Ent­wick­lungs­hilfe, um Flucht­ur­sachen zu besei­tigen — Merkels Afrika-Politik ist zum Scheitern verurteilt

Für Angela Merkel sind derzeit Afrika-Wochen: Erst gaben sich die Staats­chefs aus Niger und Angola in Berlin die Klinke in die Hand, nun fliegt die Kanz­lerin nach West­afrika. Laut Merkel soll Afrikas Wirt­schaft durch Ent­wick­lungs­hilfe gestärkt werden, um damit „Flucht­ur­sachen zu beseitigen“.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
„Diese wirt­schaft­liche Per­spektive ist für die aller­meisten Länder Afrikas deshalb so ent­scheidend, weil es viele junge Men­schen gibt, die Aus­bil­dungs- und Arbeits­plätze brauchen“, sagte Merkel in ihrem wöchent­lichen Video-Podcast. Deutschland ist für viele Nige­rianer ein Sehn­suchtsort. Im ersten Halbjahr 2018 stammten fast sieben Prozent aller Asyl-Erst­an­träge in der Bun­des­re­publik von Men­schen aus Nigeria. Das west­afri­ka­nische Land belegte damit in der Asyl-Sta­tistik der „Top-Staats­an­ge­hö­rig­keiten“ den dritten Platz.
Merkel meinte schon 2016, sie sei „über­zeugt, dass unsere Sicherheit, unser Leben in Frieden und unsere nach­haltige Ent­wicklung mit der Lebens­si­tuation von Men­schen, die weit weg von uns wohnen, zusam­men­hängen“. Ihr Amtseid beziehe sich auf das Wohl Deutsch­lands, dieses sei aber heute „allein mit der Kon­zen­tration auf Deutschland selbst dau­erhaft nicht zu erreichen“. „Wenn ich als deutsche Bun­des­kanz­lerin dafür sorgen will, dass es uns Deut­schen gut geht, dass die Euro­päische Union zusam­menhält, muss ich mich auch darum kümmern, dass es in Europas Nach­bar­schaft so zugeht, dass Men­schen dort Heimat auch als Heimat emp­finden können. Konkret heißt das in unserer Zeit, dass wir uns in neuer Weise mit Afrika befassen müssen.” Durch Ent­wick­lungs­hilfe soll die Situation der Men­schen in Afrika so weit ver­bessert werden, dass sie keinen Grund mehr haben, sich auf den Weg nach Europa zu machen, so Merkel. Gebets­müh­len­artig wie­derholt sie (wie auch andere Poli­tiker), wir müssten die “Flucht­ur­sachen besei­tigen”, und zwar durch Entwicklungshilfe.
Mehr Wachstum führt zunächst zu mehr Migration
Dass das eine gefähr­liche Illusion ist, zeigt ein For­schungs­be­richt für das Bonner For­schungs­in­stitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) (http://ftp.iza.org/pp136). Danach wird sich die Hoffnung, dass mehr Ent­wick­lungs­hilfe die Aus­wan­derung aus armen Ländern tat­sächlich redu­ziert, nicht erfüllen. Die Neigung zur Aus­wan­derung sinkt nämlich erst dann, wenn die betrof­fenen Länder ein Pro-Kopf­ein­kommen von etwa 8.000 bis 10.000 US-Dollar (gemessen auf Kauf­kraft­basis) erreicht haben. Länder mit einem Pro-Kopf­ein­kommen von 5.000 bis 10.000 US-Dollar (auf Kauf­kraft­basis) haben im Durch­schnitt sogar eine dreimal höhere Anzahl an Aus­wan­derern als Länder, in denen das Pro-Kopf­ein­kommen unter 2.000 US-Dollar liegt.
Mit anderen Worten: Bis zum Erreichen der oberen Schwelle nimmt die Migra­ti­ons­neigung in den ärmsten Ländern bei wach­sendem Wohl­stand sogar ten­den­ziell zu. Im Nor­malfall dauert es – wenn man die durch­schnitt­liche his­to­rische BIP-Wachs­tumsrate zugrunde legt – fast 200 Jahre, bis in einem armen Land der Impuls zur Migration nach­lässt. Und selbst wenn man sehr opti­mis­tisch annimmt, dass sich das Wirt­schafts­wachstum durch Ent­wick­lungs­hilfe um zwei Pro­zent­punkte pro Jahr steigern ließe – eine Ver­drei­fa­chung der der­zei­tigen Rate -, würde es bis zum Erreichen dieser Ein­kom­mens­schwelle noch ein halbes Jahr­hundert dauern.
