79 Jahre nach Aus­bruch des zweiten Welt­kriegs: Pol­nische Repa­ra­ti­ons­for­de­rungen rechtens oder unverschämt?

Polen ver­langt von Deutschland 1 Billion USD Repa­ra­ti­ons­zah­lungen für Kriegs­schäden und hat das beim letzten Besuch von Außen­mi­nister Maas wieder bekräftigt. (1)

Emo­tionale und mora­lische Debatten bestimmen heute das schlechte Klima zwi­schen beiden Ländern. Der nüch­terne öko­no­mische Aspekt fehlt. Deutsche „Regie­rungs-Experten“ ver­weisen in der Repa­ra­ti­ons­frage auf den 1953er Repa­ra­ti­ons­ver­zicht Polens. Polen erwarten dagegen einen Frie­dens­vertrag mit Deutschland, der die Repa­ra­ti­ons­fragen klärt. Bis­herige Abkommen, wie der „2+4‑Vertrag“ von 1992 und vor­herige Eini­gungen erfüllt dieses Kri­terium nicht. Auch bei den „frei­wil­ligen Wie­der­gut­ma­chungen“ wurde das arme kom­mu­nis­tische Land einst mit Almosen abge­speist. Anders als Frank­reich oder Israel. Der „ein­ge­frorene Kon­flikt Repa­ra­tionen“ ist demnach noch lange nicht vom Tisch. Spannend wird es, wenn Polen vor US-Gerichten klagen sollte und sich andere geschä­digte Länder (Italien, Grie­chenland, Ost­europa) anschließen.

Pol­nische For­de­rungen: Wie kommt Polen auf die 1 Bill. € ?

Die Experten der kom­mu­nis­ti­schen Regierung (Biuro Osz­ko­dowan Wojennych) schätzten in einer Inventur im Jahr 1946 die mate­ri­ellen Kriegs­schäden Polens auf 50 Mrd. USD, in denen der Ver­mö­gens­zu­wachs durch die deut­schen Ost­ge­biete bereits berück­sichtigt sein sollte. Ver­zinst man diesen Aus­gangswert mit 4,3% jährlich, kommen wir 2017 auf den Mam­mut­betrag von etwa einer Billion USD. (2)

Die Rechnung ist sehr sen­sitiv; beim Zinssatz von 2% (heute bei Staats­an­leihen schwer erzielbar) redu­ziert sich die For­derung auf 200 Mrd. USD. In ihr sind nur mate­rielle Schäden berück­sichtigt, die im Unter­schied zu den schwer ermit­tel­baren per­so­nellen (Men­schen­leben) und imma­te­ri­ellen Schäden (ent­gan­genes BIP, zer­störte Kunst­denk­mäler) einer Schätzung zugänglich sind.

Deutsche Gegen­rechnung (1): ver­lorene Ost­ge­biete (103.000 Km2)

Die „Zeit“ vom 10.4.1947 (3) bezif­ferte auf der Basis der amt­lichen Zahlen des Reich­amtes für Sta­tistik das mate­rielle Ver­mögen der deut­schen Ost­ge­biete in 1939 mit 37 Mrd. RM oder mit 11 Mrd. USD. Ohne den sowje­ti­schen Teil (Königsberg) und die schwer zu schät­zenden Kriegs­schäden — Polen rechnet für sein Gebiet mit 38% Verlust — stünden ab 1946 zur „Ver­rechnung“ etwa 6 Mrd. USD. Ver­zinst würde der heutige „Marktwert“ der ver­lo­renen Ost­ge­biete in etwa dem Bör­senwert von BMW ent­sprechen. Dieses ent­täu­schende Ergebnis mag Mil­lionen Hei­mat­ver­triebene empören. So ist es aber generell im Wirt­schafts­leben. Auch die 1867 für 7,2 Mio. USD an die USA von Russland abge­tretene Alaska würde bei einer 3%igen Ver­zinsung gegen­wärtig nicht einmal eine Mil­liarde Mrd. USD auf die Waage bringen. Über­lange Zeiten der Groß­in­fla­tionen sind für solche krassen Unter­be­wer­tungen ver­ant­wortlich. Anders als im Ver­si­che­rungs­sektor finden Wie­der­be­schaf­fungs­werte hier keine Anwendung. Ob die pol­nische Bewertung 1946 tat­sächlich stattfand und ob sie rea­lis­tisch war, kann heute nicht mehr fest­ge­stellt werden.

Deutsche Gegen­rechnung (2): Leis­tungen an geduldete pol­nische Staats­bürger 1980 – 1991 während des Kriegsrechtes?

