Vene­zuela ist ein Live-Expe­riment, das zeigt: Sozia­lismus pro­du­ziert Armut!

Wäre eine Welt ohne Ego­ismus und Pri­vat­ei­gentum nicht eine gerechtere, also eine bessere Welt? So denken im Westen viele Intel­lek­tuelle. Sie kennen den Sozia­lismus zumeist nur vom Hören­sagen. Wer jedoch wirklich in sozia­lis­tisch ver­wal­teter Armut lebt, möchte vor allem eines: mehr Freiheit und Wohl­stand, also mehr Kapitalismus.
(Von Martin Rhonheimer)

Schon mancher Poli­tiker hat Armuts­be­kämpfung zum höchsten Ziel seiner Bestre­bungen erklärt. Zu ihnen gehören auch Vene­zuelas ehe­ma­liger Prä­sident Hugo Chávez und sein Nach­folger Nicolás Maduro. Ihr Rezept hieß: Sozia­lismus. Doch heute wissen wir: Durch die Total­ver­staat­li­chung der Wirt­schaft ist die Armut in Vene­zuela massiv gewachsen. Elend breitet sich aus, Hun­dert­tau­sende fliehen ins Ausland, Men­schen hungern, die Währung zer­fällt, die Pro­duktion sinkt dra­ma­tisch. Um an der Macht zu bleiben, hält die Regierung die Bevöl­kerung in Gei­selhaft und unter­drückt jeg­liche Opposition.
Vene­zuela zeigt bei­spielhaft, warum Sozia­lismus unge­achtet der besten Absichten Armut nicht zu über­winden, sondern nur zu mehren vermag. Die Politik von Chávez und Maduro beruht auf dem Kampf gegen Eigentum und private Ver­fü­gungs­macht über die Pro­duk­ti­ons­mittel. Sie schaltet den Preis­me­cha­nismus des Marktes aus, regu­liert, kom­man­diert und lähmt den Pro­duk­ti­ons­prozess. Dem Arbeits­markt werden Fesseln angelegt, jeg­liche Eigen­in­itiative wird zer­stört. Sozia­lis­tische Über­windung von Armut zielt nicht auf Stei­gerung der Pro­duk­ti­vität durch frei­wil­liges Wirt­schaften, sondern sucht das Ziel durch das zwangs­weise Ver­teilen sozialer Wohl­taten zu erreichen. Armut wird damit nur über­tüncht, indem die Men­schen in zuneh­mende Abhän­gigkeit vom Staat getrieben werden.
Das Ver­sagen der Intellektuellen
So ging nicht nur die Wirt­schafts­leistung dra­ma­tisch zurück, es ent­stand auch eine kor­rupte büro­kra­tische Ver­tei­lungs­elite, die vom System pro­fi­tiert und sich daran berei­chert. Im real exis­tie­renden Sozia­lismus wird nicht, wie im Kapi­ta­lismus, reich, wer pro­fi­tabel und inno­vativ wirt­schaftet, sondern wer an den Schalt­hebeln der Macht sitzt und Res­sourcen ver­teilt, die der Staat den pro­duk­tiven Sek­toren der Gesell­schaft ent­zieht. Über eine Million hoch­qua­li­fi­zierter Fach­kräfte sind mitt­ler­weile ausgewandert.