Doch das ist ganz und gar unrea­lis­tisch, weil Ent­wick­lungs­hilfe meist nichts bewirkt oder sogar kon­tra­pro­duktiv ist, wie ich im 2. Kapitel meines Buches Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung auf Basis ein­schlä­giger For­schungen belege. Hier ein Auszug:
Ent­wick­lungs­hilfe – nutzlos oder kontraproduktiv
Dambisa Moyo, die in Sambia geboren wurde, in Harvard stu­dierte und in Oxford pro­mo­viert wurde, hat in ihrem Buch „Dead Aid“ die Ent­wick­lungs­hilfe der reichen Länder als eine weitere Ursache für die Not auf dem Kon­tinent iden­ti­fi­ziert. In den ver­gan­genen 50 Jahren, schrieb Moyo 2009, wurde im Rahmen der Ent­wick­lungs­hilfe über eine Billion Dollar an Hilfs­leis­tungen von den reichen Ländern nach Afrika über­wiesen. „Doch geht es den Afri­kanern durch die mehr als eine Billion Dollar Ent­wick­lungs­hilfe, die in den letzten Jahr­zehnten gezahlt wurden, tat­sächlich besser? Nein, im Gegenteil: Den Emp­fängern der Hilfs­leis­tungen geht es wesentlich schlechter. Ent­wick­lungs­hilfe hat dazu bei­getragen, dass die Armen noch ärmer wurden und dass sich das Wachstum ver­lang­samte […] Die Vor­stellung, Ent­wick­lungs­hilfe könne sys­te­mische Armut mindern und habe dies bereits getan, ist ein Mythos. Mil­lionen Afri­kaner sind heute ärmer – nicht trotz, sondern auf­grund der Entwicklungshilfe.“
Um nicht miss­ver­standen zu werden: Mit „Ent­wick­lungs­hilfe“ meint Moyo nicht kari­ta­tives Enga­gement und akute Hilfe bei Hun­gers­nöten oder Kata­strophen, die natürlich nicht kri­ti­siert werden sollen, sondern dau­er­hafte finan­zielle Trans­fer­leis­tungen mit dem Ziel, die wirt­schaft­liche Ent­wicklung zu fördern. Oft wurden diese Gelder an kor­rupte und des­po­tische Regie­rungen gezahlt und kamen nicht bei den Armen an. Doch „selbst wenn die Hilfs­leis­tungen nicht einfach ver­un­treut wurden und in den Kanälen der Kor­ruption ver­si­ckerten, blieben sie unpro­duktiv. Die poli­tische Rea­lität hat über­deut­liche Beweise dafür geliefert. Ange­sichts des öko­no­mi­schen Zustandes Afrikas ist nicht zu erkennen, wo Wachstum eine direkte Folge der gewährten Ent­wick­lungs­hilfe gewesen wäre“.
Eine Studie der Weltbank belegte, dass mehr als 85 Prozent der För­der­gelder für andere Zwecke ver­wendet wurden als ursprünglich vor­ge­sehen, oft umge­leitet in unpro­duktive Pro­jekte. Selbst da, wo die Gelder für an sich sinn­volle Pro­jekte ver­wendet werden, werden die kurz­fristig posi­tiven Folgen von nega­tiven Lang­zeit­folgen kon­ter­ka­riert, wie Moyo an fol­gendem Bei­spiel zeigt: Es gibt in Afrika einen Her­steller von Mos­ki­to­netzen, der 300 Netze pro Woche pro­du­ziert. Er beschäftigt zehn Arbeiter, von denen jeder bis zu 15 Ange­hörige mit seinem Lohn mit­ver­sorgen muss. Das ging gut, bis ein Hol­lywood-Schau­spieler dafür mobi­li­sierte, eine Million Dollar für 100.000 Mos­ki­to­netze zu sammeln, um den Men­schen in Afrika zu helfen. Kurz­fristig eine löb­liche Sache, aber ohne die Folgen zu bedenken: Durch die Netze, die den Markt über­schwemmen, wird der ein­hei­mische Her­steller aus dem Markt gedrängt. Seine Ange­stellten müssen sehen, wo sie bleiben, können ihre Fami­li­en­an­ge­hö­rigen nicht mehr unter­stützen. Alle sind nun auf Almosen angewiesen.