Nach­fol­gender Einwand wird pol­ni­schen Lesern nicht gefallen. Sie werden behaupten, huma­nitäre Hilfe sei ein anderes Thema als die Repa­ra­tionen. Das mag formal-mora­lisch stimmen, gehört jedoch in eine „öko­no­mische Grund­aus­sprache“ dazu. Worum geht es hier? Deutschland hatte nach Aus­rufung des Kriegs­rechtes in Polen (1981) für die Unter­haltung aus dem Nach­barland geflüch­teten Bürger, die bei uns keine Arbeits­er­laubnis erhielten, mehrere Mil­li­arden DM jährlich auf­bringen müssen. Auch ohne detail­lierte Rechnung ergeben sich bei einigen Grund­an­nahmen (monat­liche Aus­gaben 1.000 DM für min­destens 12 Jahre und 800.000 Per­sonen) hieraus schnell Mil­li­ar­den­be­träge. Für diese „deut­schen Forderungen/Ausgaben“ tickt eben­falls die Zinsuhr. Der Bör­sianer wird noch auf das wesentlich höhere Zins­niveau in der Periode 1980 — 2005 als im Zeitraum 1945 bis 1980 hin­weisen. Das erhöht den deut­schen „For­de­rungs­betrag“ zusätzlich.

Deutsche Gegen­rechnung (3): gezahlte Wiedergutmachungen

Letzt­endlich sind von den pol­ni­schen For­de­rungs­wün­schen die frei­wil­ligen Wie­der­gut­ma­chungen Deutsch­lands an den pol­ni­schen Staat und ver­schiedene Kriegs­op­fer­gruppen (Zwangs­ar­beiter) in Abzug zu bringen. Auch zählen Kre­dit­nach­lässe und Finanz­hilfen dazu. Die Gesamthöhe dieses Paketes dürfte aller­dings nur wenige Mil­li­arden € aus­machen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade diese, — im Kontext obigen Groß­zahlen gering­fü­gigen — Leis­tungen im Kopf des Otto-Normal-Ver­brau­chers am meisten haften bleiben und für Vor­ur­teile sorgen: Die frechen Polen haben schon so viel von uns bekommen, was wollen die denn noch! Auch unserer Politik erinnert gut und gerne an diese Wie­der­gut­ma­chungen, ver­schweigt aber das Grundproblem.

Deutschland sollte in der Repa­ra­ti­ons­frage mit Polen reden und einen Vor­schlag machen

Kriegs­re­pa­ra­tionen sind so alt wie die Kriege selbst, mora­lisch nicht unan­ständig und letzt­endlich bezif­ferbar. Wenn sich Deutschland heute in dieser Frage einer Dis­kussion mit Polen ver­weigert, so hat das rein juris­tische und poli­tische Gründe. Denn es ginge auch anders. Das „reiche Land“ könnte einen ver­trag­lichen Schluss­strich in der Repa­ra­ti­ons­frage vor­schlagen und als End­rechnung für beide Länder nütz­liche Inves­ti­tionen und keine Geld­leis­tungen anbieten. So wäre es eine gute Idee, die Oder-Brücken zu sanieren und die Regu­lierung der Was­ser­straße für die Schiff­fahrt vor­an­treiben. Wenn 30 Mrd. € für Migranten da sind, sollte sich eine solche Summe für einen guten natio­nalen Zweck eben­falls auf­bringen lassen.

Will die pol­nische Bevöl­kerung wirklich die Repa­ra­tionen oder ist es nur ein tak­ti­sches Manöver der Regierung? Was hätten die Deut­schen davon, wenn sie zahlen?

Wer die Stimmung hinter der Oder stu­diert, weiß, dass Polen nicht primär auf Repa­ra­tionen pocht. Nur 63% der Polen haben sich für die Zah­lungen aus­ge­sprochen. Wohl würde der Anteil der Befür­worter bei einer seriösen Wil­lens­er­klärung Deutsch­lands weit unter 50% sinken. Kein Pole würde sich durch ein Geld­ge­schenk von 750 € (halbes Monats­gehalt) reicher fühlen. Warum kommt die PIS-Regierung also auf diese Idee? Muss die Repa­ra­ti­ons­karte nicht als Antwort auf die stän­digen EU-Ein­mi­schungen in die inneren Ange­le­gen­heiten (Pres­se­ordnung, Jus­tiz­reform, Urwald­rodung in Biało­wieża, ein­seitige Unter­stützung der Oppo­sition) Polens gesehen werden?

Nicht nur Hei­mat­ver­triebene würden eine Erklärung Polens, dass der Verlust der deut­schen Ost­ge­biete und ihre Ver­treibung Unrechtsakte waren als Genug­tuung ansehen. Auch ihnen geht es heute 79 Jahre nach Kriegsende nicht mehr um Geld. Die Ent­schä­digung für ver­lo­renes Land und Hof haben sie vor Jahr­zehnten längst aus dem Las­ten­aus­gleich erhalten. Wichtig wäre eine breite und echte Aus­sprache hüben und drüben zu diesem heiklen Thema. Selbst­ver­ständlich ohne die Ver­mittlung der EU und das Berichts­er­stat­tungs­mo­nopol des ARD.


Viktor Heese, Finanz­analyst und Fach­buch­autor; www.prawda24.com; www.finanzer.eu