Die wirt­schaft­lichen Pro­bleme Vene­zuelas bestanden bereits lange vor Chávez’ «Revo­lution». Der Kampf gegen Kapi­ta­lismus und Markt­wirt­schaft hatte schon seit den 1970er Jahren den wirt­schaft­lichen Nie­dergang des Landes ein­ge­leitet. Chávez posierte als Retter – und der anfäng­liche «Erfolg» schien ihm recht zu geben. Das war nur möglich, weil das Öl spru­delte und in den Jahren des hohen Ölpreises auch die Staats­ein­nahmen. Linke Intel­lek­tuelle in Europa und den USA priesen Chávez’ Politik der Armuts­be­kämpfung als vor­bildlich, ja als Modell für die ganze Welt.
Doch dann sank der Ölpreis. Anstatt in den fetten Jahren Reserven anzu­legen, hatte der Cha­vismus immer nur mit vollen Händen ver­teilt. Das musste er nun weiter tun, die Staats­schuld wuchs, die Noten­presse lief auf Hoch­touren. Heute herrscht galop­pie­rende Inflation, und die Men­schen können mit ihrem Geld kaum mehr etwas kaufen.
Was an der Ent­wicklung Vene­zuelas ein­malig ist: Der Prozess der sozia­lis­ti­schen Wert­ver­nichtung konnte sich gleichsam unter Labor­be­din­gungen abspielen. Die hohen Ölein­nahmen ermög­lichten, dass das Werk der wirt­schaft­lichen Zer­störung lange unsichtbar blieb. Jetzt aber wird umso deut­licher, was Sozia­lismus eigentlich ist: eine Maschi­nerie der Wert­ver­nichtung und Armut­s­er­zeugung, die zudem die Men­schen in die poli­tische Knecht­schaft und ein demo­kra­ti­sches Land in die Dik­tatur führt.
Mehr Kapi­ta­lismus
Armut lässt sich nicht durch «gerechtere» Ver­teilung von Res­sourcen bekämpfen, sondern nur durch wirt­schaft­liches Wachstum und Wert­schöpfung. Das Wirt­schafts­system, das Arbeit, Pro­duk­ti­vi­täts­wachstum und damit Wohl­stand schafft, heisst Kapi­ta­lismus – in Ludwig von Mises’ Worten: Pri­vat­ei­gentum an Pro­duk­ti­ons­mitteln, unter­neh­me­rische Initiative und frei­wil­liger Tausch. 
Erst wenn wir ver­standen haben, wie Wert­schöpfung geschieht und Wohl­stand ent­steht und dass es dazu nicht nur poli­ti­scher, sondern auch wirt­schaft­licher Freiheit bedarf – erst dann haben wir ver­standen, warum Vene­zuela gescheitert ist. Dann begreifen wir auch, warum andere Länder Latein­ame­rikas wie Chile, Peru und Kolumbien, viel­leicht bald auch Argen­tinien, sich auf dem Pfad des anstei­genden Wohl­stands befinden: weil sie im Unter­schied zu Vene­zuela kapi­ta­lis­ti­scher geworden sind.
Die Armen brauchen den Kapi­ta­lismus, derweil ihn öko­no­misch unauf­ge­klärte west­liche Wohl­stands­bürger und Intel­lek­tuelle, die sich das leisten können, ver­teufeln. Doch auch im Westen ver­danken wir den his­to­risch bei­spiel­losen Wohl­stand dem Kapi­ta­lismus, genauer: dem, was davon übrig ist. Kaum einer wagt es, die Frage zu stellen: Was wäre, wenn wir nicht eine Staats­quote von 50, sondern von – sagen wir – 25 Prozent hätten, wenn es also auch bei uns mehr wirt­schaft­liche Freiheit, Eigen­in­itiative und unter­neh­me­ri­schen Spielraum gäbe? Dazu braucht es ein wenig Phan­tasie. Aber das wäre doch eine Frage, deren Beant­wortung sich ein paar kluge Intel­lek­tuelle annehmen könnten.
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung (15. Juni 2018) resp. https://www.misesde.org/?p=20273

Pro­fessor Dr. Martin Rhon­heimer lehrt Ethik und poli­tische Phi­lo­sophie an der Päpst­lichen Uni­ver­sität Santa Croce in Rom und ist Prä­sident des Aus­trian Institute of Eco­nomics and Social Phi­lo­sophy, Wien. Er ist Ver­fasser zahl­reicher Bücher in meh­reren Sprachen – zuletzt auf Deutsch erschien 2012 im Herder Verlag „Chris­tentum und säku­larer Staat“. Eine Liste seiner Publi­ka­tionen findet sich auf seiner Uni-Website: http://docenti.pusc.it/?u=rhonheimer.