Zwi­schen 1970 und 1998, der Zeit der höchsten Ent­wick­lungs­hil­fe­leis­tungen an Afrika, stieg die Armut auf dem Kon­tinent von elf auf 66 Prozent. Aus­län­dische Hilfs­zah­lungen nährten kor­rupte Regie­rungen, indem sie diese mit frei ver­füg­barem Geld unter­stützten. Die Regie­rungen fühlten sich nicht der eigenen Bevöl­kerung ver­ant­wortlich, sondern ihren aus­län­di­schen Geld­gebern. Sie blo­ckierten die Rechts­staat­lichkeit, die Eta­blierung von trans­pa­renten poli­ti­schen und zivil­ge­sell­schaft­lichen Insti­tu­tionen, den Schutz der bür­ger­lichen Rechte. Dadurch machten sie zugleich ein­hei­mische wie aus­län­dische Inves­ti­tionen in ihren armen Ländern unat­traktiv. Ein funk­tio­nie­render Kapi­ta­lismus konnte sich dort nicht ent­wi­ckeln, denn ein Umfeld hoch­gra­diger Kor­ruption und Unsi­cherheit schreckte Inves­toren ab.
Das führte zur Sta­gnation und würgte letztlich das Wachstum ab. Die kor­rupten Staats­an­ge­stellten ent­scheiden nicht im Interesse des All­ge­mein­wohls, sondern nach Maßgabe mög­licher Selbst­be­rei­cherung. Große Summen an Hilfs­geldern und eine Kultur der Ent­wick­lungs­hilfe-Abhän­gigkeit ermu­tigten afri­ka­nische Regie­rungen zudem, die unpro­duk­tiven öffent­lichen Sek­toren weiter auf­zu­blähen – was auch nur eine Art ist, Günst­linge zu belohnen.
Ent­wick­lungs­hilfe hilft den kor­rupten Eliten mehr als den Armen
James Shikwati, Gründer der Wirt­schafts­för­de­rungs­ge­sell­schaft „Inter Region Eco­nomics“ in Nairobi (Kenia), meint: „Würde die Ent­wick­lungs­hilfe abge­schafft, bekäme das der kleine Mann gar nicht mit. Nur die Funk­tionäre wären scho­ckiert.“ Sein Fazit zum Thema Ent­wick­lungs­hilfe: „Es werden riesige Büro­kratien finan­ziert, Kor­ruption und Selbst­ge­fäl­ligkeit gefördert, Afri­kaner zu Bettlern erzogen und zur Unselbst­stän­digkeit. Zudem schwächt die Ent­wick­lungs­hilfe überall die lokalen Märkte und den Unter­neh­mer­geist, den wir so dringend brauchen. Sie ist einer der Gründe für Afrikas Pro­bleme, so absurd dies klingen mag.“
William Eas­terly, Pro­fessor für Öko­nomie und Afri­ka­studien an der New York Uni­versity, hält Ent­wick­lungs­hilfe für weit­gehend nutzlos, oft sogar kon­tra­pro­duktiv. In zwei Jahr­zehnten wurden in Tan­sania zwei Mil­li­arden Dollar an Ent­wick­lungs­hil­fe­mitteln für den Stra­ßenbau aus­ge­geben, aber das Stra­ßennetz ist nicht besser geworden, so berichtet er. Weil die Straßen nicht instand gehalten wurden, ver­fielen sie schneller, als die Geld­geber neue bauen konnten. Was sich wir­kungsvoll in Tan­sania ent­wi­ckelte, war eine gigan­tische Büro­kratie. „Für seine Geld­geber, die das Emp­fän­gerland mit tausend Mis­sionen von Ent­wick­lungs­hil­fe­ver­tretern im Jahr über­fluten, pro­du­ziert Tan­sania jedes Jahr 2.400 Berichte.“ Die Ent­wick­lungs­hilfe habe also nicht geliefert, was die Armen benö­tigten (Straßen), sondern statt­dessen vieles, was den Armen wenig nützt.
 


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de