus armen Ländern abzuwerben, sollten wir lieber die Bildungsausgaben erhöhen. “
Frau Wagenknecht schlägt sich auch in den anderen Themen brillant, bei denen Herr Bollmann ihr im Prinzip rechtes Gedankengut, EU-Ablehnung, Demokratiefeindlichkeit und Abtrünnigkeit vom transatlantischen großen Bruder unterstellt. Der Schwung der vorgetragenen Attacke wird aufgenommen und in eine neue Richtung verwandelt. Aus dem Vorwurf „Ablehnung der Westbindung“ wird eine Anklage gegen die Rohstoffkriege und die Destabilisierung im Nahen Osten und ein Appell für eine gute Zusammenarbeit mit Russland (von der Frau Wagenknecht weiß, dass die Mehrheit der Deutschen das wünscht).
Es kommt Bewegung in die politische Landschaft. Die etablierten, blutleeren Parteien sind profillos und austauschbar. Und sie haben, da muss man Frau Wagenknecht recht geben, keine Antworten mehr auf wichtige Fragen. Sie haben sich überlebt. Es werden sich neue Strömungen aus den alten Lagern und über deren Grenzen hinweg bilden.
Diese neue Bewegung unter der Egide Sahra Wagenknechts ist eine davon und ernst zu nehmen. Sahra Wagenknecht ist nur ein Vorreiter: der richtige Politiker, zur rechten Zeit am rechten Ort, gewieft, intelligent, klug, realistisch und mit guten Argumenten.
Vermutlich wird sie als erstes die SPD ausweiden.
Der Schaden wäre überschaubar.
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